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Warum die Probleme vorhersehbar waren

1,5 Milliarden Verdienst pro Jahr, doch die Aufteilung erfolgt nach dem System „Freunderlwirtschaft“. Und: Lotus, Force India und Sauber sind in Gefahr.

Caterham und Marussia werden am kommenden Wochenende in der Startaufstellung des Grand Prix der USA in Austin fehlen. Dass eines der Teams den Betrieb würde einstellen müssen, war absolut vorhersehbar. Innerhalb von nur einer Woche aber gleich ein zweites Team zu verlieren, ist schlichtweg unverzeihlich.

Zurückzuführen lässt sich das Ganze auf Einkommenilliarden Britischer Pfund (umgerechnet rund 1,5 Milliarden Euro; Anm. d. Red.) erwirtschaftet, sich gleichzeitig aber mehr als 50 Prozent der Teams in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten befinden, dann wird klar, dass es ein grundlegendes Problem bezüglich der Verteilung der Gelder gibt.

Fragwürdige Aufteilung des Kuchens

Dem Vernehmen nach sind die an die Teams verteilten Gelder im Verlauf der zurückliegenden zehn Jahre beinahe auf das Doppelte angestiegen. Dabei wird aber eines übersehen: Im Jahr 2005 bekamen die Teams zusammengerechnet nur 23 Prozent der Einkünfte überschrieben, während der komplette Rest in die Hände des Inhabers der kommerziellen Rechte wanderte. Infolge einer unübersehbaren Verbitterung wurde der Einnahmentopf für die Teams im Jahr 2006 auf 50 Prozent vergrößert.

Die Größe von 50 Prozent gilt noch heute, wobei drei der größten Teams (Red Bull, Ferrari und McLaren) weitere zwölf Prozent unter sich aufteilen. Dennoch wäre es falsch zu glauben, dass die Teams heutzutage einen größeren Anteil der Einkünfte denn je beziehen.

Es gab eine Zeit vor 1998, da gingen knapp 90 Prozent der Einkünfte an die Teams über. Heute jedoch steht - mit Ausnahme der großen Drei - kein Team besser da als im Jahr 2006. In Wirklichkeit stehen sie sogar schlechter da.

Manch einer mag anführen, dass Caterham und Marussia noch nicht am Ende sind, sondern zunächst nur zwangsverwaltet werden. Doch der Rechtsweg in Großbritannien wird vom Insolvenzgesetz aus dem Jahr 1986 bestimmt. Daraus lässt sich ableiten, dass beide Teams insolvent sind. Sie werden mittlerweile von Instanzen geführt, die keinerlei Formel-1-Erfahrung haben.

Mit Blick auf die knapp 65-jährige Formel-1-Geschichte könnte man anführen, dass sich pro Jahr durchschnittlich zwei Teams aus dem Geschäft verabschiedet haben. Dabei aber wird bequem über die Tatsche hinweggesehen, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse jahrzehntelang für alle gleich waren. Heutzutage sind mit Ausnahme der großen Drei alle Teams gefährdet.

Natürlich ist nicht jeder Ausstieg eines Teams aus der Formel 1 auf Insolvenz zurückzuführen, wie die Beispiele Toyota oder BMW verdeutlichen. Dann gibt es noch eine Reihe von Teams, die in andere Teams übergangen sind: Aus Toleman wurde Benetton, woraus Renault und schließlich das heutige Lotus-Team wurde.

Das heutige Mercedes-Team operierte in der Vergangenheit unter den Namen Tyrrell, British American Racing, BAR-Honda, Honda und Brawn. Force India trat zuvor unter den Namen Spyker, Midland und Jordan an. Das bedeutet: Zwölf "verstorbene" Teams, deren Geschichte heute auf drei Teams verteilt ist. Ferrari, McLaren und Williams sind die einzigen der 2014er-Teams, die seit Gründung unverändert geblieben sind.

2010: Drei neue Teams! Aber...

