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Lektion in angewandter Publikumsnähe

Teil 2 des Gesprächs mit Gerhard Kuntschik: Über den kleinen aber feinen Unterschied zwischen der unnahbaren Formel 1 und den publikumsfreundlichen US-Rennserien.

Michael Noir Trawniczek

Viele meiner Freunde haben mit der Formel 1 wenig bis gar nichts am Hut. Und sie erkennen nicht, ob das ein Ferrari aus dem Jahr 2003 oder einer aus dem Jahr 1999 ist, denn die Autos sehen schon seit Jahren, zumindest für Laien, gleich aus.

Gerhard Kuntschik: Die Formel 1 hat einen Bonus, nämlich dass die Bereiche, die im Motorsport wirklich attraktiv sind, und welche die Leute wirklich vom Hocker reißen würden, in Europa nicht gezeigt werden. Die Motorradrennen. Da schauen nur die Freaks, die wissen, dass das toll ist. Oder die Ovalrennen, die sind zwar die längste Zeit nicht so spannend, aber wenn es ins Finish geht, fahren die mit 350 km/h zu dritt nebeneinander in die letzte Runde und du kannst eine Runde vor Schluss nicht sagen, wer von den ersten Fünf gewinnen wird, und dann fahren sie innerhalb von Hunderstelsekunden über die Linie.

So eine Dramatik siehst du in der Formel 1 nicht. Ich bin halt Amerika-Fan, besuche auch zwei-, dreimal im Jahr IRL- oder CART-Rennen. Dort kann man sich zudem auch noch relaxt durch das Fahrerlager bewegen. Ein amerikanischer Journalist hat mir erzählt, dass er beim Formel 1-Grand Prix in Indianapolis von der Einfahrt in den Speedway bis zum Pressezentrum 13 Kontrollen hatte. Und das versteht halt ein Amerikaner nicht. Was heißt ein Amerikaner - das versteht normalerweise kein Mensch. Und dann kommst du zum Indy 500 und alle sind freundlich, sagen „Guten Tag“ und du wirst vielleicht ein-, zweimal kontrolliert.

Europa schielt ja in vielen Bereichen gerne nach Amerika, Hollywood ist so ein Beispiel. Was den Motorsport betrifft, scheint das anders zu sein.

Gerhard Kuntschik: Was für die Amerikaner immer noch ein Grundsatz ist, und zwar in allen Sportarten: Du brauchst die Nähe zum Publikum und die Nähe zu den Fans. Ich war 2003 wieder bei den 500 Meilen von Indianapolis. Und ich habe meinen Augen nicht getraut. Das letzte Training ist dort ja am Donnerstag, das Rennen am Sonntag. Freitag und Samstag gibt es keine Aktivität auf der Strecke. Da waren am Samstag 50.000 Leute im Oval, obwohl nicht gefahren wurde.

Da haben sie vor dem neuen Zielturm, auf diesem großen Platz, Tische aufgestellt und Bänke, wie bei uns beim Heurigen. Und zwar genau elf Tische, exakt in der Reihenfolge der Startaufstellung und die Piloten, vom Ersten bis zum Dreiunddreißigsten, sind dort gesessen. Immer Dreierbänke für die jeweilige Startreihe. Von 9 bis 10 Uhr sind alle Piloten dort gesessen, haben Autogramme geschrieben, haben sich fotografieren lassen, haben Gespräche mit den Fans geführt. Stellen Sie sich das in der Formel 1 vor.

Stellen Sie sich vor, am Sonntag Vormittag, wo sowieso nichts los ist, würde angeordnet werden, dass sie eine Stunde Autogramme schreiben müssen – das wäre in der Formel 1 unvorstellbar.

Die Fahrer in den USA wirken zum Teil auch so, als hätten sie mehr Charisma.

Gerhard Kuntschik: Die Sportler in Amerika, ob Motorsport oder eine andere Sportart, wachsen alle damit auf, dass du in den USA als Sportler für die Fans da sein musst. Bei den Rennen gibt es ebenfalls Pressekonferenzen und da werden manchmal Fragen gestellt, wo du es einem Fahrer nicht übel nehmen würdest, wenn er aufstehen und sagen würde: „Auf so einen Blödsinn antworte ich nicht.“ Sie antworten auf die noch so dümmste Frage.

In Amerika haben die Piloten in ihren Verträgen Klauseln stehen, falls sich Medien beklagen sollten über zu wenig Kooperation, dass sie dann Geldstrafen erhalten. Der alte Andretti hat mir das einmal bestätigt. Die wissen genau: Das Geld kommt von Sponsoren. Sponsoren gibt es nur, wenn die Medienwirkung da ist. Die erkennen den Kreislauf. Die erkennen, wie die eine Hand die andere füttert. In der Formel 1 haben sie das nicht kapiert.

