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Formel 1: Kommentar

Über Charakter, Köpfe, Charakterköpfe & Doppelmoral

Die „wunderbare“ Welt des Bernie E.: Rosberg und Vettel nicht gut für den Sport, Hamilton dagegen sehr! Über Köpfe mit und ohne Charakter…

Kommentar von Michael Noir Trawniczek

Nico Rosberg habe ich vor einigen Jahren, 2006 oder 2007, zum ersten Mal „kennengelernt“ – sprich: Es gab bei den Winter-Tests ein kurzes Interview. Dann aber gab es bei der Heimreise aus Spanien ein zufälliges Treffen am Flughafen – und schon damals war der Sohn von Ex-Weltmeister Keke Rosberg ziemlich geerdet und einfach locker drauf, wir plauderten ein wenig, nichts Dramatisches, einfach ein bisschen Smalltalk in der Warteschlage vor dem Sicherheits-Check.

Dieses Treffen ist mir eingefallen, als ich eine Erklärung von Nico Rosberg gelesen habe, bezugnehmend auf eine Aussage von Formel 1-„Zirkusdirektor“ Bernie Ecclestone. Der 84-Jährige hatte im Vorfeld des Grand Prix von Monaco in einem gemeinsamen Doppelinterview mit der Bild-Zeitung Nico Rosberg ins Gesicht gesagt: „Innerhalb der Forme 1 bin ich ein Lewis-Bewunderer, weil er meinen Sport fantastisch promotet. Auf der Business-Ebene bist du, Nico, leider nicht so gut für mein Geschäft.“

Im gleichen Interview kritisierte Ecclestone auch den vierfachen Weltmeister Sebastian Vettel: „Lewis ist in England ein Held und die Briten lieben die Formel 1. Das macht bei der Beliebtheit viel aus. Sebastian Vettel macht auch nicht viel für die Formel 1, ihn erkennt man in anderen Ländern auch nicht auf der Straße.“

Und auch Mercedes-Teamchef Toto Wolff wurde von dem ehemaligen Gebrauchtwagenverkäufer aufs Korn genommen: „Auch die Teambosse müssten markanter nach außen auftreten. Ziehen Sie Toto Wolff doch mal das Mercedes-T-Shirt aus und schon erkennt ihn niemand mehr auf der Straße.“

Völlig Unrecht hat der Brite natürlich nicht – Journalisten und Fans klagen in aller Regelmäßigkeit, dass es heutzutage keine Typen vom Schlage eines James Hunt, Jochen Rindt oder Nigel Mansell geben würde…

Kaltes Eis oder polierte Hülsenfrüchte?

Es ist aber auch bezeichnend für die heutige Zeit, dass einer wie Kimi Räikkönen als der Charakterkopf schlechthin gilt. Zu Recht, sei hinzugefügt! Denn der Finne macht eigentlich nichts anderes, als dass er konsequent er selbst bleibt – und das ist heute alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Zu Kimi Räikkönen gehört aber auch die Eigenschaft, die Medien und damit auch die Fans nur mit einem minimalen Wort-Aufwand zu versorgen und Emotionen weitgehend aus der Öffentlichkeit fernzuhalten.

Der „Iceman“ wird also dafür bewundert, dass er den Fans möglichst wenig von sich preisgibt. Nach dem Motto: Lieber einer, der sich nicht verbiegt und ein wenig "maulfaul" ist, als einer dieser neureichen „Bubis“, die nur mehr die hochglanzpolierten, von PR-Agenten konstruierten sinnfreien Worthülsen von sich geben. Und man muss auch zugeben: Allein die Art und Weise, wie Räikkönen die hungrige Medienwelt auf "Wort-Diät" hält, ist einzigartig und oft auch sehr unterhaltsam. Dazu kommen unregelmäßige "Grantlerfunksprüche" a la "Let me alone...", die wohl in die Geschichte eingehen werden. Da hat jemand wirklich, anfangs mit Sicherheit ohne es zu wollen, einen ganz eigenen Charakter entwickelt. Auch das ein Kunststück in einer Zeit, in der es schon alles gibt oder gegeben hat..

Aber Lewis Hamilton? Was macht ihn zu einem Charakterkopf? Die Kleidung? Weil er optisch wie ein Rapper auftritt? Weil er sich auf Facebook und Twitter inszeniert? Weil er mit einem Popsternchen liiert war? Weil er, so scheint es, so ziemlich jedes Statussymbol aus der oberflächlichen Welt der mehr oder weniger Neureichen auch besitzen und herzeigen muss? Und wo ist der zum Kopf dazugehörige Charakter eigentlich geblieben, als Hamilton wie ein trotziger, von den Eltern ausnahmsweise einmal mit einem „Nein“ bedachter 16-Jähriger in der Fürstenloge stand?

