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Nur Murphy streikte nie

Der Austin Maxi war ein cleveres Auto. Gleichzeitig aber eines der besten Beispiele dafür, woran British Leyland zugrunde ging, auch wenn auf dem Papier alles so gut aussah.

Roland Scharf

Dass die britische Autoindustrie vor gut 50 Jahren massive Probleme an vielen Fronten hatte, weiß man. All die Streiks, Qualitätsprobleme, interne Querelen, das summiert sich einfach zu einer nicht enden wollenden Schlange an Imageproblemen, die nichts und niemand mehr ausbessern kann. Aber da gab es noch einen Punkt, der gerne vergessen wird: Missmanagement. Es bleibt natürlich die Frage, was darunter zu verstehen ist. Neue Modelle beauftragen, Budgets freigeben, Prämien kassieren – so schwer kann es ja nicht sein, eine Firma zu leiten, oder? Der Austin Maxi bietet sich fast schon erschreckend gut an, um zu zeigen, dass die richtige Strategie fast noch wichtiger ist als das beste Produkt. Und um das wirklich verstehen zu können, muss man schon bei den Vorgängern anfangen, und dem Austin 1800.

In den 1960ern produzierte BMC den Austin Cambridge und den Morris Oxford, zwei konservative, etwas biedere Mittelklassemodelle in der Optik und mit der Technik der 1950er-Jahre. Die bekamen nur drei Jahre nach ihrer Markteinführung massive Probleme durch den Ford Cortina, der vielleicht nicht alles besser konnte, aber einfach um Welten cooler aussah. Das BMC-Management erkannte das Problem schon früh und wusste, dass man hier schnell eine Lösung finden musste, und vertraute diese Aufgabe ihrem besten Ingenieur an: Alec Issigonis.

Der Vater des Morris Minor und des Mini galt als Genie, und natürlich redete man ihm bei der Konzeption des neuen Autos so weit wie mögich nicht drein. Issigonis‘ Ansatz, möglichst minimalistische Fahrzeuge zu konstruieren, war vor allem bei Mini zwar ein großer Erfolg. Hier aber ging es um deutlich teurere Fahrzeuge, bei denen es doch um Dinge wie Ansehen und Luxus ging. Die Probleme nahmen also auf dem Zeichenbrett ihren Lauf. Der 1800 war von den Proportionen her etwas völlig anderes als alles, was es Mitte der 1960er zu kaufen gab. Der riesige Radstand gewährleistete einen gewaltigen Innenraum, und die kurzen Überhänge brachten ihn in Kombination mit den Glubschaugenscheinwerfern schnell den Spitznamen Landkrabbe ein. Das Platzangebot und Fahrverhalten waren konkurrenzlos, das Publikum indes tat sich damit aber eher schwer. Das Konzept des Minimalismus galt eher als Abschreckung, und das spartanische Cockpit ließ die Besitzer daran zweifeln, ob sie hier wirklich in einem doch recht teuren Fahrzeug saßen.

Das Management handelte also rechtzeitig, aber nicht ganz richtig. Das erkannte man immerhin. Und da die Zeit nun noch knapper wurde, entschied man sich schnell, einfach noch ein Auto in Auftrag zu geben, das direkt mit dem Cortina konkurrieren sollte. Bis dahin blieben Cambridge und Oxford einfach weiterhin in Produktion, die Krabbe (und das verbrauchte Entwicklungsbudget) vergaß man einfach schnell wieder und begann nur ein Jahr später mit der Entwicklung. Auch hier galt es, möglichst viel Innenraum zu bieten, nun aber auf einer deutlich kleineren Grundfläche. So weit, so gut.

Der Radstand wurde wieder maximal gewählt, dass die Räder – ähnlich wie beim Mini – praktisch an den äußersten Enden der Karosserie stehen sollten. Um Kosten zu sparen, entschied der damalige BMC-Boss dann aber, die Türen des 1800ers einfach weiterzuverwenden, was abseits der kurzfristigen Kostenersparnis aber ganz neue Probleme bescherte: Zum einen waren sie eigentlich für einen Kompaktwagen viel zu groß. Und zum anderen gaben die Türen automatisch auch die Grundlinien der Karosserie vor, wie steil die Windschutzscheibe zu stehen hat, das Heck aussehen soll, und so weiter. Zudem waren sie zu dem Zeitpunkt schon knapp fünf Jahre alt – was die Designer vor eine unlösbare Aufgabe stellte: Wirklich modern wird der Neue damit nie aussehen können.

