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Es ist schwer, beim Tesla Model S Plaid nicht in Superlativen zu verfallen. Allein die Daten sind immerhin nicht weniger als exakt das. Es ist gar nicht allzu lange her, da war derartige Leistung nur Fahrzeugen vorbehalten, die entweder „gerade noch“ eine Straßenzulassung bekamen, oder gleich für den reinrassigen Rennsport-Einsatz gedacht waren. Doch wie genau lässt es sich diesseits der Reifenstapel mit Power leben, die selbst jenseits davon grenzwertig ist?

Johannes Posch

Die kurze und knappe Antwort: ausgezeichnet. Es mag an der gewissen Abhärtung der Nackenmuskulatur durch die doch zahlreichen, kräftigen E-Autos liegen, die man als Autojournalist zwangsläufig über die Jahre so in die Fittiche bekommen hat, doch am Ende des Tages fühlt sich die Fahrt in einem Tesla Model S Plaid nie wie ein übertrieben wilder Ritt auf der Kanonenkugel an. Man verstehe bitte nicht falsch: Beim ersten Test des Ampelstarts im Dragstrip-Modus, für den sich der Wagen übrigens 30 Minuten Vorbereitungszeit erbat, um alle Komponenten in ideale Betriebstemperatur zu bringen, kamen diverse Worte über die Redakteurslippen, die mangels Age-Gate hier jetzt nicht rezitiert werden. Und ja: Als auf der Autobahn im Plaid-Modus das Ende einer 80er-Beschränkung mittels Kickdown zelebriert wurde, hatte das nachhaltig Nackenschmerzen zufolge. Kurzum: Das Beschleunigungsvermögen des Plaid kann nicht nur jenes seiner Vorgänger, sondern auch das eines Porsche Taycan Turbo S toppen. Hier die volle Leistung abzurufen ist im wahrsten Sinne des Worts atemberaubend und, ohne groß übertreiben zu wollen, für so manchen wohl eigentlich schon gesundheitsgefährdend.

Hat man seinen Stromfuß allerdings unter Kontrolle, oder fährt im Alltag sicherheitshalber gleich in einem der beiden lässigeren Fahrmodi herum, bleibt auch der Plaid ein komfortables, genussvolles Reisemobil. Und ein überraschend effizientes noch dazu. Unsere genormte Testrunde attestierte dem Kalifornier am Ende einen Verbrauch von 18,8 kWh pro 100 km. Gerade einmal 0,1 kWh mehr als laut WLTP. Und das wohlgemerkt auf Winterreifen, bei 2 Grad Außentemperatur, Nieselregen und – um das noch einmal zu betonen – bei einer Maximalleistung von 750 kW, bzw. 1.020 PS in alter Währung, und gemunkelt (es gibt keine offizielle Angabe) über zu 1.400 Newtonmetern Drehmoment.

Damit ist das Model S Plaid nicht nur am Papier, sondern auch tatsächlich ein Auto, das dank üppigen 600 Kilometern WLTP-Reichweite, dichtem Supercharger-Netzwerk und bis zu 250 kW maximaler Ladeleistung, was sich in 322 km Reichweite in 15 Minuten hochrechnen lässt, etwaige Reichweitenangst gut in Zaum zu halten weiß.

Feuer frei!


Aber seien wir ehrlich: Wem hohe Reichweite wichtiger als alles andere ist, der wäre mit einem „normalen“ Model S, das ja immerhin auch nur etwas über 3 Sekunden auf Hundert braucht, besser beraten. Wer hingegen auf den Spaceballs-Aufkleber am Heck wert legt, der sollte jetzt genauer weiterlesen: Das Menü für die Fahrzeugeinstellungen hält neben dem angesprochenen Dragstrip-Modus auch noch andere Schmankerl bereit. Etwa einen Track-Modus, der Kraftverteilung, Torque-Vectoring, Kühlung und Traktionskontrolle auf minimale Rundenzeiten zuspitzt, sowie einen Drift-Modus, der wiederum genau das bewirkt, was man dahinter vermutet: Deaktivierte Traktionskontrolle und alle Leistung auf die beiden, jeweils 309 kW starken Motoren an der Hinterachse. Da möchte man kein Hinterreifen sein. Wem das alles jedenfalls im Detail nicht passt, der wird sich freuen zu lesen, dass man sich auch einen eigenen „Spezialmodus“ zusammenzimmern kann. Inklusive granularer Verteilung der Kraft zwischen vorn und hinten, fein justierbaren Traktionseingriffen und mehr. Da bleiben keine Hooning-Wünsche offen …

