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„500 € für eine Tribünenkarte? Sind die alle verrückt geworden?“

Gerhard Kuntschik berichtet für die Salzburger Nachrichten aus der Welt der Königsklasse. motorline.cc bat den gelernten Medienexperten zum Gespräch.

Michael Noir Trawniczek

Mittagessen mit Gerhard Kuntschik im Wiener Lokal „Zum Bettelstudent“. Nicht die Bettel- sondern die Publizistik-Studenten an der Salzburger Universität kennen Kuntschik als Vortragenden zum Thema „Sport und Medien“. Gerhard Kuntschik ist wie Helmut Zwickl schon seit Jahrzehnten vom Rennfieber befallen und berichtet für die Salzburger Nachrichten aus der Welt des Formel 1-Zirkus.

Doch dies allein würde seiner Leidenschaft für den Motorsport nicht genügen – im Gespräch mit motorline.cc outet sich Gerhard Kuntschik als glühender Fan der amerikanischen Rennserien IRL und CART. Dreimal im Jahr wird in die USA geflogen, in den Ovalen genießt Kuntschik nicht nur die zum Teil atemberaubenden Überholmanöver, dort erhält er auch Einblick in so etwas wie angewandte Publikumsnähe. Die unnahbar gewordenen Formel 1-Piloten, die horrenden Eintrittspreise und ein langweiliger Programmablauf an den Grand Prix-Wochenenden können Kuntschik schon mal zur Weißglut bringen...

Im ersten Teil des zweiteiligen Gesprächs gedenkt Gerhard Kuntschik auch zweier Freunde, die viel zu früh ihr Leben im Motorsport lassen mussten – Jo Gartner und Roland Ratzenberger. Zudem kritisiert der Medienexperte den Overload an Formel 1-Berichterstattung und die Abwanderungstendenzen der Königsklasse hin zu anderen Kontinenten.

Herr Kuntschik, Sie berichten seit drei Jahrzehnten über die Formel 1.

Gerhard Kuntschik: Mein erster Grand Prix war 1973 der Große Preis von Österreich. Da war ich Student und Freier Mitarbeiter bei den Niederösterreichischen Nachrichten. Ich hatte das Glück, dass mein Vater dort Ressortleiter im Bereich Motorsport war. So hat sich schon in der Mittelschule der Hang zum Journalismus ergeben.

Zu der Zeit, als Jochen Rindt gerade groß geworden ist, 1969, war ich bei meinem ersten Autorennen. Tulln-Langenlebarn, Formel 2, dort habe ich den Jochen zum ersten Mal gesehen, da war ich 15 Jahre alt. Da waren auch Lauda, Regazzoni, Watson dort, die üblichen Verdächtigen halt. Und es packt einen dann schon das Rennfieber und man kommt dann einfach nicht mehr los.

Was stand damals im Vordergrund – der Rennsport oder der Journalismus?

Gerhard Kuntschik: Der Journalismus. Ich habe mich für alle Sportarten interessiert. Und ich habe mir nie die Flausen in den Kopf gesetzt, dass ich selber Rennen fahren würde. Basketball habe ich selber gespielt. Ich mache seit über 20 Jahren auch Eishockey. Aber der Motorsport war immer die Nummer 1.

Sie halten auch Vorlesungen.

Gerhard Kuntschik: Ich habe seit den Achtzigerjahren immer wieder Lehraufträge an der Universität, speziell im Bereich „Sport und Medien“. Sowohl bei den Kommunikationswissenschaftlern als auch bei den Sportwissenschaftlern. Ich habe selber in Salzburg Publizistik studiert. Da ist es immer ganz lustig, den Studenten zu erklären, dass sie nicht mit Hahnenkammrennen im Winter und Monaco-Grand Prix im Sommer einsteigen können. Dass es mit Unterhausfußball und Telefonieren beginnt...

Was hat sich seit Ihrem Einstieg an der Arbeit in der Formel 1 für Sie geändert? Haben Sie noch den selben Draht zu den Akteuren?

Gerhard Kuntschik: Ja, durchaus. Natürlich kenne ich auch Kollegen - ob Jungeinsteiger oder Altverdiente – die sitzen bei einem Grand Prix den ganzen Tag im Presseraum, gehen nicht ins Fahrerlager, melden sich nicht für Interviews an. Nichts gegen das Internet – das hat ungeahnte Möglichkeiten erschaffen – aber es gibt tatsächlich Kollegen, die sitzen im Pressezentrum und schauen im Internet, was es Neues gibt. Dazu brauche ich nicht nach Silverstone zu fahren. Aber sicher war es früher einfacher.

