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„Mich interessiert der Mensch hinter dem Piloten“

Teil 2 des Tanja Bauer-Interviews: Über Frauen in der Männerdomäne Formel 1, die strenge "Interview-Hierarchie" und die Angst der Piloten, zu viel zu sagen.

Michael Noir Trawniczek
Fotos: Christoph Aschauer

Du bist also mit dem Motorsportvirus infiziert?


Tanja Bauer: Sagen mir es mal so: Ich habe zu einem normalen Straßenauto eine Beziehung. Autofahren bedeutet für mich nicht einfach Fortbewegen von Punkt A nach B, sondern das ist schon was anderes...


Wie würdest du den Unterschied beschreiben zwischen dem reinen Fortbewegen und dem sagen wir leidenschaftlichen Autofahren?


Tanja Bauer: Ein Mann hat ein ganz besonderes Gefühl oder er bekommt eine Gänsehaut, wenn er neben einem Porsche oder einem Lamborghini oder einem ähnlichen Gefährt steht und der Motor angelassen wird. Bei den meisten Frauen ist das nicht der Fall.


Ich habe mir ja vor unserem Gespräch überlegt, ob und wie man dieses Thema "Frauen im Motorsport" anschneiden soll. Es freut mich, dass du diese Thematik nun von dir aus ansprichst. Warum glaubst du, dass es diesen Unterschied zwischen den Männern und den Frauen gibt?


Tanja Bauer: Das liegt an der Erziehung. Jetzt vielleicht nicht mehr so wie früher. Aber wenn früher ein Mädchen mit Autos gespielt hat, dachten alle, da stimmt was nicht. Als Mädchen kriegst du automatisch eine Puppe geschenkt. Und wenn aber ein Mädchen mit einem Auto oder gar ein Bub mit einer Puppe dahergekommen ist, dachte man sofort: Da stimmt was nicht.


Also ich glaube, dass Frauen genauso geeignet für den Motorsport sind. Ich bin ja auch im Kartsport aktiv gewesen, habe dann die Liebe zur Musik entdeckt. Da gibt es ja Parallelen. Es geht beispielsweise sowohl im Rennsport als auch in der Musik viel um Rhythmus. Du fährst jede Runde gleich, so wie ein Song eine fixe Struktur hat. Zugleich ist trotzdem immer alles ein wenig anders, vor allem im Rennen oder bei einem Konzert...


Tanja Bauer: Ich denk, es geht in der Musik und auch im Rennsport sehr viel um das Empfinden, um das Fühlen...


Und das wiederum ist ja eigentlich eine Stärke der Frauen. Im Rennen muss man oft auch aus dem Bauch heraus Entscheidungen treffen. Da müssten ja dann die Frauen die besseren Rennfahrer sein?


Tanja Bauer: Das ist eine gute Frage. Ich weiß es nicht, das kann ich nicht wirklich beurteilen. Aber na ja. Es gibt ja auch, wenngleich wenige, Frauen, die es im Motorsport geschafft haben. Eine schwierige Frage. Den Michael Schumacher fragen sie das auch immer und er sagt, dass man eben einen schweren Weg hat vom Kart angefangen bis in den Formelsport. Und da werden halt Buben mehr gefördert als Mädchen. Später dann kommen die Sponsoren und sagen: „Ach wär’ das nett, eine Frau könnten wir auch gut brauchen“. Und dann werden sie gefördert. Der Niki Lauda hat ja jetzt auch eine junge Rennfahrerin unter Vertrag.


Vielleicht liegt es auch daran, dass es früher doch schwieriger war, ein Rennfahrzeug zu steuern. Ich sage nur Knüppelschaltung, Zwischengas, keine Servolenkung. Heute ist das ja zumindest in der Formel 1 nicht mehr so wie damals. Zwischengas gibt’s nimmer, Schalten tut man, jetzt wieder, über die kleinen Wippen am Lenkrad. Es geht vor allem um Kondition und um das Antrainieren von Nackenmuskeln...



Tanja Bauer: Wenn du dir die Schifahrerinnen ansiehst – die würden die Formel 1 alle aushalten. Die haben vielleicht nicht ausreichende Nackenmuskeln, aber das kann man ja schnell antrainieren.


