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„Jeder Kaktus wird heute interviewt“

Letzter Teil des Helmut Zwickl-Interviews: Über die leeren Sprechblasen der aktuellen Formel 1-Piloten. Über Alex Wurz, Heinz Prüller und die Einbahngehirne im GP-Zirkus.

Michael Noir Trawniczek (MNT)
& Stefan Schmudermaier (STS)

MNT: Was ich nicht verstehe: Man klagt über zu wenig Überholmanöver. Es wurden neue Regeln, neue Verfahren eingeführt, doch der wunde Punkt ist: Im Windschatten wirst du aufgrund der Aerodynamik mit einem instabilen Fahrverhalten bestraft. Warum sagt keines der Superhirne: Wir müssen das ändern, ein Windschatten muss wieder einen Vorteil bringen und keinen Nachteil?

Helmut Zwickl: Das ist genau der Punkt. Es lässt sich niemand einen Vorteil wegnehmen und es gibt keine Einigung. Sie streiten seit Jahren, herausgekommen sind nur die neuen Spielregeln. Es ist ja nicht Sinn der Sache, das ich die Formel 1-Boliden um 18 Uhr in einen Parc Fermé stelle und am Sonntag dürfen sie wieder geholt werden.

MNT: Toll wäre, wenn es wieder mehr Teams geben würde. Mit Vorqualifikation. Wo man beispielsweise dann am Sonntag Vormittag ein Rennen der Nichtqualifikanten machen könnte und die ersten Drei aber am Grand Prix teilnehmen dürfen.

Helmut Zwickl: Da bin ich voll bei dir, der Vorschlag gefällt mir. Nur: Es gibt keine 40 Autos. Es gibt 20 und sie werden immer weniger. Aber das sind genau die Dinge, die ein Herr Dennis oder ein Herr Todt nicht wollen. Vielleicht kommt ja so etwas ähnliches. Wenn noch ein Team zusperren muss, kommen drei Autos pro Team. Da kann ja dann der Alex Wurz mitfahren.

MNT: Würde mich nicht wundern, wenn in einem solchen Fall der Dennis dann wen anderen ins dritte Auto setzt. Was sagst du zu Alex Wurz und dem Jaguar-Transfer-Theater?[Das Gespräch wurde vor der Verpflichtung Christian Kliens bei Jaguar geführt, d. Red.]

Helmut Zwickl (lächelt): Wenn ich der Wurz bin, bleibe ich bei McLaren. Angenommen er geht zu Jaguar: Was erwartet ihn bei Jaguar? Er muss sich mit Webber herumschlagen, wenn er gegen den verliert, ist er wieder weg. Bei Jaguar wirst du dann ja auch nur 8., 9., 10.

Ich traue Jaguar wenig zu. Der Einbruch bei Cosworth, Ford kürzt ständig das Budget. Ich habe dem Wurz auch gesagt: Ich würde schauen, dass ich bei Mercedes bleibe. Dort hat er einen tollen Job. Irgendwann wird sich einer ein Bein brechen und dann kann er vielleicht etwas beweisen. Bei Jaguar ist es schon schwierig, in die Punkte zu kommen. Dass sie 2003 ein paar Mal vorne waren – das war nur Michelin.

MNT: Versteht sich der Wurz nicht gut mit dem Gustav Brunner? Weil sonst könnte der Alex ja bei Toyota fahren?

Helmut Zwickl: Die verstehen sich schon. Aber die Entscheidungen bei Toyota fallen nicht auf Brunner-Ebene.

STS: Ich habe mit dem damaligen Toyota-Chef Ove Andersson gesprochen. Er sagte: „Alex Wurz ist kein Thema für uns.“

MNT: Da ist vielleicht auch so ein Generationensturz. Der Berger und der Wurz waren ja alles andere als gute Freunde.

Helmut Zwickl: Der Alex hat ein paar taktische Fehler gemacht. Der Berger hatte damals seine Zahnprobleme und der Wurz ist gleich eingeschlagen. Wurz wurde in Österreich gleich gefeiert, so wie der Klien jetzt bei uns gefeiert wird. Wir neigen ja immer dazu, dass wir alles übertreiben. Ob Fußball oder Formel 1, das ist halt so in Österreich.

