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Nur Fliegen ist schöner

Dank 640 PS plus Allrad sprintet der Huracan Performante in 2,9 Sekunden auf Tempo 100. Wir testen den schärfsten "kleinen" Lamborghini.

Text: Jürgen Zöllter/mid
Fotos: Ingo Barenschee

Man schraubt sich über den Seitenschweller, fällt tief hinab in die Sitzschale und meint, direkt auf dem Asphalt Platz zu nehmen. Wo mit Sitzpolster gegeizt, doch mit Schaltern und bunten Anzeigen verschwenderisch umgegangen wird, glaubt man eher in der Schaltzentrale eines Jet zu sitzen als in einem Sportwagen. Willkommen im Lamborghini Huracan.

Wie im Flugzeug, so auch in jedem Lamborghini, muss der Schalter zum Starten des Triebwerks erst einmal freigelegt werden. Die initiale Befeuerung gleicht einem Ritual: Man kippt eine knallrote Abdeckung in der Mittelkonsole hoch, weckt die Lebensgeister und klappt den Schutz wieder zurück. Danach möchte man nur noch mit Gas, Bremse und Lenkung spielen.

Eingebettet in eine infernalische Geräuschkulisse, die je nach Temperament des Fahrers spontan die Tonlage wechselt. Erzeugt wird sie im Huracan von einem V10-Mittelmotor mit 5,2 Liter Hubraum und einer Kraftentfaltung, wie man sie beim Konkurrenten und italienischen Nachbarn Ferrari in der Mittelmotor-Baureihe nicht mehr bekommt.

Denn anders als Ferrari, wo die V8-Motoren inzwischen von Turboladern zwangsbeatmet werden, lässt Lamborghini das heiße V10-Herz des Huracan frei atmen. Noch. Denn keiner weiß, wann auch Lamborghini seine Sportwagen in die Turbo-Ära einschwenken lässt, die in Sant'Agata Bolognese mit dem künftigen SUV Urus ab 2018 aufgeschlagen wird.

Bis es soweit ist, bleibt die herausragende Qualität des Huracan sein bärenstarker Saugmotor. Er sorgt für unschlagbar spontane, gewaltige Kraftentfaltung. Im neuen Spitzenmodell der Baureihe wird nicht nur sie nochmals geschärft, in dem die Motorenentwickler 30 PS draufpacken. Vielmehr haben auch die Struktur-Experten und Aerodynamiker Hand angelegt, um die Handling-Eigenschaften des Allradlers nochmals deutlich zu verbessern.

Den schnellsten "Einsteiger"-Lamborghini aller Zeiten nennen die Italiener nun Huracan Performante und zertifizieren ihn mit einem Rundenrekord für Serienfahrzeuge auf der Nordschleife des legendären Nürburgrings: Dort schraubte er die Messlatte auf 06:52,01 Minuten. Eine Kostprobe seiner Schärfe nehmen wir auf dem Rundkurs im norditalienischen Imola.

Sobald der Gasfuß fällt, hebt der 640 PS starke Zehnzylinder hinter den Sitzen kehlig die Stimme, dreht vollmundig über 3.000, 4.000 Touren, sägt mit metallischem Unterton über 5.000, 6.000 bis nahe 7.000/min. Darüber schreit er schrill in die Welt hinaus. So, als giere er nach der nächsten Stufe des Siebengang-Doppelkupplungsgetriebes, bevor man die Drehzahlgrenze bei 8.500 Touren erreicht.

Schaut man beim Sprung in den zweiten Gang zu Tacho und Stoppuhr, ist der Sprint auf 100 km/h in nur 2,9 Sekunden erfolgt. Bis 200 km/h vergehen 8,9 Sekunden. Der Huracan Performante überfliegt diese Marke im dritten Gang! Ist der Horizont weit genug voraus, beschleunigt er mit kaum nachlassendem Temperament bis etwa 280 km/h und läuft erst bei 325 km/h in die Fangseile des Fahrtwinds.

Da ist einerseits die betörende Kraftentfaltung des Aggregats, das bei 1.000 Touren bereits 420 Newtonmeter anlegt. Was 70 Prozent des höchsten Drehmoments von 600 Nm entspricht, die bei 6.500 Touren zum Antriebsstrang fließen.

Andererseits begeistert die hervorragende Balance des (trocken) 1.382 Kilo leichten Sportlers bis in fahrdynamische Grenzsituationen. Dafür verantwortlich zeichnen neue Leichtbauteile sowie eine aktive Kraftverteilung der vom Motor und Fahrtwind bereitgestellten Größen.

Die als "Forged Composite" bezeichneten extrem leichten Bauteile entstehen nach einem speziellen Verfahren und sind am Huracan Performante als Front- und Heckspoiler, Motorhaube, Heckstoßfänger, Diffusor und Strukturträger ausgeführt. Sie kompensieren das Mehrgewicht des Allradantriebs, der dem Huracan zwar Traktionsvorteile und hervorragende Geradeauslauf-Eigenschaften bei hohen Geschwindigkeiten beschert, aber im Vergleich zum Hecktriebler eben auch einen Speckring.