Entwickeln Sie Freundschaften zu den Piloten?

Gerhard Kuntschik: In geringem Ausmaß ja. Alle Österreicher, auch einige Ausländer. Es gibt Piloten, die Journalisten als das notwendige Übel betrachten, siehe Schumacher-Brüder. Bei anderen wiederum habe ich die Handynummer.

Helmut Zwickl sagte, dass er nach dem Tod von Jochen Rindt mehr Distanz zur Formel 1 aufgebaut hat.

Gerhard Kuntschik: Ja. Als Niki Lauda nach seinem Nürburgring-Unfall im Sterben lag, hat mich das auch getroffen. Gott sei Dank ist das gut ausgegangen. Was mich sehr getroffen hat, waren die tödlichen Unfälle von Jo Gartner und Roland Ratzenberger, denn die kannte ich gut. Dazu fällt mir jetzt eine perverse Geschichte ein: Der Jo Gartner liegt auf dem Döblinger Friedhof. Und: Was glauben Sie, wie der Friedhofswärter dort heißt?

Ähm, keine Ahnung.

Gerhard Kuntschik: Er heißt Gerhard Berger. Es gibt makabre Zufälle.

Ich habe den Jo Gartner an der Kartrennstrecke in Michelhausen kennen gelernt. Das war ein sehr netter Kerl, er wollte für ein Prominenten-Kartrennen üben, da er nicht mit Kart begonnen hatte. Aber keiner wollte ihn fahren lassen. Er ist dann mit meinem Kart gefahren, wir kamen ins Gespräch...

Gerhard Kuntschik: Der Jo Gartner war sicher einer der nettesten Menschen, die ich jemals kennen gelernt habe. Ein ehrlicher Arbeiter, ein exzellenter Techniker, ein sehr guter Rennfahrer.

Mit dem Osella hatte er halt wenig Chancen in der Formel 1.

Gerhard Kuntschik: Die Mittel, die er aufbringen konnte, reichten halt leider nur für Osella. Es ist halt schwierig, Leute von dir zu überzeugen, wenn du in einer völligen Gurke hinterherfährst.

Gut, er wurde damit immerhin Fünfter. Berger Sechster. Und Lauda hat gewonnen...

Gerhard Kuntschik: Das war legendär – Monza 1984. 1. Lauda, 5. Gartner, 6.Berger. Wenn man schaut, wie viele Formel 1-Rennfahrer dieses kleine Land hervorgebracht hat, und wie erfolgreich wir im Motorsport waren, ist das schon erstaunlich. Bei den Deutschen war der Motorsport vor Schumacher nirgendwo.

Und ich wage zu behaupten: Mit dem Abtritt des Michael Schumacher wird RTL kein Interesse mehr an einer Vertragsverlängerung haben. Das Interesse an der Formel 1 wird in Deutschland massiv sinken. In Deutschland war davor der Motorsport verpönt. Für einen Danner oder einen Winkelhock hat sich kein deutscher Journalist den A**** aufgerissen.

Stefan Bellof gab es noch.

Gerhard Kuntschik: Bellof war ein kurzes Aufflackern. Aber vor Schumacher gab es in Hockenheim keine zehn Schreibenden, danach waren in Melbourne 40 deutsche Journalisten vor Ort.

Der Overload an F1-Berichterstattung im deutschen TV bringt auch eine gewisse Oberflächlichkeit mit sich. Oder man könnte auch sagen: Viel heiße Luft...

Gerhard Kuntschik: Ich sehe in einem anderen Bereich eine viel größere Gefahr, und das gilt nicht nur für den Motorsport. Wenn du in diesem Ausmaß die Rechte an einer Sportveranstaltung kaufst, kannst du nicht mehr kritisch Bericht erstatten. Denn dann musst du diesen Content, den du um viel Geld gekauft hast, als das Größte, Beste und Tollste verkaufen. Bei RTL wird es keine kritische Berichterstattung geben, und wenn das Rennen noch so fad war. Da fehlt jene Distanz, die man hat, wenn man unabhängig ist.

Wenn du beispielsweise eine Presseaussendung erhältst, in der wie immer steht: „Wir sind mit den Plätzen 17 und 18 sehr zufrieden“, oder wenn jemand, wie das Williams 2002, im Jahr der absoluten Ferrari-Dominanz, gemacht hat, frohlockt, er sei der „Sieger der B-Liga“, da ist es doch auch die Pflicht eines Journalisten, das zu hinterfragen.

Da drängt es sich auf, zu sagen: „Ja wenn ihr euch selber schon als B-Liga bezeichnet, werdet ihr nicht in die A-Liga aufsteigen“. Kritischer Journalismus ist in der Formel 1 irgendwie ein seltenes Pflänzchen. Woran liegt das? Ist es gar die Angst vor Big Bernie?