Knöpfe? Höchstens am Körper


Doch das Plaid-Modell ist ja nicht nur dank seines neuen Drei-Motoren-Layouts, das uns diese Wahnsinns-Leistung beschert, so ein bemerkenswertes Auto, sondern weil mit seiner Markteinführung auch der neuste Modelljahrgang des Model S und X ganz allgemein am heimischen Markt eingeführt wird; was im gleichen Atemzug die Wiedereinführung der Modelle an sich bedeutet, waren sie doch jetzt eine ganze Weile nicht bestellbar. Jedenfalls bringt eben jenes Modelljahr tiefgreifende Änderungen mit sich: Das neue Infotainment-System samt neuer Bedienlogik und das Yoke-Lenkrad nämlich. Beides greift freilich nahtlos ineinander, wobei das spacige Lenkrad entgegen der neuen Zentralelektronik optional ist. Es kann also auch ein konventionelles, rundes Volant geordert werden. Und just dazu würden wir auch entschieden raten. Nachdem man bei Tesla nämlich davon absah, bei der Gelegenheit auch gleich ein Steer-by-Wire-System einzuführen, über das der maximale Lenkeinschlag geschwindigkeitsabhängig z. B. auf 180° pro Richtung hätte beschränkt werden können, muss man hier beim Rangieren oder engen Abbiegen – wie gewohnt – umgreifen. Der Haken: Dabei greift man oft ins Leere, was gegebenenfalls zu brenzlichen Situationen führen könnte.

Auch gewöhnungsbedürftig, aber keineswegs negativ auffällig war hingegen, dass Tesla bei seinem Bestreben nach möglichst cleanen Cockpits jetzt auch die Lenkstockhebel wegrationalisiert hat. Blinker, Lichtsteuerung und Co. sitzen jetzt also, wie etwa bei Lamborghini auch, am Lenkrad. Das verlangt etwas Eingewöhnungszeit, da es sich zudem um kapazitive Flächen handelt und man daher genau zielen muss, geht aber rasch gut von der Hand. Ebenso übrigens wie die Tatsache, dass man die Fuhrstufe nun über einen Slider am Hauptscreen wählt. Hierfür gibt es aber freilich ein Backup: sollte besagter Screen nicht zur Verfügung stehen, können die Fahrstufen über sodann auftauchende Flächen unter den beiden induktiven Ladeschalen gewählt werden. Beides – blinken übers Lenkrad und Fahrstufen wählen via Screen – geht aber auch deswegen gut von der Hand, weil Tesla auf schlaue Lösungen zur Automatisierung gewisser Aktionen setzt. Der Blinker etwa deaktiviert sich eigenständig, sobald der Wagen über seine Sensoren erkannt hat, dass das via Blinker wohl angedeutete Manöver beendet ist. Also beispielsweise ein Spurwechsel. War der Wagen hingegen geparkt und wird in Betrieb genommen (Annähern, Einsteigen, Anschnallen und auf die Bremse steigen reicht dafür), schlägt der Wagen auf Basis der Umgebung gleich vor, ob vorwärts oder rückwärts fahren angebracht wäre. Hier braucht man also gar nicht erst die Fahrstufe selbst einlegen, sondern kann tatsächlich direkt losdüsen.

Ladepause: Achievement unlocked


Doch zurück zum Infotainment-System. Auch das ist neben der tadellosen Verarbeitung, dem niveauregulierbaren Luftfederfahrwerk und der feinen Materialauswahl nämlich mit ein wichtiger Baustein für die hohe Wohlfühlatmosphäre im Interieur; unterwegs ebenso wie im Stand. Nicht nur gehört es in der alltäglichen Bedienung zu einem der schnellsten, die wir je in einem PKW erlebt haben, es ist auch rein technisch unverschämt flott. Tatsächlich erlaubt ihm die verbaute Rechenpower ein Duell auf Augenhöhe mit aktuellen Videospiel-Konsolen wie der Playstation 5 oder Xbox Series X. Zocker dürfen sich passend dazu über die Unterstützung von aktuellen, kabellosen Gaming-Controllern ebenso freuen wie über die Implementierung von Valves PC-Spiele-Plattform Steam; obgleich diese zum Testzeitpunkt leider noch im Beta-Stadium war und einige Mätzchen machte. Ob das aktuelle FiFA, Call of Duty oder The Witcher 3, mit Next-Gen-Patch samt Raytracing, also tatsächlich auf einem Model S Bordcomputer läuft, muss erst der fürs weitere Jahr geplante, ausführliche Test des Autos zeigen.

