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"Ich fahr halt zum Onkel Bernie..."

Letzter Teil des Gesprächs mit Heinz Prüller. Über die wechselnden Finanziers der Formel 1. Über Michael Schumacher’s „Hans Rosenthal“-Sprung, nickende Pressemänner und das „reliable team“...

Michael Noir Trawniczek
Fotos: ORF (Milenko Badzic) & motorline.cc

Zur Hersteller-Konkurrenzserie, die es ja jetzt nicht geben wird. War das je eine realistische Bedrohung oder war es ein Druckmittel seitens der Hersteller, um zu ihrem Recht zu kommen. Einnahmenaufteilung der TV-Gelder etc.

Wird die Formel 1 nicht ohnehin zu einer reinen Herstellerserie verkommen? Werden die privaten Teams wie Jordan, Minardi und Sauber völlig ins Hintertreffen geraten?


Heinz Prüller: Sauber hängt ja schon sehr stark von Ferrari ab. Und ich glaube, dass es schon sein kann, dass sich Minardi und Jordan irgendwann mit einem Hersteller liieren. In der heutigen Zeit wäre eine dritte deutsche Firma in der Formel 1 nicht so gut, weil die werden alle gemessen an Mercedes und BMW. Der Bernie hat vor zehn Jahren gesehen, dass es Probleme mit der Tabakwerbung geben könnte.

Man muss schauen, wie die Formel 1 immer wieder finanziert wurde: In den 50er Jahren von den Benzinfirmen, dann von den Reifenfirmen und dann von der Tabakindustrie, denn ab 1968 war die sogenannte branchenfremde Werbung erlaubt.

Da war dann die große Frage: Wer könnte die Formel 1 finanzieren? Und da war dem Bernie klar: Dieses Geld hätte eigentlich nur die große Automobilbranche. Und deshalb hat er auch das Formel 1-Reglement angepasst. Das war ja damals noch 3 Liter und 3,5 Liter.

Und da konnte er bei den großen Werken sagen: Ihr habt ja eigentlich eh schon einen rennfähigen Formel 1-Motor. Den macht ihr jetzt noch ein bissl sharper. „And you can have motorsport first class.” Und so hat er die Werke der Reihe nach willkommen geheißen in der Formel 1. Und die haben ja auch keinen Nachteil daran, weil die Werbung ist toll.

Marketingüberlegungen waren wichtig. Weil Renault hatte das Image eines Hosenträgerautos, wie man damals gesagt hat. Plastikauto. Und das war ja damals jedes Mal eine fürchterliche Katastrophe, wenn die einen Mercedes geschlagen haben. Das hat sich geändert durch dieses aggressive Auftreten von Renault. Aber die Hersteller wissen sehr wohl, was sie an der Formel 1 haben. Die Formel 1 weiß auch, was sie an denen hat.

Das war ja eine Kettenreaktion, als die Werke einstiegen. Und umgekehrt, wenn jetzt einzelne Hersteller aussteigen würden, könnte das auch eine Kettenreaktion bewirken. Und da haben die halt sehr genau aufgepasst, dass das nicht passiert. Ich glaube, die reine Herstellerserie war eine Drohung, die nicht allzu ernst zu nehmen war.

Denn die Formel 1 wird immer der Bernie sein. Es war ja auch nicht so, dass es gebrannt hat, weil es ging ja erst um das Jahr 2007. Insofern hat der Luca di Montezemolo schon Recht gehabt, als er mir sagte: „Das gibt es nicht, dass die Teams nur 47 Prozent erhalten.“ Und es wurde auch mehr, man hat das rechtzeitig geklärt.

Ich sage immer: Die Formel 1 ist bereits eine Herstellerserie, sie muss es nicht mehr werden. Die Hersteller sagen, was gemacht wird. Da gab es doch die Aussage von Max Mosley, er würde so viele aufgebrachte Emails von Fans erhalten wegen den elektronischen Fahrhilfen.

Er sagte, es werde das gemacht, was das Publikum möchte, die Elektronik gehört weg. Eine Woche später sagte er dann, er habe sich von den Herstellern davon überzeugen lassen, dass die Beibehaltung der Traktionskontrolle der billigere Weg sei.


Heinz Prüller: Da kommen wir zu zwei Punkten. Der eine ist, dass die Konzerne sehr viel Elektronik haben. Wenn man schaut, in den 50er Jahren waren die Motoren das wichtigste, in den 60ern war es das Chassis, in den 70ern waren es die Reifen, in den 80ern eigentlich schon die Elektronik, in den 90ern die Aerodynamik.

Die Hersteller wollen nicht unbedingt, dass das Publikum den Eindruck erhält, dass in den Formel 1-Boliden weniger Elektronik drinsteckt als in den Straßenautos.

