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Der Ruf der Berge

Dass Mercedes 20 Jahre vor der A-Klasse schon einen Kompaktwagen bauen wollte, wusste lange Zeit niemand. Erst Recht nicht, dass der Auslöser und zugleich das Ende dafür ein geplanter Sporteinsatz war.

Roland Scharf

A-Klasse, B-Klasse, der Smart natürlich – dass Daimler ein Komplettanbieter ist und jedes Segment versucht (oder versucht hat) zu bedienen, ist schon lange nichts ungewöhnliches mehr. Aber, es gab da eine Zeit, als man sich ausschließlich in den obersten Etagen der automobilen Rangordnung aufhielt. In den 1970ern gab es die S-Klasse, den Vorgänger der E-Klasse, den SL und den G natürlich – ja im Groben war’s das aber auch schon. Aber langsam reifte die Erkenntnis, dass das auf Dauer vielleicht ein wenig zu wenig sein könnte.

Also kam Projekt W201 ins Spiel. Der 190 E, wie wir ihn kennen, galt lange Zeit als Baby-Benz, weil er zwar durch und durch ein Daimler war, aber eben deutlich kleiner. Mercedes-Ingenieur Erich Waxenberger hatte aber nicht nur die neuen Dimensionen im Sinn. Sondern auch eine völlig neue Philosophie hinter dieser Baureihe: Wenn man schon in neue Segmente vorstößt, kann man das ja gut mit einer ungeahnten Sportlichkeit verknüpfen!

Jetzt muss dazugesagt werden, dass der Motorsport im Hause Benz seit den Fünfzigern im Dornröschenschlaf steckte. Der Horrorunfall von Le Mans mit seinen mehr als 80 Todesopfern ließ die Verantwortlichen in Schock erstarren und umdenken. Die Silberpfeile verschwanden im Museum, und die Sportabteilung löste man zumindest offiziell auf, wobei natürlich die wahren Racer im Heimlichen immer noch ihre Ambitionen verfolgten. Und so kam es, dass in den 1970ern der Rallyesport eine neue Blüte erlebte. Warum also probierte man nicht hier sein Glück?

Die Einsätze zum Ende des Jahrzehnts mit dem W123 und später 450 SLC 5.0 – natürlich unter der Leitung besagten Waxenbergers – dürfen also durchaus als erste Probeläufe für ein deutlich größeres Engagement gesehen werden, denn Stuttgart wollte definitiv die Weltmeisterschaft erringen. Da musste man natürlich ein wenig die Materialschlachten in freier Wildbahn erproben. Und auch erkennen, dass es im gesamten Sortiment des Hauses eigentlich kein wirklich passendes Fahrzeug gab, zumal sich am Horizont schon eine neue Klasse abzeichnete, die mehr technische Freizügigkeit zuließ als je zuvor: die Gruppe B.

So begab es sich, dass sich das Team rund um Erich Waxenberger die neueste Entwicklung näher ansah. Der W201 wäre im Prinzip schon ganz OK, hatte eine gute Gewichtsverteilung und eine schlaue Hinterachse, jedoch war er für echte Siegchancen aber immer noch zu lang und zu schwer. Die logische Konsequenz: Rein aus sportlicher Notwendigkeit heraus, baute man eine gekürzte Version mit einem Radstand von nur knapp über zwei Meter und einer Gesamtlänge von rund vier Metern – weiterhin aber mit längs eingebautem Motor und Heckantrieb!

Das hört sich jetzt alles ein wenig übertrieben an. Daimler war aber damals eine Firma, die grundsätzlich keine halben Sachen zuließ. Und wenn man schon den Entschluss fasste, offiziell in die Rallye-WM einzusteigen, sollte man alles in Bewegung setzen, den Titel auch wirklich gewinnen zu können. Die Entwicklung lief parallel zur 190er-Limousine, erste Prototypen hatten daher erst einmal die Heckklappe und Rücklichter vom W123 T-Modell verpasst bekommen, damit die Karosserie erst einmal für die Erprobung brauchbar war. Ja und dann ging es schon an die ersten Tests Anfang der 1980er. Um wirklich keine Fehler zuzulassen, verpflichtete man sogar Walter Röhrl, der damals eh gerade ohne Vertrag dastand und das solide Angebot der Stuttgarter dankend annahm.

Erste Tests sollen auch durchaus vielversprechend verlaufen sein, wobei man selbst bei Mercedes zwar viel planen und konstruieren kann – nicht aber das Rennglück. Röhrls Einschätzung auf die Frage, ob er denn garantieren könne, die Rallye Monte Carlo zu gewinnen, dass dies im ersten Jahr definitiv nicht möglich sei, ließ die Vorstände dann aber in kürzester Zeit kalte Füße bekommen und das ganze Projekt quasi über Nacht einstampfen – inklusive der Straßenversion der „Stadtwagen“ getauften Kurzversion des 190ers. Ungeklärt bleibt freilich die Frage, ob es dieser Vier-Meter-Stern mit zwei Sitzen tatsächlich zu einem Serienmodell geschafft hätte, oder ob man nicht doch nur die 400 Stück produzieren wollte, um die Homologation zu schaffen. Dass Röhrl dann während der Probeläufe auch noch einen schweren Unfall mit einem Lkw hatte, der mehr als nur glimpflich ausging, ließ das Projekt ohnehin nie unter einem guten Omen stehen.

Wie es dann weiter ging? Röhrl kam 1983 bei Lancia unter. Und die Idee des kompakten Sterns für die Stadt sickerte dennoch in die Tiefen der automobilen Welt. Auch zu einer kleinen Bude namens Schulz Tuning aus Korschenbroich in NRW, die den dann schon erhältlichen 190 E ab der C-Säule abschnitt und stattdessen Heckklappe und Leuchten des 124 T-Modells verbaute. Sogar die hinteren Türen schweißte man auf Wunsch zu, falls man lieber einen Dreitürer haben wollte. Und in einem Punkt war man der werkseigenen Interpretation des Stadtautos sogar voraus: Da man den Radstand unberührt ließ, gab es nach wie vor fünf Sitzplätze.

Um die eh schon viel zu lange Geschichte kurz abzuschließen: Schultz verkalkulierte sich ziemlich. Der Wagen namens „190 E City“ war zwar cool, aber viel zu teuer um sich auch nur irgendwie rechnen zu können. Entsprechend blieb die Zahl umgebauter 190er so überschaubar, dass man nicht einmal mehr weiß, wie wenige davon gebaut wurden. Und vom Stadtwagen gibt es zumindest noch einen überlebenden Prototypen der Zivilversion, die Daimler mittlerweile sogar herzeigt. Vom ehrgeizigen Rallyeprojekt fehlt jedoch jede Spur.

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