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Alles neu in der Formel 1...

Die große Saisonvorschau 2003: Teil 1 – Über die umfassenden Regeländerungen in der Königsklasse...

Michael Noir Trawniczek

Die Regeländerungen in der Formel 1 – was dem Sport eigentlich dienlich hätte sein sollen, wurde nach einer Reihe von immer wieder von der FIA und deren Präsident Max Mosley gewaltsam nachgereichten weiteren Regelinterpretationen zu einem komplizierten und teilweise wenig durchschaubaren Regelwerk, welches regelmäßige Proteste und Entscheidungen auf dem geliebten „grünen Tisch“ zur Folge haben könnte. In seiner Ursprungsform begeistert begrüßt, stellt das aktuelle, modifizierte Reglement zwar sicher die Startaufstellung auf den Kopf – ob manche der Maßnahmen jedoch wirklich dem Sport dienen werden, ist leider zu hinterfragen...

Wie es zum neuen und aktuellen Regelwerk der Formel 1 kam...

Am 28. Oktober 2002 beschloss man bei einem Meeting in London, an dem die Motorsportbehörde FIA, die Teams und die Sponsoren teilgenommen hatten, revolutionäre Regeländerungen: WM-Punkte für die ersten Acht eines GP im Modus 10 - 8 - 6 - 5 - 4 - 3 - 2 - 1, ein völlig neuer Qualifying-Modus (Einzelzeitfahren am Freitag, welches für die Startabfolge im samstägigen Qualifikationseinzelzeitfahren herangezogen wird), eine freiwillige Testbeschränkung (mit dem Zuckerl, am Freitag zwei Stunden vor dem Freien Training testen zu dürfen) und ein Verbot von Stallregie.

So weit so gut – die neuen Regeln wurden freudig begrüßt, zu diesem Zeitpunkt hätte man mit einem Blick auf 2003 getrost von der spannendsten Formel 1-Saison seit langem sprechen können. Vor allem die neue Punktevergabe und der Qualifikationsmodus hat es vielen Formel 1-Freunden angetan. Nur mehr eine einzige Chance, eine einzige schnelle Runde – dafür gänzlich ohne den schlimmen „Verkehr“, der immer wieder als Erklärung einer nicht ganz so tollen Rundenzeit herhalten musste. Doch dann kam alles anders...

15. Januar 2003: FIA schockiert mit Regelinterpretationen...

Am 15. Januar schockierte FIA-Präsident Max Mosley mit einem straffen Reglement, welches weit über die mit den Teams vereinbarten Änderungen hinausging. Möglich wurde dies, weil die FIA bestehende Regeln unter dem Vorwand der Sicherheit oder der Sparsamkeit jederzeit einfach neu interpretieren kann. Das Verbot der elektronischen Fahrhilfen wurde natürlich frenetisch begrüßt – aber ein Aufschrei ging durch das Fahrerlager, als man vom völligen Verbot des Boxenfunks hörte, vom Verbot des Ersatzautos und von der Parc Ferme-Regel. Letztere soll besonders leichte und abgespeckte Qualifying-Autos verhindern und besagt, dass die Autos künftig nach dem Qualifying unter Verschluss gehalten werden und nur bei gewissen Ausnahmefällen unter dem wachsamen Auge eines FIA-Kontrollors an den Boliden gearbeitet werden darf. Anstatt Klarheit gab es nun das absolute Chaos, niemand kannte sich mehr aus – doch es kam noch dicker...

Mosley musste in gewissen Dingen wieder den Kurs korrigieren: Da der Boxenfunk auch der Sicherheit der Piloten dienlich ist, um zB. vor gestrandeten Autos oder Öl auf der Fahrbahn warnen zu können, wurde der Sprechfunk wieder erlaubt, mit dem Zusatz, dass dieser nun öffentlich gemacht wird. Leicht möglich, dass aus Gründen der Geheimhaltung von Strategie und Abstimmung die TV-Zuschauer mit FBI-artigen Geheimcodes „verwöhnt“ werden. Das Verbot der elektronischen Fahrhilfen wurde erst ab dem GP von England für gültig erklärt. Die Telemetrie vom Auto zur Box wurde für 2003 wieder erlaubt. Der Ersatzwagen darf wieder verwendet werden, aber nur wenn es sich beim Einsatzfahrzeug um einen Totalschaden handelt. Mittlerweile gibt es eine kleine Liste von Arbeiten, welche man zwischen Qualifying und Rennen erledigen darf...

Parc Ferme-Regel & Tankverbot: Der Tod des Qualifyings...

Doch was Mosley des weiteren nachlegte, gehört zu den umstrittensten Punkten des neuen Regelwerks – das Tankverbot nach dem Qualifying. Es werden also nicht alle Piloten unter gleichen Spritvoraussetzungen für eine Runde an und über ihr Limit gehen, sondern man befindet sich im Qualifying eigentlich schon im Rennen. Wer vom Teamchef mit mehr Sprit beladen wurde, wird im Quali weniger ausrichten können, dafür kann er im Rennen dann länger auf der Strecke bleiben und auf diese Art Konkurrenten „überholen“.

Wer Publicity braucht, wird mit fast leeren Tanks eine Pole oder zumindest einen vorderen Startplatz erkämpfen und im Rennen dann nach nur einer Runde zum Auftanken an die Box fahren. Konnte man bislang das Qualifying als Gradmesser für die Performance der Piloten unter gleichen Gewichtsbedingungen ansehen, wird das Quali 2003 in etwa jene Aussagekraft über die Kräfteverhältnisse haben, wie es zuvor beim Freien Freitags-Training der Fall war...