Jetzt sind wir ja schon voll in diesem Mann/Frau-Thema drinnen. War das schwierig für dich, in dieser sogenannten Männerdomäne Formel 1 Fuß zu fassen?


Tanja Bauer: Es ist eine Gratwanderung, die du am Anfang beschreitest. Du erregst schon Aufmerksamkeit. Bei den ersten paar Grand Prix stehst du irgendwie am Servierteller. Da versucht jeder irgendwie abzutesten: Schaut sie jetzt nur halbwegs gut aus, quasi so in die Richtung Boxenluder, oder hat sie auch was drauf? Du musst halt den richtigen Grad finden, damit du trotzdem auch die Frau bleibst, das schon auch nutzt, aber trotzdem zeigst: Bis hierher und da ist die Grenze. Und ich weiß trotzdem, wovon ich rede. Ich habe zum Beispiel nie behauptet, ich wäre der große Technikfreak. Ich kann dir bei einem Motor nicht sagen, wo vorne und hinten ist. Wo da jetzt sich etwas bewegt oder auch nicht oder wo die Kolben sitzen – keine Ahnung! Das interessiert mich auch nicht. Ich werde aber auch nie ein Interview so beginnen: „Erzählen Sie mir, welchen Reifendruck Sie heute gefahren sind.“ Weil der kann mir erzählen was er will – ich habe keine Ahnung. Mich interessiert mehr: Wie geht’s dem? Hat er am Podest jetzt geheult, an was hat er gedacht dabei? Für mich ist das Größte, wenn der da oben geweint hat und nachher bei mir im Interview wieder weint. Weil dann habe ich irgendwie eine etwas menschlichere Seite dieses Piloten gezeigt.


Aber ist nicht gerade die technische Seite in einem hochtechnisierten Sport wichtig?


Tanja Bauer: Klar, das darfst du nicht vergessen, richtig. Aber die decken die männlichen Kollegen völlig ab.


Also hast du da auch eine Art Nische gefunden?


Tanja Bauer: Ja, wahrscheinlich. Es gibt bei uns beim Fernsehen so eine Art Interview-Hierarchie. Die ist bei allen Fahrern unterschiedlich. Aber bei Michael Schumacher ist das so, dass er eben nicht bereit ist, eine Frage öfter als einmal zu beantworten, wenn er jetzt unter die ersten Drei gekommen ist. Da kommt zuerst RTL, denn die sind der Sponsor des Herrn Schumacher, dann kommt Premiere World und dann der ORF. Und Schumacher verzeiht dir nicht, wenn du eine Frage noch einmal wiederholst, die bereits einer vor dir gestellt hat. Da schaut er dich an und sagt: „Das habe ich vorhin gerade beantwortet.“


Irgendwie auch verständlich...


Tanja Bauer: Ja, das ist alles wunderbar. Nur schlimm ist es beispielsweise dann, wenn der Motor explodiert ist und Michael fällt aus. Er erzählt das nur ein einziges Mal. Aber was willst du ihn dann anderes fragen? Und wenn du da als Dritter dran bist, dann musst du andere Fragen stellen. Dann musst du irgendwie so ums Eck herum fragen, dass er den Motorschaden doch irgendwie einflechtet. Ich glaube, dass dieses System mir sehr geholfen hat und umgekehrt es auch hilfreich war, dass ich halt einfach eine Frau bin. Jetzt bin ich halt Zweiter in der Interview-Hierarchie und es wurde mittlerweile leichter. Andererseits hilft dir gar nichts, wenn ein Pilot angefressen ist, da ist es egal ob du eine Frau bist. Da würde es auch nichts nützen, wenn du dich oben ohne hinstellen würdest.


Hat dich ein Fahrer schon einmal brüskiert oder dich verbal attackiert?


Tanja Bauer: Nein, eigentlich nicht.


Noch nie eine unfreundliche Antwort erhalten?


