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Jacques Villeneuve im Gespräch

In einem lesenswerten, schonungslos und sympathisch offenen Interview spricht „JV“ über seinen Vater, seine Jugend, Roland Ratzenberger und vieles, vieles mehr…

Fotos: jv-world.com, Photo4

Im Zusammenhang mit Jacques Villeneuve gibt es viel unkonventionelle Geschichten: der Schmuddel-Look; die übergroße Rennanzüge und Rennschuhe mit heraushängender Lasche: Ingenieure, von denen ungewöhnliche Setup-Einstellungen verlangt worden etc. Er gewann die Weltmeisterschaft in seiner zweiten Formel-1-Saison, aber seine anschließende Grand-Prix-Karriere beinhaltete mehr Kontroversen, als Erfolge.

Wir treffen ihn in der Nähe seines Zuhauses, hoch über dem Genfersee, an einem Sommertag. Die Sicht beschränkt sich aufgrund von Nieselregen und Nebel allerdings auf unter 20 Meter. Typisch für ihn, hat er sich das L'Alchimiste ausgesucht - ein bescheidenes Familienrestaurant, das während der Mittagszeit von den Bewohnern des Dorfes gut besucht ist. Jacques kennt diesen Ort gut, denn in Villars-sur-Ollon verbrachte er einen Großteil seiner Jugend, nachdem sein Vater Gilles während des Qualifyings zum Grand Prix von Belgien 1982 ums Leben gekommen war.

Jacques teilt die Leidenschaft für Geschwindigkeit seines Vaters, trat aber aus dem Schatten des beliebten Ferrari-Fahrers heraus, um seinen eignen Weg zu gehen. Sein Verlangen, sich zu beweisen, stillt er nach wie vor im internationalen Rallyecross; seinen Drang, die Dinge beim Namen zu nennen, geht er als Formel-1-Experte für das französische und italienische Fernsehen nach - und im Interview mit uns.

Jacques, wir sind hier an einem Ort, an dem du aufgewachsen bist.

Ja, genau. Ich bin auf das Internat gleich über die Straße gegangen. Dort hatte ich zum ersten Mal Sex, mein erstes Bier - all das, was man zwischen 12 und 17 Jahren so macht. Es war eine gute Zeit. Es gab Berge, Skifahren - es war der Hammer.

Verstehe, du musst es hier gut gehabt haben, auch wenn du hier in einer schwierigen Zeit deines Lebens angekommen bist. Bist du deswegen zurückgekehrt?

Es war eine seltsame Zeit, denn ich lebte bereits seit mehr als einem Jahr nicht mehr Zuhause, bevor mein Vater starb. Das Familienleben explodierte nach seinem Tod und es herrschte anscheinend keine gute Stimmung, also schickte mich meine Mutter wieder weg. Es war verwirrend und alles ein bisschen unklar damals.

Du warst sehr jung.

Ich war elf und ich kann mich sehr genau daran erinnern wie es war, als er starb. Es war das erste Rennen, zu dem meine Mutter nicht gegangen ist. Ich erinnere mich, wie wir von der Schule kamen. Als ich aufwuchs, bekamen wir nur zu Weihnachten und zum Geburtstag Spielsachen, aber es gab da diese Schwarz-Weiß-Videospiele. Ich habe meine Mutter damit belagert und wir hielten schließlich an und kauften eins. Wir kamen nachhause und das Telefon klingelte. Die Erinnerung ist sehr deutlich. Ich erinnere mich, wie sie das Telefon abnahm, ohne ein Wort zu sagen...

Du wusstest es?

Ja, ich wusste es. Es kam jemand vorbei, der auf uns (Jacques und seine Schwester Melanie; Anm. d. Red.) aufpasste. Danach flogen wir mit dem Militär nach Kanada, was für einen 11-jährigen Jungen ein cooles Erlebnis war, auch wenn es nicht sehr komfortabel ist. Für ein oder zwei Wochen war es dann wirklich hart, aber es hatte auch einen großen Effekt auf mich, denn ich musste der Mann in der Familie sein, während meine Mutter und meine Schwester beinahe verzweifelten.