Qualifying 2003: Einzelzeitfahren ja, aber Tankverbot...?

Sicher wird es dadurch zu bunt gewürfelten Startaufstellungen kommen, nur wäre das ohne Tankverbot auch möglich gewesen, da auch Spitzenpiloten sich in nur einer schnellen Runde mal verzetteln können. Viele Teamchefs nahmen bis heute das Qualifying-Duell ihrer Piloten als Gradmesser für deren Leistungsfähigkeit – das ist nun Geschichte. Eben noch erschuf man ein wirklich spannendes Einzelzeitfahren, um es mit dem Tankverbot dann wieder zu zerstören. Das Qualifying 2003 kann man nun mit einem Schirennen vergleichen, in dem man nicht weiß, ob Hermann Maier heute das schnelle oder das langsame Wachs auf seine Bretter geschmiert bekam...

Regelstreit: Comeback des „grünen Tischs“?

Die von Mosley ständig nachgeschobenen Neuinterpretationen des bestehenden Regelwerks und die diktatorische Art und Weise, diese durchzusetzen, führte zu einem Offenen Brief der beiden Teamchefs Ron Dennis (McLaren) und Frank Williams, in dem sie unter anderem die von 18,5 auf 2,5 Stunden gesunkene Zeit, in der die Boliden für das Rennen vorbereitet werden sollen, als massive Einbuße in Sachen Sicherheit ankreideten und zudem in Erwägung zogen, die Regeländerungen vor dem zuständigen Handelsgericht in Lausanne zu bekämpfen. Auch die genaue Handhabung der erlaubten und sondergenehmigten Arbeiten an den Boliden könnte 2003 das Comeback eines in der Formel 1 wenig beliebten Möbelstücks bewirken – dem vielzitierten „grünen Tisch“.

In dem Brief an Max Mosley schrieben Ron Dennis und Frank Williams: „Lieber Max! Einige deiner Maßnahmen beschädigen ernsthaft unseren Sport. Wir bitten dich einseitige Aktionen künftig zu unterlassen und den Dialog mit den Teams zu suchen. Deine Maßnahmen reduzieren zudem die Sicherheit der Piloten...“

Die FIA reagierte bislang gelassen auf den Brief und Mosley sprach von einem „Sturm im Wasserglas“. Bedenklich ist, dass Dennis und Williams einerseits über mangelnde Sicherheit für ihre Piloten sprechen, andererseits aber in jedem Falle, auch unter den kritisierten Bedingungen, an den Start gehen werden. Es geht also nicht so sehr um die Piloten, als vielmehr um die hohe Politik der Königsklasse, die bereits jetzt von dem ablenkt, was hier endlich im Vordergrund stehen und verbessert werden sollte – der Sport...

Warm Up vor dem Rennen: 2003 gestrichen...

Die Frage wird sein: Ab welchem Zustand ist ein Fahrzeug ausreichend beschädigt, um es zwischen Qualifying und Rennen reparieren zu dürfen? Dass das sonntägliche Warm Up komplett gestrichen wurde, liegt bei den Regeln auf der Hand. Im Falle von Trockenheit am Samstag und Nässe am Sonntag einerseits eine für die Zuschauer spannende Angelegenheit, andererseits ein aus Sicherheitsgründen gefährliches Unterfangen...

Wird 2003 das gefährlichste Jahr seit 1994?

Mosley hat sich als Chef der obersten Motorsportbehörde mit den Teambossen und den Herstellern getroffen, mit den sportausübenden Piloten jedoch nicht. Die verlangen nämlich schon seit längerem die Wiedereinführung der profillosen Slicks und eine massive Reduktion der Aerodynamik. Dies zu ändern, wäre weitaus einfacher gewesen als die Fülle der für viele immer noch wenig durchschaubaren Regeländerungen.

Wunsch der Piloten: Slicks und Flügelbeschnitt...

Warum wollen die Piloten Slicks und Flügelbeschnitt? Die Boliden sind in einem Übermaß von der anströmenden Luft abhängig, die den Wagen auf den Boden drückt. Die Boliden verhalten sich schon des längeren im Windschatten des Vordermanns instabil. Viele Piloten sind der Meinung, dass es so lange wenige Überholmanöver bzw. schon gar keine Windschattenschlachten geben könne, so lange man dies nicht ändert. Heute wird man vom Windschatten nicht belohnt, sondern mit einem instabilen Fahrzeugverhalten bestraft...

Die Kombination der ja gut gemeinten und der Spannung dienlich sein wollenden Regeländerungen mit diesem Umstand des instabilen Verhaltens im Windschatten könnte gefährlich enden. Die zwangsweise bunt gemischte Startaufstellung wird zu Gewaltdurchmärschen führen. Was mit stabilen Autos eine Wohltat für den Sport sein könnte, könnte mit den sensiblen Boliden der Generation 2003 durchaus ins Auge gehen. Dazu kommen die erwähnten Sicherheitsbedenken wegen der mangelhaften Vorbereitung der Autos für das Rennen. Man könnte als Schwarzmaler also sogar von der gefährlichsten Formel 1-Saison seit 1994 sprechen...

In der rechten Navigation finden Sie den 2. Teil der Saisonvorschau – Die sportlichen Aspekte der kommenden Saison...

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