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Helden auf Rädern: Gilbern Invader

Flotte Keulen

Es gab tatsächlich einmal walisische Autos, wenn auch nur kurz. Die Geschichte der Gilberns ist erstaunlicherweise dennoch so lange und verworren wie hiesige Ortsnamen.

Roland Scharf

Vielleicht lag es am damaligen Tee oder dem dortigen Wetter, jedenfalls fühlten sich wirklich viele Glücksritter Anfang der 1960er-Jahre im Königreich dazu berufen, sich als Autohersteller verwirklichen zu wollen. Vor allem natürlich in England. Aber es gab auch einen Versuch in Wales, der zumindest ein paar Jahre durchhielt. Sein Name: Gilbern Cars Ltd. Der Ursprung: Pontypridd, ein verschlafenes Nest im Süden des Landes und zugleich Heimatort von niemand geringerem als Tom Jones.

Ob dieser Giles Smith kannte, den hiesigen Metzger? Leicht möglich, so groß ist dieses Kaff ja nicht. Jedenfalls war Smith durchaus von Autos angetan und wollte sich unbedingt von einem der zahlreichen Coach Buildern jener Zeit ein exklusives Einzelstück fertigen lassen. Bei einem davon traf er Bernhard Friese, seines Zeichens Ingenieur aus Deutschland, der nach dem Zweiten Weltkrieg auf der Insel blieb und sich hier ein neues Leben aufbaute. Schnell verstanden sich die beiden Herren und Friese riet Smith, keines der erhältlichen Bausätze zu erwerben. Viel schlauer wäre es, man würde etwas völlig eigenes kreieren.

Nach Monaten des Bastelns war man auf das Vehikel, ein knapp vier Meter langer Zweitürer, dermaßen stolz, dass man es unbedingt Peter Cottrell zeigen musste, einem Amateur-Rennfahrer, der damals in Wales ziemlich bekannt war. Und der meinte nach den ersten Proberunden: Das Auto ist viel zu gut, um es nur einmal zu bauen. Also reifte in Smith der Gedanke, neben seinem Fleischverarbeitungsbetrieb ein zweites Standbein aufzubauen: die Fertigung von Autos. Friese war natürlich gleich mit im Boot, und das Einzelstück verwendete man sogleich 1959 als Prototypen für das erste Modell der neuen Marke: den GT.

So leicht die Namensfindung war (Gilbern setzte sich aus den jeweiligen Anfangsbuchstaben der Vornamen zusammen), umso wilder war die Fertigung: Im Prinzip startete man im Hinterhof von Smiths Fleischerei. Die Karosserieteile mussten einzeln vom ersten Stock in den Innenhof geschleppt werden, wobei man nach wenigen Exemplaren ohnehin anfangen musste, größer zu denken. Die ersten Kunden bekamen nämlich nur einen Bausatz ohne Motor, Achsen und Getriebe, kombiniert mit der Empfehlung, man möge diese bitte selber beim nächsten BMC-Dealer besorgen und dann verbauen. Anfangs reichten die Teile des kleinen Austin A35. Später dann sattelte man immerhin auf den Antrieb des MGB um. Um aber mit Firmenkonditionen einkaufen zu können, waren die Stückzahlen bei Gilbern einfach zu gering.

Wie bei Kleinstserienherstellern seinerzeit üblich, bediente man sich auch sonst kreuz und quer an den großen Bausätzen etablierter Konzerne. Schnell wurde aber klar, dass man mit maximal 1,8 Litern Hubraum nicht die gewünschte Klientel erreichen konnte. Vorhang auf sieben Jahre später für den Gilbern Genie. Deutlich größer, eckiger und stärker war man auf dem richtigen Weg. Ford-Motoren mit sechs Zylindern und bis zu drei Litern Hubraum waren schon eine deutliche Ansage, wobei man nach wie vor auf MGB-Achsen vertraute, die an einem selbstgeschweißten Rahmen hingen. Irgendwie passte das Konzept aber nicht so ganz, dass man bereits 1969 den Nachfolger präsentierte: den Invader. Der war mehr oder weniger das gleiche Auto, zeigte sich aber deutlich verbessert. Dank MGC-Achsen (später nahm man die Vorderachse so wie den Motor vom Ford Cortina) und größeren Bremsen fuhr dieser Gilbern manierlich, hatte zudem viel Wurzelholz, elektrische Fensterheber und obendrein einen stattlichen Preis, womit wir schon beim grundsätzlichen Knackpunkt dieser Marke angekommen wären: der Rentabilität.

Technisch waren die Gilberns alle nicht übel. Es war aber unglaublich schwer, damit Geld zu verdienen. Wirklich Reserven hatte man bei Gilbern nie. Smith vertraute auf die Erfahrung, die er in seiner Fleischerei gesammelt hatte, wollte langsam wachsen und nie zu schnell die Produktion steigern und unnötige Verbindlichkeiten eingehen. Damit hatte man bei Gilbern zwar nie großartig Schulden. Aber man drehte sich halt auch am Fleck.

Gerade als man 1968 die Misere mit dem Genie erkannte und für die notwendigen Nachbesserungen frisches Kapital benötigte, kam das fragile Konstrukt von Smith und Friese endgültig ins Trudeln. Ace Capital Holdings Ltd., ein Spielautomatenhersteller, gehörte damals der Familie Collings, wobei gerade dessen Sohn Roger als großer Autofan wirklich dahinter war, etwas aus diesem Laden zu machen. Man stockte die Belegschaft auf das Dreifache auf, erweiterte die Produktionsräume, setzte sogar Smith und Friese als Direktoren ein. Dennoch verlor Smith das komplette Interesse und verließ das Unternehmen, während Friese noch versuchte, den Genie zum Invader umzukonstruieren.

Man setzte viel Hoffnung in den Neuankömmling, der 1969 in den Verkauf kam. Doch irgendwie wollte kaum mehr jemand anbeißen. Friese verließ ebenso kurz daraufhin das Unternehmen, vielleicht aus Selbstschutz, denn schnell machten sich echte Probleme bemerkbar. Das Chassis des Invader neigte zu Rissbildung und musste aufwändig umkonstruiert werden, wobei sich das die Collings eigentlich hätten sparen können. Nach der Einführung der Mehrwertsteuer befand man sich in der Zwischenzeit schon in der preislichen Liga eines Jaguar XJ6, der – so ehrlich muss man sein – schon ein ganz anderes Kaliber von Auto war. Also zog man 1972 die Reißleine: Für ein symbolisches Pfund veräußerte man Gilbern an Michael Leather – und machte damit ein gutes Geschäft. Lange war nämlich schon klar, dass die Einarmigen Banditen die Autosparte mitfinanzierten, Ace Capital machte also ohne Gilbern mehr Kohle als mit.

Damit der Deal zustande kam, bezahlte man sogar freiwillig die 90.000 Pfund an Verbindlichkeiten, die noch offen waren, und warum Herrn Leather dieses überaus attraktive Angebot nicht schon sehr suspekt vorkam, ist bis heute ein großes Rätsel. Um die restliche Geschichte mit all ihren Übernahmen, Kapitalaufstockungen und Wiederbelebungsversuchen bis zum bitteren Ende 1973 abzukürzen: Hätte man weiterhin auf kleiner Flamme agiert, so wie die Gründer schon, hätte Gilbern vermutlich viel länger überlebt. So aber ging auch dieser Kleinstserienhersteller mit dem Beginn der Ölkrise den gleichen Weg wie so viele seiner Schicksalsgenossen.

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