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ORM: Wechselland-Rallye

Der Versuch einer Analyse

Widerruf der Kraftstoffregel, Hinteregger-Rücktritt und Neubauer-Abgang: motorline.cc versucht, die Fakten zusammenzutragen und die Lage zu analysieren.

Michael Noir Trawniczek
Fotos: Daniel Fessl, Harald Illmer

Der Dienstag, der 28. April 2015 wird vielen Aktiven und Fans wohl noch lange in Erinnerung bleiben – denn an diesem Tag hat es gewaltig gescheppert im morschen Gebälk der Österreichischen Rallye Staatsmeisterschaft (ORM). Man könnte auch sagen: Die schon lange gefährlich zischende, ächzende Lava-Blase ist an diesem Tag mit einer kräftigen Eruption geborsten, die Folge ist ein klassisches Worst Case Scenario. Eine Lose/Lose-Situation für alle Beteiligten. Was ist wirklich passiert an diesem Tag und in der Zeit davor?

Schier endlose Telefonate mit unzähligen Protagonisten der heimischen Rallyeszene haben ergeben: Die gut gemeinte, der Kosteneinsparung zugedachte Kraftstoffregel, wonach heuer mit Tankstellensprit gefahren wird, war ein kräftiger Schuss in den Ofen. Die Regel war nicht praktikabel, die Folgen sind weitreichend und ein schwerer Schlag für die zuletzt ohnehin nicht auf Rosen gebettete ORM.

Wie kam es zu der Kraftstoffregel?

Wie ist diese Regel eigentlich entstanden? Zahlreiche Aussagen, unter anderem auch von den direkt Betroffenen, haben den eindeutigen und bestätigten Tenor: Die unmittelbaren Konkurrenten des Serienstaatsmeisters Raimund Baumschlager haben im vergangenen Dezember bei der OSK den dringlichen Wunsch nach Maßnahmen zur Kosteneinsparung deponiert. Ein durchaus verständliches Begehren. Zum einen, weil die Kosten explodieren – zum anderen auch, weil man sich erhofft hatte, in punkto Performance dem gut ausgerüsteten Champion damit ein bisschen näher zu kommen. Und auch dieser Wunsch ist absolut verständlich. Und es ist sonnenklar: Wer vom Budget her am besten aufgestellt ist, leidet am meisten unter Einsparungs-Restriktionen.

Verständlicher Wunsch nach Einsparungen

Die Rallyekommission hat die Idee einer Kosteneinsparung gerne aufgegriffen, zumal die ORM-Veranstalter schon im Vorjahr an einem Starterschwund gelitten haben – es war daher nur logisch, die Kosten einzusparen. Unter den Vorschlägen der „Baumschlager-Jäger“ war auch die Idee, mit Tankstellensprit zu fahren, auch die – in ihrer Umsetzung ebenfalls von Experten angezweifelte - Reifenlimitierung gehörte dazu.

Der Vorsitzende der Rallyekommission hat die Vorschläge aufgegriffen, er hat dann auch den Staatsmeister und den Fahrervertreter um eine Einschätzung gebeten. Der Fahrervertreter hat daraufhin die Fahrer befragt – freilich waren viele dafür, Kosten einzusparen. Dass man den regierenden Champion befragt, ist eine durchaus übliche Praxis – so werden die Spitzenpiloten auch gerne von Veranstaltern gebeten, etwa neue Sonderprüfungen zu begutachten. Raimund Baumschlager erklärte auf die Frage des Kommissionsvorsitzenden, ob man mit Tankstellensprit fahren könne, dass dies kein Problem darstellen würde, er würde bei seinen Testfahrten aus Kostengründen oft mit Tankstellensprit fahren. So wurde schließlich im guten Glauben, den ORM-Protagonisten beim Sparen zu helfen, die besagte Kraftstoffregel eingeführt. Simpel zusammengefasst lautete die Regel: Der Sprit dürfe 100 Oktan nicht überschreiten.

Entscheidung ohne Technikerbeirat?