Dem nicht genug, musste aufgrund dieser Vorgabe der Radstand sogar noch einmal erweitert werden, was der Vorstand natürlich gerne genehmigte, was zwar zusätzliche Unsummen verschlang, aber so die eigenen Fehlentscheidungen recht gut übertüncht werden konnten. Und weil man durch den genialen Schachzug mit den Türen ja so viel Geld gespart hat, poppte spontan auch noch die Idee auf, dass der neue, alt aussehende Wagen ja auch gleich einen neuen Motor brauchen könnte.

Die sogenannte E-Series sollte den guten alten B-Series-Motor ersetzen, der damals praktisch alles antrieb, was bei der British Motor Corporation von den Bändern lief. Man gab sich größte Mühe, rüstete auf obenliegende Nockenwelle um und stampfte sogar eine neue Fabrik aus dem Boden. Als Alec Issigonis, mittendrin in der Entwicklung des neuen Wagens, davon aber Wind bekam, musste er schnell sein Veto einlegen. Nach wie vor stand Minimalismus ganz oben auf seiner Agenda. Das neue Triebwerk sei für das neue Modell seiner Meinung nach einfach viel zu stark. Besser wäre es, daraus einen Sechszylinder mit 2,2 Litern Hubraum abzuleiten für größere Modellreihen. Daraus ergab sich dann aber automatisch ein Hubraum für die Vierzylinder-Version von nur 1,5 Litern. Issigonis war so mächtig im Konzern, dass er das tatsächlich durchsetzen konnte. Und die Führungsriege sagte lieber nix – man wollte nicht den Abgang ihres besten Mannes riskieren.

Als die ersten Versuchstriebwerke dann endlich fertig waren und in die Prototypen des Maxi getauften Cortina-Gegners wanderten, kam man aber recht schnell drauf, dass die gebotene Leistung einfach viel zu wenig war. Das mag für Issigonis zwar OK so gewesen sein. Schnell machte man sich aber ernsthafte Sorgen über die Akzeptanz der Kunden. Der B-Series hatte ja immerhin 1,8 Liter und deutlich mehr Drehmoment. Also ging man erneut an den neuen Motor und erweiterte für Millionen an Pfund den Hubraum auf exakt 1.750 Kubikzentimeter.

Mittlerweile war die Entwicklung schon einige Jahre im Laufen, und eigentlich sollte der Maxi bald Mal auf den Markt kommen. Dennoch galt es jetzt noch, ein neues Getriebe zu konstruieren, wobei man hier sogar über sich hinauswuchs. Serienmäßig gab es fünf Gänge, was damals noch nicht einmal Sportwagen hatten. Und geschaltet wurde über Seilzüge – eine Technik, die erst 30 Jahre später zum Industriestandard werden sollte. Was konnte da also noch schief gehen? Zum Beispiel, dass alles halt auch funktionieren sollte, aber bis zur Markteinführung sollte noch eine andere Kleinigkeit dazwischen kommen.

1968 wurde BMC nämlich zu British Leyland, was das Management vor ganz neue Aufgaben stellte. Hier trafen zwei Lager aufeinander, die ziemlich verfeindet waren. MG gegen Triumph, dazu noch Austin gegen Morris, dieses Match reichte bis zu den Händlerbetrieben, die auf einmal auch die Modelle der Konkurrenz verkaufen sollten, weil sie ja nun alle unter einem Dach waren. Der frischgebackene BL-Boss meinte über den Maxi jedenfalls, dass der Maxi in der Mittelklasse genau so viel Einfluss haben wird wie der Mini bei den Kleinwagen, was bei den Kollegen der neuen Schwesterfirmen natürlich wie eine Kriegserklärung geklungen haben muss. Dass die Führungsriege in Anbetracht dessen beschloss, den Austin Maxi in Cowley bei Morris fertigen zu lassen, dürfte der Motivation der Fließbandarbeiter, möglichst gute Qualität abzuliefern, wohl auch nicht sonderlich geholfen haben.

So oder so beschloss man, da der Maxi ja nur mehr als Austin gebaut wurde (früher labelte man ein Modell auf fünf Marken einfach um), ihn ohne jegliches Markenemblem auszuliefern. Quasi aus reiner Notwehr, damit sich keiner auf den Schlips getreten fühlte. Nur ein schüchternes BL-Emblem sollte auf das gemeinsame Lager hinweisen, was aber den Anschein erweckte, die Mutterfirma möchte mit ihrem jüngsten Kind am Besten nichts mehr zu tun haben – und das noch vor dem offiziellen Verkausstart.

