MOTORSPORT

  • Motorline auf Facebook
  • Motorline auf Twitter

"Die Formel 1 ist definitiv eine Art Mafia!"

Teil 1 des motorline.cc-Talks mit Gerald Enzinger (Sportwoche). Über den Austro-Komplex, Patrick Friesacher und die Mafia namens Formel 1.

Michael Noir Trawniczek
Fotos: Red Bull/Houdek für Sportmagazin, Sportwoche

Gerald Enzinger ist seit 1999 mit der Formel 1 auf Tournee. Er ist der stellvertretende Chefredakteur der wöchentlich erscheinenden Sportwoche und schreibt auch für das Sportmagazin. Als einer der wenigen österreichischen Motorsport-Journalisten berichtet Enzinger nicht nur von der Formel 1, sondern auch von der Motorrad- und der Rallye-WM. Aber auch das runde Leder ist für den Steirer kein unbekanntes Land - hat er doch die Biographie "Ivica Osim - Das Spiel des Lebens" verfasst. Beim Frühstück im Wiener Kaffeehaus "Drechsler" erklärt Gerald Enzinger, was ihn an der Königsklasse am meisten fasziniert - es sind die Menschen hinter den Fassaden, deren Gedanken und Gefühle.

Im ersten Teil unseres Gesprächs für die motorline.cc-Serie "F1-Backstage - Österreichs F1-Reporter" geht es um den "Austro-Komplex", um die Frage, warum wir Alpenrepublikaner so streng sind, wenn es um die Alpenrepublikaner in der F1 geht. Und es ist naheliegend, dass man so bei Patrick Friesacher und dem jähen Ende seiner Minardi-Karriere landet. Was Gerald Enzinger im Umfeld des Kärntners aufgefallen ist und was er dem sympathischen Patrick für die Zukunft rät.

Gerald - kannst du unseren LeserInnen kurz etwas über deinen Werdegang erzählen?

Gerald Enzinger: Begonnen hat es bei mir dadurch, dass ich in der Nähe des A1-Rings aufgewachsen bin - rund 40 Kilometer vom Ring entfernt. Und ich habe einen damals schon äußerst motorsportbegeisterten Bruder, der mittlerweile bei BMW in der Formel 1 arbeitet. Ich bin ja um einiges jünger als er und der Vorteil bestand darin, dass er mich überall hin mitgenommen hat. Seit....(überlegt).

Seit der Turbo-Zeit?

Gerald Enzinger: Ja, 1980 war mein erstes Rennen in Zeltweg. Und seither war ich an jedem Formel 1-Wochenende in Zeltweg. Und ich habe auch viele andere Rennserien dort gesehen, wie den Semperit-Cup, Tourenwagen-Rennen, Formel Ford...

Bist du selbst auch gefahren? Hast du an eine aktive Karriere gedacht?

Gerald Enzinger: Nein, nicht wirklich (lacht). Danach - als Journalist - bin ich schon mal gefahren, aber damals nicht. Aber um's Selber-Fahren ging es mir damals eigentlich nicht.

Hat dich die Technik der Boliden fasziniert?

Gerald Enzinger: Nein, überhaupt nicht. Es war immer so, dass mein Bruder den Technik-Zugang hatte und ich habe mich eher für die Schicksale, für die Menschen dahinter interessiert.

Und für dich war sofort klar, dass du Journalist werden möchtest?

Gerald Enzinger: Ja, das wollte ich schon vor diesem Rennbesuch werden. Unabhängig davon. Wobei sich die Formel 1 dann eher durch Zufall ergeben hat. Ich habe davor auch schon lokale Berichterstattung und ähnliches gemacht.

Lokalberichterstattung, öffentlicher Verkehr... - Autounfälle?

Gerald Enzinger (lacht): Ja. Auch. Da habe ich die andere Seite gesehen. Aber mit dem Motorsport bin ich aufgewachsen. Auch Motocross zum Beispiel. Später, ab 1990, war ich in der Sportredaktion einer Zeitung und habe bereits die ersten Formel 1-Berichte geschrieben. Ich kann mich noch erinnern an Spa 1991 - da habe ich nach dem Rennen einen Kommentar verfasst, dass mit Michael Schumacher eine neue Dimension in der Formel 1 beginnt. [Spa 1991 war der Debüt-GP des Siebenfachweltmeisters, d. Red.]