Der zweite Punkt ist aber auch, dass man diese Dinge nur sehr schwer kontrollieren kann. Bei der Traktionskontrolle hat man ja auch gesagt, dass der Umbau zu teuer sei und da man sich ohnehin schwer tat, das zu kontrollieren, hat man sie gelassen.

Man kann sie ja auch im Motormanagement verstecken.

Heinz Prüller: Natürlich. Wobei das Problem dabei ist: Man kann im Auto irrsinnig viel Hightech drinnen haben wie in einer Weltraumrakete. Es ist dem Zuschauer eigentlich egal, ob der da mit 350 oder mit 360 km/h fährt. Ob der Fahrer jetzt in einer Hunderstelsekunde schaltet oder in zwei, das ist dem Zuschauer völlig egal. Das stimmt schon: Er will mehr Gewicht am Fahrer haben.

Aber im weiteren Extrem will er dann die offenen Helme haben, am besten nur mit Schifahrerbrillen, damit man das Gesicht auch sieht. Das ist schon klar, die Fans wollen das pur haben. Ich persönlich würde es mir auch wünschen.

Diese Bilder aus den Cockpits – das ist wie ein Videospiel, das schaut auch so irrsinnig leicht aus. Es ist auch bei der Übertragung heutzutage alles perfekt. Es sagen viele Leute: Früher, da gab es das Rauschen in der Leitung, das klingt wie vom Mars, da hat man gewusst: Ui, das ist aus Japan, das ist weit weg. Heute klingt das, als ob du im Nebenzimmer sitzt. Das Pure, als die Autos noch geraucht haben, wo es noch gestaubt hat – das hat mir auch besser gefallen.

Oder ein Rennfahrer, der schwitzend und vielleicht auch zusammenbrechend aus dem Auto steigt, der bewegt die Leute mehr als der Schumacher, der nicht einmal schwitzt. Staubtrocken steht der da oben auf dem Podest. Dann macht er noch seinen Hans Rosenthal-Sprung. (Gelächter). Damit alle sehen, wie fit er ist.

Ich war 1979 im zum ersten mal im Fahrerlager. Da habe ich auch Sie gesehen. Nach dem Rennen. Und: Sie waren schweißüberströmt, von einem Motorhome zum anderen laufend, die totale Action. Haben sich ihr Rennwochenenden in den Jahren verändert?

Heinz Prüller: Gut, mit dem Block in der Hand und schwitzend und so weiter. Das war immer so: Wenn die Übertragung fertig war, habe ich dann im Augenblick nichts mehr zu tun gehabt und da bin ich runter gerannt.

Und da habe ich oft meine Sieger-Interviews gemacht – noch vor der Siegerehrung. Da war ich oft der Einzige. Da hieß es dann: „Geh, bitte, bitte, beeil dich, weil die warten schon mit der Siegerehrung.“

Jetzt steigen die aus nach dem Rennen, können nicht einmal „Grüß Gott“ sagen, weil keine Zeit ist. Und damals bin ich halt durch die Teams durch und habe mich erkundigt, was los war. Heute ist es so, dass sie nach dem Rennen ihre Briefings und Debriefings haben und dann ist es schwierig.

Und irgendwann später kommen dann diese komischen Presseerklärungen, wo der eine dann sagt: „You know, we had a little problem with the electrics, but we hope the next race...“ und so weiter. In Wirklichkeit ist dem der Motor explodiert. Nur davon darf er nichts sagen. Oder sie hatten ein „little problem with the suspension“ – beim Barrichello hat man das gesehen, bei dem das ganze Rad weg geflogen ist (Gelächter). In Budapest war das.

Oder Ferrari hat sich in Brasilien mit dem Treibstoff verrechnet. Das war ein Problem mit dem Computer. In Wahrheit ist der Barrichello in Führung liegend ohne Sprit ausgerollt. Das wurde dann hingetrimmt in ein Problem mit der...- irgendwas haben sie da gesagt.

Benzinaufnahme haben sie glaube ich gesagt.

Heinz Prüller: Irgend so ein Scheiß. Weil es könnte sein, wenn die jetzt sagen: Wir haben mehr Sprit verbraucht und wir haben uns halt geirrt, dass dann – ich konstruiere jetzt – dass dann die Treibstofffirma sagt: „Ui, das heißt, wir brauchen mehr Sprit. Wenn dann der normale FIAT-Fahrer glaubt, dass er auch mehr Sprit verbraucht als ausgerechnet ist, dann denkt er sich: Na das ist dann ja vielleicht teuer. Da kaufe ich mir lieber einen BMW.“ Oder wie auch immer – die denken ja bereits in diesen Sphären.

