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Helmut Zwickl zur F1-Reform:
„Die F1 macht sicher das Falsche!“

motorline.cc-Gespräch mit Helmut Zwickl – was sagt der langjährige Motorsport-Experte und F1-Berichterstatter zur aktuellen Formel 1-Reform?

Michael Noir Trawniczek
Fotos: Andreas Wiesbauer / motorline.cc

Im Winter sagte Helmut Zwickl in einem für die motorline.cc-Serie „F1-Backstage – Österreichs Formel 1-Reporter“ [in der Navigation rechts, d. Red.] abgehaltenen Interview: „Heutzutage wird jeder Kaktus im Fahrerlager interviewt. Sie interviewen sich ja schon gegenseitig...“

Nichtsdestotrotz bat motorline.cc den langjährigen Motorsport-Experten und F1-Berichterstatter im Rahmen der „Ennstal-Classic“ um ein kurzes Gespräch. Bei dem Kult-Event in der Tauern-Region fungiert Helmut Zwickl gemeinsam mit seinem Partner Michael Glöckner als Veranstalter. Die „Ennstal-Classic“ ist sein Baby – während in der F1 die unnahbare Drehkreuzerotik Überhand nimmt, bringt er jeden Sommer den Motorsport samt legendären Autos und Weltstars zu den Leuten. Die 12. „Ennstal-Classic“ hatte einmal mehr Rekordbesuch, Helmut Zwickl sitzt erschöpft in seinem für eine Woche eingerichteten Büro.

Seit vier Jahrzehnten ist Helmut Zwickl mit der Formel 1 unterwegs. Die heutige F1 hat mit der F1 vor 40 Jahren nichts mehr gemeinsam – die Königsklasse wurde völlig kommerzialisiert, hat sich vom Publikum abgewandt, es geht nur noch um Geld und Macht. Der Leidtragende ist der Zuschauer. Helmut Zwickl gilt heute als einer der schärfsten Kritiker der Formel 1. Er nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Derzeit wird die F1 wieder einmal umfassend reformiert – die Autos müssen eingebremst werden, Kosten müssen angeblich eingespart werden und so nebenbei möchte man die Show verbessern, sagt man zumindest. Dabei wäre die Verbesserung der Show eigentlich das Wichtigste – der Ungarn-GP hat das wieder einmal deutlich gemacht...

Helmut, die FIA hat ein Reglement für 2005 vorgelegt. Man möchte die Formel 1 einbremsen, die Kosten reduzieren und die Show verbessern. Wie ist deine Meinung zur aktuellen Situation?

Helmut Zwickl: Natürlich muss etwas gemacht werden. Nur: Die Formel 1 in ihrer Verkorkstheit, in ihrer Erstarrtheit, mit ihren Feindbildern und ihrer Politik macht sicher das Falsche. Alle sind sich darüber im Klaren, dass es billiger werden muss, dass die Formel 1 langsamer werden muss, dass die Formel 1 sicherer werden muss...

Aber das sind Maxime. Das sind Stellschrauben – die kann man beliebig verändern. Letztlich geht es darum, wie durch diese Veränderung sich das Gesamtbild entwickelt. Und wie ich die Formel 1 kenne, wird sie nicht billiger, wird sie ein bisschen langsamer und nicht spektakulärer werden.

Weil: Wenn sich die Herren nicht einmal einig sind, dass man das Qualifying-Format ändern muss – auch während der Saison – und dieses Format auch noch eine zweite Saison mitgeschleppt wird und die Herren wieder alles verteidigen mit den schwachsinnigsten Argumenten – dann weiß ich eigentlich, was auf uns zukommen wird.

Du hast gesagt: Die Formel 1 muss sicherer werden. Man könnte aber auch genauso gut sagen: Die Formel 1 ist so sicher wie nie zuvor. Vor zehn Jahren wäre der Ralf Schumacher gestorben bei seinem schweren Unfall in Indianapolis.

Helmut Zwickl: Ja, aber da bin ich nicht der Meinung vom Niki Lauda, der sagt: „Die Formel 1 ist sicher genug.“ Wenn wir uns den Unfall von Jarno Trulli in Silverstone vor Augen führen – er ist in einer Rechtskurve entgleist, weil ihm die Radaufhängung links hinten gebrochen ist. Weil er rund 280 km/h schnell war, flog er auf der nachfolgenden Geraden bis in die nächste Linkskurve und hat dort alle Sicherheitszonen aufgebraucht. Wir erreichen die Decke und der Ralf-Unfall zeigt uns: Wir werden irgendwann einmal einen toten Menschen aus einem heilen Monocoque rausziehen.

