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Porsche triumphiert nach großer Aufholjagd

Die Sensation eines LMP2-Sieges lag in der Luft, doch Porsche entreißt es Jackie Chans Team - Bernhard/Bamber/Hartley siegen nach monumentaler Aufholjagd.

Mit der Mutter aller Aufholjagden haben Timo Bernhard, Earl Bamber und Brendon Hartley die 85. Auflage der 24 Stunden von Le Mans gewonnen. Die Porsche-Werksfahrer fuhren sich nach einem frühen Reparaturstopp wegen eines Technischen Defekts von Position 55 bis ganz nach vorn. Das war nur möglich, weil kein einziger LMP1 problemlos über die Runde kam. Toyota erlebt ein Totaldebakel - nur ein TS050 Hybrid kam über die Runden, mit zehn Runden Rückstand.

Die Story des Rennens schrieb vor 258.500 Zuschauern die kleine Mannschaft DC Racing rund um Schauspieler-Legende Jackie Chan: Ho-Pin Tung, Thomas Laurent und Oliver Jarvis führten das Rennen in ihrem Oreca 07  #38 aus der LMP2-Kategorie über mehrere Stunden an, wurden jedoch 67 Minuten vor Schluss vom übermächtigen Porsche 919 Hybrid #2 überholt. Dieser fuhr bis ins Ziel noch eine Runde Vorsprung heraus. Es ist der 19. Gesamtsieg für die Rekordsieger an der Sarthe und der dritte Erfolg für den Porsche 919 Hybrid in Folge.

"Mir fehlen die Worte", sagt Brendon Hartley nach seinem ersten Le-Mans-Sieg. "Es ist wie eine Achterbahnfahrt. Das Rennen mit Earl zu gewinnen, ist unglaublich. Zwei Kiwis gewinnen in Le Mans. Ich weiß nicht was ich sagen soll. Earl und ich kennen uns, seit wir acht Jahre alt sind. Ich bin überglücklich."

Für Bamber ist es der zweite Sieg nach seinem Triumph 2015. Doch auch für ihn ging mit dem gemeinsamen Triumph mit Brendon Hartley ein Traum in Erfüllung: "Ich kann es nicht fassen. Ich dachte schon, dass unser Rennen nach den Zwischenfällen in der Nacht vorbei ist. Aber die Mechaniker haben einen tollen Job gemacht und sehr schnell gearbeitet. Endlich haben Brendon und ich es geschafft. Wir haben uns gegenseitig das Fahren beigebracht. Dass wir jetzt gemeinsam gewonnen haben, ist einfach unglaublich. Es ist ein toller Erfolg für das gesamte Team."

Ein LMP1 nach dem anderen kippt um

Dabei schien nach dreieinhalb Stunden eigentlich schon alles gelaufen: Am Porsche #2 gab es ein Problem im Antrieb zur Vorderachse, wo der Hybrid-Boost wirkt. Earl Bamber schleppte das Fahrzeug an die Box. Die Mechaniker vollbrachten eine Leistung, die am Ende den Sieg einbringen sollte: In etwas mehr als einer Stunde wechselte die Mannschaft von Fritz Enzinger die gesamte Motor-Getriebe-Einheit (MGU). Auf Rang 55 zurückgefallen, startete eine Aufholjagd, die so wahrscheinlich für längere Zeit einmalig bleiben wird. In den verbliebenen 19,5 Stunden fuhr sich der Porsche wieder bis an die Spitze.

Die LMP1 fielen in diesem Rennen der Reihe nach um, allen voran Toyota: Binnen zweieinhalb waren am Samstagabend alle drei TS050 Hybrid entweder aus dem Rennen oder hoffnungslos zurückgefallen. Wieder einmal erlebte die Mannschaft aus Köln ein Rennen zum Vergessen. Nach dem Streckenrekord von Kamui Kobyashi im Qualifying blieb eine dünne Führung am Samstagabend, als sich der Toyota #7 (Conway/Kobayashi/Sarrazin), das Schwesterfahrzeug #8 (Davidson/Buemi/Nakajima) und der Porsche #1 (Jani/Lotterer/Tandy) einen heißen Kampf um die Führung lieferten.