Gerhard Kuntschik (schmunzelt): Bei den Schreibenden eher nicht, weil wir müssen ja nur danach trachten, eine Akkreditierung von der FIA zu erhalten. Ich bin noch nie eingeschränkt worden. Ich habe noch nie gedacht, dass ich wegen der FIA, der FOA oder dem Bernie Ecclestone etwas freundliches schreiben muss.

Wenn die Regeln ein Schas sind und das Publikum geneppt wird, wenn eine Tribünenkarte in Monza 500 € kostet, muss man fragen ob die alle abgehoben und verrückt geworden sind. Dem Ecclestone ist das egal. Solange sich die Veranstalter um einen Grand Prix reißen, kann er die Preise hochtreiben, wie er will. Und wenn ein Veranstalter pleite geht, fährt er halt woanders.

Dieses Abwandern in andere Kontinente. Ist das nicht ein Irrglaube? Weil die Formel 1 war doch eigentlich immer in Europa zuhause?

Gerhard Kuntschik: Natürlich. Man darf eines nicht vergessen: Die exotischen Rennen leben von der Staatsunterstützung. Der Staat hat sich beispielsweise in Malaysia verausgabt. Da wurde eine supertolle Rennstrecke um viele Millionen gebaut. Die Eintrittspreise dort sind so hoch, dass sie für Einheimische nicht leistbar sind, da sind dann am Renntag von mir aus 30.000 Touristen und 5.000 bis 10.000 Einheimische, irgendwelche extrareiche oder Firmenvertreter.

Damit kommst du als Veranstalter nie auf eine kostendeckende Rechnung. Das heißt: Der Staat muss zuschießen. Das geht eine Zeit lang gut, aber irgendwann wird dort irgendwer die Notbremse ziehen. Und dann hatten sie halt eine gute Werbung für Malaysia und der Formel 1-Zirkus wird wieder weiterziehen.

Und so wird irgendwann in jedem Land eine von Hermann Tilke gebaute Rennstrecke stehen.

Gerhard Kuntschik: Es wäre jedenfalls ein gravierender Fehler, auf diese klassischen Rennen in Europa zu verzichten.

Spa zum Beispiel wäre unverzichtbar. Gefällt Ihnen eigentlich der neue Hockenheimring?

Gerhard Kuntschik: Ich muss gestehen: Es war zwar vor dem Umbau immer ein gewisser Nervenkitzel, in Hockenheim auf den Zeitenmonitor zu schauen, auf die Sektorzeit, und zu schauen, ob jemand auf den langen Geraden wirklich 360 km/h fährt...Aber der alte Hockenheimring ist wie der alte Österreichring aus dem Wahn der Sechzigerjahre entstanden, die Geschwindigkeitsrekorde purzeln zu lassen. Mit diesen drei Schikanen drinnen...

Hockenheim war immer eine Idiotie für mich. Ein Kurs, der mir überhaupt nicht gefallen hat. Das Motodrom ist faszinierend, diese Stadionatmosphäre. So gesehen ist der neue Kurs interessanter und er bietet den Zuschauern wahrscheinlich mehr. Man darf nicht vergessen: Je kürzer die Strecke ist, desto öfter kommen die Autos beim Zuschauer vorbei.

Der alte Nürburgring hat Ihnen auch nicht gefallen?

Gerhard Kuntschik: Der alte Nürburgring war ein Mythos und sensationell. Nur wenn du heute dort mit einem normalen PKW fährst - das ist ja irre. Das ist ein Wahnsinn. Ich werde das nie vergessen, als ich 1975, ein Jahr vor Niki Lauda’s Feuerunfall, zum ersten Mal dort war. Ich stand auf dem Boxendach direkt über der Ferrari-Box und habe selber mitgestoppt wie der Niki damals die 6:58er Runde fuhr und wie die Ferrari-Leute plötzlich unten in der Box zu tanzen angefangen haben.

Das ist faszinierend und toll. Der Nürburgring hat in die Pionierzeit gepasst und er war ein Abenteuer. Aber er hat seinen Tribut gefordert. Und heute ist ein Rennsport, der einen Tribut fordert, einfach nicht mehr zeitgemäß. Das ist nicht mehr vertretbar. Die Pionierzeiten sind vorbei.

Lesen Sie am Montag auf motorline.cc: Teil 2 des Gesprächs mit Gerhard Kuntschik. Über den kleinen aber feinen Unterschied zwischen der unnahbaren Formel 1 und den publikumsfreundlichen US-Rennserien.

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