Tanja Bauer: Ja, vielleicht schon einmal. In dem Moment, wenn der wirklich ausfällt, sagen wir mal zwei Runden vor Schluss, und dann halt wahnsinnig enttäuscht ist und dann auch noch ein Interview geben muss. Ja, dann fallen die Antworten halt nicht so freundlich aus. Aber das steht ihm auch zu. Es ist nicht so, dass ich mich persönlich jetzt irgendwie gekränkt gefühlt hätte oder ich gesagt hätte: „Aber hallo, das muss jetzt nicht sein“.

Der Kollege Helmut Zwickl war eng befreundet mit Jochen Rindt. Nach dessen Tod hat Zwickl, wie er sagte, begonnen, mit mehr Distanz an die Formel 1 heranzugehen. Haben sich bei dir Freundschaften zu Fahrern entwickelt, in dem Sinn, dass du sie auch privat mal triffst?


Tanja Bauer: Nein, eigentlich nicht. Der Einzige, wo ich sagen könnte, wir haben ein freundschaftliches Verhältnis, ist der Juan Pablo Montoya. Wir verstehen uns gut, unterhalten uns auch abseits der Formel 1 über ganz andere Dinge.


Welche Dinge?


Tanja Bauer: Zum Beispiel bevor er geheiratet hat über die dahingehend weit auseinanderliegenden Philosophien zwischen Südamerikanern und Europäern. Montoya hat ganz andere Zugänge zur Familie...


Da gibt’s dann ja sicher auch Themen, wo du dann sagst, das verwende ich nicht in meiner Arbeit?


Tanja Bauer: Ja, klar. Da weiß ich schon Dinge, die nicht für irgendwelche Medien geeignet sind. Das ist in der Formel 1 ganz krass. Das Gegenteil davon ist zum Beispiel im Ski-Weltcup der Fall. Sämtliche Skisportler haben keine Barriere vor den Medien, die haben keine Angst, zu viel zu sagen. In der Formel 1 gibt es diese Angst aber sehr häufig.


Woran glaubst du liegt das?


Tanja Bauer: An den deutschen Medien. Wenn in der Bild-Zeitung steht: „Rolex-Ralf“, dann ist klar, dass der nimmer herkommt und sagt: „Red mit mir“. Denn dann ist er halt mal böse und dann wird er vorsichtig und sagt: „Dir erzähl ich nichts mehr.“ Das dreht sich dann im Kreis, leider.


Wenn man jetzt die heutigen F1-Piloten mit Leuten wie James Hunt vergleicht, kommt man schnell zum Thema „wenig sagende Worthülsen“. Ich denke, dass da halt schon auch die Arbeitgeber der Piloten, die Hersteller, eine Rolle spielen...


Tanja Bauer: Ja klar. Ich möchte aber bei den Medien bleiben und das auch noch relativieren, es liegt natürlich auch an den englischen Medien. Ich weiß, dass die Engländer genauso schlimm sind. Und was der Kollege Helmut Zwickl meint, ist sicher auch, dass es früher eine Art Ehrenkodex gegeben hat. Heute haben grad die Schreibenden das Problem, dass sie viele Geschichten aufblasen müssen, im Fernsehen kann ich ja nur Dinge abbilden. Dinge, die halt hergezeigt werden können. Bei den Schreibenden ist halt auch das Geschäft härter geworden. Keine Ahnung, ich war ja früher nicht dabei. Aber ich kenne wenige aktuelle Fahrer, die zu irgendeinem Journalisten eine wirkliche Freundschaft haben. Früher war der Zirkus auch kleiner und überschaubarer. Die sind alle im selben Hotel gewesen...


Vielleicht liegt es ja auch daran, dass im Gegensatz zu früher viele Fahrer schon beispielsweise mit 3 Jahren im Kart sitzen und darüber hinaus nichts anderes kennen. Früher gab es doch mehr Charaktere, die auch ein anderes Leben führten, vielleicht erst später in den Motorsport kamen?