1969 kam der Maxi endlich zu den Händlern, in einer echten Hauruck-Aktion, die den Entwicklern einfach viel zu schnell ging. Man wusste, dass der Wagen noch lange nicht ausgereift war. Aber was hätte man tun sollen? Dank der Erblast-Türen des 1800er sah er eh schon aus, als wäre er ein fünf Jahre alter Gebrauchter. Und so präsentierte man der Fachwelt schlussendlich ein Auto, mit dem eigentlich niemand zufrieden war.

Dass die ersten Kunden am Anfang die Landkrabbe und den Maxi verwechselten, war dabei noch das geringste Übel. Eher ärgerten sich viele über die zahllosen Kinderkrankheiten, für die stellvertretend die Seilzug-Schaltung stehen soll. Fünf Gänge schön und gut, aber es gelang einfach nie wirklich, auch nur einen davon exakt zu treffen. Das wurde dann erst wirklich ärgerlich, als herauskam, dass die BMC-Führung von dem Problem wusste, den Wagen dennoch so freigab. Schnelles Handeln war also wieder einmal notwendig, und so gab es nur ein Jahr nach der Präsentation eine erste Modellpflege. Hierfür engagierte man trotz Geldknappheut für viel Kohle extra den Ford-Chefdesigner Ron Haynes, aus dessen Feder auch der damals brandneue Cortina entsprang. Bei aller Motivation und Liebe blieb dem guten Herren beim Maxi aber nur eine sehr eingeschränkte Handlungsmöglichkeit. Immerhin der Kühlergrill wirkt nun spitzer, markanter, sogar ein wenig Ford-hafter, unkten einige. Aber den großen Rest des Wagens konnte auch er nicht schönzeichnen.

Kurioserweise wurde nämlich eines der größten Alleinstellungsmerkmale des Maxi zum Design-mäßigen Albtraum: die riesige Heckklappe. Auflage war, dass der Wagen ja nicht wie ein Kombi aussehen durfte. Gleichzeitig drängten die eckigen Türen des 1800 aber eine kantige Heckform geradezu auf, womit als traurige Notlösung diese Quasi-Stufe am Heck entstand. In Kombination mit dem viel zu langen Radstand für ein so kurzes Auto ergab das einen stets plumpen Auftritt, an dem auch Haynes absolut nichts ändern konnte. Aber technisch konnte man zumindest ein wenig wiedergutmachen, verpasste dem Wagen ein hübscheres Armaturenbrett und rüstete auf konventionelles Schaltgestänge um – weit weniger innovativ, aber es funktionierte. Ein trauriges Beispiel dafür, dass man sich gewaltige Entwicklungsbudgets hätte ersparen – oder besser einsetzen können.

In der Zwischenzeit passierte unausweichlich das, was viele schon befürchtet hatten: In der Bevölkerung war der Ruf des Maxi schon lange ruiniert. Keine Detailverbesserung konnte daran mehr etwas ändern. Und auch nicht das revolutionäre Konzept, das in diesem Chaos leider völlig unterging. Denn geht es rein um die Platzausnutzung, war der Maxi mehr als wegweisend. Die Heckklappe nahm praktisch die gesamte Fahrzeugbreite ein, was eine riesige Ladeluke ergab. Der lange Radstand ermöglichte zudem einen ebenen Ladeboden, und wer alle Sitze – auch die vorderen – umlegte, erhielt sogar eine komplette Liegefläche – gerade im Camperland England eigentlich ein unschlagbares Verkaufsargument.

Dass der Maxi dennoch bis 1980 im Programm, grenzt fast an ein Wunder. Ob man irgendwann dann doch einmal damit Geld verdiente oder schlicht darauf vergaß, ihn rechtzeitiger aus dem Programm zu nehmen, lässt sich heute nicht mehr beantworten.
Zumindest war der Maxi nicht der einzige, dem man das Image des Verstoßenen aufdrückte. Auch der glücklose Princess musste ohne Markenemblem auskommen, ebenso der Mini, wobei der einfach eine solche Strahlkraft entwickelte, dass sich daraus automatisch eine eigene Marke entwickelte – ohne dass der Vorstand das auch nur irgendwie geplant gehabt hätte. Für den Maxi bedeutete das alles in allem jedenfalls ein Image, das entweder schlecht oder gar nicht vorhanden war. Und das, obwohl er das Konzept praktisch jeden modernen Autos vorweg nahm.

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