Mir ist immer wichtig gewesen, das erste Interview zu haben. Weil wenn du der Dreißigste bist, dem der Fahrer dann sagt: „I am very happy“ – das ist ja dann nicht mehr frisch. Aber es ist alles vollkommen normal. Ein anderer fährt am Ende der Woche in sein Wochenendhäusel und ich fahr halt zum Onkel Bernie. Und richte mir dort das Büro für das Wochenende ein.

Noch ein Stichwort - Internet.

Heinz Prüller: Die Sauber-Präsentation ist im Internet übertragen worden. Das Internet ist sensationell, das ist gar keine Frage. Aber als das Internet aufkam, habe ich sofort gesagt: Aufpassen. Da können Lügen und Gerüchte verbreitet werden.

Und es ist leider auch ein Platz , wo sich dunkle Kräfte gut verstecken können. Ich sage nur: Dieser deutsche Kannibalismus. Diese belgischen Kinderpornos. Mädchenhandel. Was schade ist. Und bei den Emails beunruhigen mich ein bisschen die Viren.

Weil ich will ehrlich gesagt nicht, dass wenn ich da auf meinem PC irgendwelche Viren draufbekomme und ich habe ein halbes Buch gespeichert, dass das dann gelöscht wird. Das brauche ich nicht. Aber ansonsten finde ich das Internet wirklich gut. Ich bin nicht gegen dieses Medium, ganz im Gegenteil.

Das Absurde ist ja, dass wir in unserem Medienzeitalter in der Formel 1 mit leeren Worthülsen kämpfen...

Heinz Prüller: Entsetzlich.

Und früher, als es das Internet noch nicht gab, hatten wir viel mehr Informationen bzw. viel blumigere Aussagen der Piloten. Der Kollege Zwickl schilderte, dass es früher viel intensivere Erzählungen der Piloten aus dem Grenzbereich gab. Heute gibt’s keinen Drift, da rutscht nichts hinten weg.

Heinz Prüller: Ja, das ist sicherlich richtig. Aber man kann mit ihnen schon reden. Die Emotionen am Start. Mir hat einmal jemand von einer Qualifyingrunde in Monaco erzählt, der sagte: „Du, ich habe in der ganzen Runde nicht geatmet.“ Der Jenson Button hat mir gesagt: „Ich traue mich in einer schnellen Kurve nicht atmen.“ Der Jochen hat mir einmal gesagt: „Wenn du in einer schnellen Kurve niesen musst, bist du tot.“

Mir ist bei einem Kartrennen einmal eine Wespe in den Overall rein, vorne ins Bein.

Heinz Prüller: Na, da wissen Sie ja was los ist.

Naja, da ist nicht viel los. Entweder du wirst gestochen oder du wirst nicht gestochen. Aber wenn du da jetzt viel dran denkst, fliegst du raus und das Rennen ist vorbei.

Heinz Prüller: Ein Beispiel. Sie sind jetzt der Rennfahrer und Sie sind der Pressemann. Ich sag zu Ihnen: „Sind sie nervös vor dem Start?“ Und er sagt: „I have a reliable team and I know my engineer is good..“ Dann nickt der Pressemann. Früher hat man gesagt: “Du pass auf. Ich habe dem Mechaniker eine Watsche geben müssen, weil der hat vergessen, irgendwas zu überprüfen am Start.“ So war das früher.

Bleiben wir bei unserem Beispiel: Jetzt ist der Pressemann weg, ich treffe den Rennfahrer, mit dem ich vielleicht schon seit Jahren gut bekannt bin, beim Abendessen oder auf ein Glaserl. Und ich sag: „Sag einmal, was war da mit dem komischen Ausfall?“ Sagt er: „Ob du’s glaubst oder nicht. Der Mechaniker hat einen Schraubenschlüssel vergessen im Auto. Und der Schraubenschlüssel hat sich verklemmt bei den Pedalen.“

Das hat es ja auch schon in der Realität gegeben.

Heinz Prüller: Das war schon zweimal. Und bei unserem fiktiven Beispiel hat man noch an der Box gesehen, wie sich die Mechaniker in das Auto hineingebeugt haben. Und vor diesem Gespräch mit dem Rennfahrer, als noch der Pressemann an seiner Seite war, sagte er: „Da war etwas, ich weiß es nicht genau. Etwas am Gasgestänge.“

Ich will damit sagen: Man erfährt solche Geschichten schon. Man muss die Leute halt kennen, die Leute müssen Vertrauen zu einem haben. Erstens, dass man sie nicht ausnützt – wie man sagt: Ich verkaufe die Großmutter für eine Schlagzeile.

Und vor allem, dass sie das Gefühl haben, sie können einem etwas sagen, ohne dass es am nächsten Tag in der Zeitung steht. Sich dieses Vertrauen zu erarbeiten, halte ich für sehr wichtig.

Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

Die Teile 1, 2, und 3 des Interviews finden Sie in der Navigation rechts.

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