Es ist furchtbar, aber wahr: es half mit dabei, ein Mann zu werden und zu dem Rennfahrer zu reifen, der ich bin. Es war sehr traurig und sehr hart, weil er mein Held war. Wenn ich nur fünf Sekunden seiner Aufmerksamkeit bekam, bedeutete das für mich das Paradies. Manchmal drängte meine Mutter ihn dazu, mich im Helikopter mitzunehmen, damit wir gemeinsam Zeit verbringen konnten. Ich saß da dann stundenlang, ohne etwas zu sagen, und war einfach glücklich. Es war ein sehr schwieriger Moment, aber mein Vater hat uns beigebracht, dass einzig das Heute und das Morgen zählen und nicht das Gestrige. So war er und ich habe mir das bewahrt.

Wie bist du dann hierher gekommen?

Als wir nach Europa umzogen, lebten wir zuerst bei Patrick Tambay. Nach dem Unfall empfahl er uns, hierher zu gehen. Ich wollte Skirennen fahren, also war es perfekt. Ich habe es hier von Anfang an geliebt. Es war wie eine Mini-Gesellschaft, in der man lernte, wie es sich in einer Gesellschaft lebte - wie man mit der Polizei umging, mit Leuten, die einen beobachten, wie man ans Limit geht und nicht darüber hinaus, wie man sich an Regeln hält.

Ich fand plötzlich zu mir selbst. Jeglicher Bezug war wegefallen und ich konnte mich komplett lösen. Deswegen habe ich vielleicht nicht mehr so viele Erinnerungen an meinen Vater, weil ich ein neues Kapitel beginnen konnte. Ich denke, so konnte ich das Ganze auf gesundem Wege überstehen. Mir gefällt die Vorstellung, dass es ihn glücklicher gemacht hat, mich so zu sehen. Macht das Sinn?

Ja, das tut es. Ich kann mir vorstellen, dass Gilles so gefühlt hätte, denn er ging ja gerne Risiken ein, wenn sie berechenbar waren. Ich bin mir sicher, er hätte die erlaubt, Skirennen zu fahren.

Meine Mutter hoffte, ich würde nicht in den Motorsport gehen. Ich glaube nicht wegen der physischen Gefahr, sondern weil sie wusste, dass auf mich großer Druck ausgeübt werden würde. Sie wusste nicht, ob ich gut genug sein würde. Sie hielt mich davon fern, aber eines Tages ergab sich die Gelegenheit und ich fing damit an. Sie konnte mich nicht davon abhalten und entschied sich deshalb dafür, mich zu unterstützen.

Ich denke, ihr wurde klar, dass sie keine Chance hatte und dass du es sowieso getan hättest.

Ganz genau. Ich war 17 und wenn sie nein gesagt hätte, hätte ich mit 18 gesagt 'Okay, Tschüss. Ich bin weg'.

Du hast gesagt, dass du hier du selbst sein konntest. Als du aber nach Italien gegangen bist, um mit dem Rennfahren anzufangen, fragten die Leute wieder öfter nach deinem Vater. Wie bist du damit umgegangen?

Ich bekam davon gar nichts mit. Ich hatte Glück, weil meine Familie in Italien sehr gut aufgenommen wurde. Mein Vater war Mitglied der italienischen Familie, viel mehr als in Kanada oder irgendwo anders. Es herrschte dort also ein gewisser Respekt. Sie haben mich als ein Kind gesehen, dass Spaß haben wollte. Ich habe damals ausgesehen wie ein Zwölfjähriger, also haben sie mich beschützt, was sehr angenehm war. Ich war in einem sehr guten Team.

Viele Leute wollten in mir einen eine Fortführung von Gilles und dem, was er noch nicht erreicht hatte, sehen. Ich sagte, dass mich das nicht interessiere und dass ich darüber nicht reden wollte. Da wurden die Leute sauer, weil das nicht das war, was sie hören wollten.

Wie war das Rennfahren zu dieser Zeit?

Sehr gut. Die Formel 3 war gut für einen Einstieg, denn da traten etwa 45 Autos zur Meisterschaft an. Ich habe weder Kart- noch andere Erfahrungen gehabt und hatte keine Ahnung, in was ich mich da gestürzt hatte. In meiner Vorstellung war ich aber ein Rennfahrer, auch wenn ich erst zwölf war. Es kam mir niemals in den Sinn, dass ich auch etwas zu lernen hatte. Ich wusste, dass ich eines Tages Weltmeister werden würde, daran habe ich nie gezweifelt. Ich habe mich nicht einmal gefragt wie, wann und ob es überhaupt geschehen würde.

