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Helmut Zwickl im Gespräch mit motorline.cc, Teil 1

F1-Experte Helmut Zwickl im Gespräch mit motorline.cc: Ein Ausblick auf 2008. Und eine kritische Hinterfragung des Formel 1-Reglements.

Michael Noir Trawniczek

Seit vier Jahrzehnten beschäftigt sich der Wiener Motorsportjournalist Helmut Zwickl intensiv mit der Formel 1, berichtete viele Jahre für den Kurier und schreibt auch heute noch für anerkannte Fachzeitschriften wie Motorsport Aktuell oder Alles Auto. Zudem veranstaltet Zwickl gemeinsam mit seinem Partner Michael Glöckner die Kultrallyes Ennstal Classic sowie Planai Classic, wo er den Motorsport den Menschen näher bringen möchte.

Im ersten Teil des Gesprächs mit motorline.cc analysiert Zwickl die bevorstehende neue Formel 1-Saison und kritisiert das seiner Meinung nach immer komplizierter werdende und an den falschen Punkten eingeschränkte Regelwerk der "Königsklasse".

Helmut, am Wochenende geht es wieder los in der Formel 1-WM. Wie lautet deine Prognose?

Der Countdown für Australien läuft ja seit Monaten, es wurde wie irrsinnig getestet. Ich glaube, das Kräfteverhältnis wird sich nur marginal verschieben. Vorne ist Ferrari, auf Augenhöhe mit McLaren. Das Mittelfeld mag zusammenrücken - mit Williams, Renault, Toyota, Red Bull und BMW - die werden sich in den Haaren liegen. Ferrari ist meiner Meinung nach Favorit, sie beherrschen die Technik, sie haben ein stabiles Team, sie sind gut aufgestellt, es gibt keine Nachwirkungen von der Spionageaffäre, sie haben nicht das Problem, ob der Ron Dennis zurücktritt oder nicht. Der tritt sowieso nicht zurück. Aber bei Ferrari ist mehr Ruhe und menschliche Harmonie drinnen wie bei McLaren.

Du hast auch Williams erwähnt - das britische Team hat bei den Wintertests mit guten Zeiten brilliert - das ist eigentlich schon beachtlich, wenn man bedenkt, dass Williams eines der letzten Garagenteams der Formel 1 ist, oder?

Ja, Williams ist beachtlich. Es gibt Ups und Downs. Es hat eine Periode gegeben, da hatten sie den besten Windkanal und waren um mindestens zwei Jahre voraus, die anderen Teams haben nachgezogen. Williams wird heuer so gut wie schon lange nicht sein - sie haben einen neuen Superstar, den Nico Rosberg, den sie mit allen Mitteln halten werden - der schießt sicher in die vorderen Reihen vor.

Der Bursche ist wirklich gut, ich halte ihn für den besten Deutschen. Er ist ausbaufähig, entwicklungsfähig, er ist intelligent und er hat ein gewisses goldenes Händchen - was er angreift, wird zu Gold. Dieses goldene Händchen hat der Nick Heidfeld zum Beispiel nicht immer.

Honda steckt in der Krise - glaubst du auch, dass die möglicherweise in Melbourne sogar in der letzten Startreihe stehen könnten?

Das ist zu befürchten. Das Vorjahrsauto war eine Missgeburt. Jetzt hat man ein Jahr gebraucht, um herauszufinden, woran es gelegen hat. Um das zu korrigieren, wird wieder eine Saison vergehen. Der Ross Brawn muss dort einmal die strategischen, die personellen Weichen stellen - er muss orten: Wer ist gut? Wer ist schlecht? Wen geben wir frei? Wo verstärken wir uns? All das wird heuer passieren - ich glaube, da ist sportlich gesehen nicht viel zu erwarten in dieser Saison.

Der Alex Wurz kann da auch nicht zaubern...

Er kann nur testen, was man ihm gibt. Ein Fahrer kann dieses Programm, das im Ansatz schon falsch war - vom Windkanal bis zu den handelnden Personen - nicht umändern. Er kann den Prozess beschleunigen, wenn sie auf der richtigen Spur sind - aber dort sind sie noch nicht.

Kann das auch an der japanischen Mentalität liegen?

Wenn man jene Zeit betrachtet, als Honda mit McLaren beisammen war - das waren ja die großen Jahre, als Honda den Trend gesetzt hat. Da gab es in jedem Rennen einen neuen Motor, die Elektronik wurde in Weltraumsphären geschossen, da haben hunderte Ingenieure in Japan daran gearbeitet. Und McLaren war der Garant dafür, dass es keine Schnittstelle zwischen Motor und Chassis gibt.

Doch jetzt ist das nicht mehr der Fall. Honda hat zwar irrsinnige Ressourcen in Japan - aber es wurde ihnen ja auch alles genommen in den Bereichen, wo Honda stark war. Die Motoren sind eingefroren, jetzt wurde die Elektronik vereinheitlicht - es kommt nur noch auf die Aerodynamik an. Und da müssen sie ihr Windkanalbusiness auf Vordermann bringen. Das gehört alles korreliert und kalibriert - da liegt das große Defizit von Honda.