Das liegt doch aber sicher auch an den Arbeitgebern der Formel 1-Piloten. Ein Alexander Wurz darf nicht einmal eine eigene Formel 1-Homepage haben. Und eine Homepage ist ja auch ein Werkzeug für die angewandte Publikumsnähe.

Gerhard Kuntschik: Ich habe drei Jahre lang, die drei Benetton-Jahre von Wurz, für ein japanisches Magazin jeden Monat eine Kolumne für den Alex geschrieben, mit ihm gemeinsam gemacht und in Englisch nach Japan geschickt. Er ist zu McLaren gekommen und es ist ihm sofort verboten worden.

Zurück zu Amerika: Das „Fotofinish“ von Michael Schumacher und Rubens Barrichello im Jahr 2002 hat nicht gerade dazu beigetragen, die Formel 1 in den USA attraktiv zu machen. Die wollen Sport sehen und kein abgekartetes Spiel.

Gerhard Kuntschik: Das war für alle Fans ein Schlag ins Gesicht. Das hat niemand verstanden. Es ist ja sinnlos zu glauben, dass ich auf das Tausendstel genau gemeinsam über die Ziellinie fahren kann. Gut, ich lasse mir noch einreden, dass dies eine Kurzschlusshandlung in einer Sekundenentscheidung war.

Aber was sie 2000 beim ersten Grand Prix in Indianapolis gemacht haben, war ein großer Fehler: Die erste Pressekonferenz am Donnerstag, da waren neben anderen Mika Hakkinen und Michael Schumacher dabei. Die amerikanischen Journalisten fragten: „Was empfindet ihr, wenn ihr hier bei uns seid, in diesem großartigen Mekka des Motorsports, dem geschichtsträchtigen und legendären Indianapolis Motorspeedway?“ Und die haben Null darauf reagiert. Der Hakkinen sagte, er hat sich noch nichts angeschaut, er ist gerade erst ins Fahrerlager hereingekommen. Man fragte sie, ob sie sich das Museum anschauen werden. Beide sagten: „Nein“. Beide haben sich angestellt wie die größten Idioten.

Selbst wenn es ihnen nicht einfällt, dass sie etwas medial, profimäßig für die amerikanischen Journalisten tun müssen, dann gibt es doch in jedem Team PR-Fachleute, die den Piloten erklären hätten müssen: „Passt auf, sagt ein paar freundliche Worte“. Wenn der Schumacher reinkommt in die Pressekonferenz und sagt: „Ich bin so froh, dass wir einen Amerika-Grand Prix haben. Ich spüre die Spannung und die Geschichte in diesem Indy-Speedway und das Museum werde ich mir ansehen und da habe ich schon die tollsten Dinge gehört...“ – wenn der nur zwanzig Sekunden so etwas sagt, hat er Schlagzeilen in ganz Amerika und alle jubeln und sagen: „Das ist ein sympathischer Typ“. Die Trotteln kapieren es nicht.

Der Herr Wurz hatte damals, 2000 war er noch Benetton-Fahrer, einen Auftritt für Bridgestone in einer Gokarthalle. Den Wurz haben sie genau das Gleiche gefragt und der Alex hat glaube ich drei oder vier Minuten geredet ohne Unterbrechung- Wie toll das ist hier in Amerika, wie ihm das taugt in Indianapolis. Als er dann sagte, dass er am liebsten nicht nur die Zielkurve sondern den ganzen Speedway befahren würde, sind die Leute aufgestanden und haben applaudiert. Der Wurz war so intelligent und hat das durchschaut, dass man den Amerikanern eben etwas sagen muss, worüber sie sich freuen.

Und der Indy-Speedway ist ja wirklich ein legendärer Platz, da muss man eigentlich nicht viel herumheucheln...

Gerhard Kuntschik: Früher hatten die Formel 1-Fahrer einen größeren Horizont, die sind auch in Le Mans gefahren oder bei Sportwagenrennen. Heute ist jeder fokussiert auf die Formel 1. Und alles andere ist für sie minderwertig. Sie beschäftigen sich ja nicht einmal damit.

Fokussieren wir auch wieder die Formel 1. Stichwort Traktionskontrolle. Mosley wollte sie abschaffen, die Hersteller setzten sich durch, sie bleibt.

Gerhard Kuntschik: Das ist das Eingeständnis, dass sie es einfach nicht kontrollieren können. Und man befürchtet, dass die Hersteller dann aussteigen könnten, wenn sie ihre Hochtechnologie nicht in die Auslage stellen können.