Es ist seltsam, sich das jetzt vorzustellen. Wenn mir heute jemand das gleicher erzählen würde, würde ich ihm antworten 'Sei vorsichtig; du solltest ein bisschen mehr lernen'. Es war aber ein sehr guter Lernprozess, denn es ging von Anfang an um alles oder nichts.

Damon Hill oder andere Fahrer in der gleichen Situation haben mitbekommen, dass gleich das erste Rennen zählt, wenn man mit einem Namen an den Start geht. Ohne Namen interessiert das gar keinen. Da kann man in seiner dritten Saison sein und die Leute denken immer noch, man wäre neu. Wenn man aber deinen Namen kennt, wird davon ausgegangen, dass man sofort gewinnt. Dieser Druck kann dich entweder groß machen oder zerstören - dazwischen gibt s nichts. Man lernt, sich viel schneller zu entwickeln. Tut man das nicht, ist man erledigt.

Du hattest also keine Zweifel, bevor du angefangen hast. Begannen die dann aber, als es soweit war?

Nein. Ich hatte nie Zweifel. So etwas kam mir nie in den Sinn. Ich habe all meine Ski-Erfahrungen eingesetzt und wusste, dass es darum ging, herauszufinden, wie man besser werden könnte. Man muss nur diese Mechanismen erkennen, das ist alles. Es ist logisch. Warum bin ich hier langsam? Darauf muss man aufbauen. Die Dinge erledigen sich, wenn man nicht aufgibt uns fokussiert bleibt. Wenn man einen Schritt gehen muss, dann muss man herausfinden wie. So bin ich die Dinge immer angegangen und es hat funktioniert.

Was hat dich dazu bewegt, nach Japan zu ziehen. Waren es finanzielle Gründe oder war es ein Karriereschritt?

Ich hatte immer einen Sponsor. Da hatte ich Glück, denn als ich begann, wollte 'Camel' die Söhne berühmter Väter unterstützen. Mit 17 habe ich den Vertrag unterschrieben. Das ist verrückt. Stell dir das mal heute vor! Das Jahr in Japan habe ich als Studienjahr betrachtet, denn der Rennsport erlebte dort gerade ein Hoch. Es gab dort so viele Ehemalige. Ich fuhr an der Seite von Tom Kristensen und Ricard Rydell. Eddie Irvine war in der 3000 und Ross Cheever und Roland Ratzenberger waren auch dort.

Es gab nur neun oder zehn Rennen in der Meisterschaft aber wir testeten mehr, als dass wir Rennen fuhren und das brachte mich wirklich voran. Es zwang mich auch dazu, mit einem Ingenieur zusammenzuarbeiten, der im Grunde kein Englisch sprach - ein alter Japaner mit nur drei Zähnen - aber er war brillant.

Du musstest mehr tun, weil du mehr Informationen brauchtest, um es zu erklären, ohne Englische, Französische oder Italienische Begriffe zu benutzen. Man beginnt sich vorzustellen, wie das Auto physikalisch funktioniert, man visualisiert die Bewegungen der Aufhängungen beinahe: Was würdest du tun, um das zu verbessern? Es geht dabei nicht nur um Über- oder Untersteuern, das hat keine Bedeutung. Die Sprache nicht zu sprechen zwingt dich dazu, Teile deines Gehirns zu benutzen, die man normalerweise vernachlässigen würde.

War das, als du auch Sportwagen gefahren bist?

Ja, ich habe viel in der Toyota Turbo Gruppe C getestet, einer großen und fiesen Maschine. Toyota hatte einiges mit uns vor. Roland Ratzenberger nahm mich dabei unter seine Fittiche. Er trieb mich wirklich an, schneller zu fahren. Die meisten Fahrer würden dich lieber langsamer machen, weil sie sich mehr um sich selbst sorgen, aber Roland war wirklich hilfsbereit. Ich rechne es ihm hoch an, was er für mich getan hat.

Meine ganze Karriere über war ich immer wie das kleine Kind, dem von Älteren geholfen wurde. Ich weiß nicht, ob sie Mitleid hatten, weil ich immer so jung aussah, aber es gab da immer den älteren Typen, der mich wie in der Schule beschütze.

