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Der unfertige Traum

Die Geschichte des Traumautos Preston Tuckers ist mehr als ausreichend erzählt worden. Und dennoch bleiben ein paar unbekannte Details übrig, die einen Erfolg so oder so sehr unwahrscheinlich gemacht hätten.

Roland Scharf

Spätestens seit dem Jahr 1988 wusste jeder über jenen Mann Bescheid, der den großen Drei aus Detroit das Fürchten lehren wollte. Preston Tucker galt als Visionär und genialer Vermarkter, und man könnte ihn damit in eine Reihe mit Personen wie zum Beispiel Steve Jobs stellen. Bevor man etwas entwickelt, muss man schließlich erst einmal wissen, was genau eigentlich – und da kam Tucker Mitte der 1940er die geniale Idee: das Auto der Zukunft.

Der Plan war also durchaus legitim: In Zeiten der Mangelwirtschaft, in denen die großen Hersteller Vorkriegsmodelle neu auflegen mussten, weil Material und Ressourcen für Neuentwicklungen fehlten, war der Boden nahrhaft genug für Newcomer, die alles besser und besonderer machen wollten. Kaiser, Frazer Nash, Studebaker, die Liste ist erstaunlich lang, und hier musste sich Tucker natürlich irgendwie abheben. Schnell war klar, dass man nur mit neuem Design und frischen Modellen nicht anstinken konnte – und langsam normalisierte sich auch in Detroit das Geschäft wieder. Aber das Thema Sicherheit, das war der Dreh- und Angelpunkt, um den sich der Tucker 48 entwickeln sollte.

Tatsächlich galten Autos von damals vielleicht als zuverlässig oder haltbar, sicher aber nicht als sicher. Verkehrsunfälle endeten meist tödlich, und dass die frühen Statistiken keine höheren Zahlen aufwiesen, lag schlicht daran, dass es zu der Zeit einfach noch nicht so viele Autos auf den Straßen gab. Tuckers Ideen also: Sicherheitsgurte, oder Türen, die über die Dachkante überlappten und sich deswegen auch nach einem Überschlag noch öffnen ließen. Oder eine Frontscheibe, die nicht in messerscharfe Splitter zerbarst, sondern einfach aus ihrer verankerung ploppte. Oder ein Motor im Heck, wo er keinen Schaden anrichten konnte. All das wollte man noch mit Drehmomentwandlern an jedem einzelnen Hinterrad kombinieren, und mit einem Zehnliter-Sechszylinder-Boxermotor mit hydraulisch betätigten Ventilen, was zu der Zeit nicht einfach nur maßlos absurd war. In Anbetracht von Tuckers Budget war dieses Vorhaben auch mehr als unrealistisch.

Wo der nächste Haken auftauchen sollte. Wie finanziert man so ein Monsterprojekt eigentlich? Tuckers Idee: Kräftig die Werbetrommel rühren, ehe es noch ein fahrfertiges Auto gibt, den Hype wecken und dann mit Firmenanteilen ein Budget aufbauen. Zudem entlockte er Anteilsscheine von zahlreichen Händlern und auch Kunden motivierte man, vor dem Kauf des eigentlichen Autos schon Geld auszugeben, indem man Zubehör bereits verkaufte, ehe auch nur ein Serienmodell ausgeliefert werden konnte. Alles in allem also weder ein Betrug noch sonst eine Form illegaler Geldbeschaffung, und dennoch rief Tuckers Vorgehen die Behörden auf den Plan, denn zahlreiche Glücksjäger zu jener Zeit nutzten ähnliche Mittel, um sich Millionen zu ergaunern – sagen wir einmal, dass die staatliche Hand hier nur auf Nummer sicher gehen wollte.

Mit den rund 25 Millionen Dollar konnte man das Modell 48 im Prinzip fertig entwickeln, aber halt nicht ganz so, wie sich das der Visionär Preston vorstellte. Der erdachte Motor wollte nicht so laufen, wie man sich das vorstellte, das Kühlsystem kochte sogar über, als man mit dem Prototypen zur Präsentation auf die Bühne fahren wollte. Also musste man die ersten Abstriche machen. Man organisierte sich einen luftgekühlten Boxermotor, der eigentlich für einen Hubschrauber vorgesehen war und nur 5,5 Liter Hubraum hatte und verwendete ein ganz normales Getriebe. Die Umrüstung von Luft- auf Wasserkühlung verschlang auch noch etliche Dollar, wobei der größte Kostenfaktor nicht die Entwicklung, sonderns Tuckers viel zu große Visionen waren. Allein fünfzehn Millionen verschlang allein die riesige Fabrik in Chicago, in der vormals Kampfflugzeuge montiert wurden. Ja und die nicht enden wollende Marketing-Kampagne war natürlich auch nicht gratis.