Weil einfach der Mensch die Belastungen nicht aushält. Der Ralf ist mit 98 g eingeschlagen. Der Emerson Fittipaldi hat mir gesagt, bei seinem Unfall auf dem Michigan-Speedway ist er mit 116 g eingeschlagen. Ich habe Dr. Sid Watkins in Silverstone gefragt: „Wie viel g hält ein Mensch aus?“ Er hat geantwortet: „Wir wissen es nicht.“

Wir werden es wissen, wenn einer tot ist. Und dann wird man wieder aufbrüllen, wie bei Senna und Ratzenberger, man wird alles verändern, man wird keinen Stein auf dem anderen lassen – das ist die Formel 1. Und dieses Spiel geht sicher weiter. Und es geht aber doch einfach nur darum, dass man die Fans wieder zurückgewinnt.

Mit den Haltbarkeitsmotoren und dem Rundengeiz in den freien Trainingseinheiten wird man die Fans aber nicht zurückgewinnen.

Helmut Zwickl: Ja – das ist ja alles so verknöchert. Ein Formel 1-Rennwagen, der am Samstag im Parc Fermé herumsteht – das ist pervers, meiner Meinung nach. An den Autos muss Tag und Nacht geschraubt werden. Irgendwann werden sie vorschreiben, dass ein Formel 1-Wagen nur alle 20.000 Kilometer zum Service darf. Wollen wir das?

Eher nicht – und diese Parc Fermé-Regel geht ja irgendwie auch gegen den Sicherheitsgedanken, weil an den Autos weniger gearbeitet wird.

Helmut Zwickl: So könnte man das sagen. Ist es der Sinn der Formel 1, dass man im Parc Fermé steht? Ist es der Sinn der Formel 1, dass man den Halbjahresmotor macht?

Dieses Geizen um jede Runde ist natürlich ein totaler Wahnsinn für die jungen Fahrer. Ich habe den Christian Klien gefragt – aber was soll er sagen? Er muss sich damit abfinden. Der Mathias Lauda macht es sehr gescheit – er fährt in beiden Formel 3000-Serien, der sitzt viel im Auto. Die Piloten kommen heute weniger zum Fahren.

Helmut Zwickl: Naja – sie testen. Sie testen 10.000 bis 15.000 Kilometer, sie fahren mehr denn je. Nur: Es ist ein brotloses Fahren. Es hilft nur der Reifenfirma. Es ist keine Wertschöpfung für das Team. Es ist sinnlos. Früher sind Stirling Moss oder Jochen Rindt nebenbei in anderen Rennklassen gefahren. Der Moss hat heute gesagt, er ist 25 Formel 1-Rennen in einem Jahr gefahren, aber es gab nur 7 WM-Läufe. Formel 1-Rennen in Brands Hatch, in Oulton Park, in Pau, auf der Solitude, und und und...

Von der Theorie her – wenn ich heute ein junger Formel 1-Pilot wäre - wäre es dann eigentlich möglich, dass ich mir ein altes Formel 1-Auto kaufe, einen Jaguar aus dem Jahr 2002 zum Beispiel, und ich da auf privater Basis üben kann? Mir eine Rennstrecke miete und da meine Runden drehe? Wäre das vom Reglement her erlaubt oder ist das verboten?

Helmut Zwickl: Es mag nicht verboten sein – nur wer zahlt den Aufwand? Das zahlt dir kein Sponsor, du brauchst Motoren, du brauchst die Ingenieure. Der Motor wird aus dem Laptop heraus gestartet. Du brauchst Reifen. Du brauchst eine Rennstreckenmiete. Du brauchst einen Hubschrauber, einen Arzt und so weiter...

Stichwort Reifen. Es sollen ja vergleichsweise harte Reifenmischungen kommen. Ist das nicht schon wieder der selbe Fehler, dass man mehr von den Reifen her einbremst als von der Aerodynamik? Diese 25 Prozent an Aerodynamik-Reduktion – reicht das aus? Stimmt das Verhältnis zwischen Aerodynamik- und Reifen-Abrüstung?