Was hast du für Erinnerungen an Nordamerika, wo du in der Formel Atlantik gefahren bist, bevor du zur IndyCar gingst?

Als ich in Japan war, wurde ich für ein Rennen nach Trois-Rivieres in Kanada eingeladen und erreichte dort das Podium. So fing das an. Players (der Tabak-Sponsor; Anm. d. Red.) wollte, dass ich in Nordamerika fahre, aber Toyota wollte mich in Japan behalten. In dem Dreijahresvertrag von Players war aber ein IndyCar-Deal enthalten, deshalb ging ich.

In Trois-Rivieres gab es viel Gerede um deinen Vater, da er so etwas wie ein Held dieses Rennens war. War dir das bewusst?

Nein, aber es interessierte mich auch nicht. Ich war jung und hatte Spaß am Rennfahren. Ich lebte den Traum meines Vaters. Er war absolut leidenschaftlich, was seine Rennkarriere anging, er lebte es voll aus und deswegen wurde er dafür so respektiert. Er hat nicht so getan, als wäre er ein Rennfahrer, er war ein absoluter Rennfahrer.

Warum hätte ich also anders sein sollen? Als ich ein Kind war, lernte ich von ihm, die Gefahr immer zu respektieren, zu wissen, wo sie entsteht und dann an die Limits zu gehen und einfach besser als die anderen zu sein. Man sollte keine Angst davor haben, an seine Grenzen zu gehen.

Wie kam der IndyCar-Deal dann so schnell zustande?

Das ging beinahe schief! Als wir bei Players im Büro saßen, um an dem IndyCar-Deal zu arbeiten, bin ich einfach weggegangen. Ich wollte zurück nach Japan, weil sie von mir verlangten, mein Helm-Design zu ändern. Ich sagte 'Nein, ich ändere meinen Helm nicht. Bye', und sie dachten, ich würde scherzen. Es ärgert mich, wenn ich sehe, wie manche Fahrer ihren Helm bei jedem Rennen wechseln.

Da stimme ich dir zu. Der Helm ist wie eine Unterschrift, er gehört zu dir.

Es ist deine Seele. Ein weiteres Problem ist, dass Helme jetzt gar nicht mehr auffallen. Das sind nur noch bedeutungslose Farbtupfer.

Woher kommt das Pink in deinem Helm? Das ist sehr auffällig.

Ich habe eine Erinnerung an meinen Vater, wie er seinen eigenen Helm gestaltete. Er hatte einen weißen Helm und benutze Buntstifte um das Design zu entwerfen. Meine Mutter studierte zu dieser Zeit Design und hatte eine Menge Farben. Ich nahm mir einfach ein paar Farben und das kam dabei heraus.

Man kann allerding nie wissen, was sich da unterbewusst abspielt. Ich habe vor kurzem ein Bild aus einer Zeit gesehen, wo ich noch sehr klein war. Meine Mutter trug darauf ein Shirt und es hatte die gleichen Farben in der gleichen Anordnung. Ich habe diese Bild erst vor drei Jahren entdeckt. Das Unterbewusstsein bewirkt manchmal Unglaubliches. Vielleicht kommt es also daher, vielleicht war es aber auch nur purer Zufall, ich weiß es nicht. Der Helm blieb jedenfalls zu 99 Prozent gleich, auch wenn sich die Farben durch verschiedene Marker vielleicht ein bisschen geändert haben.

Machen wir einen kleinen Sprung. Du hast die Indy 500 gewonnen und wurdest auf einmal mit der Formel 1 in Verbindung gebracht. War es so einfach?

Ich denke schon. Für Frank Williams war der Indy-Sieg sehr wichtig und er arrangierte danach den Test. Es war ein großer Schritt, als ich in ein Formel-1-Auto stieg.

Inwiefern?

Der Rhythmus des Autos - alles passierte so schnell. Das Auto war so leicht und wendig: 'Whoa, whoa was passiert hier?' Aber dann gewöhnt man sich daran.

Die Formel 1 war immer dein Ziel. Du warst bei Williams, einem Topteam. Ein Renault-Motor. Das ganze Paket.

So habe ich gar nicht gedacht. Wenn man mit seiner eigenen Rennsaison beschäftigt ist, kümmert man sich nicht wirklich darum, was woanders los ist und in der Formel 1 kannst du in einem Jahr der Beste sein und im nächsten sitzt du in der Scheiße. Bernie Ecclestone war hinterher, mich in die Formel 1 zu bekommen und es ging gut aus.

