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„Keine Kappe im Interview? Das gibt eine auf den Deckel!“

Letzter Teil des Gesprächs mit Tanja Bauer: Über Kappenzwang, Rad an Rad-Kämpfe, Containerromantik und die magische halbe Stunde vor dem Start.

Michael Noir Trawniczek
Fotos: Christoph Aschauer

Kannst du unseren Lesern und Leserinnen schildern, wie so ein Grand Prix-Weekend bei dir aussieht?


Tanja Bauer: In Europa ist es normalerweise so, dass wir am Donnerstag anreisen. Der erste wichtige Termin ist um 15 Uhr die offizielle Pressekonferenz der FIA, zu der nur wenige Fernesehjournalisten mit einer besonderen Akkreditierung zugelassen sind, da ja im Pressezentrum hauptsächlich schreibende Journalisten Zugang haben. Dann macht man am Donnerstag schon einige Interviews, die man dann auch am nächsten Tag braucht.


Für die Interviews musst du dich vorher anmelden, weil spontan...


Tanja Bauer: Spontan? Spontan geht in der Formel 1 gar nichts. Da geht nur mit Anmeldung. Und dann hast du 16.30 Uhr BMW, 17.00 Uhr Jordan, und so weiter. Bei den Zeitungen ist Spontanität oder eine Mischung aus Privatgespräch und Interview noch möglich, aber im Fernsehen gibt es ganz andere Voraussetzungen: Der Pilot muss seine Kappe tragen, seine Sponsoren präsentieren. Wenn der einmal ein Interview ohne Kappe gibt, kriegt er von seinem Pressebetreuer eine auf den Deckel:

„Warum hast du da deine Kappe nicht getragen?“ Ich mein' - eine Information von einem Fahrer krieg ich schon auch, indem ich zu ihm hingehe und mit ihm rede, aber TV-Interviews gibt es nur mit Anmeldung. Ich hab zum Beispiel am Sonntag in unserem Vorlauf so „Aufsager“, die ich alleine machen muss. Da steh ich dann vor einer Box und muss irgendwas wissen und was Spannendes erzählen. Dafür informiere ich mich im Laufe des Wochenendes, da rede ich dann halt auch mit Schumi's Physiotherapeuten, der erzählt mir dann, dass Schumi an dem Wochenende ein Glücksketterl von der Corinna trägt, irgend so etwas Banales halt. Oder ich erfahre: An diesem Wochenende ist es ganz heikel, da sind fünf Ingenieure mehr als üblich da und gegessen hat er auch nix – solche Gschichtel’n halt. Und diese Infos hole ich mir schon privat. Da geh ich auch zum Montoya, und bei gewissen Dingen frage ich ihn dann: „Kann ich das erzählen?“ Und er sagt dann entweder: „Erzähl was du willst, ist mir egal.“

Oder er sagt: „Bist du verrückt?“ Diese Vorarbeit macht man oft auch am Abend. Am Abend, so ab 19 Uhr, ist eine ganz eigene Stimmung im Fahrerlager, wenn die Sonne dann langsam am Untergehen ist, sitzt man vor den Motorhomes. Aber es gibt diese Partys nicht mehr, man ist im Fahrerlager und dann geht man noch ein bissl was essen oder gleich schlafen. Am Freitag war es in diesem Jahr ganz schlimm mit den Morgentests, du musst eine Stunde vor der Sendung da sein. In Malaysia beispielsweise wohnen wir eine Stunde von der Rennstrecke entfernt, da musst du um 6 Uhr aufstehen und dann sitzt du im Auto und fährst einmal eine Stunde durch den Dschungel.


Wie groß ist das Premiere World-Team vor Ort?


Tanja Bauer: Mit Technik sind es so um die 20. Das ist schon eine ganz schöne Truppe, beim ORF sind es sechs Leute oder so.


In Malaysia beispielsweise gibt’s ja keine Motorhomes. Containerromantik?


Tanja Bauer (lacht): Containerromantik...du hast halt keinen privaten Bereich mehr. Wir haben dann halt drei Container. In einem gibt’s drei Computer, da kann man sich vorbereiten.


Internetrecherche?


Tanja Bauer: Ja, der erste Weg ist immer Internet.


motorline.cc?