Helmut Zwickl: Meiner Meinung nach muss man bei den Reifen ansetzen. Die Reifen, die diese Rekordjagd initiieren - wir sind heuer um mindestens drei Sekunden schneller als im Vorjahr. Aber nicht weil die Motoren genauso viel leisten wie letztes Jahr. Die Aerodynamik wurde natürlich auch wieder besser. Aber von den drei Sekunden gehen zwei oder mehr auf die Reifen zurück. Jetzt muss man natürlich auch vorsichtig sein. Entweder eine Reifenfirma - die hat dann das Monopol. Oder beide Reifenfirmen mit einer auferlegten Selbstbeschränkung - nur mehr ein Reifen am Freitag, drei Sätze am Samstag und einen wählt man dann für das Rennen aus.

Was wird passieren? Man fährt dann überhaupt nicht, weil man Reifen schont. Man kann so ein Reglement nur einsetzen, wenn man gleichzeitig sagt: Aber es muss eine Mindestrundenanzahl gefahren werden. Das gleiche müsste man bei den Motoren machen. Nur: Ist dann wieder der Spareffekt da? Es ist nicht leicht. Aber die Formel 1 mischt aus allen Variablen, die es zu berücksichtigen gibt, ein politisches Reglement, das letztlich niemand befriedigt. Und die Zuschauer schon gar nicht.

Ross Brawn hat erklärt, man hat die Entwicklung des nächstjährigen Ferrari-Motors wieder abbrechen müssen, das Design landete im Mistkübel.

Helmut Zwickl: Weil man ihn auf ein Rennwochenende pro Motor hin entwickelt hat. Jetzt muss er im nächsten Jahr zwei Wochenenden halten.

Aber FIA-Präsident Max Mosley hat doch angekündigt, dass man die Lebensdauer erhöhen wird. Die Zweiwochenend-Motoren waren ja keine Überraschung.

Helmut Zwickl: Sicher – aber es gab kein konkretes Reglement. Wenn Mosley jetzt für nächstes Jahr sagt, wir gehen auf zwei Wochenenden, dann ist das wieder ein Alleingang, irgendwie. Die Motorenfirmen werden halt - mehr oder weniger gern - zustimmen. Aber – wie du sagst, sie müssen das Konzept neu erstellen – ich meine, sie werden es nicht weghauen.

Aber was passiert? Sie müssen dann alle Teile, die jetzt auf 800 Kilometer ausgelegt sind und die gefährdet sind – was immer das ist, ein Lager, eine Nockenwelle, eine Druckpumpe – auf die doppelte Distanz auslegen. Und das kostet wahnsinnig viel Geld. Natürlich hast du dann wieder weniger Motoren – auf die Saison gerechnet.

Aber das Teure wird doch nicht die Stückzahl sein, sondern doch vielmehr die Entwicklung, oder?

Helmut Zwickl: Ja, so ist es. Das Ganze ist ja eine verlogene Sache. Die Werke wollen nicht sparen, die haben ein Budget, ein Milliardenbudget für ihre Motoren – das wollen sie verbraten. BMW will zeigen, dass sie besser sind als Honda und Honda will zeigen, dass sie besser sind als die deutschen Nobelmarken. Hier geht es darum, dass man sich in der Formel 1 darstellt und Marketing betreibt für die Serie. Die wollen doch nicht sparen.

Und wenn Minardi und Jordan das Wettrüsten nicht mitgehen können, müssen sie Formel 3000 fahren. Wenn sie das auch nicht können, müssen sie Formel 3 fahren. Ganz einfach. Und wenn man zu wenig Autos am Start hat, dann werden halt Renault und Mercedes und Co ein drittes Auto einsetzen – sie haben es ja.

Jaguar-Boss Tony Purnell hat ein Budgetlimit vorgeschlagen. Würdest du so etwas begrüßen?

Helmut Zwickl: Ja, aber das ist undurchführbar. Wie willst du denn ein Budgetlimit feststellen? Du kannst ja nicht sagen: Ich gebe euch ein Sparbuch in Hongkong und wenn das erschöpft ist, dann fahren wir Formel 3.

Welche Maßnahmen würdest du setzen, wenn es in deiner Hand läge?