Die Tatsache, dass die beiden in diesen Tagen pleite gegangen Teams unter jeweils anderem Namen in die Formel 1 eingestiegen sind, ist wieder ein anderes Thema. Caterham (ursprünglich 1 Malaysia Racing und anschließend Lotus Racing) und Marussia (ursprünglich Manor Grand Prix und anschließend Virgin Racing) meldeten sich im Jahr 2009 - zeitgleich mit HRT (damals Campos) und der Totgeburt USF1 - für die Königsklasse an. Es war die Zeit, in der der damalige FIA-Präsident Max Mosley eine Aufbruchstimmung verbreitete. Er versprach den Teams Budgetobergrenzen in der Größenordnung von 30 Millionen Britischer Pfund.

Doch als die Teams im März 2010 die Formel-1-Bühne betraten, war Mosley schon nicht mehr im Amt. Vor seinem Abschied allerdings wurde im Hinblick auf die Zukunft noch die Einführung der sündhaft teuren Hybrid-Motoren im Reglement verankert. Die Budgetobergrenze hingegen wurde nicht eingeführt. Stattdessen verständigte man sich auf das umstrittene Ressourcen-Restriktions-Abkommen (RRA). Mit einem Schlag waren die drei Neueinsteiger gezwungen, ihre Budgets zu verdoppeln - und das, noch bevor sie ihre ersten Runden auf einer Rennstrecke gedreht hatten.

Das Desaster war vorprogrammiert. HRT verschwand von der Bildfläche und das Grundkapital von Marussia wurde stetig kleiner. Caterham kam um eine intensive Prüfung nur herum, weil zum einen die Besitzer Geld ins Team pumpten und zum anderen das Team in Malaysia registriert war. Dort gelten undurchsichtige Buchhaltungsrichtlinien.

Im Frühjahr 2012 wurde das Schicksal dieser Teams nachhaltig besiegelt: Das Formula One Management (FOM) bot zehn der elf eingeschriebenen Teams individuelle Geschäftsbedingungen für den Zeitraum 2013 bis 2020 an. Marussia wurde trotz gültiger Einschreibung im Regen stehen gelassen.

So kam es, dass eine Situation eintrat, in der eines der elf Teams überhaupt kein Preisgeld bezog. Gleichzeitig wurde weiterhin nichts Produktives unternommen, um die Ausgaben für die Teams zu reduzieren. Inzwischen ist klar: FIA-Präsident Jean Todt stimmte für eine Einschränkung der Kosten, doch der Franzose wurde von Bernie Ecclestone und den bevorzugten Teams überstimmt.

Wenn man das FOM und die großen Drei als Verantwortliche für die aktuelle Situation ausmacht, darf man aber auch die ehemalige und aktuelle Führungen der Teams Caterham und Marussia nicht vergessen. Auch sie haben Schuld am Dilemma, haben sie es doch zu Lebzeiten ihrer jeweiligen Teams nie geschafft, nachdrücklich auf ihren Rechten zu beharren.

Als Marussia im Zuge der Neuordnung der Geschäftsbedingungen außen vor gelassen wurde, hatte das Team die Chance, vor das EU-Gericht zu gehen und ein Monopol anzuprangern. Diese Chance wurde nicht genutzt. Stattdessen schwankte das Management hin und her, in der Hoffnung, das FOM würde sich erbarmen. Der Inhaber der kommerziellen Rechte tat dies tatsächlich und untersuchte das Thema Präsenz im Fernsehen genauer.

Das Ergebnis? Ein "Gutschein" in Höhe von sieben Millionen Britischer Pfund pro Jahr. Damit konnten noch nicht einmal die Transportrechnungen des Teams beglichen werden. Erreicht wurde das Entgegenkommen nur dank intensivem Druck durch die FOTA - eine Institution, die es dank der Unfähigkeit der Teams, an einem Strang zu ziehen, inzwischen gar nicht mehr gibt.

Die undurchsichtigen Besitzverhältnisse, die selbst die Marussia-Bosse nicht gänzlich durchblickten, taten ein Übriges zum Ableben des Teams. Zuletzt wartete das Team mit einer Kommunikationsabteilung auf, die alles tat, nur nicht kommunizieren. Im Anschluss an den Grand Prix von Russland in Sotschi war klar, dass sich das Team auf dem absteigenden Ast befindet.

Caterham-Aktivitäten: Zu viel des Guten?