Den Schumacher haben wir damals ziemlich verfolgt, weil er ja zusammen mit dem Karl Wendlinger Tourenwagen gefahren ist - ich habe dann eine Zeit lang andere Bereiche gemacht, zur Formel 1 bin ich als Journalist erst wieder 1998 gestoßen. Da war ich Info-Chef bei einem Radiosender und habe live vom Österreich-GP berichtet. Von da an habe ich ständig F1 gemacht. Und mein Bruder ist immer noch bei BMW - er ist eigentlich der erste BMW-Mitarbeiter, der bei allen F1-Rennen von BMW dabei war. Das hat dann zu dem kuriosen Umstand geführt, dass wir ab 1999 beide auf F1-Tour waren und wir uns jedes zweite Wochenende bei einem GP getroffen haben. Als dann die Sportwoche gegründet wurde, hat man mich gefragt, ob ich F1 und Motorsport machen möchte. Und dann bin ich nach Wien gegangen.

Stichwort Sportwoche - du hast dort letzte Woche über den "Austro-Komplex" geschrieben. Wie sieht der genau aus?

Gerald Enzinger: Der Vorteil hier in Österreich ist, dass die Formel 1 hier eine überproportionale Bedeutung hat - in Relation gesehen zu anderen Ländern. Bedingt durch Niki Lauda und wahrscheinlich auch Journalisten wie Heinz Prüller oder Helmut Zwickl und natürlich Jochen Rindt, historisch betrachtet, hat die Formel 1 in den Siebzigerjahren eine derartige Bedeutung bekommen, dass sie heute also quasi ein Volkssport ist. Und es war so, beziehungsweise ist es glaube ich auch heute noch so, dass Österreich in Relation zur Einwohnerzahl in punkto Formel 1 das erfolgreichste Land der Welt ist. Und so fühlen wir uns auch. Und das ist auch der Vorteil, wenn du reinkommst in die Formel 1, dann bist du relativ schnell ein Star.

Aber du wirst an einem sehr hohen Maßstab gemessen und das positive Feedback verwandelt sich schnell ins Gegenteil. Und ich glaube halt, dass Leute wie ein Gerhard Berger und in weiterer Folge der Alex Wurz, der Christian Klien und der Patrick Friesacher das Problem hatten und haben, dass sie einfach an zu hohen Maßstäben gemessen werden. Wenn man sich daran erinnert, dass ein Niki Lauda drei Jahre lang hinterherfahren ist, dass ein Jochen Rindt auch zwei, drei Jahre lang hinterhergefahren ist - dann sind die neuen Fahrer zum Scheitern verurteilt, weil sie sofort mit den Spitzenleistungen von Lauda oder Rindt verglichen werden.

Was sagst du zum Rauswurf von Patrick Friesacher?

Gerald Enzinger: Naja, der hat sich schon längere Zeit abgezeichnet. Das ist natürlich schade. Denn das hat mit seinen sportlichen Leistungen ja nichts zu tun.

Wir haben vor dem Interview darüber gesprochen, dass der Patrick Friesacher das Problem hatte, dass - wenn er gegen Christijan Albers gut aussah - dies von einer großen Mehrheit nicht ausreichend honoriert wurde, weil die meisten Leute glauben, der Albers ist irgendein Bezahlfahrer. Er bezahlt zwar auch, war aber bereits DTM-Vizemeister. Könnte man jetzt sagen: Obwohl die Formel 1 ein Volkssport ist, ist die sogenannte breite Masse zugleich nur wenig über die Hintergründe informiert?

Gerald Enzinger: Was den Albers betrifft, ist es so, dass das Interesse am gesamten Motorsport verglichen zur Formel 1 kleiner wird. Desto dominanter die F1 ist, desto unwichtiger wird die DTM. In Deutschland war es jahrelang umgekehrt - als sie in der Formel 1 nichts gewonnen haben, waren eben die Tourenwagenserien überproportional wichtig, das ist zum Teil heute noch so. Sagen wir so: Ein Österreicher, der nicht in die F1 kommt und in der DTM fährt, ist im allgemeinen Empfinden gescheitert. Ein Deutscher, der in der DTM ein Star ist, wird dort auch als Star gesehen. Man kann den Bernd Schneider mit dem Karl Wendlinger vergleichen, die haben in ihren Ländern ein völlig unterschiedliches Standing.

