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Formel 1: Hintergrund

Wie soll das weitergehen?

RBR und STR stehen für 2016 ohne Motoren da. Automobil-Giganten wie VW oder Toyota ignorieren die „Königsklasse“. Die F1 in der Motorenkrise…

Was die Motoren angeht, ist die Formel 1 in der Krise - das ist klar: Ein Team (RBR) verfügt zwar über den besten Designer (Adrian Newey) der vergangenen 20 Jahre oder mehr, und dennoch könnte der viermalige Konstrukteurs-Weltmeister kommendes Jahr in Australien ohne Motor dastehen.

Klar, das ist zum Teil selbstverschuldet - man sollte wichtige Partner nicht öffentlich kritisieren, wenn man keine konkurrenzfähigen Alternativen hat -, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass es einfach nicht genügend Motorenhersteller gibt, um das gesamte Feld auszurüsten.

Von den vier Herstellern beharrt einer (Honda) verbissen darauf, nur ein Team (McLaren) auszurüsten, obwohl es offensichtliche technische Vorteile hätte, eine zweite Mannschaft zu versorgen, während Renault-Quellen bestätigen, dass die Entscheidung, sich vom Kundenmarkt zu verabschieden, an höchster Stelle des Konzerns gefallen ist. "Was auch immer passiert (ob wir Lotus kaufen oder nicht) - wir werden keine Kunden mehr beliefern", teilte eine hochrangige Quelle in Monza mit.

Teams und Motoren 2016: Wer mit wem?

Somit kommen 2016 nur zwei Motorenhersteller auf neun oder vielleicht zehn Teams. Und - nicht unwesentlich - beide haben eigene Teams, die für sie verständlicherweise Priorität haben. Nach aktuellem Stand sieht die Situation folgendermaßen aus:

Mercedes: Mercedes (Werksteam)
Ferrari: Ferrari (Werksteam)
Williams: Mercedes
RBR: ?
Force India: Mercedes
Lotus: Mercedes (oder Renault-Werksteam?)
Toro Rosso: ?
Sauber: Ferrari
McLaren: Honda
Manor: Ferrari (Mercedes?)
Haas: Ferrari

Man stelle sich nun vor, wie komplex die Situation geworden wäre, hätte die FIA den zwei Bewerbern den Zuschlag gegeben, die im Juli abgelehnt wurden, weil sie die Kriterien des Weltverbands nicht erfüllt haben.

Ausrede Wirtschaftskrise

Und wenn man noch mehr Salz in die Wunde schütten will, dann reicht ein Blick zur WEC: Dort nehmen zwar nur fünf Teams an der Topklasse LMP1 teil, aber jedes hat seinen eigenen Motor. Jedenfalls wurde ein heikler Punkt erreicht, und die Formel-1-Entscheidungsträger sollten aufwachen und nach der Wurzel des Problems suchen, anstatt (als bequeme Ausrede) bloß die weltweite Wirtschaftssituation verantwortlich zu machen.

Es läuft irgendetwas komplett falsch, wenn die Königsklasse des Motorsports nicht in der Lage ist, mehr als zwei Werke anzieht, die gewillt sind, eine weltweit übertragene Meisterschaft mit Kundenmotoren zu versorgen.

Und wenn die Volkswagen-Gruppe in der Lage ist, zwei unterschiedliche Motoren (Porsche 2.0 V4 Turbo-Hybrid-Benziner/Audi V6 Turbo-Diesel Hybrid) zu bauen - beide teurer als ein Formel-1-Projekt -, und Nissan eine eigene Antriebseinheit für Le Mans produziert, während Toyota bald ein neues Motorendesign für eine Meisterschaft, die nur acht Läufe umfasst, bekanntgeben wird, dann kann die Wirtschaftssituation kein so großes Problem sein.

