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„Die Piloten sind unwichtig geworden“

Teil 2 des Gesprächs mit Helmut Zwickl: Über Maulkorbverträge, die Macht der Hersteller und den schwierigen Spagat zwischen Show und seriöser Rennsportserie.

Michael Noir Trawniczek (MNT)
& Stefan Schmudermaier (STS)

MNT: Nächstes Stichwort: Polarisation hab ich da aufgeschrieben. Deine Kolumnen polarisieren. Du bist da recht angriffslustig. Ich steh ja auf so was, aber manchen wiederum ist das zu hart. Wie siehst du das?

Helmut Zwickl: Ja, trotz aller Liebe zum Motorsport habe ich mir immer bewahrt, über den Dingen zu stehen und mich nicht vereinnahmen zu lassen von der Vollgasbranche, die natürlich voller Tücken und voller Manipulationen und voller Tricks ist. Und je älter ich geworden bin, umso analytischer habe ich den Motorsport quasi seziert. Und nachdem ich für meine Arbeit bei Motorsport Aktuell oder auch im Kurier viel Applaus erhalte, ist das für mich klar. Es schreiben heute so viele Leute über den Motorsport, die ein Getriebe nicht von einem Motor unterscheiden können, weil sie Quereinsteiger sind und eigentlich keine Ahnung haben und sie im Selbstbedienungsladen des Internetdschungels beginnen...

(Gelächter) MNT: Da bin ich jetzt gezwungen, etwas einzuwerfen. Also ich habe vier Jahre Kartsport betrieben, bin in der Staatsmeisterschaft angetreten, habe die HTL für KFZ-und Motorenbau gemacht. Nach vier Jahren hab ich abgebrochen, sowohl Schule als auch den Rennsport. Ich hab damals sogar einen Zweitaktmotor konstruiert...

Helmut Zwickl: Gut, aber das ist ja die Ausnahme von der Regel. Wenn du dir heute diese Deutschen ansiehst, die durch die Schumacher-Welle in die Formel 1 geschwemmt wurden. Die sind ja hilflos. Denen kann man auch alles erzählen. Nach vier Jahrzehnten Formel 1 brauchst du nicht mehr mit jedem zu reden, weil dir die meisten ohnehin eine G’schicht, eine Lüge erzählen. Die Fahrer dürfen sowieso nichts sagen. Sie wollen nichts sagen. Sie können nichts sagen. Die Teamchefs manipulieren dich. Und alles ist sprachgeregelt. Und da hilft mir die langjährige Erfahrung.

MNT: Was hat sich im Fahrerlager der Königsklasse geändert in den letzten vier Jahrzehnten?

Helmut Zwickl: Vor dreißig Jahren hast du eine halbe Stunde auf ein Telefon gewartet. In Zandvoort gab es drei Feldtelefone, mit einer Kurbel. Heute hast du ein Laptop, ein hervorragendes Pressecenter, hast deinen Arbeitsplatz, hast deine permanente Karte. Früher hast du streiten müssen. Du warst von der Willkür des Veranstalters abhängig. In Belgien gab es einen, den nannten der Heinz Prüller und ich „das schwitzende Scheusal“ – der hat dich - auch wenn du akkreditiert warst - ein, zwei Stunden warten lassen. Gnadenhalber hast du dann einen Ausweis erhalten.

Heute sind es dafür mittlerweile 400 Journalisten, die Arbeitsweise hat sich komplett geändert. Früher bist du mit dem Stewart, dem Rindt, dem Fittipaldi oder dem Mansell auf der Boxenmauer gesessen, hast mit denen geplaudert. Heute werden die Statements der Formel 1-Leute nur noch in homöopathischen Dosen vergeben. Es gibt Pressetermine. Ansonsten sitzen die Fahrer in ihren Motorhomes, halten endlose Meetings und du bekommst sie also kaum noch zu Gesicht. Heute redest du mehr mit den Ingenieuren, und die Techniker prägen das Bild der Formel 1, nicht die Fahrer. Die Piloten sind, wenn sie nicht grad Schumacher heißen, ziemlich unwichtig geworden.