Zu Friesacher: Erstens ist es ein Wunder, dass er überhaupt noch in die F1 gekommen ist. Jetzt hatte er aber das Problem, dass er mit Albers einen Teamkollegen hatte, der den Österreichern wenig sagt - da wird, glaube ich, ein wenig unterschätzt, was der Albers eigentlich kann. Dass der Albers eben ein sehr guter Mann ist, der sein zweites oder drittes DTM-Rennen gleich einmal gewonnen hat. Dass der Vizemeister geworden ist in der DTM. Dass er also ein Mann ist, an dem man sich schon messen kann. Was mir in internationalen Kreisen auffällt ist, dass vor allem Wurz aber auch Friesacher, der in Frankreich und England schon hoch gelobt wurde. im Ausland eigentlich ein höheres Ansehen genießen als in Österreich. Hier werden sie als "irgendwer" hingestellt, während beispielsweise F1Racing den Klien zum "Rookie des Jahres" gewählt hat. Okay, in einem Jahr, in dem es kaum Konkurrenz gegeben hat, aber immerhin.

Also sind wir in Österreich verwöhnt?

Gerald Enzinger: Wir sind zu verwöhnt, glaube ich, ja. Man darf bei Friesacher eines nicht vergessen: Der war bei Minardi in einem Team, das ausschließlich von Sponsorgeldern lebt, also gehe ich jetzt einmal davon aus, auch wenn darüber nicht offen gesprochen wird, dass der Herr Albers sicherlich leichte Vorteile hatte. Viele Leute reden ja über Indianapolis. Dort war es sicherlich so, dass der Albers im Qualifying ja für acht Runden weniger Sprit in seinem Auto hatte und daher auch weiter vorne stand und dass Albers im Rennen einfach auch die bessere Strategie hatte. Und dass also der Friesacher nicht zu verdammen ist, weil er dort nur Sechster wurde...

Und da gab es ja im Rennen Getriebeprobleme beim Patrick...

Gerald Enzinger: Ja, genau. Aber viele Leute fokussieren dieses Indy-Rennen und sagen: "Nicht einmal da wird er nicht Letzter!" Und ich bin einfach überzeugt davon, dass Albers einfach intern bevorzugt wurde, was auch verständlich ist - wenn er 90 Prozent von der Kohle bringt, ist das auch sein gutes Recht.

Wie kann man heutzutage einen Fahrer übervorteilen?

Gerald Enzinger: Also es beginnt mit der Boxenstrategie - heutzutage kann man das eigentlich mehr denn je machen. Weil man einfach im Qualifying jemanden gut aussehen lassen kann. Dieses Qualifying in der aktuellen Version ist einfach ungut, weil niemand mehr wirklich die Kräfteverhältnisse einschätzen kann und weil sich in Wahrheit ja nicht einmal ein Prozent der Zuschauer oder auch der Journalisten die Mühe machen, im Nachhinein nachzurechnen: Wann ist der an die Box gekommen? Wie viel Sprit hatte der also in weiterer Folge im Quali an Bord?

Rund um den Fall Friesacher gab es reichlich Verwirrung. Zum einen hieß es, Patrick soll mit seinem Manager ein vergiftetes Klima haben, zum anderen waren da die zwei Millionen Dollar, die Dr. Haider organisiert hat und der Polit-Wirbel dazu. Es gab Gerüchte, das Geld würde von Gadaffi kommen. Manche fragen sich jetzt, ob es klug war, sich mit Haider einzulassen...

Gerald Enzinger: Es ist menschlich verständlich, dass der Patrick einfach jede Chance, die sich ihm angeboten hat, auch wahrgenommen hat. Nach dem Ausstieg von Red Bull musste er einfach schauen, dass er nicht untergeht. Langfristig jedoch habe ich meine Zweifel, ob ihm das nicht für seine Zukunft geschadet hat. International könnte es ein schlechtes Bild abgeben, wenn der Name Gadaffi im gleichen Atemzug mit Friesacher fällt. Auch wenn es nur ein Gerücht ist - da genügt es schon, wenn man nur damit in Verbindung gebracht wird. Patrick war da glaube ich schlecht beraten.

Welche Rolle spielte Manager Thomas Frank in dem Fall?

Gerald Enzinger: Zwischen Frank und Friesacher gab es Probleme, da stand auch die Kärntner Seite dazwischen. Man muss ihm auf jeden Fall zugute halten, dass er Patrick immerhin in die Formel 1 gebracht hat. Frank ist in der Formel 1 zuhause, er ist ja auch Promotor des Ungarn- und jetzt des Türkei-GP und er ist im direkten Umfeld von Bernie Ecclestone tätig.


Und die Kärntner Seite wollte Frank aber aus irgendeinem Grund nicht?