Welche Chancen gibst du dem österreichischen Team Red Bull Racing?

Der Helmut Marko hat ja gesagt, dass sie jetzt alle wichtigen Stabsstellen mit den richtigen Leuten besetzt haben. Da gab es ja auch wirklich viele Altlasten aus den Jaguar-Zeiten. Heuer sollte das eigentlich durchschlagen. Die Windkanäle sind kalibriert und aussortiert - heuer müssen sie in die Punkte fahren. Sonst gibt es dort sicher einen großen Krach.

Apropos Krach - Fernando Alonso hat sich mit McLaren zerworfen und kehrte zu Renault zurück. Was traust du ihm mit dem Renault zu?

Der Alonso wird mit Renault keine Bäume ausreißen. Bei McLaren wäre er in einem Siegerteam gewesen, aber das hat halt scheinbar nicht gepasst. Da haben sich der Ron Dennis und der Alonso einfach nicht verstanden - da hat mehr als nur die Chemie nicht gestimmt.

Bei Renault glaube ich nicht, dass der Alonso ein Siegerauto hat. Das zeigt ja auch die ganze Problematik, die wir in der Formel 1 haben, mit ihren Windkanälen. Die Umstellung von Michelin auf Bridgestone-Reifen - nur weil die Reifen einen anderen Querschnitt haben, wurde die Aerodynamik des Renault derart gestört und sie haben das einfach nicht verstanden. Das zeigt doch einiges - ein Weltmeisterteam rennt plötzlich im Kreis.

Das zeigt auch, wie komplex alles geworden ist - und wenn das heuer wieder so sein sollte, dass sie irgendetwas nicht verstehen, dann wird das sehr schwierig für den Alonso. Gut, dank seiner Klasse kann er natürlich auf das Podium fahren - aber wir haben zwei Ferrari und zwei McLaren, das sind vier Topautos und alle anderen müssen sich hinten anstellen.

Jetzt glauben einige, dass der Alonso vom Regen in die Traufe kommt - was den Teamkollegen anbelangt, den Nelson Piquet Jr. Manche glauben, dass der sehr bald schneller sein könnte als Alonso...

Naja, das muss der Piquet erst einmal beweisen. Der Nelson Piquet Jr. ist der Sohn seines Vaters Nelson Piquet, der auch immer wieder für Unruhe gesorgt hat. Ich glaube, dass der alte Piquet sofort wieder ein Mediengeschrei anstimmen wird, wenn er glaubt, dass seinem Sohn irgendwie Unrecht getan wird. Aber ich glaube, dass der Alonso das im Griff haben wird. Andererseits kann es dort sicher zu Spannungen kommen. Der junge Piquet hat ja sogar jetzt schon einmal gesagt, dass es da mit dem Alonso irgendwelche Differenzen bei der Abstimmung gab, bei den Fahrerbriefings und so.

Der junge Piquet, so heißt es, kann auch ein ziemlicher Wutpinkel sein...

Ja, so ist es.

Stichwort Aerodynamik - jetzt scheint man ja endlich den richtigen Weg einzuschlagen, 2009 wird die Aerodynamik eingeschränkt, die vielen Zusatzflügel werden gestrichen, der aerodynamische Abtrieb wird reduziert, während der mechanische Abtrieb wieder erhöht wird, mit der Wiedereinführung der Slicks. Kann man sagen, dass die FIA die letzten zehn Jahre auf dem Holzweg war?

Es ist so: Man ist ständig darauf aus, die Formel 1 zu beschneiden, was zum einen ja richtig ist, weil sie sonst ausufert. Diese ganzen aerodynamischen Spielchen, die Millionen verschlingen, im Windkanal, und die kaum sichtbar sind, weil es hier ja wirklich nur um Millimeter geht - soll man die jetzt ganz abdrehen? Es kam ja auch der Gedanke, die Arbeit in den Windkanälen zu normen, zu limitieren. Ich finde, die Formel 1 geht in ihrem Reglement prinzipiell keinen guten Weg.

Nehmen wir nur KERS - man friert die Motorenentwicklung ein, weil man keine intelligente Motorenformel findet oder aus politischen Gründen nicht finden kann - doch die Energierückgewinnung, die für die Formel 1 geplant ist, die ist für die Serie völlig uninteressant. Das grüne Mäntelchen, das man sich da jetzt in der Formel 1 umhängt ist wie so oft nur scheinheiliger Unsinn. Der Bernie Ecclestone sagt zu Recht: 'Die Formel 1 ist Unterhaltung!' Das halte ich für richtig. Wie kann ich einen Beitrag zur Umwelt leisten, so lang die Zuschauer nicht mit Elektroautos zur Rennstrecke kommen?

Es ist ja auch unverständlich, wieso in der Formel 1 alle mit acht Zylindern fahren müssen, wieso man die Motorenformel nicht wieder öffnet...

