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Zu viel Zukunft

Ein Auto mit Düsenantrieb? Das war in den 1950ern mehr als nur eine geile Fiktion. Chrysler war mit dem Turbine Car tatsächlich nahe dran am Serienstart. Alles scheiterte dann aber an völlig irdischen Unwägbarkeiten.

Man kann sich diese Begeisterung heute ja nicht mehr vorstellen. Aber kurz nach dem zweiten Weltkrieg galt in den USA ein eigenes Auto als das absolute Oberziel für alle, die alt genug waren. Der Glaube an die Zukunft war riesig. Alle blickten nur nach vorne, waren sich sicher, dass alles besser und schöner und flauschiger wird. Und in Zeiten scheinbar grenzenlosen Optimismus war natürlich alles was es an technischen Neuerungen gab, gleich einmal supercool. So die ganze Sache mit den Raketen und den Raumfähren. Und natürlich auch den neuen Flugzeugen mit Düsenantrieb.

Bei Chrysler war man immer schon etwas innovationsfreudiger als bei Ford und GM, und tatsächlich gab es dort einen findigen Techniker, der sich fragte, ob man so ein Strahltriebwerk nicht auch für den Einsatz in einem Auto domestizieren könnte. Weil es ist ja so: Ein Hubkolbenmotor ist ein ungehobelter Bursche. Viele Teile machen die Konstruktion kompliziert, dazu diese miese Laufruhe, alles vibriert, muss erst warmgefahren werden – da müsste es doch etwas Besseres geben. Seine Lösung war ein kompakter Jetantrieb, der in etwa so stark war wie ein 5,2-Liter-V8 zur damaligen Zeit, aufgrund der simplen Bauweise aber nur vor sich hinsäuselte, kaum vibrierte und dazu einen Ton machte, der nach Kampfjet klang – jedenfalls nach dem Space Age, dem sich seinerzeit eine ganze Nation mit Begeisterung näherte.

Die Chefs der Chrylser Corporation erkannten das gewaltige Potenzial und gaben ein schönes Budget frei, denn so einfach war die Sache natürlich nicht. Es gab zwar nur ein paar Schaufelräder in einem Düsentriebwerk – diese mussten aber hochpräzise gefertigt werden, da sie mit unglaublichen Drehzahlen arbeiteten. Chrysler schaffte es sogar, entsprechende Schaufelräder in einem Gussverfahren schnell und einigermaßen preiswert herstellen zu können, aber da war das letzte Wort noch nicht gesprochen. Wichtiger war es eher, die ganze Sache einmal vorab zu testen. Ob das Werkl überhaupt vernünftig fährt.

Dies machte man aber nicht einfach so mit mattgrauen Prototypen, sondern PR-mäßig sensationell auf die öffentlichste Art und Weise. Zuerst gab man bei Ghia in Italien 55 Karossen in Auftrag, die optisch schon wie ein Jet aussahen. Diese ließ man nach Detroit einfliegen und vervollständigte sie zu kompletten Autos. Als Getriebe nahm man die übliche Dreigang-Automatik, Achsen und Bremsen stammten auch aus dem Konzernregal. Alles, was aber speziell Düsentriebwerkspezifisch war, setzte man liebevoll in Kleinserie um: Ein Drehzahlmesser, der bis über 100.000 Umdrehungen ging. Eine Temperaturanzeige von über 1.000 Grad – alles wirkte erstaunlich normal, bis man genauer hinsah.

Der Effekt, den Chrysler mit den Turbine Cars erzielte, war jedenfalls gigantisch. Alle Zeitschriften schrieben über die Zukunft des Automobils und diese extrem innovative Firma. Über die sanfte Kraftentfaltung. Den unvergleichlichen Klang. Und sie schrieben über zahlreiche Privatpersonen, die sich bei Chrysler bewerben konnten, um eines der Turbine Cars für zwei Monate gratis auszuprobieren. Selbst dies gelangte ohne gröbere Probleme, keiner der handgefertigen Prototypen blieb jemals liegen, und als alle wieder in Detroit waren, wartete eigentlich jeder nur mehr auf die eine entscheidende Ankündigung: Wann dieses Auto denn nun endlich in Serie gehen würde. Ja und genau hier fing die Welle an, zu brechen und zurückzuschwappen.

Bei all der Euphorie und der scheinbar unterlegen Fraktion der Ottomotoren, ging nämlich ein wesentliches Detail unter: die Kosten. Chrysler war finanziell in einer etwas heiklen Lage. Würde man jetzt so ein riesiges Projekt riskieren, müsste es sich auf jeden Fall nach wenigen Jahren rechnen. Man beauftragte die fähigsten Buchhalter und Fertigungstechniker, um die Herstellung des Triebwerks so preiswert wie möglich zu gestalten. Heraus kamen aber ziemlich enttäuschende 10.000 Dollar an Produktionskosten für einen Jet-Motor – eine horrende Summe im Vergleich zu den wenigen 100 Dollar, die ein einfacher V8 kostete.

Dazu kamen diverse Kleinigkeiten, die man bei all der Begeisterung kurzfristig einmal ausklammert. Präsident Eisenhower führte erstmals Abgasvorschriften ein, die das Turbine Car nie und nimmer einhalten konnte. Dazu kam ein horrender Verbrauch, der wenig verwundert, wenn man bedenkt, dass schon die Leerlaufdrehzahl bei 22.000 Touren lag. Zwar argumentierte man, dass dieser Motor mit jedem Stoff lief, der entzündbar war. Aber das interessierte zu einer Zeit niemanden, als der Liter Benzin nur ein paar Cent kostete. Es reifte ganz langsam die Erkenntnis, dass man sich vielleicht die falsche Zukunft ausgesucht hatte.

Es kam also wie es kommen musste: Während die Techniker – die in alter Tradition nie die besten Kaufleute sind – immer weiter forschten und erst 1983 bei Chrysler das Thema Turbinenauto beendeten – stoppten die Chefs das eigentliche Projekt schon Anfang der 1960er-Jahre. Dass man bis auf zehn Autos alle anderen zerstören ließ, hatte aber nichts mit Produkthaftungsklagen oder angeblichen Todesopfern bei schlimmen Feuerunfällen zu tun, sondern mit einem viel banaleren Hintergrund: In den 1950ern konnte man nur gegen horrende Strafsteuern Autos aus Europa importieren. Chrysler umging diese Regelung, indem man versprach, diese Versuchsträger nach Beendigung des Projekts zu zerstören. Die Motoren behielt man sich aber alle, da die ja auch nicht Teil der Lieferung aus Italien waren. Zehn Stück behielt man sich, weil man ja doch irgendwie an diesem Projekt hing, und versuchte, sie in gute Hände zu geben. Jedoch: Kaum ein Museum interessierte sich für das Turbine Car, also behielt man fast alle einfach selbst. Und tatsächlich: Bis heute haben es nur zwei in private Garagen geschafft – und einer läuft sogar noch.

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