Allerdings wurde diese Entscheidung, so scheint es, ohne den wirklichen Beirat von Technikern getroffen, in der Kommission sind sie nicht vertreten. Es scheiden sich die Geister, wann genau die OSK zum ersten Mal darüber von wem informiert wurde, dass diese Regel so nicht durchführbar ist.

Sicher ist: Die handelsüblichen Treibstoffe unterliegen einer starken Schwankung, die Oktanzahlen sind Mindestgrößen - um sicherzustellen, dass man den Wert nicht unterschreitet, sind die tatsächlichen Oktanzahlen oft höher. Selbst bei Verwendung eines 98 oder sogar 95 Oktan-Sprits könne man nicht garantieren, dass man die 100 Oktan-Grenze nicht überschreitet, lauteten einige Expertenmeinungen.

Dazu kommt ein weiterer Faktor: Die Rennmotoren können beim Betrieb mit Tankstellensprit Schaden nehmen. Selbst Raimund Baumschlager hat im Gespräch mit motorline.cc eingeräumt, dass er seitens der Skoda-Techniker schon recht bald nach Einführung der Regel darüber informiert wurde, dass die Motoren im Rennbetrieb unter dem Tankstellensprit sehr wohl leiden würden. Er habe das nicht gewusst, deponierte Baumschlager, seine Tests würden Shakedown-Charakter haben, dabei würden die Motoren nicht so sehr wie im Rennbetrieb beansprucht werden – er habe nach der Unterweisung seitens der Techniker dies auch der OSK mitgeteilt, er habe sich dann auch gegen die Kraftstoffregel ausgesprochen.

Dabei geht es offenbar nicht nur um die Oktanzahl, sondern auch um verschiedene Komponenten wie Schmiermittel, die im Rennsprit beigemengt sind, um die hohen Drehzahlen und die starken Belastungen gewährleisten zu können.

„Die OSK ist schuld“

Die OSK wiederum ist ein Apparat, Beschlüsse können nicht einfach so gefällt werden, es sind Ausschüsse und Gremien zu durchwandern – als Zweifel an der Durchführbarkeit laut wurden, hat man im Rahmen der Rallyes im Rebenland und im Lavanttal Proben gezogen, welche den Verdacht der hohen Oktanzahlschwankungen drastisch bestätigt haben. Hier hätte man wohl sofort die Notbremse ziehen müssen. Es gibt Stimmen, die der Meinung sind, dass Dietmar Hinteregger einfach zu spät reagiert habe. Wie auch immer: Die OSK hat am Montag, den 27. April 2015 die Kraftstoffregel widerrufen, Dietmar Hinteregger hat am Dienstag, den 28. April 2015 um 13.13 Uhr per Mail seinen Rücktritt verlautbart. Dem Vernehmen nach soll er nicht mehr das hundertprozentige Vertrauen innerhalb der Rallyekommission genossen haben.

OSK-Sekretär Kurt Wagner hat in der Folge in einem Telefonat mit motorline.cc ganz offen eingeräumt: „Die alleinige Schuld an dieser Farce trägt die OSK, die Kraftstoffregel war ein schwerer Fehler, sie war nicht praktikabel.“ Wagner hat zudem erklärt, dass sich die Rallyekommission schon in der kommenden Woche zusammensetzen und neu orientieren werde.

Vermeintliche Lex Baumschlager

Dass die OSK die Kraftstoffregel ausgerechnet vor jener Rallye widerrufen hat, bei der Raimund Baumschlager den neuen Skoda Fabia R5 zum Einsatz bringt, wirft eine denkbar schlechte Optik auf das Szenario.