MNT: Marionetten?

Helmut Zwickl: Sie sind Marionetten. Mehr denn je. Und ihre Aussagen sind leere Sprechblasen und nicht druckreif.

STS: Und das meiste wird ihnen sowieso in den Mund gelegt.

Helmut Zwickl: Das legt man ihnen in den Mund, denn sie haben Maulkorbverträge. Man muss das so sehen: Es ist viel Geld da. Mit dem vielen Geld stieg der Erfolgszwang. Mit dem Erfolgszwang stieg die Geheimhaltung. Die Formel 1 ist ein Geheimbund geworden.

MNT: In einem Maße geheim, sodass es zwar viele aber dafür oberflächliche Informationen gibt. Sodass man die Formel 1 eigentlich nicht wirklich verkaufen kann. Nach jedem Qualifying, und sei es noch so schlecht, gibt es Presseaussendungen: „Wir sind sehr zufrieden.“

Helmut Zwickl: So ist es. Du kannst heute die Aussagen von Melbourne transferieren nach Spanien – das ist alles austauschbar.

STS: Aber es gibt noch die Insiderinformationen.

Helmut Zwickl: Die gibt es schon noch. Aber vieles ist vorhersehbar. Es läuft alles nach einem Kochrezept ab. Ich sag immer: Die Formel 1 ist ein Milosevic-Staat. Du hast keine Bewegungsfreiheit, keine Gedankenfreiheit.

MNT: Passt gut zum nächsten Stichwort: Diktator. Bernie Ecclestone sagt auch, sein Nachfolger müsse wie er ein Diktator sein.

Helmut Zwickl: Was heute in der Formel 1 passiert, passiert auch im alltäglichen Leben. In der Wirtschaft. Technologietransfer. Pleiten. Spekulationen. Deals. Krieg. Es passiert halt auf engstem Raum. In einem Viereck. In einem kleinen Ghetto. Und alles wird von vierhundert Journalisten multipliziert. Mit einem Overkill an Berichterstattung, den die Formel 1 eigentlich nicht verdient. Aber sie ist die Formel 1 und solang man nicht Menschen aus einem Flugzeug wirft, ohne Fallschirm, und schaut was passiert, ist die Formel 1 die sogenannte Premiere League.

Und: Dieser Haufen ist eigentlich nur diktatorisch zu führen. Der Ecclestone hat es ja auch bewiesen. Über den Ecclestone kann man tausend Dinge sagen. Aber: Er hat die Formel 1 dorthin gebracht, wo sie heute ist. Heute hat er den Höhepunkt schon wieder überschritten, viele wollen ihn wegwerfen, weil er die Formel 1 grußlos verkauft hat, ohne die anderen zu fragen. Das ist sein Nachfolgeproblem und jetzt tritt er halt zum letzten Gefecht an, bevor ein anderer kommt.

MNT: Mit dem Pay-TV ist Bernie Ecclestone ja eingefahren. Die allgemeinen Quoten gehen immer noch zurück, auch 2003. Wir befinden uns also in einer Zeit, kurz nach dem Höhepunkt der Formel 1 und jetzt geht es so richtig bergab, jetzt sind wir gerade mitten in einer Talfahrt - siehst du das so?

Helmut Zwickl: Die Formel 1 hat in ihrem übernatürlichen Wachstum, in ihrer Maßlosigkeit und mit ihrem Mega-Super-Denken, in dem Geld keine Rolle spielt, einen Punkt erreicht, an dem die weltweite Rezession auch vor den Ghetto-Toren der Formel 1 nicht halt machen konnte. Die Rezession hat auch die Formel 1 überrollt. Es hat damit begonnen, dass Ferrari im Jahr 2002 dominiert hat. Damit war die Spannung draußen, die Quoten sind gefallen. Ferrari hat die Rennen nicht nur dominiert, sondern sie haben auch manipuliert. Die Fans haben dann gesagt: Ich drehe den Fernseher ab.