Le Mans lässt Toyota wieder nicht gewinnen

Der Toyota #7 hielt von Beginn an mit Ausnahme eines kurzen Intermezzos der #8 die Führung. Doch um 22:45 Uhr brachen zweieinhalb Horror-Stunden für Gazoo Racing an. Zunächst kam die #8 mit demselben Problem an die Box wie zuvor der Porsche #2. Der Tausch der MGU dauerte hier jedoch wesentlich länger.

Zwei Stunden später schlug dann der Blitz ein: Der führende Toyota #7 wurde nach einer Safety-Car-Phase wegen verschmutzter Strecke langsam. Kamui Kobayashi versuchte das Fahrzeug mit defekter Kupplung zurück an die Box zu bringen, doch eingangs der Porsche-Kurven wollte der TS050 Hybrid nicht mehr. Der Grund für den Ausfall ist unfassbar: Ein als Streckenposten verkleideter Irrer wollte Kobayashi aus der Box winken, dieser hielt jedoch immer wieder an. Zum Schluss musste er mangels Hybridenergie mit dem Verbrenner anfahren, wofür die Kupplung nicht ausgelegt ist.

Und nur eine halbe Stunde später kam es zu einer Kollision zwischen Simon Trummer im Manor-Oreca #25 (Gonzales/Trummer/Petrow) und dem verbliebenen Toyota #9, der vorher schon Zeit unter anderem wegen einer offenen Tür verloren hatte. Toyota sagt, Trummer habe den Toyota torpediert, als dieser am Ende der Geraden ins Segeln überging, Trummer widerspricht vehement.

Nun hatte der Porsche #1 (Jani/Lotterer/Tandy) leichtes Spiel. Für zwölf Stunden lang hielt das Weltmeister-Fahrzeug die Führung, doch am späten Sonntagvormittag schlug auch hier das Schicksal zu: Ohne Öldruck musste Andre Lotterer den 919 Hybrid abstellen. Der Frust war riesig. "Ich habe nichts gemerkt, plötzlich ging nichts mehr", erklärt Lotterer bei der Rückkehr ins Fahrerlager. "Le Mans kann so grausam sein. Im vergangenen Jahr hat es Toyota getroffen. In diesem Jahr uns, aber auch wieder Toyota. Es ist natürlich sehr schade."

LMP2-Sensation vereitelt

Nun hatten plötzlich die LMP2-Teams den Sieg auf dem Fuß. Hier hatte lange Zeit Rebellion Racing mit den Orecas #31 (Prost/Canal/Senna) und #13 (Piquet jun./Heinemeier Hansson/Beche) die Nase vorn. Doch in der Nacht änderte sich das Bild: Der DC-Oreca #38 (Tung/Laurent/Jarvis) holte nach und nach auf, nachdem das Team durch einen Ausrutscher von Youngster Thomas Laurent zu Beginn reichlich Zeit verloren hatte.

Der Rebellion #31 verlor in der Nacht durch Getriebeprobleme an Boden und dann am Sonntagvormittag 40 Runden durch eine Reparatur. Die #13 konnte dem Druck des DC-Orecas nicht standhalten und fiel am Sonntagvormittag nach einer Reparatur und einer Strafe auf Rang drei der Klasse zurück. So blieb der DC-Oreca #38 an der Spitze des LMP2- und des Gesamtklassements zurück. Es lag eine der größten Sensationen in der Geschichte des Rennens auf dem Teller. Und Thomas Laurent hätte mit 19 Jahren, 2 Monaten und 14 Tagen Alexander Wurz als jüngsten Le-Mans-Sieger (21 Jahre, 4 Monate, 1 Tag) deutlich übertrumpft.

