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Rallye-WM: Kommentar

Reisende soll man nicht aufhalten

Weil seine den Rallyesport entstellende Shootout-Idee von nahezu allen abgelehnt wurde, droht Jost Capito nun mit dem Volkswagen-Ausstieg…

Michael Noir Trawniczek

Sehr geehrter Herr Jost Capito, Direktor von Volkswagen Motorsport, geboren 1958 in Neunkirchen/Siegerland – wenn man Ihren Werdegang nachliest, kommt höchster Respekt auf, schließlich haben Sie bereits für Größen wie die BMW Motorsport GmbH, Porsche AG, Sauber Engineering AG, Ford of Europe, Ford Motor Company und schließlich Volkswagen Motorsport gearbeitet. Fast immer hatte Ihr Job etwas mit Motorsport zu tun – und in jungen Jahren haben Sie sogar selbst Rennen bestritten: Enduro, Motocross, später sogar auch die Rallye Dakar. Ein Mann also, der mit allen Motorsportwassern gewaschen ist, ja vielleicht sogar ein echter Racer….

Umso erstaunlicher war es, dass Sie selbst dann noch auf Ihre Idee eines Shootouts in der Rallye-Weltmeisterschaft pochten, als längst sämtliche Fahrer, auch Ihre eigenen, auf zum Teil drastische Art und Weise ihre strikte Ablehnung zum Ausdruck gebracht haben. Ein Mikko Hirvonen traf den Nagel auf den Kopf: „Mit dem Shootout würde der Rallyesport seine DNA verlieren!“ Gut, die Fahrer würden ohnehin immer nur an ihren eigenen Vorteil denken, haben sie diese Bedenken vom Tisch gewischt – doch auch die Fans, Ihr Zielpublikum also, haben rein gar nichts von dieser Idee gehalten. Und sogar die Herren am Place de la Concorde, die FIA-Mitglieder der WRC-Kommission haben Ihrer „Vision“ eines neuen Rallyesports eine „schallende Ohrfeige“ verpasst, wie Sie es selbst formuliert haben…

Etwas anderes als eine (symbolische) schallende Ohrfeige hat diese Idee auch wirklich nicht verdient. Aus einer Sekunde Vorsprung wollten Sie eine Zehntelsekunde machen, am Ende sollten nur noch die Top 4 siegberechtigt sein und die beiden Erstplatzierten hätten, fernsehgerecht zum Fixtermin um den Sieg fahren sollen – ein Konzept, das den Rallyesport völlig von seinen Wurzeln abgeschnitten hätte. Mit nur einem Ziel: Der Formel 1 nacheifern! Als würde man Handballspielern sagen: „Fußball verkauft sich tausendmal besser, also spielen wir Handball künftig gefälligst mit dem Fuß!“

Jeder, der sich mit dem Rallyesport näher auseinandersetzt, weiß, dass dieser Sport das exakte Gegenteil der Formel 1 ist: Wilde, abenteuerliche Strecken in teils entlegener Natur anstelle von Reißbrettkursen mit Auslaufzonen, so groß wie die Kalahari-Wüste (Zitat Helmut Zwickl). Ursprünglich ging es bei Rallye zu allererst um das Durchhaltevermögen – weite Distanzen mussten zurückgelegt werden. Ein Kultfilmer wie Helmut Deimel faszinierte und fasziniert heute noch mit atemberaubenden Bildern von dreckigen Mechanikern, die irgendwo in der Pampas Bauteile in Rekordzeit wechseln. Wackere Helden, die ihre bestialisch brüllenden Boliden mit 200 km/h durch enge Waldwege balancieren, ohne jede Knautschzone. Das ist Rallye – und das ist von der klinisch sauberen VIP-Paddock-Welt des Herrn Bernie Ecclestone Ewigkeiten entfernt…

Ja, es gab in letzter Zeit Annäherungsversuche. Ja, man hat versucht, den Rallyesport „sauberer“ zu gestalten, sodass die VIPs auch den Servicepark beehren mögen. Ja, man hat die Distanzen drastisch verkürzt, weil es nach Meinung vieler respektive vieler Hersteller bzw. Konzerne nicht mehr zeitgemäß sei, solch große Distanzen zu absolvieren. Das mag ja auch zum Teil stimmen – doch wenn einem dermaßen erfahrenen Motorsportmann wie Ihnen nichts anderes zur Verbesserung der WRC-Promotion einfällt, als den Sport in ein Kasperltheater zu verwandeln, in dem am Sonntag plötzlich aus Minuten Sekunden werden, dann ist das einfach nur traurig….