MNT: Und dann dieses „Foto-Finish“ in Amerika, das war ja fast schon eine Vera***ung des Publikums, eigentlich....

Helmut Zwickl: Ja, klar. Die TV-Quoten sind um 20 Prozent gesunken. Im letzten Jahr auch, es hat sich zur Saisonmitte stabilisiert weil der Endkampf spannend war. Aber was die Zuschauer vor Ort betrifft: Das ist ja ein Witz. Du siehst am Sonntag um halb zwei den ersten Formel 1-Wagen auf der Piste. Dass sie im Rahmen der neuerlichen Änderungen des Qualifyingmodus den Sonntag nicht aufgewertet haben – das ist wirklich die reinste Abzockerei geworden. Die F1 ist eine politische Formel, wo jede Entscheidung nur durch eine Mehrheit herbeigeführt werden kann. Aber in Wirklichkeit sind ihnen die Zuschauer egal.

MNT: Das ist das Seltsame: Einerseits Diktatur, andererseits ist die Mehrheit notwendig.

Helmut Zwickl: Das ist der Spagat der Formel 1.

MNT: Man droht mit einer Herstellerserie. Aber ist die Formel 1 nicht schon längst zu einer Herstellerserie geworden? Mein Lieblingsbeispiel dafür ist: Mosley erklärte im letzten Jahr, er erhalte aufgebrachte Fan-Emails: Man solle die elektronischen Fahrhilfen abschaffen. Mosley sagte: „Es wird gemacht, was das Publikum will. Nicht die Hersteller haben das Sagen.“ Nur eine Woche später erklärte Mosley, die Hersteller hätten ihn davon überzeugt, dass die Beibehaltung der Traktionskontrolle der "billigere Weg" sei.

Helmut Zwickl: Das hat wie alles in der Formel 1 einen politischen Hintergrund. Die Hersteller sagten dann: Wir werden subventionierte Motoren bereitstellen. Mercedes ist vorgeprescht und hat gesagt: Wir machen den Zehn Millionen Dollar-Motor. Daraufhin hat der Mosley gesagt: „Okay, wenn ihr das macht, dann behalten wir die Elektronik weiter.“ Was ist passiert? Es gibt noch immer keine Zehn Millionen Dollar-Motoren und die Elektronik wird beibehalten. Man muss andererseits bedenken, dass Teams wie McLaren oder Ferrari irre Summen in die Traktionskontrolle und in die Launch Control investiert haben. In Wirklichkeit ist es doch egal: Ob mit oder ohne Traktionskontrolle, die Autos haben so viel Anpressdruck, die werden immer wie auf Schienen fahren.

MNT: Naja, man hat beim Alonso beispielsweise gesehen, was passiert, wenn die Traktionskontrolle ausfällt. Der hat sich sofort gedreht.

Helmut Zwickl: Naja, gut. Aber der Unterschied zwischen einem Auto mit und einem ohne Traktionskontrolle ist wirklich gering. In Wirklichkeit müsstest du alles umbauen. Aerodynamik, Flügel weg. Nur: Die haben Milliarden in Windkanäle investiert, die kann man nicht alle zusperren...

MNT: Klar. Andererseits: Wer sagt denn, dass Autos unbedingt Flügel haben müssen?

Helmut Zwickl: Ja, okay. Aber das lässt sich niemand wegnehmen. Wenn 2000 Gehirne darüber nachdenken, dieses Auto schneller zu machen, ist es schwer, den Teufel in die Flasche zu kriegen. Du kannst kleine Reduktionen machen. Aber das nächste ist: Was machst du mit den Reifenfirmen?

MNT: Viele Fahrer sagen: Rückkehr zu Slicks, Diffusorbeschnitt, Flügelreduktion. Die Autos wieder ein wenig breiter. Die Rennstrecken wieder zurückbauen, wie sie früher waren. Herrmann Tilke in die Wüste schicken.