Ja, man könnte eine intelligente Motorenformel machen. Man könnte auch Dieselmotoren zulassen. Man könnte eine Verbrauchsformel machen. Und nicht immer kleinere Hubräume vorschreiben, die dann höhere Drehzahlen verlangen - und natürlich wird das dann teuer.

Aber da streiten die besten Experten - nur: so wie die Formel 1 abgerüstet wird und auf der anderen Seite mit KERS adaptiert wird, das ist einfach der falsche Weg. Das ist kein Showelement, sondern wieder einmal so eine komische Geschichte. Wie alles in der Formel 1.

Zum Beispiel: Jetzt muss ein Getriebe vier Rennen lang halten. Aber das bedeutet nicht, dass das ganze Getriebe halten muss, denn sie müssen ja streckenbedingt unterschiedlich übersetzen. Die Einsätze im Getriebe können sehr wohl gewechselt werden - das gibt es auch strenge Regeln, was gewechselt werden kann und was nicht. Es ist schon klar: Die Getriebeentwicklung war fast schon so teuer wie die Motorenentwicklung, die Getriebe wurden immer kleiner, immer anfälliger und jetzt hat man halt geschaut, dass diese Entwicklung irgendwie stabilisiert wird.

Aber ich bin überzeugt, dass es da sicher Probleme geben wird - weil jemand dann vielleicht Teile auswechselt, die man vielleicht nicht auswechseln darf. Das artet immer in so einem Overkill an Reglementierung aus. Und das halte ich für schlecht. Das zieht sich durch die gesamte Formel 1.

Da gibt es ja auch die Neuerung, wonach ein Pilot beim ersten Motorschaden nicht um zehn Startplätze zurückversetzt wird, wie das bislang gehandhabt wurde. Das fördert nicht gerade die Transparenz - und zudem beraubt man sich eines Elements, das immerhin Spannung brachte, wenn ein Spitzenpilot von hinten aufholen musste.

Das ist die Krux der Formel 1, dass man das Reglement eigentlich nicht mehr transportieren kann. Und die Show wird dadurch nicht besser, die wurde bei diesen ganzen Maßnahmen nicht besser. Schauen wir mal, ob sie jetzt aufgrund des Verbots der Traktionskontrolle besser wird - man kann nur hoffen, dass nun das fahrerische Element wieder ein bisschen wichtiger wurde.

Naja, bei den Tests hatte ich schon den Eindruck, die Autos sind zum Teil sogar quer gestanden, es gab Verbremser, die Autos schwänzelten am Kurvenausgang. Dennoch gibt es immer wieder neue Überlegungen - Patrick Head schlug vor, die Startaufstellung in der umgekehrten Reihenfolge des WM-Stands vorzunehmen. Was hältst du davon?

Man versucht jetzt halt, mit solchen Ideen die Show zu verbessern. Der Briatore will zwei Läufe machen. Das alles hat den Grund, weil das Reglement der Formel 1 einfach schlecht ist - von vorne bis hinten. Jetzt versucht man immer wieder, künstliche Spannungselemente einzubauen. Irgendwann wird man einen Le Mans-Start vorschlagen, sodass die Piloten zu ihren Autos hinlaufen müssen beim Start. Aber das halte ich alles für nicht sinnvoll.

In der GP2 wiederum gibt es wirklich tolle Rennen, packende Zweikämpfe zu sehen...

Ja, das ist wirklich erstaunlich. Naja - wenn sie die Formel 1 weiter in dieser Art abrüsten, sind wir ohnehin bald bei der GP2 angelangt, dann sollen sie gleich diese Formel hernehmen.

Das Problem ist eigentlich, dass man immer in den falschen Bereichen das Reglement einschränkt, oder?

So ist es. Man dreht immer an den falschen Stellschrauben. Das hat politische Gründe. Ich wundere mich nur, dass sich die großen Werke diese Abrüstung gefallen lassen. Denn: Was stellen sie jetzt noch dar? Sie können nicht mehr viel darstellen. Die Motoren gibt es eigentlich nicht mehr in der Formel 1. Sie können nur noch Aerodynamik darstellen, nur ob sie das wirklich wollen? Da sieht man erst, wie geil die Werke auf die Formel 1 sind - dass sie sich das alles gefallen lassen. Der Max Mosley hat alles im Griff - die Hersteller haben keine Chance, sich aufzulehnen.

Red Bull-Konstrukteur Adrian Newey wiederum ist dagegen, das Überholen zu erleichtern. Weil er meint, dass dann die langsamen Autos mehr oder weniger kampflos überholt werden, jedoch ohne dass es zu wirklichen Zweikämpfen kommt.

Das ist seine Ansicht, die hat sicher etwas für sich. Aber wenn du heute eine Umfrage machst, was sich die Formel 1-Fans wünschen, dann sind das mehr Überholmanöver. Das ist offenbar noch immer die Essenz und die Würze des Rennsports.

Lesen Sie am Samstag den zweiten Teil des Gesprächs mit Helmut Zwickl: Über die Spionageaffäre, die erste österreicherlose Periode im Grand Prix-Sport seit 2003 und die Gefahr, die bei historischen F1-Läufen schlummert.

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