Dabei gäbe es genügend Möglichkeiten: Den Fahrern weniger den Mund verbieten respektive die Corporate Identity eintrichtern, nicht mehr einzig und alleine den „Buben aus reichem Haus“ oder den mit Geldkoffer bewaffneten Piloten die Cockpits überlassen, die Autos nicht mehr wie langweilige Personenkraftwägen aussehen lassen, das Reglement nicht mehr so gestalten, dass nur noch Superreiche oder Hersteller ein Projekt auf die Beine stellen können und so weiter und so fort…

Der Rallyesport begeistert nicht mehr? Dann bitte besuchen Sie irgendeinen Event, an dem zum Beispiel ein Walter Röhrl teilnimmt – und Sie werden mit eigenen Augen sehen, wie groß das Interesse der Menschen immer noch ist. Hier ist der Punkt vergraben, aus dem gelernt werden muss. Nicht die Formel 1 kopieren wollen, sondern den Sport wieder dorthin bringen, wo er einmal war. Genauer durchleuchten, woher damals die Faszination kam – und diese Elemente in die Gegenwart übertragen…

Gut, wenn Sie Ihren eigenen Fahrern und den Fans nicht glauben, dann ist, so ist zu befürchten. ohnehin Hopfen und Malz verloren. Eines aber finde ich extrem ärgerlich: Jetzt, nachdem Ihre „Superidee“ endgültig und mehrheitlich abgelehnt wurde, versuchen Sie gar nicht erst, sich eines Besseren zu besinnen oder neue, passendere Lösungen zu finden – nein, Sie drohen, Volkswagen würde bald wieder aussteigen, man werde die WRC 2015 noch einmal „überprüfen“ und wenn dann keine Verbesserung eintrifft, werde man sich zurückziehen.

Gibt es nur die „Wir wollen wie die F1“-Schiene?

Eigentlich schwer vorstellbar, dass der gesamte Volkswagen-Konzern so denkt wie Sie. Eine Idee, die den Sport völlig entstellen würde, wie ein Besessener durchziehen wollen und wenn sich diese nicht durchsetzt, beleidigt von dannen ziehen? Wo bleibt da die „Liebe zum Rallyesport“? Ich bin mir nicht sicher, ob alle bei Volkswagen eine solche Vorgehensweise goutieren? Denn das Publikum könnte sich die Frage stellen: Ist das wirklich alles, was einem bei VW zum Thema Rallyesport einfällt? Gibt es da wirklich nur die „Wir wollen auch wie die Formel 1“-Schiene?

Schon seltsam, irgendwie. Wenn ich jetzt nochmal Ihren Werdegang betrachte, mit diesen unzähligen verschiedenen Firmen – vielleicht hat das ja einen Grund? Vielleicht war es Ihnen stets egal, für wen Sie eigentlich arbeiten – Hauptsache es wird gemacht, was Sie sagen? Vielleicht kennen Sie so etwas wie Wurzeln und Traditionen gar nicht? Oder Sie wollen damit gar nichts zu tun haben?

Man hat schon jetzt, im zweiten Jahr des großen Volkswagen-Comebacks in der Rallye-Weltmeisterschaft so ein Gefühl, dass diese VW-Ära nur eine kurze sein wird – schnell einmal mit Maschinengewehren auf Spatzen schießen, mit millionenschweren, hochgezüchteten Autos und dem Mega-Sponsor an der Hand als (leider schlechter) Self-Promotor gegen Reste eines ehemaligen Seriensiegerwerksteams und gegen eine britische Rallyeschmiede gewinnen, drei VW in den Top 3, drei VW in den Top 3, drei VW in den Top 3 – nur eben, was bringt es Ihnen? Gar nichts! Sagen Sie selbst! Und warum? Warum eigentlich? Warum können ein Hersteller und eine Firma wie RB die WRC nicht so präsentieren, wie es sein soll? Warum sieht Jost Capito nur dann eine Chance für die WRC, wenn man diese völlig entfremdet? Ich glaube: Weil Sie diesen Sport einfach nicht verstehen, nicht verstehen wollen und, so scheint es, auch überhaupt nicht mögen! Daher sei eine Frage erlaubt: Wer hält Sie auf, Herr Capito? Reisende soll man nicht aufhalten…

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