Helmut Zwickl: Ja, aber das sind typische Pilotenaussagen. Mit den Slicks bist du jedenfalls noch schneller in den Kurven.

MNT: Nicht unbedingt. Wenn ich den Diffusor beschneide, die Flügel stutze. Wenn ich da dann zu schnell in die Kurve reinfahre, fliege ich eben ab. Dann muss ich halt langsamer reinfahren.

Helmut Zwickl: Ja klar, aber dann wird man wieder etwas anderes finden, um das wieder auszugleichen. Die Formel 1 ist ohnehin derartig kastriert. Das Schönste wäre ein Reglement, wo du das Auto in eine Kiste stellst, in die es hineinpassen muss, und der Rest ist freigegeben. Heute ist die Formel 1 schon so beschnitten, dass eben nur mehr im Millimeterbereich Fortschritte zu erzielen sind. Und das mit großem technischen Aufwand. Die Packungsdichte verkleinern, die Elektronik verbessern. Aber die wirklich großen Sprünge macht man mit den Reifen. Da müsste ich also Holzreifen beschließen oder bandagierte Winterreifen mit Spikes. Die Piloten wollen die Slicks , weil sie dann noch schneller sein würden. Eine Reduktion der Aerodynamik ist politisch nicht durchsetzbar.

MNT: Da wehren sich die Hersteller...

Helmut Zwickl: Wenn du heute einen Windkanal hast wie Ferrari, dann lässt du dir doch nichts mehr wegnehmen an der Aerodynamik.

MNT: Und wenn man sagen würde: Wir reduzieren die Flügel, wir reduzieren den Anpressdruck unter dem Auto und optimieren dafür die Aerodynamik in anderen Bereichen, wie beispielsweise der Verkleidung, indem man gleichzeitig das Reglement dahingehend öffnet...

Helmut Zwickl: Dann erhältst du vielleicht ein Fahrzeug, welches übermotorisiert und unfahrbar ist. Da rechnen wirklich die besten Gehirne der Formel 1, da gibt es Studien. Der seelige Harvey Postlethwaite hat einmal eine Studie im Auftrag der FIA gemacht. Es ging um das Überholen. Wie kann man besser Überholen? Er sagte mir in einem Interview: „Wir brauchen aerodynamisch ineffiziente Autos mit großen Flügeln, welche ein Loch in die Luft reißen, so dass wir wieder im Windschatten fahren können. Und: Den Bugspoiler kastrieren.“ Die Studien gibt’s, das weiß man. Nur ist das so wie bei unseren Politikern: Die haben auch Studien über das günstigste Pensionsmodell, aber genommen wird das politische Modell, bei dem man die wenigsten Wähler verliert. Und die Formel 1 ist eine politische Formel.

MNT: Ich denke, dass der Bernie Ecclestone das auch so sieht. Das Absurde daran ist, dass er einerseits der Diktator ist und scheinbar aber im Bereich des Reglements keinen Einfluss hat. Da hat er gegen die Hersteller keine Chance. Eine Reglementauflockerung könnte ja dann zur Folge haben, dass beispielsweise das Minardi-Team halt mit einem Wasserstoffmotor antritt, was dem Team ja Publicity bringen würde. Oder Sechsrad- oder von mir aus Zehnradboliden...

Helmut Zwickl: Das klingt gut. In der Wirklichkeit stellt sich die Frage: Wer kann einen Wasserstoffmotor liefern? Das kann nur ein Großkonzern. Das würde dann die Formel 1 noch teurer machen. Es geht eigentlich letztlich immer um den Unterhaltungswert. Und das fehlt der Formel 1 am meisten. Der Spagat zwischen Show und seriöser Rennsportformel ist nur schwer zu bewerkstelligen.

>>> www.ennstal-classic.at

Die Teile 1, 3 und 4 finden Sie in der Navigation rechts.

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