Dennoch erging es Marussia immer noch besser als Caterham. Dort stand das Tagesgeschehen eher im Zeichen von Hyperaktivität. Noch im Jahr 2009 besaß Teamgründer Tony Fernandes, der sein Geld dank staatlicher Unterstützung im Luftfahrtgeschäft ansammelte, ohne jeden Bezug zum Motorsport da. Dennoch trat sein Team innerhalb von fünf Jahren in der Formel 1, in der GP2, kurzzeitig in der GP3, in der Moto2 und in Le Mans an.

Als ob eine derartige Auffächerung nicht an sich schon fragwürdig genug gewesen wäre, erwarb Fernandes das Fußballteam Queens Park Rangers (von Ecclestone und Verbündeten), kaufte Caterham, um nach dem verlorenen Streit um die Rechte am Namen Lotus einen Namen für seinen Formel-1-Rennstall zu haben, und ging mit Renault eine Partnerschaft ein, deren Ergebnis eine Caterham-Version des geplanten Alpine-Sportwagens sein sollte. Da verwundert es nicht, dass der Formel 1 kaum Beachtung geschenkt wurde.

Spätestens mit dem Zerfall der FOTA im Februar waren die Tage der kleinen Teams gezählt. Im März war es offensichtlich, dass Fernandes keine Lust mehr hatte. Im Juni schließlich fand er in Engavest einen mysteriösen schweizerisch-arabischen Käufer, der vom ersten Tag an für Verwirrung sorgte. Bezeichnend ist die Aussage, die ein hochrangiges Mitglied des von Colin Kolles geführten Übernahmeteams im August tätigte: "Niemand weiß, wem was gehört oder wie hoch die Gehaltskosten sind. Wir arbeiten aus demselben Gebäude heraus wie andere Unternehmen (Caterham). Eine klare Trennung der Abteilungen aber gibt es nicht."

Der neue Teamchef Christijan Albers war so schnell weg wie er gekommen war. Als Grund wurde angegeben, dass er die zum Saisonende anstehenden Überseereisen als zu stressig empfand. Wenn man bedenkt, dass der Rennkalender lange vor Albers' Amtsantritt als Teamchef feststand, erscheint dieser Grund etwas eigenartig. Nachfolger von Albers wurde dessen Stellvertreter Manfredi Ravetto.

Während der zurückliegenden Tage tobte ein geschmackloser, öffentlich ausgetragener Krieg zwischen Engavest und Fernandes, bevor das Übernahmeteam die Kontrolle über den Rennstall an den Insolvenzverwalter abtrat. Beim öffentlich ausgetragenen Krieg stand keine der beiden Seiten ruhmreich da. Vielmehr nahm das Ansehen der Formel 1 in der Geschäftswelt weiteren Schaden.

Jetzt, da sowohl Marussia als auch Caterham insolvent sind, kann die Höhe ihrer Schulden offengelegt werden. Im Falle Marussia belaufen sich diese auf eine Summe von 30 Millionen Britischer Pfund (umgerechnet rund 38 Millionen Euro) - und das, obwohl es vor zwei Jahren einen mutmaßliche Finanzspritze durch den mehrheitlichen Anteilseigner Andrei Tscheglakow gegeben hat. 15 der 30 Millionen Britischer Pfund Schulden fallen dem Vernehmen nach bei Ferrari für die Lieferung der Antriebe an. Auch bei McLaren wartet mann noch auf Geld, schließlich hat man Marussia technische Dienstleistungen zur Verfügung gestellt.

Bei Caterham Sports Limited, Zulieferer für das in Leafield ansässige Rennteam, und das Unternehmen, auf das die Insolvenz zurückzuführen ist, sieht die Sache ganz ähnlich aus. Hier umfasst die Gläubigerliste die Namen Red Bull Racing (für Getriebe und Hydraulik), den gemeinsamen Motorenpartner Renault und McLaren (für die Elektronik). Es hat etwas von Ironie, dass viele dieser Gläubiger, die ihre Gelder wahrscheinlich nie sehen werden, zu den großen Drei gehören. Die großen Drei waren es, die die Chance hatten, Einsparungsmaßnahmen auf den Weg zu bringen, die beide nun pleite gegangenen Teams am Leben gehalten hätten.