Eine Lockerung des Reglements bei gleichzeitiger Aerodynamikreduktion und Verbot elektronischer Fahrhilfen würde die Vielfalt fördern, dann würden die Boliden nicht mehr alle gleich aussehen.

Gerhard Kuntschik: Aber das würde die Kosten in die Höhe treiben. Obwohl - die Kosten sind so ja auch hoch, das ist eigentlich wahr. Das Schlimmste aber ist, dass es momentan völlig an der Spannung für den Zuschauer mangelt. Nicht nur vom Programmablauf. Es ist eine Gemeinheit, dass man bei der Qualifikation am Samstag nicht weiß, wie viel Sprit jeder im Tank hat. Dass man nicht sagen kann: Der ist schlecht gefahren, der ist gut gefahren.

Man hat es überhaupt nicht kommentieren können, sondern man hat warten müssen, was am nächsten Tag im Rennen passiert. Und dass du am Montag in der Zeitung aufgrund des Rennens erklärst, warum am Samstag einer Sechster in der Startaufstellung war, das interessiert keinen Menschen mehr. Dieses Reglement geht völlig am Interesse des zahlenden Publikums vorbei.

Die Piloten wollen Slicks und Aerodynamikreduktion.

Gerhard Kuntschik: Slicks wollen viele Piloten. Dann würden die Autos wahrscheinlich noch schneller in den Kurven werden. Und dann könnte man nur noch über die Motorenformel einbremsen und das geht kurzfristig nicht.

Wieso? Wenn ich ein Auto auf breiten Slicks habe und ich habe keinen Diffusor und weniger Flügel, dann kann ich eben nur so schnell in die Kurve stechen, wie sie es eben verträgt. Ansonsten fliege ich halt ab. Sie haben ja auch die 1000PS-Monster der Turbozeit fahren können.

Gerhard Kuntschik: Die Aerodynamik müsste dann radikal beschnitten werden. Ja, das wäre schon ein Weg. Dann könnten wir auch wieder mit Slicks fahren.

Ich frage mich immer: Wieso hört man nicht auf die Fahrer?

Gerhard Kuntschik: Es sagt grundsätzlich jeder, dass der Fahrer wieder mehr zählen sollte. Die Mehrheit der Piloten sagt: Die Traktionskontrolle gehört weg. Nur bei der Aerodynamik ist es so, dass die Piloten, die technisch gut bewandert sind und bei der Flügel-Abstimmung etwas herauskitzeln, diese Reduktion nicht wollen.

Die Hersteller wollen das auch nicht. Andererseits müssten doch auch die Hersteller an einer guten Show, mit mehr Action, interessiert sein? Der Norbert Haug beispielsweise ist ja auch leidenschaftlicher Motorsportfan. Ich frage mich, ob der wirklich zufrieden ist mit dem derzeitigen Weg der Formel 1?

Gerhard Kuntschik: Nein, ist er sicherlich nicht. Ich habe mit ihm im August ein langes Gespräch geführt und er war sehr kritisch. Er sagte, dass dieses Einstimmigkeitsprinzip des Concorde-Abkommens weg gehört. Da kannst du nämlich nichts mehr bewegen.

Stichwort Piloten-Worthülsen.

Gerhard Kuntschik: Die Aussagen, welche über normale Presseaussendungen hinaus gehen, werden immer weniger. Der Michael Schumacher aber ist beispielsweise in persönlichen Interviews ganz anders. Der gibt dir dann auf jede Frage blitzgescheite Antworten und man kann gut mit ihm reden. Aber für mich war der einzige Nachfolger vom Gerhard Berger, mit dem man viel Spaß hatte und der einer der wenigen mit Humor im Feld war, der Alex Zanardi. Ein genialer Typ, ein lieber Kerl – und den schmeißen sie raus nach einem Jahr? Das größte Problem bei seinem Williams-Gastspiel waren für ihn die Reifen, vermute ich mal.

Aber noch mal zu den Piloten: Ich würde halt annehmen, wenn einer der Piloten sagen würde, er hätte gerne diese und jene Änderungen im Reglement - und selbst wenn es ein Michael Schumacher wäre - dann würde ihm der Dienstgeber sagen: Pass auf, du verdienst so und so viel und jetzt mach deinen Job und halt die Pappn, um jetzt vulgär zu sein.

Letzte Frage: Die Zukunft der Formel 1.

Gerhard Kuntschik: Auch wenn ich mich jetzt bei den Ferrari-Fans unbeliebt mache: Die Formel 1 wird erst wieder spannend werden, wenn der Herr Michael aufhört.

Dann sage ich: Herzlichen Dank für das Gespräch.

Morgen Dienstag finden Sie auf motorline.cc den ersten Teil des Gesprächs mit Gerald Pototschnig, dem Formel 1-Reporter der Kleinen Zeitung.

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