Nicht wenige Fans haben in verschiedenen Internetplattformen, darunter auch im motorline.cc-Meeting Point den Verdacht geäußert, es handle sich beim Widerruf der Kraftstoffregel um eine „Lex Baumschlager“. Behauptungen, wonach der 1,6 Liter-Turbomotor des Skoda Fabia R5 gar nicht mit Tankstellensprit betrieben werden könne, wurden insofern entkräftet, als dass Skoda ein entsprechendes Mapping für den Betrieb unter 100 Oktan bereitgestellt hat. Das schlechte Timing des Widerrufs weckte jene schon lange kursierenden Verschwörungstheorien, wonach die OSK ihr Regelwerk quasi dem Serienstaatsmeister auf den Leib schneidern würde…

Von manchen Rallyefans jedoch wurde die Widerrufs-Erklärung der OSK schlicht falsch verstanden. Dort steht geschrieben: „Die auf Wunsch einiger Aktiver getroffene nationale Anpassung der Kraftstoff-Bestimmungen für die Rallye-ÖM 2015 (Kraftstoff von österr. Tankstellen mit max. 100 Oktan), ist nach einem Umlaufbeschluss der Fachkommission widerrufen.“

Manche Fans haben diesen Satz so interpretiert, als würde der Widerruf „auf Wunsch einiger Aktiver“ erfolgt sein - in der Folge wurde angezweifelt, dass es sich um „einige Aktive“ gehandelt habe, vielmehr wurde der Verdacht geäußert, dass Baumschlager diesen Wunsch geäußert habe. Alles falsch – denn wie oben erwähnt war es der Wunsch seiner direkten Konkurrenten, diese Kraftstoffregel einzuführen. Genau das wird in der OSK-Erklärung zum Ausdruck gebracht: Die Regel wurde aufgrund des Wunsches einiger Aktiver eingeführt – widerrufen wurde sie aus technischen Gründen. Nirgendwo steht geschrieben, dass die Regel auf Wunsch von jemandem widerrufen wurde.

Bestätigung durch Experten

Dass diese Regel so nicht durchführbar ist und sie somit von Anfang an zum Scheitern verurteilt war, hat auch Beppo Harrach, der sein eigenes Rennteam mit einem R5-Boliden betreibt, bestätigt, er habe dies auch bei der OSK deponiert. Auch Heribert Werginz, der frühere Rallye-Cheftechniker der OSK, hat im Gespräch mit motorline.cc klar und deutlich bestätigt, dass diese Regel nicht umgesetzt werden kann.

Zum einen wegen der erwähnten Streuung der Oktanzahlen – zum anderen wegen der möglichen Schädlichkeit für Rennmotoren. Freilich betrifft diese Schädlichkeit nur die Motoren der Spitzenfahrzeuge wie S2000 oder R5-Aggregate – diese Motoren sind sensibel, es muss für den jeweiligen Kraftstoff ein eigenes Mapping erstellt werden. Werginz erklärte zudem auch, dass der effektive Sparfaktor mit Tankstellensprit in einem Topteam nur marginal sei.

Das gescheiterte Gentleman-Agreement

Raimund Baumschlager sagt, dass sein BRR-Team bereits zwei Motorschäden aufgrund des Tankstellensprits habe hinnehmen müssen. Er habe sich zwar gegen die Kraftstoffregel ausgesprochen, dennoch habe er diese akzeptiert und auch bei Skoda um ein 100 Oktan-Mapping für den neuen Skoda Fabia R5 gebeten. Der tschechische Automobilhersteller sei davon gar nicht begeistert gewesen, habe aber letztendlich ein solches Mapping zur Verfügung gestellt.

Hermann Neubauer wiederum sagt, er habe nach dem Widerruf der Kraftstoffregel die Welt nicht mehr verstanden. Für ihn sei es überhaupt nicht nachvollziehbar, dass die OSK eine solche Regeländerung in der laufenden Saison und nur drei Tage vor der Wechselland-Rallye durchgeführt hat. Weil er in der kurzen Zeit keinen Rennsprit geliefert erhalte und man zudem wiederum ein neues Motor-Mapping hätte erstellen müssen, habe er Raimund Baumschlager ein Gentleman-Agreement vorgeschlagen – ein Szenario, in dem beide sich darauf einigen, mit Tankstellensprit zu fahren. Und zwar zunächst nur für die bevorstehende Wechselland-Rallye.