Die Gewichtsverteilung von 43 Prozent vorn und 57 Prozent hinten sorgt in Verbindung mit dem über eine Haldexkupplung gesteuerten permanenten Allradantrieb für eine heckbetonte Kraftverteilung in traditioneller Sportwagenmanier: Der Huracan Performante kann im fahrdynamischen Grenzbereich bei Richtungswechsel übers Gaspedal zum Übersteuern oder Einlenken bewegt werden.

Um die Traktion zu erhöhen und das Handling zu schärfen, leistet neben dem selbstsperrenden mechanischen Hinterachsdifferenzial ein aktives, von Lamborghini patentiertes Aerodynamik-Management gute Dienste. Das "ALA" (Aerodynamica Lamborghini Attiva) genannte System nutzt den Fahrtwind je nach Fahrzustand entweder um den Abtrieb des Fahrzeugs zu erhöhen oder seinen Luftwiderstand zu minimieren.

Dazu besitzt der Huracan Performante auf dem Frontspoiler zwei bewegliche Klappen. Sie wohnen in einem Rahmen aus Kohlefaser-Verbundmaterial und werden von Elektromotoren gesteuert. Zwei weitere Klappen steuern Luftkanäle, die von der Motorhaube kommend durch die Füße des Heckspoilers verlaufen. Diese regulieren die Anströmung des fest stehenden Flügels.

Durch das Wechselspiel der Klappen, die stufenlos und hinten individuell arbeiten, erhöht sich die Kurvenstabilität. Es wird Abtrieb für bessere Traktion auf der Seite des kurveninneren Rades erzeugt. "Aero Vectoring" nennt Lamborghini dieses System, das 80 Prozent weniger wiegen soll als ein vergleichbares hydraulisch gesteuertes.

Mit dem neuen Huracan Performante fährt Lamborghini seine "kleine" Sportwagenbaureihe näher an die Ferrari-Konkurrenz als jemals zuvor. Die Kraftentfaltung seines V10-Saugers kann der Ferrari 488 GTB mit V8-Turboaggregat nicht toppen. Dessen Kurvenwilligkeit durch die nochmals schärfere Lenkung und das geringere Gewicht über der Vorderachse allerdings schon.

Im Cockpit stellt der Huracan viele Audi-Schalter zur Schau, die seine Nähe zum Schwestermodell Audi R8 unterstreichen. Mit ihm teilt er sich neben der strukturellen Basis auch Antriebseinheit und Nebenaggregate. Doch der ab 295.490 Euro (Deutschland: 232.098 Euro) verfügbare Huracan Performante schärft das Sportwagenprofil von Lamborghini wie kein anderes Modell der Marke, wenn man vom 770 PS starken und rund eine Million Euro teuren Centenario LP770-4 einmal absieht, der auf 40 Einheiten limitiert ist.

Und genau dieses Markenprofil braucht Lamborghini im Vorgriff auf die anstehende Revolution in Sant'Agata: Ab Anfang 2018 wird dort eine komplett neue Fertigungsanlage den Geländewagen Urus ausspucken, ein SUV, das auf die Komponenten-Matrix des Audi Q7, Porsche Cayenne, Bentley Bentayga und Volkswagen Touareg zurückgreift. Wurden 2016 insgesamt 3.457 Lamborghini Sportwagen ausgeliefert, so sollen es 2018 mit dem Urus doppelt so viele sein.

So schärft Lamborghini mit dem Huracan Performante sein Sportwagen-Image und hofft auf Nachhaltigkeit. Dass der kommende Urus die historisch gewachsene Markenidentität verwässern könnte, fürchten nur gusseiserne Fans. Porsche sollte sie eines Besseren belehren. Denn auch die Zuffenhausener standen einst an der Schwelle zur massiven Ausweitung des Produktportfolios, und Jahre später gilt Porsche noch immer als Sportwagenmarke. Einzige Ausnahme wird China sein, wo Lamborghini mit weniger als 40 Einheiten im Jahr kaum Sportwagen absetzt, für den neuen Urus aber großes Potenzial erwartet.

Technische Daten Lamborghini Huracan Performante

Zweitüriger Sportwagen, Länge/Breite/Höhe/Radstand in Meter: 4,51/1,92/1,17/2,62 Kofferraumvolumen: 11,3 l, Leergewicht: 1.382 kg.
Antrieb: V10-Benziner, Hubraum: 5.204 ccm, max. Leistung: 470 kW/640 PS bei 8.000/min, Siebengang-Direktschaltgetriebe, max. Drehmoment: 600 Nm bei 6.500/min, 0-100 km/h: 2,9 s, 0-200 km/h: 8,9 s, Höchstgeschwindigkeit: über 325 km/h, Normverbrauch: 10,3 l/100 km, Österreich-Preis: 295.490 Euro (Deutschland: 232.098 Euro)

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