Hätte man den 48 also wirklich bis zur Serienreife geschafft, wäre mit ziemlicher Sicherheit ein dickes Minus auf dem Konto gestanden, ehe auch nur ein einziges Auto verkauft worden wäre, aber größeres Unheil bahnte sich an. Währenddessen fingen die Behörden an, einen Fall aus der Tucker Motor Company zu stricken: Die Finanzierung konnte nicht mit rechten Mitteln zugegangen sein. Dass die Gerichtsverhandlung im Endeffekt mit einem Freispruch für Mister Tucker ausging, änderte nichts mehr an zwei Dingen: Am für immer beschädigten Ruf dieser Firma zum einen, das von den Medien – trotz des anfänglichen Hypes brutal in den Schmutz gezogen wurde. Und natürlich am hoffnungslosen Wirken der Firma an sich zum anderen, was das eigentlich größere Problem war.

Für das Thema Sicherheit interessierte sich in den 1950ern noch niemand. Klar gab es dauernd tödliche Unfälle. Aber vielmehr war es einfach die Zeit der andauernden Facelifts und Überarbeitungen, der chromblitzenden Heckflossen und des lockerleichten Lebensstils nach den entbehrreichen Kriegsjahren. Man war wieder wer. Man gönnte sich was. Man wollte Luxus. Jedes Jahr kamen neue Modelle auf den Markt, wofür GM, Ford und Chrysler einfach die finanzielle Schlagkraft hatten. Wäre der Tucker 48 (der Beiname Torpedo wurde so kurz nach dem Krieg schnell wieder ad acta gelegt) also tatsächlich einmal auf die Straße gekommen, hätte er mit Features geglänzt, die kaum ein Kunde spannend gefunden hätte. Hier war das futuristische Design eher das Zugpferd, das aber nur wenige Jahre nach der Lancierung schon wieder aus der Mode gewesen wäre.

Spätestens zwei, drei Jahre nach Marktstart hätte Tucker also schon nachlegen müssen. Realistisch wäre nach diesem Zeitraum aber erst einmal das Konto auf Null gewesen, im optimalsten Fall. Nachdem man bei Kunden und Händlerschaft dermaßen massiv in Vorleistung ging, hätte es weder Rückrufaktionen noch größere Pannenserien geben dürfen, was bei einer völligen Neukonstruktion zumindest möglich gewesen wäre. Zudem bleibt nach wie vor fraglich, ob das ungewohnte Antriebskonzept –Boxermotor im Heck – beim US-Mainstream gut angekommen wäre. Damals startete der Siegeszug des V8, the bigger the better, der 48 hätte es mit der immer stärker werdenden Konkurrenz also nicht leicht gehabt. Und sicher, der Käfer konnte damals mit diesem Antriebskonzept in den USA sehr gut punkten. Aber auch nur deswegen, weil er konkurrenzlos günstig war und deswegen nie mit den dicken Straßenkreuzern konkurrierte.

Der Tucker hingegen galt seinerzeit mit gut 4.000 Dollar Listenpreis als das teuerste Auto am Markt. Nicht einmal Cadillac traute sich, so viel für ihre Fahrzeuge zu verlangen, die ausgewiesene Luxusautos waren. Als das galt der 48 aber nicht einmal. Wie viele also tatsächlich zugegriffen hätten, bleibt offen, was den return of investment angesichts der gigantischen Investitionen noch mehr in den Bereich des Unmöglichen schiebt. Natürlich kann man knapp 80 Jahre später nur mutmaßen, was wirklich passiert wäre. Es klingt aber durchaus wahrscheinlich, dass der Firma spätestens Mitte der 1950er-Jahre die finanzielle Luft ausgegangen wäre. Aber das hätte auch eine positive Seite gehabt: Ralph Naders Feldzug gegen den Chevrolet Corvair, GMs Antwort auf Käfer und Co mit Heckmotor und Heckantrieb, führte Ende der 1960 schließlich zum Ende dieser Baureihe und einem generellen Umdenken in der Branche. Auf einmal waren Leistung und Luxus nicht mehr einzig wichtig. Das Thema Sicherheit kam endlich in Mode – 20 Jahre nach dem 48. Zumindest dieses unrühmliche Ende hat sich Preston Tucker mit seinem Traum zumindest erspart.

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