Melbourne: erstes Rennen, du auf der Pole-Position. Du hättest wahrscheinlich gewonnen, wenn das Öl-Leck nicht gewesen wäre.

Ja. Ein Schlauch war nicht richtig angebracht, wurde gequetscht und es trat Öl aus. Wenn ich das Rennen gewonnen hätte, hätte das wohl auch einen Einfluss auf die Weltmeisterschaft gehabt, denn psychologisch wirkt sich so etwas aus. Und es hätte einen Acht-Punkte-Unterschied gebracht. Vier mehr für mich, vier weniger für Damon Hill. Aber es ist gut ein Jahr zum Lernen und Jahr zum Gewinnen zu haben. Ich habe damit kein Problem. Es war das erste Mal, dass ich einen Ingenieur hatte, der nicht der erfahrenere und ältere Typ war. Ich glaube, Jock Clear hatte weniger Rennerfahrung als ich.

Du hast mit Jock dann eine hervorragende Beziehung aufgebaut.

Ja, weil Jock ein Sportsmann ist. Er war Rugby-Spieler, psychologisch hat es also schon mal gestimmt. Er hat es einfach verstanden. Deswegen hat er auch gut mit Michael Schumacher und dann mit Lewis Hamilton zusammengearbeitet. Es geht um mehr, als nur ein Ingenieur zu sein. Es geht nicht nur um Zahlen.

Als du die Weltmeisterschaft gewonnen hast, war Damon Hill weitergezogen und du hattest Heinz-Harald Frentzen als Teamkollegen. Wir waren die beiden zu vergleichen?

Ich habe eine Menge von Damon gelernt, er war ein sehr harter Arbeiter. Er war wirklich schnell. Den Schritt, den ich von der Formel Atlantik zur IndyCar machen musste war genauso groß wie der von der IndyCar in die Formel 1. Damon half mir dabei. Es war gut, jemanden wie ihn an der Seite zu haben und es bereitete mich auf das folgende Jahr vor. Denn als Frentzen verpflichtet wurde, sollte er den Titel holen.

Hast du das wirklich so empfunden?

Ja, so wurde es gesagt. Und sie taten falsch daran, so etwas zu sagen, denn ich habe ihn fertig gemacht. Die Psychospielchen hatten begonnen - in bisschen so wie Nico Rosberg es mit Lewis macht. Wenn du drei Teams hast, die gewinnen können, brauchst du so etwas nicht mit deinem Teamkollegen ausmachen. Wenn aber nur du und dein Teamkollege gewinnen können... und anfangs der Saison sah es danach aus, weil wir viel schneller als Ferrari waren. Dann fanden sie aber irgendwie ihre Geschwindigkeit, hauptsächlich aus den Kurven heraus, was sehr seltsam war.

Bevor das aber geschah, fing der Kampf mit ihm an. Meine Teamkollegen hingen bei Start der Saison immer hinterher. Ich war während der Wintertest nie schnell. Ich beschäftigte mich dabei mit dem Setup, nicht mit Qualifying-Runden. Mit dem ersten Qualifying war ich aber wieder schnell. Dann ging es nur noch darum, weiter zu sticheln. Ich weiß nicht, wie oft Heinz-Harald dachte, er hätte die Pole-Position, bevor ich sie ihm dann doch noch wegschnappte. So etwas nagt dann an einem.

Er war für so etwas eh anfällig.

Ja, das war er. Patrick Head war auch hilfreich, weil er ein harter Brocken war. Je mehr man ihm aber die Stirn bot, desto mehr respektierte er einen - oder er machte einen fertig. Das ist Frentzen passiert. Patrick hat ihm zum Heulen gebracht und sagte einmal: 'Du sollest einfach mal mehr wie Jacques sein und nicht auf mich hören'.

Du bist zu BAR weitergezogen, als die in die Formel 1 kamen. War dieses Projekt zu überambitioniert?

Nein, war es nicht. Man muss ich nur anschauen, was wir in dieser kurzen Zeit erreichen konnten - nicht viele Leute haben das hinbekommen. In der ersten Saison (1999; Anm. d. Red.) war das Auto schnell, aber destruktiv. Es war der Mecachrome-Motor, der wie verrückt vibrierte und das Auto war grenzwertig. Die Vibrationen zerstörten also das Wenige, was einem noch blieb, beschädigte die Hydraulik und so weiter.

