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Dakar-Rallye 2017

Die Wüste ruft – Minors größtes Abenteuer hat schon begonnen

Ilka Minor hat bei 223 internationalen Rallyeeinsätzen wahrlich viel erlebt. Doch am 2. Jänner beginnt für sie das wohl größte Abenteuer – als Co-Pilotin von Martin Prokop gibt sie ihr Debüt bei der weltberühmten Dakar-Rallye.

Michael Noir Trawniczek
Fotos: Andrea Mickova

125 Weltmeisterschafts-Rallyes, insgesamt bereits 223 Gesamtstarts im Rallyesport – mit dieser beeindruckenden Zwischenbilanz ihrer internationalen Karriere als Rallyecopilotin begibt sich Ilka Minor dieser Tage auf ein ihr bislang völlig unbekanntes Terrain: Die 41-jährige in Wien lebende Kärntnerin wird an der Seite des Tschechen Martin Prokop ihr Debüt bei der weltberühmten Rallye Dakar geben, die von 2. bis 14. Jänner in Südamerika abgehalten wird und als „Königin“ aller Marathonrallyes gilt.

„Österreichergipfel“ im Biwak

Ein Jahrzehnt nach dem Start des ehemaligen Rallye-Kollegen Raphael Sperrer ist Österreich nun wieder im Feld der Dakar-Autos vertreten. Martin Prokop und Ilka Minor zünden mit Startnummer 321 einen Ford F150 Raptor, der vom privaten Team des erfolgreichen WRC-Privatiers eingesetzt wird. Bei den Bikes hält mit Matthias Walkner ein weiterer Pilot die österreichischen Fahnen hoch.

Gab es im Vorfeld der schwierigen Wüstenrallye eine Kontaktaufnahme der beiden einzigen Österreicher? Ilka Minor lacht: „Vielleicht hätten wir miteinander telefoniert – wenn wir uns kennen würden.“ Sie habe den KTM-Werkspiloten nur einmal aus der Ferne gesehen, sagt Ilka, und fügt hinzu: „Ich denke mal, dass wir uns an einem der Abende im großen Biwak über den Weg laufen werden, in dem der gesamte Dakar-Tross übernachten wird. Es ist immer nett, wenn man so weit weg von daheim mit Landsleuten plaudern kann.“

Giftschlangen & Riesenspinnen

Das Biwak ist quasi die mitrollende Basis der Rallye Dakar – in dem riesigen Lager wird auch jenes Wohnmobil stehen, in dem Ilka Minor und Martin Prokop nächtigen werden. Weil dort nur begrenzt Platz vorhanden ist, müssen die Mechaniker der Prokop-Crew wie viele andere auch mit Zelten Vorlieb nehmen. An sich keine Schreckensvision – doch die Dakar wird heuer erstmals in Paraguay gestartet. Womit den „Jungs, die im Zelt schlafen müssen“ eine weniger erholsame Nacht drohen könnte,

Ilka erklärt: „Dort soll es sehr viele Giftschlangen und auch große Spinnen geben.“ Mit einem Augenzwinkern fügt Ilka hinzu: „Die Bildersuche im Internet wirkt wenig beruhigend.“ Die mit 39 SP-Kilometern relativ kurze Eröffnungsetappe könnte also für manche im Tross nicht die einzige „heiße Action“ des ersten Tages bleiben…

Am zweiten Tag werden bereits 275 Prüfungskilometer absolviert, die SP-Längen werden im weiteren Verlauf der Rallye bis auf 500 SP-Kilometer gesteigert, am längsten Tag werden beinahe 1.000 Kilometer zurückgelegt, davon 406 im SP-Modus. Ilka Minor gibt offen zu: „Ich bin noch nie so lange in einem Wettbewerbsauto gesessen. Die Sitze sind ganz ähnlich wie im Rallyeauto – nur dass der Schalensitz kleinere Ohren hat, weil du sonst zu oft mit dem Helm anschlagen würdest. Außerdem hast du eine andere Sitzposition, weil du ja in die Ferne schauen und gemeinsam mit dem Fahrer eventuelle Gefahren erkennen sollst.“

Seekrank in der Wüste

Wer schon einmal die Erfahrung machen durfte, mit einem starken und großzügig gefederten Gefährt in der Wüste steilste Dünen hinauf- und hinab zu „erklimmen“, wird wohl zustimmend nicken, wenn Ilka erzählt: „Du siehst oft nur noch den Himmel, so steil geht es bergauf, dann geht es im Sturzflug hinunter – dabei kann man nicht nur die Orientierung verlieren, sondern auch seekrank werden. Bei der Abu Dhabi Desert Challenge wurden heuer zahlreiche Piloten seekrank – das kann so weit gehen, dass man deshalb die Rallye aufgeben muss. Zum Glück hat unser Team einen Wüstentest absolviert, sodass wir uns ein wenig darauf einstellen konnten.“