Automobil-Giganten ignorieren die Formel 1

Laut unseren Informationen betragen die Forschungs- und Entwicklungsbudgets der fünf führenden Motorenhersteller:

Volkswagen-Gruppe: 10 Milliarden Pfund
Toyota: 7 Milliarden Pfund
General Motors: 5 Milliarden Pfund
Daimler: 4,9 Milliarden Pfund
Ford: 4 Milliarden Pfund

Da fällt auf, dass nur einer der Top 5 (Mercedes/Daimler) in der Formel 1 antritt. Außerdem sticht hervor, dass die Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Volkswagen-Gruppe das fünffache Gesamtbudget aller Teams betragen, die an der diesjährigen Meisterschaft teilnehmen - so viel zur sogenannten schlechten Wirtschaftslage.

Antriebsreglement unattraktiv

Dennoch benötigen Motorenhersteller mit zeitgemäßen Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen - wie von Honda (hinter Ford übrigens mit 3,9 Milliarden Pfund Sechster) bewiesen - zumindest zwei Jahre, um (halbwegs brauchbare) Antriebseinheiten herzustellen. Dementsprechend könnte die Formel 1 frühestens 2018 von einem neuen Motorenhersteller profitieren, der dann unter Reglementbedingungen arbeitet, die 2020 auslaufen.

Die grundsätzliche Architektur des Motors könnte zwar beibehalten werden, aber - wie in der Formel 1 üblich - könnte es 2021 große Änderungen geben, und es ist unwahrscheinlich, dass sich ein Hersteller jetzt auf ein Reglement einlässt, dass 2020 schon wieder überholt ist.

Das andere Problem sind die Kosten: Während die alten (zugegeben archaischen) V8-Motoren die Teams in ihrer Basisvariante sieben Millionen Pfund pro Saison kosteten (und zehn Millionen Pfund inklusive Nebenaggregate und KERS), verschlingen die aktuellen Motoren 15 bis 20 Millionen Pfund. Obwohl die FIA versprochen hatte, dass die Motorenkosten gesenkt werden, darf sich der Weltverband wegen des Abkommens mit der EU-Kommission nicht in kommerzielle Angelegenheiten einmischen und kann dadurch Budgetobergrenzen nicht ohne einstimmige Beschlüsse einführen.

Der Schuss ins eigene Knie

Zudem kann die Formel 1 Mercedes oder Ferrari nicht einfach zwingen, Red Bull auszustatten, sie kann weder Honda dazu bringen, ein zweites Team auszurüsten, noch Renault zwingen, auch nur einen Kunden zu versorgen. Und es ist unwahrscheinlich, dass Mercedes oder Ferrari scharf darauf sind, von einem Kundenteam geschlagen zu werden.

Warum sollte man hunderte Millionen dafür ausgeben, die besten Motorenleute zu holen, um sich dann freiwillig von einem Team schlagen zu lassen, dass nur 25 Riesen für den gleichen Motor zahlt? Und um ein extremes Beispiel zu nennen: Wie glücklich wäre der Energydrink-Hersteller Monster, wenn er weiß, dass Partner Mercedes nur deswegen vom direkten Marktrivalen Red Bull vernichtet wird, weil man kurzsichtig den eigenen Vorteil aufgegeben hat?

Daher stehen die Teams, der Inhaber der kommerziellen Rechte FOM und die Formel 1 - und in weiterer Folge die FIA - vor der Herkulesaufgabe, dass nicht nur ein Hersteller (Renault) keine Kundenmotoren mehr liefern will, sondern ein wichtiger Teilnehmer (RBR), der nicht nur zwei Teams besitzt, sondern auch ein Rennen austrägt (den Österreich-Grand-Prix), 2016 ohne Antriebseinheit auf dem Abstellgleis landen könnte. Das würde auf einmal 1.500 Jobs auslöschen.

Das RB-Dilemma - und eine Lösung?