Das Auto war schnell. Ich hätte in die Top 6 kommen können, beendete aber kein Rennen in den Punkten. Ricardo Zonta landete in Silverstone in der Tribüne, weil am Auto etwas kaputt ging. Ich hatte bei jedem Rennen Angst, verletzt zu werden, weil irgendetwas brechen könnte. So kann man keine Rennen fahren.

Es war eine tolle Truppe, aber das Auto war zu zerbrechlich. Der Fehler lag darin, uns so darzustellen, als könnten wir gleich gewinnen. Ich habe das am Ende auch geglaubt. Man sagte sich 'Warum nicht?' Mit Honda starteten wir dann ein weiteres großes Projekt und dachten: 'Bingo'

Was ging schief?

Ich weiß es nicht. Ich denke, es waren einfach nicht mehr die 1980er-Jahre, in denen Honda der einzige Hersteller war, der professionell Formel-1-Motoren produzierte. Und die japanische Mentalität, die einem nicht erlaubt, seinem Chef mitzuteilen, dass etwas schief läuft, hat auch nicht geholfen. Die Leute in Japan dachten, es wäre alles in Ordnung. Sie hielten auch sehr an der Bedeutung von Pferdestärken fest. Für das kleinste bisschen mehr an Pferdestärke gab es im Gegenzug null Drehmoment - es war das Gegenteil zu Renault.

Als wir zwei Podiumsplatzierungen erreichten, sah es so aus, als würden wir Fortschritte machen. Nach dem dritten Jahr sprach ich mit Flavio Briatore über einen Wechsel zu Renault. Die Verträge waren beide gleich, es gab keine Geldprobleme und ich war hin und her gerissen. Es war eine schwere Entscheidung, denn ich hatte BAR mit aufgebaut und Honda flehte mich an zu bleiben. In letzter Minute stimmte ich einem Verbleib zu und es wirkte wie die richtige Entscheidung, denn Renault ging im Jahr darauf unter.

Rückblickend ist es immer einfacher. Ich wusste damals nicht, dass Craig Pollock von BAR wegetrieben wurde und als David Richards kam, hatte ich keine Absicherung mehr. Ich wusste auch nicht, dass Honda mir innerhalb von drei Monaten den Rücken zudrehen würde. Plötzlich war ich das schwarze Schaf und konnte mich nicht verteidigen.

Das Auto ging in jedem Rennen kaputt. Das war es also. Sie sagten, sie hätten mich wegen des Geldes loswerden müssen, bezahlten Jenson Button aber mehr, als er dazu kam. Es ging da um Politik. Das Traurige ist nur, dass die Medien darauf reinfielen. Wenn es erst einmal soweit kommt, kann man sich nicht mehr verteidigen.

Würdest du sagen, dass das der enttäuschendste Punkt in deiner Karriere war?

Ja, schon. Ich habe so hart für das Team gearbeitet. Ich war über ein paar Saisons hinweg der Fahrer mit den meisten Testkilometern. Ich habe mir den Arsch aufgerissen und bin selbst Risiken eingegangen, als wir nur 18. waren. Es gab nie einen Moment, in dem ich aufgegeben habe. Ich habe das Team nie kritisiert und ich muss sagen, dass ich besser gefahren bin als 1997. Die ausbleibenden Ergebnisse konnte ich hinnehmen, weil ich wusste, dass ich alles gegeben hatte. Der Mangel an Verständnis von außen über das, was wirklich abging, war schwerer zu schlucken.

Du bist Ende 2004 drei Rennen für Renault gefahren und dann ein paar Saisons für Sauber. Wie ordnest du diese Erfahrungen ein?

Ich hatte bei Sauber für 2005 unterschrieben, konnte sie aber davon überzeugen, dass die drei Rennen für Renault eine gute Erfahrung sein könnten. Vor allem weil die mit Michelin Reifen fuhren und ich in der Lage war, dabei zu helfen, Michelin davon zu überzeugen 2005 zu Sauber zu gehen, während ich schon einmal auf den Reifen lernen konnte.