Und dann hat sich der Wurz einfach nicht an den Flavio Briatore verkaufen wollen, weil er einen Manager hatte. Im Nachhinein gesehen war das ein taktischer Fehler, weil der Briatore eben die Strippen zieht. Dieser Fehler ist kaum noch gutzumachen, die Zeit rennt davon. Es kommen neue Kids nach, jetzt ist der Montoya ab 2005 bei McLaren.

MNT: Es gibt ja diese Gerüchte, wonach Jordan und Mercedes zusammenarbeiten könnten. Glaubst du daran?

Helmut Zwickl: Nein. Der Eddie Jordan ist ja ein Wahnsinniger, der um sich schlägt. Er kämpft um sein Leben und das macht er auf geniale Art und Weise.

MNT: Ich finde den Eddie Jordan recht cool...

Helmut Zwickl: Natürlich, aber er ist ein Wahnsinniger. Gegen Vodafone, also einen Giganten, einen Prozess anzustreben, ist ein Wahnwitz. Aber so ist die Formel 1. Von diesen Geschichten lebt sie ja auch. Wenn auf der Rennstrecke gar nichts passiert, gibt es dann halt einen Spionagetransfer oder es geht jemand Pleite.

MNT: Das klingt jetzt vielleicht pervers, aber wäre es theoretisch für den Sport nicht sogar wünschenswert, wenn noch einer zusperren müsste? Denn dann müssten dritte Autos eingesetzt werden, wir hätten wieder mehr Autos und vielleicht auch mehr Action?

Helmut Zwickl: Ja, das könnte man so sagen. Nur: Das dritte Auto erhält ja keine WM-Punkte.

MNT: Das ist wiederum bescheuert...Nächstes Stichwort: Heinz Prüller.

Helmut Zwickl: Der Heinz und ich sind Weggefährten, weil wir seit vierzig Jahren auf den selben Berg raufkraxeln und einander dabei immer wieder treffen, ohne aber eine Seilschaft zu sein. Der Heinz ist immer in Richtung TV gegangen. Ich habe das früher auch gemacht, hatte mit Teddy Podgorski und Lucky Schmidtleitner die Sendung „Motorama“. Aber ich habe nie eine TV-Laufbahn angestrebt. Das ist mir viel zu mühsam. Ich wollte immer ein Schreibender sein und die alltäglichen Intrigen beim Fernsehen meiden, die ja viel Substanz kosten.

MNT: Kann man sagen: Der Heinz Prüller mit seiner unbändigen Begeisterung ist der Mann, der die Formel 1 in Österreich an die breite Masse verkauft und du bist derjenige, der in der Zeitung die Hintergründe beleuchtet und der hin und wieder sagt: „Leute, so geht’s nicht!“?

Helmut Zwickl: So ist es. Ich bin ein kritischer Mensch.

MNT: Konfrontation ist ja auch wichtig.

Helmut Zwickl: Die Formel 1 besteht ohnehin aus so vielen Sprechblasen und weil ich so lange dabei bin, habe ich mir einen neutralen Blick bewahrt. Ich lasse mir auch mein Privatleben nicht von der Formel 1 zerstören. Viele, die seit Jahrzehnten dabei sind, sind ja richtiggehend paralysiert, sind zum Einbahngehirn geworden.

Andererseits: Die Ennstal-Classic, die ich seit zehn Jahren mit meinem Partner, dem Fotografen Michael Glöckner mache, wurde aus dieser Formel 1-Misere heraus geboren. Wir wollten Motorsport zum Angreifen machen, die alten Legenden bringen. Ohne elektronische Drehkreuze. Es ist wunderschön, wenn da ein Stirling Moss, ein Jackie Stewart, ein Mario Andretti oder ein Walter Röhrl kommen. Gegen diese Legenden kommen die heutigen F1-Kids einfach nicht an. Diese Leute hatten Charisma.

MNT: Die Frage ist, ob die heutigen Kids wissen würden, was sie sagen sollen, wenn man sie andere Dinge als die üblichen fragen würde. Wenn sie nicht wissen, was sie sagen müssen und was sie nicht sagen dürfen...

Helmut Zwickl: Schau, wir die Journalisten, wir sind ja wie Eunuchen. Wir glauben zu wissen, wie es geht, aber wir können es nicht selber tun. Jetzt sind wir darauf angewiesen, was diese Leute aus dem Grenzbereich rüberbringen. Ein Niki Lauda beispielsweise hat eine Chaos-Runde geschildert in Monaco. Ein Jackie Stewart hat über die grüne Hölle auf dem Nürburgring berichtet. Früher waren das Expeditionen in ein medial noch nicht ausgereiztes Gebiet. Heute ist die Formel 1 ausgelutscht wie ein Zuckerl. Man hört nie von einem Michael Schumacher: „Diese Pole-Runde, herrlich, ich bin gedriftet, und da wäre ich beinahe abgeflogen..“

MNT: Weil auch jede Runde gleich ist...