Doch die nackten Zahlen zeigten bereits, dass der übermächtige Porsche, der sich über die Stunden hinweg mit einem fehlerfreien Job durch das gesamte Klassement gewühlt hatte, den LMP2 noch abfangen würde. 1:07 Stunden vor Schluss war es dann soweit: Timo Bernhard ging kurz und schmerzlos vorbei und setzte sich ab. Für DC Racing blieb der Klassensieg und ein hervorragender zweiter Platz. Der Porsche-Sieg vereitelte zwar eine Sensation, ist auf seine eigene Art und Weise jedoch auch ein kleines Wunder. Manch andere Mannschaft hätte am Samstagabend schon die Sachen gepackt.



LMP2 überraschend weit entzerrt

DC und Rebellion waren im LMP2-Rennen dominant, nachdem sich zwei heiße Sieganwärter bereits frühzeitig verabschiedet hatten: Der Signatech-Alpine #36 (Dumas/Menezes/Rao) fuhr bereits in der frühesten Phase des Rennens in den Kies und sollte keine Rolle mehr spielen. Nicht sehr viel weiter kam der G-Drive-Oreca #26 (Russinow/Thiriet/Lynn): Roman Russinow drehte sich erst in der Ford-Schikane und kollidierte anschließend mit dem Proton-Porsche #88 (Bachler/Lemeret/Al Qubaisi), was für beide Fahrzeuge das aus bedeutete.

Rebellion und DC schlugen ein Tempo an, das nur noch ein Fahrzeug mitgehen konnte: Der Signatech-Alpine #35 (Panciatici/Ragues/Negrao) fuhr bis kurz vor Schluss auf der zweiten Position, bis Andre Negrao in Arnarge an der Bande hängen blieb, als er sich verbremste und über einen kleinen Zufahrtsweg wieder auf die Strecke wollte. So rückte der Rebellion-Oreca #13 wieder auf die zweite Position nach vorn, während der DC-Oreca #37 (Cheng/Gommendy/Brundle) einem Rennen für das Team von Jackie Chan und David Cheng das i-Tüpfelchen aufsetzte, an das sich die Mannschaft noch ganz lange erinnern wird.

Doch schon die drei Erstplatzierten der LMP2 lagen drei Runden auseinander. Siegfähig waren ohnehin nur die Oreca 07. Als bestes Team mit einem Ligier JS P217 kam United Autosports #32 (Owen/de Sadeleer/Albuquerque) hinter dem Alpine #35 auf die fünfte Position mit vier Runden Rückstand. Mehr war mit dem Material einfach nicht drin. Der beste Dallara sah in Form der Villorba Corse #47 (Lacorte/Sernagiotto/Belicchi) auf Rang acht das Ziel, der Keating-Riley #43 (Keating/Bleekemolen/Taylor) kam weit abgeschlagen nach diversen Problemen ins Ziel.

Packender GTE-Pro-Kampf bis zum Ende

In der GTE Pro kam es am Ende eines langen Abnutzungskampfes zum Duell zwischen Jordan Taylor in der Corvette #63 (Magnussen/Garcia/Taylor) und Jonny Adam im Aston Martin #97 (Turner/Adam/Serra). Der Kampf zog sich bis in die letzte Runde hin und wurde mit harten Manövern ausgefochten. Fünf Minuten vor Schluss lief als eine ambitionierte Attacke Adams in Arnage ins Leere, Taylor am Ausgang kreuzte die Linie und zog wieder vorbei.

Doch der US-Amerikaner bekam kurz vor Schluss Bremsprobleme, die Corvette Racing doch noch den Sieg kosteten. Ein wilder Ritt durch das Kiesbett in der zweiten Hunaudieres-Schikane machte den Anfang, mit dem Bremsplatten traf Taylor anschließend keinen Bremspunkt mehr, Er fiel in der letzten Runde mit Reifenschaden noch hinter den Ganassi-Ford #67 (Priaulx/Tincknell/Derani) auf Rang drei zurück.

Aston Martin hat den Le-Mans-Sieg endlich errungen - im letzten Anlauf für den seit 2008 eingesetzten V8 Vantage. Darren Turner jubelt: "Jonny ist die besten zwei Stunden seines Lebens gefahren! Wir haben das beste Team überhaupt. Es ist unglaublich - Jonny hat es für uns gewonnen!"