Tanja Bauer: Ja, immer. Aber auch Bild. Man muss immer über alles informiert sein. Bei RTL zum Beispiel kriegen sie eine auf den Deckel, wenn sie etwas nicht haben, was Bild gebracht hat. Wir stellen einen anderen Anspruch, wir machen mehr Technik und sind eher mehr, wie soll ich sagen, Qualitätsfernsehen. Einfach weniger Boulevard. In der Früh ist trotzdem immer das Wichtigste, zu schauen: Was haben die anderen? An der Rennstrecke bleiben wir dann im Durchschnitt bis 20 Uhr. Also Party in der Nacht oder so – nix! Weil das hängt dir dann nach. Wenn ich bei dem 90 Minuten dauernden Vorlauf am Sonntag nicht fit bin – da fällt mir dann auch nichts mehr ein. Denn da kann immer irgendetwas passieren. Und dann stehst du vor dieser Box und musst ohne Vorbereitung etwas sagen. Da hast du dann den Redakteur im Kopfhörer: „Geht schon, erzähl uns was!“


Schaust du dir deine Auftritte nachher an? Wird analysiert?


Tanja Bauer: Es gibt immer einen aus dem Team, der sich die Sendung anschaut. Am Dienstag nach dem Grand Prix gibt’s dann eine Sitzung. Und da sagt der dann eben zum Beispiel bei einem Interview: „Da war aber nicht viel drin.“ Dieses Controlling ist auch etwas, dass ich erst bei den Deutschen kennen gelernt habe, die machen das alle. Auch bei RTL, da sitzt dann halt auch einmal der Praktikant, der dem großen Star auf die Finger klopft.


Gibt es auch Zuschauerreaktionen? Dass jemand anruft und sagt: „Also die Tanja Bauer war am Freitag ganz komisch drauf, was war da los?“ – oder etwas in der Art?


Tanja Bauer: Ich muss dazu eines sagen: Die Zuschauer sind sehr genügsam. Für die Zuschauer genügt es, wenn der Montoya ausfällt, dass er dann einfach irgendetwas sagt. Der Zuschauer weiß später oft gar nicht mehr, was Montoya gesagt hat. Für den Zuschauer ist nur wichtig, dass der Montoya da ist. Wie schaut er aus? Ist er böse? Ist er gut aufgelegt? Ein gutes Beispiel ist die halbe Stunde vor dem Start. Da geht es viel um die Bilder und darum, welche Stimmung die Fahrer da ausstrahlen.


Die Zeit vor dem Start ist ja eine sehr magische. Dieses Augenflackern, das Herumgezupfe an den Rennhandschuhen...


Tanja Bauer: Richtig. Ich bin auch vor dem Start nur mehr dazu da,um Spannung aufzubereiten. Der Kommentator und ich werden immer versuchen, diese Spannung aufzubauen. Und wenn die Startaufstellung noch so fad ist. Es gibt ja auch so langweilige Rennen, wo diejenigen, die schnell sind, vorne stehen und dann wird hintereinander hergefahren, Überholmanöver gibt’s keine – und trotzdem musst es aber verkaufen. Du kannst ja dem Zuschauer auch nicht sagen: Heute braucht ihr gar erst nicht einzuschalten. Durch das neue Reglement wurde es ja um einiges besser.


Ich habe so das Gefühl, dass die Formel 1 so zirka seit der Schmierenkomödie in Spielberg 2002 und den danach folgenden Regeländerungen und den endlos langen Mosley-Briefen und den Änderungen der Änderungen ein bisschen ins Absurde abgleitet. Das Einzelrundenqualifying mit Tankverbot hat einerseits etwas buntere Startaufstellungen gebracht.

Andererseits sieht man die Autos nicht mehr unter gleichen Bedingungen und Ross Brawn hat zur Mitte der Saison erkannt, dass jetzt halt die Autos nicht nur nach ihrem Speed, sondern auch nach ihrem Tankvolumen aufgereiht stehen. Wenn also beim Start nichts besonderes passiert, gibt es eine Prozession, wo du dir in den ersten zehn Runden ausrechnen kannst, wie sich die Abstände Runde für Runde addieren werden, erst die Boxenstopps bringen dann wieder etwas Bewegung ins Spiel. Die doch oft spannenden Rennen wurden meist durch andere Umstände ermöglicht.



Tanja Bauer: Ich bin bis heute nicht draufgekommen, warum man teilweise gute Ideen von Leuten, die was verstehen, nicht umsetzt. Und warum man zum Teil planlos mit aller Gewalt irgendwelche Dinge reinbringen will. Warum das so ist und wer hier das Sagen hat und ob das nur der Mosley ist, das weiß glaube ich niemand. Da reden halt mehr Leute mit, und dann kommt irgendwas raus, irgendeine Mischung. Ich glaube schon: Langfristig gesehen muss etwas passieren. Die Formel 1 lebt halt nach wie vor davon, dass halt doch ein "Verrückter" da ist, dass ein Montoya halt ein bisschen länger am Gas bleibt. Sie lebt davon, dass der Schumacher und der Montoya halt nicht so gut miteinander können. Wenn das nicht mehr wäre, würde nichts mehr übrig bleiben. Weil wenn du dir ansiehst, wieviele Überholmanöver du in einem Jahr zu sehen bekommst – das ist erschreckend. Wenn du dir da zum Beispiel den Porsche Supercup anschaust, wie die da Rad an Rad kämpfen...


