Elektrisch campen; geht das? | 13.06.2022
Reiseweite statt Reichweite
Camping ist so populär wie nie. Klar, dass auch hier der Ruf nach Elektrifizierung laut wird. Wir stellen Konzepte verschiedener Art vor. Dennoch heißt’s: schön langsam.
Mag. Severin Karl
Rom wurde nicht an einem Tag erbaut und so müssen sich auch Campingfans, die am liebsten heute schon bei voller Auswahl lokal emissionsfrei in die Natur reisen wollen, etwas gedulden. Die E-Campingbranche ist noch ein zartes Pflänzchen, doch erste Triebe wirken vielversprechend und die Ansätze sind ganz unterschiedlich.
Sortimo baut EqV um
Soll es ein BEV, PHEV oder ein E-Fahrzeug mit Range Extender sein? Mercedes setzt auf Ersteres und lässt den EQV von der Schweizer Firma Sortimo Walter Rüegg AG supermodular umrüsten. Schon ab Werk werden grundlegende Ansprüche mit der optionalen Dreier-/Sitzliegebank erfüllt. Wer entsprechende Aufpreise hinlegt, kann die eidgenössische Kur auf Aufstelldach mit Dachbett, Multifunktionsbox mit Schlaf- und Kücheneinheit sowie Solarpanels mit in Summe rund 400 Watt Leistung ausdehnen. Leichtbauweise wird grundsätzlich groß geschrieben, man will die Ladesäule ja nicht öfter als nötig ansteuern. Wer den EQV 300 mit der 90-kWh-Batterie als Basis wählt, darf mit 326 bis 363 Kilometer Reiseweite rechnen. Beim EQV 250 (Batteriekapazität 60 kWh) werden die Trips entsprechend kürzer oder die Ladestopps häufiger. Er kommt 213 bis 236 Kilometer weit. Die Solarpanels laden sowohl die Starterbatterie als auch die Zusatzbatterie für den Campingbetrieb. In der Küche finden sich zwei gasbetriebene, herausnehmbare Kochfelder, eine Kühlbox sowie Schubladen für Besteck, Kochzubehör und Vorräte. Ist das Schlafsystem zusammengefaltet, muss man auf den Fondsitzen keine Abstriche beim Platz machen. Ganz einfache Dinge, die im Alltag unterwegs aber Sinn machen, bietet der Camping-EQV ebenso. Verdunkelte Scheiben hinten nehmen der Sonne ihre Blendwirkung, zudem können Fremde nicht so leicht hineinblicken. Innenraumbeleuchtung gehört auch hinten dazu, mit integrierten USB-Buchsen lassen sich allerhand Geräte aufladen, die Sitze für Fahrer und Beifahrer lassen sich schließlich drehen. Damit werden gemütlichere Konstellationen möglich.
Knaus mit Range-Extender-Studie
Knaus Tabbert gehört zu den führenden Herstellern von Wohnmobilen. Die Bayern haben eine Studie auf die Räder gestellt, mit der sich bereits erste Erfolge eingestellt haben: Der Knaus E.Power Drive wurde Mitte Februar mit dem „European Innovation Award“ ausgezeichnet. Wer hört, dass es das erste vollelektrische Reisemobil des Herstellers ist, denkt wahrscheinlich an riesige Batteriepacks, doch es sind 35 kWh Kapazität. Ein Range Extender (Rex) in Form eines Wankelmotors sorgt dafür, dass das voll geladene Fahrzeug nach 90 rein elektrischen Kilometern weiter Richtung Ziel stromert. Neben dem Aufladen der Fahrbatterie kann der fest an einen Generator gekoppelte Rex auch direkt Strom für den Antriebsmotor liefern. Mit einem DC/AC-Wandler wird zudem Energie (230 Volt) für den Wohnbereich geliefert. „Fünf Tage unabhängiges Caravaning sind möglich“, hört man von den Entwicklern. Statt dem Wankel will man in Zukunft eine Brennstoffzelle einsetzen, auch an der Gewichtsbilanz wird gefeilt. Nichts Genaues weiß man nicht, aber auch vom neuen VW Multivan eHybrid soll es künftig Campingvarianten geben. Der Plug-in-Hybrid (E-Reichweite bis 50 Kilometer) mit 6-Gang-DSG bietet eine Systemleistung von 218 PS (315 Nm), außerdem soll ein Allradmodell folgen.
Ein paar Jahre dauert es noch
Dethleffs arbeitet an einem Caravan mit E-Antrieb. Es gibt aber gesetzliche Hürden. Mit der E.Home Alpen Challenge im Sommer 2021 hat Dethleffs (gemeinsam mit der Erwin Hymer Group und ZF) bereits vorgeführt, wie praktisch ein elektrisch angetriebener Caravan für Elektroautos ist: Der Eigenantrieb kann den höheren Energieverbrauch des Zugfahrzeugs kompensieren, man darf auch auf der Urlaubsfahrt mit der gewohnten Reichweite rechnen. Dazu kommt die erhöhte Sicherheit dank des tiefen Schwerpunkts und dem sicheren Geradeauslauf. Sechs Stunden und zwölf Minuten brauchte das Team bei der Challenge, um ohne Nachzuladen von Isny im Allgäu nach Riva am Gardasee zu gelangen.
Ein großer Stolperstein auf dem Weg zur Serienreife ist die Gesetzgebung. Was in den USA schon möglich ist, ist für Europa nicht geregelt, denn bei uns muss ein Anhänger immer gezogen werden. Eigener Antrieb? Wer kommt denn auf solche Ideen! Technische Angaben für die Homologation fehlen daher völlig, niemand weiß, welche Features (ABS etc.) der E.Home-Caravan braucht, um zugelassen zu werden. Doch es gibt schon Arbeitsgruppen dafür, hören wir von Dethleffs, in drei bis fünf Jahren sollen gesetzliche Möglichkeiten da sein, um das Konzept auf den Markt zu bringen. Bis dahin arbeitet man beim Prototypen mit zwei 40-kWh-Batterien noch am Gewicht, nicht zuletzt, um die Zuladung zu erhöhen. Auch wird eine gesetzliche Toleranz für Elektrofahrzeuge angestrebt: Nachdem die Antriebsbatterie so viel wiegt, soll dies nicht (zur Gänze) bei der Zuladung zum Tragen kommen.