Wie geht es jetzt weiter?

Was passiert als nächstes? Zunächst einmal werden die beiden Teams mindestens die beiden anstehenden Rennen verpassen. Die Hoffnung, sich für das Saisonfinale neu aufgestellt zu haben und wieder mitfahren zu dürfen, besteht. Dabei handelt es sich nicht etwa um ein großzügiges Entgegenkommen des FOM, sondern um einen im Reglement festgeschriebenen Passus: "Einem Team wird dann ein Verstoß gegen die Teilnahmevorschriften zur Last gelegt, wenn es mehr als drei Rennen in ein und derselben Saison verpasst hat."

Die einzige Sanktion ist nach Angaben einer mit der Lage vertrauten Quelle der Verlust des Anspruchs auf die Anteile an den FOM-Geldern der Saison 2014. Konkret bedeutet das: Verpasst man zwei von 20 Rennen, gehen einem zehn Prozent der zugesicherten Anteile an den Einkünften flöten. Ecclestone regte an, dass "die großen Teams den in Schwierigkeiten steckenden kleinen Teams ein drittes Auto anbieten könnten. So könnte ein Team beispielsweise einen Deal mit Sauber abschließen, sollte Sauber von der Bildfläche verschwinden". Doch wie drei Teamchefs klar zu verstehen geben, ist dieses Szenario nicht realistisch.

Einer der Teamchefs erinnert sich an einen ganz ähnlichen Vorschlag, den Ecclestone im Januar 2013 im Rahmen eines Treffens in London auf den Tisch brachte. Dabei ging es nicht um dritte Autos aus der heutigen Sicht, sondern um Kundenautos. Damals freilich wurde der Vorschlag von einem hochrangigen FOM-Mitglied mit der Bezeichnung "unausführbar" abgestempelt.

Auf der einen Seite gibt es Paragraphen, wonach es den Teams freisteht, ein drittes Auto einzusetzen, sollte die Größe des Starterfeldes auf unter 20 Autos schrumpfen. Auf der anderen Seite liegt die Obergrenze für das Starterfeld in den Verträgen mit den Fernsehanstalten und den Rennpromotoren bei 16. Zu glauben, dass Marussia als Neunter der Konstrukteurswertung 40 Millionen Britische Pfund (umgerechnet rund 50,7 Millionen Euro) FOM-Gelder einstreicht, ist jedenfalls illusorisch. Im vergangenen Jahr erhielt Sauber als Siebter der Konstrukteurswertung gerade einmal 32 Millionen Britische Pfund (rund 40,6 Millionen Euro).

Im Entwurf eines Vertrags mit einem Rennpromotor, wie er vom Autor dieses Texts gesehen wurde, ist festgehalten: "Der Inhaber der kommerziellen Rechte sollte sich bemühen sicherzustellen, dass mindestens 16 Autos am Rennwochenende teilnehmen. Anderenfalls sollten von den beteiligten Parteien entsprechend neue Vorgaben verabschiedet werden." Die Verträge mit den Fernsehanstalten beinhalten dem Vernehmen nach identische Formulierungen.

Ein Teamchef, der nicht genannt werden möchte, gibt zu bedenken: "Entweder hat Bernie vergessen, was er selbst vertraglich festgehalten hat oder ein Journalist hat sich die Dinge so zurechtgebogen, wie es ihm oder ihr gerade passt. Ich kann nur betonen, dass es niemals, ich wiederhole niemals, die Diskussion über dritte Autos gegeben hat. Dieses Thema ist auch nicht Bestandteil unserer individuellen Verträge."

Den zahlreichen Damen und Herren, denen nun ein trostloses Weihnachten bevorsteht, wird seitens der höheren Mächte in diesem Sport kein einziges Wort des Mitgefühls entgegengebracht. Stattdessen besteht kein Zweifel daran, dass diese höheren Mächte es sich über die Feiertage gutgehen lassen werden. Solange diese Entscheidungsträger keine praktikablen Maßnahmen festzurren, um das Geschäftsmodell der Formel 1 tragbar zu machen, sind auch andere Teams dem Tod geweiht.

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