Helmut Zwickl: Genau. Sie liefern keine Schilderungen mehr aus dem Grenzbereich. Und wir, die das ganze medial multiplizieren sollen, erhalten nur noch sprödes Material, Sprechblasen. Die Reporter vor Ort erhalten viel zu viel Sendezeit. Die interviewen sich ja schon untereinander. Jeder Kaktus, der in einem Formel 1-Fahrerlager steht, wird interviewt. Das ist eigentlich zum Kotzen.

MNT: In Deutschland wird man nach Schumacher und dem derzeit praktizierten medialen Overkill die Nase voll haben. Man schaufelt das eigene Grab.

Helmut Zwickl: Völlig richtig. Selbst die vielen Co-Kommentatoren sind austauschbar. Weil die Formel 1 eingefroren ist. Das Reglement. Die Inzucht der Fahrer. Und, und, und...

MNT: Heute ist eine Runde im Formel 1 reiner Perfektionismus. Jede Runde ist gleich. Es geht um Tausendstelsekunden.

Helmut Zwickl: Diese Fahrer heute sind kleine Giganten. Die können auf Zehntel genau eine Runde wiederholen. Die sind perfekt. Aber: Was sie rüberbringen und wie sie sich verkaufen, ist eigentlich schlimm. Es sagt ja der Ecclestone selber, wenn Sie auf diesem LKW am Sonntag Vormittag herumgekarrt werden – wir sagen immer, das ist der Viehtransport – dann reden sie miteinander. Es ist ohnehin der einzige Moment, wo die noch miteinander reden. Und dann sagte Bernie: Können die nicht einmal winken?

MNT: Obwohl es eigentlich wiederum egal ist, ob dieses ameisengroße Männchen vom LKW herunter winkt oder nicht. Man sollte die Leute wieder reinlassen ins Fahrerlager. Oder öffentliche Talkstunden mit den Piloten abhalten. Andererseits: Die Frage ist, ob ein Felipe Massa überhaupt in der Lage ist, einen Raum zu unterhalten...

Helmut Zwickl: Du sagst es.

MNT: Kannst du unseren Lesern noch deinen GP-Alltag schildern?

Helmut Zwickl: Jedes zweites Wochenende ist ein Grand Prix. Dein Leben wird zerhackt von diesem Rhythmus. Das Reisen wird eigentlich immer unlustiger. Bahrain, Shanghai – lauter Länder, wo ich eigentlich nicht hinfahren will. Wenn ich ehrlich bin...

MNT: Da habe ich noch ein – nicht ganz ernst gemeintes - Stichwort: Watchlist. Du wirst ja bei den Kanada- und Amerika-Rennen immer vertreten. Warum? Willst du dort nicht hinfahren oder stehst du gar auf der Watchlist?

Helmut Zwickl: Früher bin ich im Sommer Segelfliegen gegangen, habe Kanada ausgelassen. Und die Ennstal-Classic sowie die Planai-Classic sind eigentlich ein Jahresjob geworden und ich muss ein paar GP auslassen. Ich habe keine Probleme mit Amerika, aber ich lasse mich von der Formel 1 nicht vereinnahmen. Ich kann heute meine Kommentare und Analysen auch schreiben, wenn ich nicht bei allen Rennen dabei bin.

MNT: Letztes Stichwort: Internet. Wie stehst du zu diesem Medium?

Helmut Zwickl: Ich habe mich relativ spät von der Schreibmaschine gelöst. Das ist rund zehn Jahre her. Ich habe dann begonnen, am Laptop zu schreiben. Das Internet bringt eine unglaubliche neue Ära. Internet ist heute unser Leben. Die Formel 1 wiederum hat sich so abgesichert, dass du im Internet nicht einmal den Namen Formel 1 verwenden und dir kein Stück des Bratens abschneiden darfst.

STS und MNT: Helmut, wir danken dir für dieses Gespräch..

>>> www.ennstal-classic.at

Die Teile 1, 2, und 3 finden Sie in der Navigation rechts.

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