Topfavorit verliert Sieg in zwei Akten

Der Aston-Martin-Sieg mag nach der Anfangsphase nicht überraschen, als die beiden Vantage GTE das Tempo bestimmten. Doch der stärkere der beiden, Fahrzeug #95 (Thiim/Sörensen/Stanaway), hatte schon nach dreieinhalb Stunden einen Reifenschaden, der Zeit kostete. Der Bolide wurde durch die Safety-Car-Phasen in der Nacht wieder in die Spitzengruppe gespült. Am Sonntagmorgen stopfte Richie Stanaway dann die britische Nobelkarosse in den Mulsanne-Reifenstapel. Am Ende blieb Klassenrang neun.


Porsche und Ferrari fuhren in der GTE Pro zwar gut mit, schlussendlich fehlte jedoch das letzte Bisschen: Der Porsche #91 (Lietz/Makowiecki/Pilet) und der AF-Corse-Ferrari #71 (Rigon/Bird/Molina) liefen mit einer Runde Rückstand auf den Plätzen vier und fünf ein und waren die letzten Vertreter ihrer Art in der Spitzengruppe. Unschöner Höhepunkt des Rennens war ein heftiger Unfall des Risi-Ferraris #82 (Vilander/Fisichella/Kaffer), der von Mathieu Vaxiviere im TDS-Oreca #28 (Perrodo/Vaxiviere/Collard) unsanft von der Strecke befördert wurde. Für TDS war nach einer Sieben-Minuten-Strafe für diese Aktion am frühen Morgen mit einem heftigen Unfall von Emmanuel Collard Schluss, bei dem dieser unverletzt blieb.

Porsche verlor den stärker platzierten 911 RSR #92 (Christensen/Estre/Werner) in der Nacht durch einen Fahrfehler von Michael Christensen. Ford brachte sein heißestes Eisen dank des Corvette-Pechs auf Rang zwei durch, während die anderen Fahrzeuge des Ganassi-Teams nie wirklich in den Kampf eingreifen konnten, ohne aber auch zu weit zurückzufallen. Plätze sechs und sieben für Hand/Müller/Kanaan (#68) und Briscoe/Westbrook/Dixon (#69). Gleiches gilt für die Corvette #64 (Gavin/Milner/Fässler), die auf die achte Position kam.

Ferrari-Dreifachsieg bei Amateuren

In der GTE Am verlor der favorisierte Aston Martin #98 (Dalla Lana/Lamy/Lauda) durch einen Reifenschaden am Samstagabend alle Siegchancen und machte den Weg frei für den JMW-Ferrari #84 (Smith/Stevens/Vanthoor), der sich schadlos hielt und das Rennen von da an dominierte. Dries Vanthoor, der jüngere Bruder von Porsche-Werksfahrer Laurens Vanthoor, brachte den Ferrari 488 GTE über die Ziellinie.

In der Pro-Am-Klasse konnte sich Ferrari feiern lassen, denn zwei weitere Michelotto-Boliden folgten auf den Positionen zwei und drei: Der Spirit-of-Race-Ferrari #55 (Cameron/Scott/Cioci) und der Scuderia-Corsa-Ferrari #62 (MacNeil/Sweedler/Bell) komplettierten das Podium. Hinter dem Beachdean-Aston-Martin #99 (Howard/Gunn/Bryant) kam mit dem Clearwater-Ferrari #61 (Mok/Sawa/Griffin) ein weiterer 488 weit vorne ins Ziel.

Die 85. Auflage der 24 Stunden von Le Mans ging bei komplett trockenen Bedingungen bei knapp 30 Grad am Tag über die Bühne. Die ganz große Hitze, die ursprünglich für das Rennen vorhergesagt wurde, hat sich auf kommende Woche verspätet. Mit dem Rennen ist der Höhepunkt der Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) 2017 Geschichte; es geht mit der Sportwagenserie am 16. Juli auf dem Nürburgring weiter.

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