Ich konnte an der Seite von Fernando Alonso arbeiten, was ebenfalls eine gute Erfahrung war. Alan Permane war mein Ingenieur und erinnerte mich stark an alte Tage. Innerhalb der drei Rennen entwickelte sich ein neues Auto - wir haben alles geändert. Sie gaben mir sehr viel Freiheit gegeben und die Tatsache, dass sie an das glaubten, was ich sagte, war ein netter Aspekt. Die Art, wie diese Truppe arbeitete war beeindruckend. Fernando war ein fantastischer Teamkollege und sehr hilfsbereit. Es traten nicht einmal Probleme auf, als ich vorne lag.

Wenn du Fernando so gut kennengelernst hast, musst du seinen Wechsel zu McLaren 2007 mit großen Interesse verfolgt haben.

Bei McLaren geschah im fast das gleiche wie mir, als Jenson zu BAR kam. Es war, als hätten sie zu ihm gesagt: 'Lewis ist unsere Zukunft, du bist nur der Weltmeister, also sei ruhig'. Im Grunde genommen haben sie Alonso nur benutzt, um Lewis aufzubauen. Das war es, was ihm nicht gefallen hat, also entschied er sich dazu, das Team fertig zu machen - und damit lag er richtig.

Man muss den Neuen nicht so früh puschen, er wird schon in drei Jahre soweit seien. Wartete doch ab und last den Weltmeister tun, was er zu tun hat. Ich glaube, das hat McLaren falsch gemacht. Fernando hat das einzig Richtige getan.

Und Sauber? Du bist da zwei Jahre lang gefahren.

Ich bin da angekommen und mir wurde gesagt: 'Sei ruhig und fahre, wir wissen, was das Beste für das Auto ist, wir brauchen dein Input beim Setup nicht'. Das ist auf Willy Ramps Mist gewachsen. Der Rest der Ingenieure war großartig und ich kam immer gut mit Monisha Kaltenborn zurecht. Ich habe mich dann über die Medien darüber beschwert, dass meine Änderungswünsche nicht berücksichtig worden. Sauber wurde so dazu gedrängt, die Dämpfer einzusetzen, die ich wollte und das Auto wurde schneller. Sie wurden dann noch ärgerlicher. Ab da wurde es mürrisch, nur wegen ein zwei Leuten auf der Ingenieursseite. Aber immer, wenn ich jetzt zum Team zurückkehre, ist es wie in einer Familie. Das ist toll.

Ich bin überrascht, dass du so fröhlich wirkst.

Hey, es gibt immer ein Morgen. Ich bin gesund, ich habe vier Söhne, ich verdiene Geld, ich fahre noch immer Rennen, was nicht viele Leute von sich behaupten können. Ich habe noch immer die Leidenschaft. Deswegen bin ich aber auch oft so frustriert. Ich liebe den Sport, das Rennfahren und den Wettbewerb. Wenn ich dann sehe, was in der Formel 1 manchmal aus Mangel an gesundem Menschenverstand vor sich geht, geht mir das nahe. Manchmal bin ich zu leidenschaftlich.

In den vergangenen Jahren bin ich so vieles gefahren und das hat mich zu einem besseren Fahrer gemacht. Das macht eigentlich wirklich Spaß und ist sehr aufregend. An den diesjährigen Indy 500 teilzunehmen und sich wieder an die Geschwindigkeit zu gewöhnen war komisch. In den ersten 20 Runden dachte ich: 'Ich bin schnell, ich bin okay', da fuhr ich gerade einmal 180. 'Scheiße, wie soll ich es denn bis 200 schaffen?'.

Es war sehr physisch. Ich konnte kaum atmen und alles wurde unscharf. Eine Woche später kam ich wieder und ich konnte die Geschwindigkeiten ohne Probleme erreichen. Der Kopf muss sich da erste einmal wieder anpassen, aber irgendwo ist noch alles gespeichert. Ich habe eine Setup-Änderung vorgenommen und mich 19 Jahre zurückerinnert: Die gleiche Linie, das gleiche Gefühl. Wir können diese Information abrufen und wissen gar nicht, wo sie her kommt.Du kannst auf jeden Fall auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen und es fing alles in der Schulzeit hier an.

Du hast auch eine gute Erinnerung. Danke, dass du sie mit uns geteilt hast.

Es hat Spaß gemacht. Ich danke auch.

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