Weil er dringend eine Entscheidung brauchte respektive er seinen tschechischen Teammitgliedern Bescheid geben musste, habe er Baumschlager eine Deadline gegeben, diese habe er nach dem Ausbleiben einer Zusage (Baumschlager verwies darauf, dass er von Skoda noch kein Okay für das Motor-Mapping erhielt) mehrmals verschoben - am Dienstag, den 28. April 2015 spitzte sich die Lage zu: Neubauer erklärte, die letzte Deadline sei 17.30 Uhr. Als zu diesem Zeitpunkt immer noch kein Okay von Baumschlager kam, hat Neubauer die Absage seines Starts bei der Wechselland-Rallye dingfest gemacht. Zugleich sagte auch sein Teamchef Max Zellhofer seinen Start im Wechselland ab. Besonders bitter: Um 18.20 Uhr ließ Baumschlager wissen, dass er nun von Skoda die Zusage für das Mapping erhalten habe und er mit Tankstellensprit fahren werde. Zu spät, sagt Neubauer – er habe bereits alles storniert. Schlimmer noch: Neubauer erklärte, dass er sich nun komplett aus der ORM zurückziehen werde – dem Vernehmen nach arbeitet er an einem internationalen Alternativprogramm.

Werden die ORM-Ergebnisse 2015 korrigiert?

Weil sich der Widerruf der Kraftstoffregel auf die gesamte Saison 2015 bezieht, fürchten nun einige Experten, dass die Ergebnisse der bisherigen ORM-Rallyes neu erstellt werden müssen. Dem Vernehmen nach sollen einige Teilnehmer der bisherigen Rallyes mit Rennsprit gefahren sein, im Wissen, dass sie dann keine ORM-Punkte erhalten – sie sollen nun, so vermuten Experten, ihre Punkte zurückerhalten. Nicht betroffen sollen davon die vorderen Ränge der ORM-Tabelle sein.

Jetzt gibt es zwei Herangehensweisen, die gegen eine nachträgliche Gutschrift sprechen: Die eine ist, dass der Teilnehmer, der bewusst auf ORM-Punkte verzichtet hat, weil er mit Rennbenzin gefahren ist, damit auch das Anrecht auf Punkte verliert. Der zweite Aspekt: Derjenige, der nun Punkte gutgesprochen erhalten soll, hatte wegen des Rennbenzins einen Vorteil gegenüber jenen Konkurrenten, die mit Tankstellensprit fuhren. Beide Theorien würden also dagegen sprechen, diesen Bewerbern nachträglich ihre Punkte gutzuschreiben. Ob das rechtlich gedeckt ist, ist eine andere Frage.

Unter Vorbehalt

Der vorliegende Artikel ist ein Versuch, die Fakten zusammenzutragen und die Hintergründe für die Rallyefans nachvollziehbar zu machen. Allerdings hat der Autor dieser Zeilen am Dienstag, den 28. April 2015 in unzähligen, den gesamten Tag beanspruchenden Telefonaten die Erfahrung machen müssen, dass vieles relativ ist und die Meinungen mitunter weit auseinanderklaffen. Ein Beispiel: Bei den tatsächlichen Kosten für ein Motoren-Mapping sind die Angaben der Protagonisten weit gestreut – sie reichen von 190 bis zu 8.000 Euro. Der vorliegende Artikel ist auch aus diesem Grund recht allgemein formuliert und soll lediglich dazu dienen, den Hergang dieser „Sprit-Farce“ vielleicht besser verstehen zu können oder sich ein eigenes Bild von der Situation zu verschaffen.

Dass die OSK die Schuld an der Sprit-Farce trägt, wird von dieser offen zugegeben – der Autor dieser Zeilen hat den Eindruck, dass in diesem Fall sowohl Raimund Baumschlager als auch Hermann Neubauer (die sich leider im Zuge ihrer Bemühungen, das Beste aus der Situation zu machen, überworfen haben), zudem der Veranstalter der Wechselland-Rallye und natürlich die Rallyefans des Landes allesamt die Leidtragenden dieses Fehlgriffs sind. Dies gehört jedoch bereits in den zweiten Teil dieses Artikels, den Kommentar, den Sie über das Menü rechts oben oder über diesen Link finden.

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