Tanja Bauer: Ich glaube, dass es in der Formel 1 auch sehr clean geworden ist. Früher waren die Teams kleiner und auch die Medienpräsenz war überschaubarer. Vor Schumacher waren es glaube ich drei deutsche Journalisten, die im Zirkus dabei waren, jetzt sind es schätze ich mal an die 80 Journalisten beim Deutschen Grand Prix. Alles wurde aufgeblasen. Heute hast du einen Pressesprecher. Einen Assistenten vom Pressesprecher. Der redet mit dem Fahrer als erster. Der Fahrer erzählt ihm, was vorgefallen ist und dabei erkennt der Pressesprecher: „Aha. Vorsicht Schwachstelle, Achtung!“ Wenn irgendwas passiert ist, der Motor hochgegangen ist, wird zuerst einmal intern besprochen: „Was machen wir?“ Dann wird halt alles fünfmal gefiltert und was dann überbleibt ist, dass der Pilot sagt: „Naja, der Motor ist halt hochgegangen.“ Und dann fragt man: „Und was empfindest du dabei?“ Und er sagt dann: „Der Motor ist normalerweise ganz super...“


Also hat es doch was mit den Herstellern zu tun?


Tanja Bauer: Nicht nur mit den Herstellern. Auch an den Teams wie McLaren oder Williams. Die haben ja auch alle ihre eigenen Pressesprecher. Es ist alles sehr kontrolliert geworden.


Der Kollege Zwickl hat erzählt: Wenn Jochen Rindt von einer Quali-Runde berichtete, kam es zu blumigen Schilderungen aus dem Grenzbereich. „Dort ist mir das Heck ausgebrochen, da hab ich grade noch abfangen können, dort habe ich mich verschalten,...“ Zwickl sagt: „Heute ist der Grenzbereich im Gegensatz zu damals kein Bereich mehr sondern eine Linie, in jeder Runde gleich, da gibt es nichts mehr zu berichten."


Tanja Bauer: Da kommt auch noch dazu, dass die Strecken ja auch immer gleicher werden. Die baut ja jetzt alle nur noch einer. Die schauen irgendwo alle gleich aus. So richtige Mutstrecken gibt’s nimmer, außer jetzt vielleicht in Spa. Aber da nimmt man jetzt die Eau Rouge auch schon voll. Auf der anderen Seite aber will man auch nicht wieder so ein Wochenende wie 1994 in Imola erleben, an dem Ayrton Senna und Roland Ratzenberger starben. Trotzdem ist die Formel 1 zu einfach geworden.


Überholen wurde schwieriger. Im Windschatten fahren wird mit einem instabilen Fahrzeugverhalten bestraft.


Tanja Bauer: Es werden auch Strafen von den Stewards verhängt, wie die Durchfahrtsstrafe für Montoya in Indianapolis. Ich weiß zwar nicht mehr, was er angestellt hat, aber es war auf jeden Fall lächerlich. Weil mit solchen Strafen reduziere ich ja auch die Bereitschaft des Piloten, ein Risiko einzugehen.


Viele Fahrer sagen ja, sie hätten eine Lösung dafür, wie man wieder für mehr Überholmanöver sorgen könnte: Rückkehr zu Slicks, Aerodynamik-Beschnitt...


Tanja Bauer: Im Prinzip sind die Piloten auch nicht viel mehr als Angestellte. Ich bin ja noch nicht allzu lange dabei, aber vielleicht stellt sich da auch eine gewisse Resignation ein. Weil es gibt schon Typen wie beispielsweise den Jacques Villeneuve, die Lösungen hätten. Nur wenn du eh keine Chance siehst und auch nicht mal ansatzweise die Möglichkeit hast, etwas zu verändern...Da kommt es dann am Anfang der Saison schon mal vor, dass jemand sagt: „So ein Blödsinn“. Aber es würde niemals gesagt werden: „Der Mosley ist ein alter Mann, setzt ihn ab“. Sowas würde nie kommen. Weil dann würde er vom Teamchef einmal eine auf den Deckel bekommen...


Früher waren die Piloten halt auch nicht die Angestellten, sondern sie waren die Stars. Der Michael Schumacher in seiner Position könnte doch Einfluss nehmen, auch auf das Reglement...?


Tanja Bauer: Ich glaube nicht, dass der Michael Schumacher, wenn er sagen würde: „Setzt die Rillenreifen ab“ auch nur irgendeine Chance hätte. Dazu kommt, dass sich niemals alle Fahrer einig sind.


Die Teile 1, 3 und 4 finden Sie in der Navigation rechts.


>>> www.tanjabauer.com

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