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Endspiel

Er hätte durchaus ein Erfolg werden können. Nur gestaltete sich nicht nur die Entwicklung zur Zerreißprobe. Auch der Abgang des Rover 75 hätte konfuser kaum sein können.

Roland Scharf

Man kann die Geschichte des 75 nicht ohne die von BMW und MG Rover erzählen. Von der Übernahme, die alles versprach und dann irgendwie sehr merkwürdig ausging. Oder sagen wir: Nicht ausgehen wollte, denn der 75 lebte länger als es eigentlich für ihn gesund gewesen wäre.

Jedenfalls begab es sich so, dass 1994 British Aerospace sich bereit erklärte, MG Rover von der britischen Regierung abzukaufen. Mit der Garantie, ein paar Jahre niemanden zu entlassen und auch nicht zu verkaufen. Man ahnt, was nach Ablauf dieser Frist kam: richtig, man veräußerte die Bude sofort wieder, und zwar an BMW, wo derzeit Bernd Pischetsrieder das Zepter führte, der zudem ein entfernter Verwandter von Alex Issigonis ist, dem Erfinder des Mini. Es klang eigentlich alles sehr vielversprechend. Und gerne sprach man auch nicht von Risiken, sondern ausschließlich von Chancen.

Die Vorzeichen waren also durchaus gut, auch wenn die Briten den Namen des neuen Herren im Haus kaum aussprechen konnten. Aber man hatte viel vor, und die Traditionsmarke Rover, die so lange dahindümpelte, wolle man mit neuem Leben zu etwas ganz Besonderem machen. Indes entdeckte man erst nach der Übernahme ein paar Schwierigkeiten. Es ging damit los, dass Rover sehr günstig Autos bauen konnte, dank des Joint Ventures mit Honda. Dieses fiel fortan natürlich flach, weswegen man also erst einmal viel Geld in die Hand nehmen musste, um ein neues Modell zu entwickeln: den 75.

Natürlich nahm man bewährte Komponenten aus dem BMW-Regal, dennoch sollte der Wagen ein typisch britischer sein. Also nahm man auch viel aus britischer Konstruktion, und hier prallten erst einmal Welten aufeinander. Die Ingenieure, die zwischen Birmingham und München pendelten, sprachen nämlich lange Zeit nicht die gleiche Sprache. Die einen berechneten im metrischen System, die anderen im imperialen. Viele Konstruktionen passten anfangs deswegen nicht, und alles umzuberechnen und erst einmal auf diese Probleme zu kommen, kostete viel wertvolle Zeit.

Das führte zu faszinierenden Detaillösungen. Nicht nur, dass sowohl metrische als auch zöllische Schrauben verbaut waren. Für einen möglichst reibungslosen Ablauf der Produktion konstruierte man sogar metrische Schrauben mit zöllischem Kopf, um an einem Exemplar die Mühen festzumachen, unter denen der 75 das Licht der Welt erblickte. Grundsätzlich aber plante man schon ein gutes Vehikel: Die Plattform hatte Frontantrieb, auf Wunsch aber war auch die Adaption auf Allrad vorgesehen.

Man legte viel Wert auf wichtige Details. Zum Beispiel, dass die Türen wie bei einem Safe ins Schloss fallen mögen. Oder, dass der Wagen auch optisch sofort als Rover zu erkennen sein sollte. Da aber setzten sich die Deutschen wohl ein wenig zu sehr durch, denn im Endeffekt sah der Wagen so aus, wie man sich in Bayern einen Rover vorstellte, aber nicht wie in England.

Altbacken war also ein leider recht passendes Wort, und dennoch freuten sich alle auf den Neuankömmling, den es als schnittige Limousine und als praktischen Kombi gab. Motoren waren vor allem Diesel mit vier Zylindern, die aber gut zu Auto passten. Aber irgendwie erkannte man das nur auf der Insel, und noch schlimmer: BMW verlor schlagartig – so scheint es – die Lust an der Tochtergesellschaft, und stieß sie im Jahr 2000 – also nur wenige Monate nach Verkaufsstart des 75 – bei gutem Wind wieder ab. Allerdings erst, nachdem man sehr clever verhandelt hatte und einen Kaufpreis von zehn britischen Pfund aushandeln konnte. Wie? Was? Z-e-h-n Pfund? Korrekt. Man muss aber dazu sagen, dass dieser Deal ein paar interessante Details enthielt.