Oder du stellst dich auf eine Autobahnbrücke. Da könntest du mitunter auch mehr Action sehen.


Tanja Bauer (lacht): Ja. ...Es ist schade. Denn das ist es ja, was die Formel-1-Leidenschaft ausmacht – sich Rad an Rad zu messen. Wer lässt länger stehen? Wer bremst später? Wenn du heute nur ein bissl ankommst an einem gegnerischen Fahrzeug, bricht dir die Radaufhängung. Und du kriegst dann gleich wieder irgendeine Strafe aufgebrummt.

Was auch ganz lustig ist: Wenn der Michael Schumacher aufhören würde, hätten wir glaube ich zum ersten Mal ein Formel-1-Feld ohne einen Weltmeister.


Tanja Bauer: Ich finde es sehr schade, dass der Villeneuve nicht mehr dabei ist. Da hat sich auch gezeigt, dass es nicht stimmt, dass der Bernie Ecclestone überall eingreifen kann. Vielleicht sehen wir den Villeneuve ja nächstes Jahr noch einmal, ich glaube es aber nicht.


Nehmen wir an, Michael Schumacher wäre nicht mehr dabei. Weißt du, wer dann der bislang erfolgreichste Fahrer sein würde?


Tanja Bauer: Ich merke mir keine Zahlen. Ich tue mir schon schwer, mich daran zu erinnern, wer letztes Jahr welche Rennen gewonnen hat. Da gab es eine Geschichte, da ist der Alex Wurz noch gefahren und es gab da ein Thema, nämlich dass von der Statistik her der Alex etwas mit dem Niki Lauda gemeinsam hatte. Ich glaube es war so: Der Niki hat genauso lange gebraucht wie der Alex, um den ersten WM-Punkt zu erringen...


Drei Rennen? Beim Alex Wurz war es das dritte Rennen. Hat es beim Niki Lauda nicht länger gedauert?


Tanja Bauer: Ich weiß es nicht mehr. Irgendwas hatten sie aber gemeinsam. Der Heinz Prüller hat das groß in der Kronen Zeitung geschrieben, der ist ja nicht so ein großer Freund vom Alex. Da haben wir uns gedacht: Super, damit konfrontieren wir jetzt den Niki. Und ich lese mir das vorher ganz genau durch. Wann das war, wann der Niki das eben auch geschafft hat, und wo das war. Ich habe mir das auf einen Zettel geschrieben und vorgesagt. Es ging um eine Jahreszahl oder eine Punkteanzahl, irgend so etwas. Dann gab es die Interview-Aufzeichnung.

Der Niki musste gleich wieder weg, das heißt, wir konnten es nur einmal machen. Ok. Sag ich zum Niki: „Sie und der Alex Wurz haben etwas gemeinsam.“ Der Niki sagt: „Unmöglich. Wir haben nichts gemeinsam.“ Ich sag ihm, sie haben eben das und das gemeinsam, habe ihn damit konfrontiert. Der Niki überrascht: „Das ist ja unfassbar. Wann war denn das?“ Da bin ich da gestanden, ich habe keine Ahnung gehabt, keine Ahnung. Ich habe nur gesagt: „Das weiß ich jetzt nicht.“ Naja und das war’s dann.


Heinz Prüller hat verblüffenderweise in unserem Gespräch erzählt, dass er sich eigentlich auch Zahlen nicht gut merken kann. Für ihn muss da immer erst ein emotionaler Zusammenhang an ein bestimmtes Ereignis bestehen.


Tanja Bauer: Der Heinz ist ja berühmt dafür, was er sich alles merken kann. Gut, man muss dazu sagen, dass er aber auch so eine dicke Mappe vor sich liegen hat bei den Übertragungen.


Bei unserem Gespräch für diese Serie hat er aus dem Stehgreif die irrsten Daten um sich geschmissen...


Tanja Bauer: Da musst du mal das Duo Heinz Prüller- Robert Seeger erlebt haben, wenn die versuchen, sich gegenseitig zu übertreffen...


Wäre die Moderation eines Grand Prix für dich ein Thema?


Tanja Bauer: Ich weiß nicht, ob du einer Frau Formel-1-Rennen abnehmen würdest?