Zumal in der Wüste ohnehin alles anders ist: Eine Besichtigung, wie bei den herkömmlichen Rallye üblich, gibt es freilich nicht. Das Roadbook ist die „Bibel“ des Raid-Copiloten, in Kombination mit einem mit Display ausgestatteten Kästchen. Die Vorstellung, Ilka Minor würde mit einem analogen Kompass auf dem „heißen Sitz“ den Weg durch die Wüste ausforschen, kann man getrost für immer verwerfen – vielmehr erinnert das Szenario an Computerspiele.

Ilka erläutert: „Du fährst im Roadbook Wegpunkte ab, eine mit Kompass ausgestattete GPS-Box zeigt dir am Display bestimmte Infos an. Es gibt offene Wegpunkte: Dabei zeigt dir die GPS-Box eine Kompassnadel, einen Pfeil an, der die Richtung vorgibt - wenn du den Punkt erfasst hast, ertönt ein Signalton. Bei den versteckten Wegpunkten verschwindet der Pfeil – stattdessen wird eine Zahl, werden Kompassgrade angezeigt, da ist es dann schon schwieriger, die korrekte Richtung zu halten. Sobald du im Umkreis von 800 Metern eines versteckten Wegpunktes bist, kehrt auf dem Display der Kompass zurück.“

Der erwähnte analoge Kompass ist übrigens ebenso verboten wie beispielsweise Smartphones und damit einhergehende Kompass-Applikationen. Dafür wiederum findet man im Raptor von Prokop und Minor ein altes Satellitentelefon in bester „Knight Rider“-Optik. Ilka: „Das alte Satellitentelefon ist erlaubt – zumal du mit dem normalen Handy ohnehin kaum Empfang hast, während der Satellit ungestört erreicht werden kann.“ Darauf basiert auch jene Art „Blackbox“, mit der die Teilnehmer Infos an die Rennleitung senden können: „Bei einem Crash drückst du den roten Knopf, wenn jemand verletzt ist. Grün bedeutet Crash ohne Verletzte. Blau bedeutet, dass man stoppt, um einem anderen Teilnehmer zu helfen.“

Höhenkrank über 4.000 Meter

Sollte man andere Teilnehmer vor dem Traualtar einander das „Jawort“ gebend erblicken, könnte jener Fall eingetroffen sein, der dem Dakar-Tross zumindest theoretisch gleich ab der dritten Etappe droht: die berüchtigte Höhenkrankheit. Denn gleich am dritten Tag wird in Bolivien von runden 300 Metern Seehöhe auf eine Höhe von über 4.000 Metern „übersiedelt“. Ganze sechs Tage verbringt das Feld in diesen luftigen Höhen bis hin zu 4.900 Meter. Die Gefahr der Höhenkrankheit ist den Dakar-Teilnehmern bewusst.

So haben Martin Prokop, dessen Freundin und Ilka Minor wegen dieser Gefahr in Colorado/USA extra ein spezielles Fitnesstraining über 2.500 Metern Seehöhe absolviert. Ilka berichtet: „Wir waren 15 Tage zusammen unterwegs, um uns annähernd auf die Bedingungen in Bolivien einstellen zu können. Das war zugleich auch ein guter Test, ob wir es menschlich so lange auf engstem Raum miteinander aushalten. Und dabei gab es überhaupt keine Probleme. Martin war immer gut aufgelegt und fröhlich, zugleich aber in hohem Maße fokussiert. Martin wirkt rein äußerlich immer recht gemütlich – doch er ist gut trainiert und eine harte Nuss.“

„Glaube nicht an den Yeti“

Ilka Minor, die als diplomierter „Professional Health Fitness & Personaltrainer“ sowie als „Functional Strength Master Trainer“ tätig und ebenfalls in Topform ist, rechnet an jenen sechs Tagen über 4.000 Metern Seehöhe mit hohen körperlichen Belastungen. Zumal sie selbst trotz ihrer ausgezeichneten Kondition beim Fitnesstraining über 2.500 Meter Seehöhe einen „Ruhe-Nachmittag“ einlegen musste.