Während der BMW-Herrschaft entstand am Stammsitz in Longbridge unter Rover-Regie die neue Generation des Mini. Diesen Schatz wollte man auf jeden Fall behalten, also verhandelte man mit den neuen Eigentümern – ein Konglomerat aus Investlern – aus, dass sie sich das große Werk und den 75 und den 45 und den 25 (beide noch auf Honda-Basis) behalten konnten. Aber Mini blieb bei BMW. Klang nicht so schlecht für einen Preis von zehn Pfund. Die Geschichte lehrt uns aber, dass die Bayern mit dieser Entscheidung goldrichtig lagen und keinesfalls schlecht pokerten, denn die Rover Group war schon vor BMWs Engagement fast hoffnungslos veraltet, zu groß und kaum zu sanieren gewesen. Man erkannte das aber erst im Laufe der Zeit. Es gab eine fragwürdige Ansprache des BMW-Chefs bei der 75-Präsentation 1998 in Birmingham, bei der er eher darüber redete, wie hoffnungslos es um die Firma stehe, als darüber, wie toll der neue Wagen denn nicht sei. Und damit war die Sache für den neuen Rover eigentlich schon geritzt: Wer möchte schließlich ein Auto kaufen, dessen Hersteller demnächst wohl den Bach runtergehen würde?

Das Timing war jedenfalls perfekt. Im Herbst 2000 lief der Ur-Mini nach 41 Jahren Produktion ohnehin aus. Also musste man keine unnötigen Altlasten mehr nach Oxford transportieren, von wo währenddessen alle 75-Produktionsanlagen nach Longbridge geschickt wurden. Dort legten die neuen Eigentümer recht unbekümmert los, ohne eigentlich viel Ahnung vom Autogeschäft zu haben. Interessant eigentlich im Nachhinein, dass sich keiner Gedanken machte, warum die Bude so dermaßen günstig zu haben war. Zumal man als zuckerl mit dem 75 ja ein praktisch brandneues Modell dazubekam. Bei den neuen Bossen fehlte aber nicht nur der Wille, Geld für Neuentwicklungen auszugeben. Man wollte viel lieber das Maximum an Gewinn herausholen und nicht noch mehr Kohle investieren. Also machte man stattdessen immer wildere MG-Versionen, die aber immer weniger erfolgreich waren. Und Sporteinsätze, die zwar tolle Partys auf die Piste brachten, aber keune nennenswerten Erfolge. Den Gipfel markierte schließlich der MG ZT-T, dem man den V8 des damaligen Mustang einpflanzte und auf Heckantrieb umrüstete. Klingt super, war aber gegen die PS-Eskalation zu Beginn der Nuller-Jahre aber ziemlich machtlos.

Zudem konnte man das viel zu große Werk in der Nähe von Birmingham nicht einmal ansatzweise auslasten. Mittlerweile war außerdem die komplette Produktpalette schon überfällig für eine Neuauflage, weswegen das kam, was kommen musste: Man verkaufte den ganzen Laden 2005 an die Chinesen. Und zwar so spontan und unter der Hand, dass zum Beispiel ein Team aus Ingenieuren, die mit dem x-ten Facelift des 75 gerade in Australien Ausdauerfahrten absolvierten, abends im Hotel informiert wurden und man ihnen mitteilte, sie mögen doch bitte die Autos stehen lassen und nicht mehr angreifen.

Zu der Zeit war der 75 schon fast zehn Jahre alt. Dennoch bekam er unter der neuen Führung wieder ein Facelift verpasst und wurde weiter angeboten. Kaufen wollte zu der Zeit in Europa den Wagen kaum mehr jemand. Aber in China vielleicht? In der Zwischenzeit montierte man die Anlagen, die schon einmal von Oxford nach Longbridge transferiert wurden, ab und verschiffte sie nach China, wo der 75 unter dem Markennamen Roewe auf dem Heimmarkt angeboten wurde – optisch ein wenig entstellt mit komplett neuer Front, aber dennoch im Kern ganz der Alte.

Der Abgang war dann so schnell und leise wie der Untergang der Marke Rover. Irgendwann lief die Produktion aus, so um 2010, wobei das ganz genau eigentlich niemand weiß. Und Longbridge? Ja, dieses Werk, das an die 100 Jahre die Heimat von Austin und dann Morris und dann eben Rover war, stand lange Zeit leer. Mittlerweile ist es aber komplett verschwunden. Genauso wie Rover.

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