Natürlich hat der Fehler der Mercedes-Strategen Hamilton den Sieg gekostet – doch nachdem er das gesamte Wochenende Rosberg unter Kontrolle hatte und er in der WM-Tabelle ohnehin einen guten Vorsprung aufweist, wäre es dem Doppel-Weltmeister gut gestanden, vor dem TV-Millionenpublikum nicht als beleidigtes, zutiefst verletztes Bürschlein aufzutreten. Ein Mann, der bereits zwei Weltmeistertitel errungen hat, könnte sehr wohl der ganzen Welt zeigen, dass er stark genug ist, um seinem Team einen Fehler zuzugestehen und es nicht mit der live übertragenen Heulsusenmiene zu bestrafen.

Hunt predigen und Scheckter kündigen

Bernie Ecclestone hat eigentlich nur gezeigt, dass die Formel 1 der Gegenwart in höchstem Maß oberflächlich ist und dass im Paddock eine wenig charaktervolle Doppelmoral das Geschehen bestimmt.

Herr Ecclestone möchte Typen vom Schlage eines James Hunt in der Formel 1 sehen – doch diese müssen strammstehen bei der Bundeshymne und wenn einer sich aus der Masse abheben möchte, zum Beispiel mit einem bei jedem Rennen neu gestalteten Helmdesign, wird das sofort unterbunden. Wehe, wenn einer den schmalen Pfad der Tugend verlässt – Tobias Scheckter wurde vor rund zehn Jahren von Jaguar als Testpilot fristlos entlassen, weil er völlig privat um 3 Uhr in der Nacht mit einer Prostituierten im Auto gesichtet wurde.

Doppelmoral ist: Über James Hunt die wildesten Groupie-Geschichten erzählen und zugleich die Karriere eines Menschen zerstören, der in seinem Privatleben etwas getan hat, was manche vielleicht als allzu zu abenteuerlich empfinden, sicher aber kein Grund für eine fristlose Entlassung darstellt.

Und ganz ehrlich: Mir sind die oftmals charmant-witzigen Aussagen von Sebastian Vettel, bei Weitem lieber als die meistens recht oberflächlichen Kampfansagen aus dem Hause Hamilton. In Monaco hat sich Vettel zwar humoristisch überzogen aber dennoch klar und deutlich gegen Grid-Boys ausgesprochen – wohlwissend, dass eine solche Aussage heutzutage umgehend den Hardliner-Vorwurf oder gar die Empörung der Frauenrechtlerinnen einbringen könnte. Auch was die Fahrzeuggeneration der Gegenwart anbelangt, spricht Vettel in aller Regelmäßigkeit Klartext. Als Gast bei Top Gear verzückt er ebenso das Publikum wie bei jener Rede im Rahmen einer Autosport-Gala, bei der er Kimi Räikkönen gekonnt imitiert hat. Charakterkopf heißt nicht nur glänzen im Lichte der Social Media, heißt nicht nur Alkohol und Frauen, sondern vor allem auch, dass man etwas zu sagen hat. Mitunter sogar mit Wort, Witz und Charme.

Charakterbildendes 2015

Womit sich der Kreis schließt: Wie eingangs erwähnt, wurde Nico Rosberg ein paar Tage nach dem Doppelinterview mit Bernie Ecclestone von einem Journalisten auf die harschen Aussagen des F1-Zampagnos angesprochen. Rosberg zeigte sich verständnisvoll: „Das (die Aussage von Ecclestone, d. Red.) hat mich nicht überrascht, er ist immer sehr offen und direkt bei solchen Themen – er kritisiert jeden, der nicht wie Lewis Hamilton in der Welt auftritt. Denn je mehr du im Scheinwerferlicht stehst, desto mehr Aufmerksamkeit bekommst du – und Bernie ist der Inhaber der kommerziellen Rechte der Formel 1 und wünscht sich daher, dass möglichst viel Aufmerksamkeit erregt wird.“

Rosberg fügte hinzu: „Ich persönlich bin da etwas reservierter – zugleich kümmere ich mich trotzdem auch um den Sport, ich denke über den Sport nach und versuche auch immer, möglichst viel zurückzugeben. Für die Fans kannst du niemals genug machen – keiner von uns kann hier so viel tun, wie es die Fans eigentlich verdient haben. Ihnen gilt unser Dank.“ Rosberg versorgt seine Fans nach dem jedem Rennen mit einer sehr persönlich gehaltenen Video-Analyse des Rennwochenendes. Ich finde: Rosbergs Reaktion auf die wenig sensiblen Aussagen von Bernie Ecclestone zeugen von….Charakter.

So wie er unlängst einen ziemlich kritischen Fan-Kommentar unter seinem Video-Blog mit einer weiteren Videobotschaft beantwortet hat. Rosberg erlebt zurzeit wohl das schwierigste Jahr seiner gesamten Karriere – es ist wohl die letzte Chance, sich im teaminternen Kampf gegen Hamilton durchzusetzen. Ich finde: Rosberg erledigt diese Aufgabe insofern gut, als dass er Fehler eingesteht und es auch offen ausspricht, wenn sein Konkurrent besser gefahren ist. Die Saison 2015 ist für ihn ganz sicher …charakterbildend.

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