Ilka erklärt: „Du musst viel Flüssigkeit zu dir nehmen - so kannst du Probleme vermeiden.“ Völlig gefeit sei jedoch keiner vor der Gefahr einer Höhenkrankheit. Mit einem bösen Schmunzeln fügt Ilka hinzu: „So mancher hat in derartigen Höhenlagen sogar einen Yeti gesehen. Ich persönlich glaube jedoch nicht an die Existenz von Yetis, den gibt es in meinen Augen nur bei Skoda. Wenn ich also einen erblicken sollte, weiß ich, was ich zu tun habe.“

Wird man also an jenen sechs Tagen Worte und Mimik des Teamkollegen mit noch mehr Aufmerksamkeit studieren, um eine aufkeimende Höhenkrankheit so früh wie möglich erkennen zu können? Oder andersrum gefragt: Was würde Ilka tun, sollte Martin Prokop auf einmal etwas Seltsames sagen? Ilka lacht. Und sagt: „Natürlich würde ich versuchen, herauszufinden, ob es besorgniserregend ist – aber umgekehrt wäre es ja genauso, wenn ich auf einmal verrücktes Zeug von mir geben sollte.“

Ruhetag als Gefahr

Was es nicht einfacher macht ist der Umstand, dass auch der Ruhetag in jene Zeit fällt, in der das Feld in besagten Höhenlagen über 4.000 Metern verbringt. Denn ausgerechnet der Ruhetag könnte dem einen oder anderen Teilnehmer zum Problem werden. Ilka erklärt den Hintergrund: „Mir haben viele Piloten mit Dakar-Erfahrung erklärt, dass der Ruhetag sogar das Schlimmste ist. Es ist so: Bei den herkömmlichen Sprintrallyes, die ich bisher gefahren bin, hast du einen so hohen Adrenalinspiegel, dass du dich über die Dauer der Rallye mühelos fit halten kannst – oft ist es dann so, dass du über die Ziellinie fährst und dann plötzlich müde wirst."

"Bei der Rallye Dakar birgt der Ruhetag die Gefahr in sich, dass es dir am nächsten Tag schwer fällt, dich wieder zu motivieren. Daher werde ich versuchen, mich am Ruhetag in Schwung zu halten. Wie das in 4.000 Metern Seehöhe funktioniert, ist eines der vielen Fragezeichen, die mein Dakar-Debüt begleiten.“ Dass man den Schwung mit Interviews zur Halbzeitführung sehr gut aufrechterhalten könnte, bringt Ilka erneut zum Lachen: „Sicher, das wäre natürlich die allerbeste Motivation, in Schwung zu bleiben….“

Wenn dann der Tross aus Autos, Bikes, Quads und Trucks vom Berg „hinabsteigt“, um in Argentinien die letzten Etappen zu bestreiten, stellt zumindest die Landschaft etwas Vertrautes für Ilka dar: „Da fahren wir in jener Gegend, in der die Prüfungen der Argentinien-Rallye gefahren wurden.“ Dort immerhin konnte sie 2013 mit Evgeny Novikov den guten vierten Platz erringen.

Ziel als Ziel

Für ihre Dakar-Premiere hat Ilka Minor ganz bewusst auf jedes Spekulieren mit einer konkreten Platzierung verzichtet: „Für mich ist es die erste Dakar und da ist ganz einfach nur das Ziel das Ziel. Es wäre schön, wenn ich meine erste Dakar durchfahren könnte.“ Diese Hoffnung besteht – denn die ersehnte Zielankunft ist Martin Prokop im Vorjahr bei dessen Dakar-Debüt auf Anhieb gelungen, der Tscheche belegte am Ende Platz 14. Und auch im Vorjahr war die Nennliste der weltberühmten Wüstenrallye gespickt mit bekannten Namen aus der Rallye-Weltmeisterschaft – Sebastien Loeb, Mikko Hirvonen, Carlos Sainz oder Xavier Pons, um nur einige zu nennen, sind auch heuer wieder dabei. Neben den Dakar-Profis wie Stephane Peterhansel. Nani Roma oder Giniel de Villiers zählt vor allem Allroundgenie Nasser Al-Attiyah zu den absoluten Topfavoriten. Über ihn sagt Ilka: „Er ist unter normalen Umständen nur ganz schwer zu biegen.“

Abschließend zieht Ilka Minor vor ihrem ersten Dakar-Abenteuer eine extrem kurze, dafür aber punktgenaue Bilanz ihrer Vorbereitungen: „Ich bin theoretisch sehr gut auf meine erste Rallye Dakar vorbereitet – in der Praxis jedoch weiß ich nicht, ob ich in der Lage sein werde, all die Erkenntnisse auch umzusetzen."

"Martin ist ein ausgeglichener Pilot und sein privates Team ist klein aber fein", sprach Ilka Minor am Nachmittag des 27. Dezember, ehe sie die Fahrt nach Schwechat in Angriff nahm, um dorthin zu fliegen, wo das größte Abenteuer ihrer Karriere lockt…

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