Deutlich relevanter für den Alltag ist, dass all dieser Speed die Bedienung auf dem mit 2200 x 1300 Pixeln knackscharf auflösenden 17“-Screen, der zudem nach links oder rechts geneigt werden kann, zu einem echten Vergnügen macht. So sehr, dass wir hier zu keiner Minute – wie sonst so oft – haptische Bedienelemente für die Lautstärke oder Klima-Steuerung vermisst haben. Immerhin ist hier alles Relevante immer im Blick, immer beleuchtet, immer schnell zugänglich und immer intuitiv bedienbar. Software können sie halt, die Jungs und Mädels bei Tesla.

Wobei, Hardware auch. Zumindest, solang es sich um die Eingeweide eines E-Autos handelt; Spaltmaße und Übergange bei der Außenhaut des Model S sind auch nach über 10 Jahren nicht auf dem Niveau der alten Autohersteller-Garde. In Sachen Cleverness bei der Plattform-Konstruktion und damit einhergehender Raumausnutzung hingegen können sich alle anderen Hersteller nach wie vor eine große Scheibe bei Tesla abschneiden. Trotz flacher Silhouette, 100 kWh fassender Akkus, drei Motoren und jeder Menge Luxus wie induktivem Handyladen auch auf der Rückbank, Sitzlüftung vorn und -Heizung auf allen fünf Plätzen, eigenem 9,4 Zoll Screen für die zweite Reihe und einem fantastisch klingenden Soundsystem mit 960 Watt und 22 (!) Boxen an Bord, bietet das Model S üppige 793 Liter Ladevolumen, aufgeteilt auf einen gut nutzbaren Kofferraum samt ordentlichem Unterflurfach und einen Frunk, der locker genug Platz für alle Ladekabel bietet, die man so mitführen möchte; oder das Gepäck für einen Wochenendausflug, wenn der Kofferraum beispielsweise mit Fahrrädern blockiert ist. Nicht, dass man nicht auch Dachträger oder eine Anhängerkupplung nutzen könnte. Apropos: bis 1.600 kg Anhängelast sind auch nicht zu verachten.

FAZIT

Egal ob man vor dem Model S Plaid steht, drin sitzt, damit fährt oder neugierigen Passanten Rede und Antwort steht: Der Gedanke, dass dieses in seinen Grundfesten mittlerweile über 10 Jahre alte Auto auch heute noch eines der innovativsten und effizientesten Fahrzeuge am Markt ist, ringt Bewunderung ab. Fast noch mehr als die Tatsache, dass es gleichzeitig auch das beschleunigungsstärkste Straßenfahrzeug ist - je nachdem, ob man den Rimac Nevera jetzt als "Straßenfahrzeug" sieht, oder nicht. Fest steht: Die schiere Kraft des Autos verschiebt nachhaltig die Grenzen dessen, was man im Autokontext unter "schnell" versteht. Gleichzeitig macht Tesla mit dem neuen Model S und X einen weiteren, großen Sprung in Sachen Infotainment und liefert auch hier eine der besten Lösungen am Markt ab. Einzig das Yoke trübt den ansonsten trotz komplett abgeschaffter Knöpfe guten Eindruck von der Bedienung; aber das ist ja zum Glück optional.

Technische Daten (Herstellerangaben):

   Tesla Model S Plaid
Leistung | Drehmoment  1020 PS (750 kW) | k.A.
0–100 km/h | Vmax  ca. 2,3 s | 282 / 322* km/h
Getriebe | Antrieb  1-Gang aut. | Allrad
Reichweite (max.) | Batterie  600 km (WLTP) | 100 kWh
Ø-Verbrauch  18,7 kWh/100 km (WLTP)
Ladedauer DC (10-80%)  30 min (max. 250 kW)
Leergew. | zul. Gesamtgew.  2.162 kg | 2.629 kg
Kofferraum | Zuladung  793 L | 433 kg
Garantie Fahrzeug | Batterie  4 J. / 80.000 km | 8 J. / 240.000 km
Basispreis  ab 138.990,- (inkl.)
*: mit zukünftigem Hardware-Upgrade
 

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