Warum nicht? In der DTM moderiert auch eine Frau.


Tanja Bauer: Nur - ich lebe mehr von den Emotionen. Entweder ich habe einen Gesprächspartner oder ich bin draußen. Dieses alleine Moderieren habe ich mir durch einige Schulungen antrainieren müssen.


Es besteht ja irgendwie schon ein Unterschied zwischen österreichischen TV-Moderatoren und deutschen TV-Moderatoren. Die Deutschen sind kompetent, aber die Österreicher wirken irgendwie emotionaler...


Tanja Bauer: Ich hatte da einen Job, eine Live-Moderation bei einer Autoshow und da hat mich eine Dame am Klo angesprochen und gesagt: „Ich finde Ihren Akzent so versöhnlich.“ Da war ich völlig paff. Mir hat noch nie jemand gesagt, dass er meinen Akzent versöhnlich findet. Ich habe sie gefragt: „Wie meinen Sie das?“ Sie sagte nur: „Ich weiß es auch nicht. Er klingt einfach versöhnlich.“


Hast du einen Mentor im Fahrerlager oder jemanden, bei dem du Rat suchst?


Tanja Bauer: Mein Mentor war der Heinz. Mit dem Niki Lauda bin ich gut befreundet, er ist mein Ratgeber. Wenn ich Rat brauche, gehe ich zum Niki. Als ich das Angebot von Premiere erhielt, war der Niki der erste, den ich angerufen und gefragt habe: „Soll ich es tun?“ Der Niki kennt die Leute und weiß, welche Tragweite gewisse Ereignisse und Entscheidungen haben können.


Kurz vor Schluss doch noch ein Ausflug in den Boulevard. Man dichtet dir gerne Verhältnisse an. Weil du gerade von Niki Lauda sprichst.


Tanja Bauer (lacht): Also mit dem Gerhard bin ich schon oft zusammengeworfen worden, mit dem Wurz habe ich angeblich was gehabt. Ich sage immer: Hätte ich mit all denen etwas gehabt, wäre ich nie zum Arbeiten gekommen. Ich war noch nie mit einem Fahrer Abendessen. Noch einmal zu Niki: Ich halte ihn für einen der genialsten Erzähler, die es gibt. Der kann dir immer etwas zu einem Thema sagen - ob das jetzt alles stimmt, ist eine andere Frage. Ich habe das beim ORF erlebt. Der kommt eben erst beim Fahrerlager rein, ich sage:

„Niki, ich brauch dich für ein kurzes Interview.“ Er sagt: „Wart, ich habe noch nichts gesehen“, geht zum Zeitenmonitor, schaut sich alles an und dann redet er 15 Minuten lang. Da frag ich ihn dann immer: „Woher hast du das alles?“ Mir hat mal jemand gesagt: „Du kannst den Niki zu den Paarungsläufen der Bären befragen, er wird dir auch dazu etwas sagen, das kompetent klingt.“ Und der Niki ist auch direkt, was man ihm hoch anrechnen muss. Der geht auch zum Norbert Haug und sagt: „Du pass mal auf, was ihr da heute gemacht habt, das war ja völliger Schwachsinn.“ Sein Vorteil ist ja auch, dass er nichts zu verlieren hat und sagen kann, was er denkt. Er hat keine Feinde im Fahrerlager und es gibt nichts, worüber er nicht Bescheid weiß.


Letzte Frage: Wie sehen deine Zukunftspläne aus?


Tanja Bauer: Also ich möchte nicht so wie der Heinz - der immer sagt, er wird irgendwann einmal in der Box erbleichen – mein Leben in der Formel 1 lassen. Ich bleibe sicher noch die nächsten drei Jahre, darüber hinaus habe ich noch keine Pläne, mal schauen. Es wird eine Zeit geben, in welcher der Michael Schumacher nicht mehr fahren wird und es am deutschen Markt schon einen Einbruch geben könnte. Aber zurzeit will sich darüber niemand wirklich Gedanken machen.


Okay, dann sag' ich: Danke für das Gespräch! Gibt es noch etwas, was dir am Herzen liegt? Was du noch abschließend sagen möchtest?


Tanja Bauer: Nur eine banale Lebensweisheit. Weil ich ja doch einen Job hab, wo die Leute sagen: Super! Wenn man, grad beim Studium zum Beispiel, nicht mehr weiß, wo man eigentlich ist, darf man nie aufhören, daran zu glauben. Und wenn das Ziel noch so weit weg ist. Wenn man es wirklich will, dann kommt man auch in die Formel 1.


Die Teile 1, 2, 3 finden Sie in der Navigation rechts.
www.tanjabauer.com

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