Helmut Zwickl: Du, ich werde mich hüten, hier irgendeinen Blödsinn zu sagen. Quasi einen Blödsinn mehr. Ich würde bei den Reifen ansetzen. Aber schon bei der Aerodynamik musst du mit den besten Gehirnen operieren, sonst kriegst du so einen Schwachsinn wie in Amerika – flacher Unterboden, die Autos steigen auf wenn sie Unterluft kriegen. Man muss vorsichtig sein. Ich würde sagen: Holzreifen her und dann fallen einmal die Rundenzeiten. Und diese abstrusen Sparprogramme wie Parc Fermé und Haltbarkeitsmotoren – das würde ich mir gründlich überlegen. Denn es ist verlogen und die Werke wollen gar nicht sparen. Nur um den Schein zu wahren müssen sie sagen: Wir müssen Kosten reduzieren. Gar nichts – sie wollen sich darstellen.

Weg vom Regelwerk – hin zu Christian Klien. Was sagst du zu unserem Formel 1-Rookie?

Helmut Zwickl: Ich glaube man sollte jetzt nicht den Stab über Christian Klien brechen. Denn es geht bereits los: Zweite Saisonhälfte, er hat keine WM-Punkte. Also er ist sicher nicht zu schnell in die Formel 1 gekommen. Christian Klien hat weniger Tests als alle anderen gemacht, das ist belegbar, weil Jaguar eben ein Budgetproblem hat. Der Christian Klien hätte in manchen Rennen, wo WM-Punkte am Präsentierteller gelegen sind, punkten müssen – dann würde man sagen: „Ah, er hat drei WM-Punkte, klasse.“

Der Christian Klien fährt in manchen Trainingssitzungen schneller oder bis auf die Hunderstel oder Zehntel an den Mark Webber heran. Er müsste weiter vorne starten, welche Maßnahmen auch immer dazu zu setzen sind. Das hängt wieder damit zusammen, dass er mehr testen müsste und wenn Jaguar mehr Budget hätte, dann wären die Raubkatzen schneller. Christian müsste so vom zehnten Startplatz herum ins Rennen starten können.

Der Antonio Pizzonia hat Jaguar schwer beschuldigt - er wäre letztes Jahr dort als Teamkollege von Mark Webber arg benachteiligt worden. Geschieht das auch bei Mark Webber und Christian Klien? In Wirklichkeit wissen wir es nicht. Der Christian sagt immer, er hat gleiches Material - das würde ich auch sagen – um des Friedens Willen. Man muss loyal sein. Ein Junger kann nicht die Schnauze aufreißen, sonst geht es ihm wie dem Pizzonia und du fliegst aus dem Team. Man müsste dem Christian meiner Meinung nach ein zweites Jahr geben.

Wie schätzt du seine Chancen ein, dass er 2005 wieder dabei ist?

Helmut Zwickl: Jaguar hat eine Option, die müssen sie bis September wahrnehmen. Jaguar hat jetzt den Webber verloren. Sie werden vielleicht den David Coulthard engagieren, vielleicht auch nicht. Sie werden sicher bei Red Bull anklopfen, wie viel ihnen ein Weiterengagement des Christian Klien wert ist - das wird dann eigentlich die Entscheidung sein. Oder Red Bull sagt: Wir haben da den Vitantonio Liuzzi, der ist erfolgreich in der Formel 3000 – vielleicht gibt es dann ein Stechen Liuzzi gegen Klien in einer Testsession. Letztlich entscheidet Geld – und Talent.

Klien hat im letzten Jahr bewiesen, dass er Talent hat, dass er schnell ist. Und das kann man ja auch nicht von heute auf morgen verlernen.

Helmut Zwickl: Ja, es geht auch nicht ums Verlernen – die Formel 1 ist einfach gnadenlos. Man kann sich nicht einfach nur reinsetzen und schnell fahren. Die Formel 1 ist ein Lernprozess, du musst die komplizierten Systeme verstehen. Formel 1 fahren ist leicht von der Bedienbarkeit. Aber man muss die Systeme verstehen. Was verändere ich, wenn ich den blauen Knopf drücke? Was passiert, wenn ich Gelb drücke? Und wenn Blau und Gelb nichts bringt, habe ich noch Rot zur Verfügung. Das ist sicher nicht leicht.

Die Abstimmungsarbeit.

Helmut Zwickl: Ja, der Dialog mit den Ingenieuren.

Letzte Frage: Ohne Michael Schumacher hätten wir erstmals ein Feld ohne einen aktiven Weltmeister...

Helmut Zwickl: Wenn man den Schumacher wegnimmt aus der Formel 1 - wäre sie sehr interessant. Da wird heute jeder zustimmen.

Ja, das denk ich mir auch. Helmut, danke für dieses Gespräch.

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