Gerald Enzinger: Ich glaube, es waren einfach auch zu viele Leute um Patrick herum unterwegs. Helmut Marko sagte mir einmal, warum er sich für Liuzzi und nicht für Friesacher entschieden hat. Er sagte, weil bei Patrick einfach zu viele Leute in der Box sind und mitreden, Bekannte und Verwandte und so weiter - bei Liuzzi gibt es nur einen Manager. Für Marko ist es natürlich auch einfacher, wenn weniger Leute involviert sind.

Wie geht es jetzt weiter mit Patrick Friesacher? Was denkst du? Welche Möglichkeiten hat er? Was kann er tun?

Gerald Enzinger: Ich würde sagen: Patrick hat eine unerwartete zweite Chance bekommen und ich würde ihm wünschen, dass er eine dritte Chance erhält. Dazu müsste er zunächst eine komplette Umstrukturierung seines Umfelds vornehmen. Und er müsste noch mehr in die Formel 1 hineinwachsen - denn bisher war er doch irgendwie ein Fremdkörper. Er bräuchte einfach ein intelligentes Netzwerk, wie es ein David Roberston gezeigt hat - nur so kommen junge Piloten in die Formel 1.

Nicht umsonst ist ein Kimi Räikkönen dank David Roberston in die Formel 1 gekommen. Nicht umsonst ist ein Jenson Button dank David Roberston in die Formel 1 gekommen. Man muss es einmal klar sehen: Für einen F1-Fahrer Geld aufzustellen ist eine Sache - in der F1 dann aber jemanden zu finden, den Geld und Fahrer interessieren, eine ganz andere. Die F1 ist definitiv eine Art Mafia. Zu glauben, ohne Verbindungen und Networking in diese Welt eindringen zu können, ist eine Illusion.

Und wo könnte Patrick als Tester unterkommen? Oder wäre eine andere Rennformel besser?

Gerald Enzinger: Für Patrick wäre jetzt das Umfeld eines Spitzenteams ideal, da könnte er viel lernen. Als Testpilot bei BAR oder BMW beispielsweise, wobei er hier nur zweiter Testpilot werden könnte. Amerika wäre auch eine Lösung, vor allem wenn es dort eine Fusionierung der beiden Rennserien Champ Car und IRL geben sollte. Ansonsten würde ich eher die Champ Cars empfehlen, weil ich das Gefühl habe, dass Patrick Ovalrennen nicht mag. Natürlich wäre auch die DTM eine Möglichkeit, doch Patrick hat noch relativ wenig Tourenwagenerfahrung. Einen Rückgang in die GP2 würde ich jedoch nicht empfehlen - man sieht bei Gianmaria Bruni und Girorgio Pantano, dass das wenig bringt.

Dieser Rauswurf bei Minardi ist nicht der erste schwere Schlag in der Karriere des Patrick Friesacher. Der schwere Kartunfall. Dann das Ende als Red Bull Junior...

Gerald Enzinger: Im Grunde gab es eine schwere Fehlentscheidung in seiner Karriere, das weiß der Patrick auch. 2001 hatte ihm Gerhard Berger bei Prost ein Cockpit organisiert, doch damals hat Red Bull ihm geraten, dieses Angebot abzulehnen.

Hat man Friesacher zu Unrecht bei Red Bull entlassen?

Gerald Enzinger: Sagen wir es so: Dass man ihm nach so vielen gemeinsamen Jahren keine Testchance bei Jaguar beziehungsweise Red Bull gegeben hat, konnte ich nicht nachvollziehen - da wäre kein Zacken aus der Krone gefallen und man hätte die Leistungen von Klien und Friesacher vergleichen können. Andererseits hat Helmut Marko auch Recht, wenn er sagt, dass Friesacher in den zwei Jahren, seit er ohne Red Bull unterwegs ist, auch nicht unbedingt bewiesen hat, dass die Entscheidung, ihn nicht mehr zu unterstützen eine dramatische Fehlentscheidung gewesen ist. Mit tut es jedenfalls leid um ihn, denn er ist einer der begabtesten und nettesten Jungs in der ganzen Szene. Vielleicht einfach zu nett.

Lesen Sie nächste Woche den zweiten Teil des motorline.cc-Gesprächs mit Gerald Enzinger - über die aktuelle F1-Politik, Alex Wurz, Christian Klien, den A1-Ring und vieles mehr.

News aus anderen Motorline-Channels:

Formel 1: Backstage

Weitere Artikel:

Zwei Wochen nach seiner Blinddarmoperation gewinnt Carlos Sainz das Rennen in Melbourne - Max Verstappen mit Bremsdefekt k.o. - Nico Hülkenberg holt WM-Punkt