So wie es nun aussieht, wird Mercedes RBR nicht versorgen, nachdem auf Daimler-Vorstandsebene ziemlich überzeugende Argumente gegen den Deal vorgebracht wurden, gegen den auch die aktuellen Kunden protestierten. Dadurch bleibt für RBR nur noch eine Hoffnung: Ferraris Großzügigkeit.

Obwohl es Gerüchte gibt, dass RBR Motoren bekommen wird, die auf dem neuesten Stand sind: Warum sollte Ferrari seinen hart erarbeiteten Vorteil an ein Team mit den gleichen (oder besseren) finanziellen Möglichkeiten, einem (wohl) besseren Designteam und (wahrscheinlich) besseren politischen Verbindungen zum Inhaber der kommerziellen Rechte Formula One Management (FOM) herschenken?

Warum war Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene so gelassen, als ihm diese Frage gestellt wurde? Könnte es sein, dass er ein Ass im Ärmel hat und Vorjahresmotoren an beide RB-Teams liefern will, während Langzeit-Kunde Sauber und Haas - im Grund wegen seiner komplexen technischen und kommerziellen Beziehung mit Maranello ein Ferrari-Satellitenteam - die aktuellen Motoren bekommen?

RB mit dem Rücken zur Wand

Man muss sich nur die Argumentationslage beider Seiten ansehen: Ein Jahr alte Ferrari-Motoren wären nicht nur besser für RBR als das Optimum, das Renault anbieten kann. Eine dementsprechende Zusammenarbeit würde auch die anderen Kundenteams zufriedenstellen, ohne Ferraris Kampf an der Spitze gegen Mercedes in Gefahr zu bringen.

Klar, RBR wäre wohl kaum glücklich, aber als Bettler kann man es sich nicht aussuchen. Außerdem erntet RBR, was es gesät hat. Entweder man investiert in das eigene Motorendesign, oder man setzt einen Hersteller entsprechend unter Druck, damit er in den Sport einsteigt und mit Dietrich Mateschitz' Teams zusammenarbeitet.

Tauziehen um Vorjahres-Motoren

Es gibt aber ein kleines Problem: Manor nutzt diese Saison Ferrari-Motoren aus dem Jahr 2014, nachdem man ein Schlupfloch ausnutzte und dafür nur die Erlaubnis benötigte. Nach einer Überarbeitung von Anhang 4* wurde dies für die Zukunft unterbunden, um die Verwirrung zu minimieren und damit alle Teams gleichberechtigt sind.

Das aktuelle Schlupfloch nutzte in Monza auch Mercedes: Das Werksteam hatte als einziges ein überlegenes Motoren-Update an Bord. Das wird wahrscheinlich so bleiben, ehe genügend Antriebseinheiten für die Kunden zur Verfügung stehen. Was freilich eine ziemlich elastische Auslegung ist.

Während es lobenswerte sportliche Argumente für das Verbot von unterschiedlichen Spezifikationen gibt, ergibt dies aus kommerzieller Sicht überhaupt keinen Sinn: Warum verlangt man von Mercedes und Ferrari, dass sie hunderte Millionen in Motoren für ihre eigenen Teams investieren, um dann genau die gleiche Spezifikation für einen Bruchteil der Entwicklungsausgaben an einen direkten Konkurrenten weiterzugeben, was wiederum den Anreiz mindert, mehrere Teams zu beliefern?

Werden Vorjahres-Motoren offiziell erlaubt?

Strategie-Gruppen-Insider empfehlen, dass der überarbeitete Anhang-4-Paragraph ein weiteres Mal überarbeitet wird, um zu erlauben, dass unterschiedliche Spezifikationen in einer Saison geliefert werden dürfen. Das würde es den RB-Teams ermöglichen, erneut mit Ferrari-Antriebseinheiten zu fahren (was bereits Mitte der Nuller-Jahre der Fall war), ohne für Maranello zur großen Gefahr zu werden.

Zudem würde eine derartige Überarbeiten auch Manor-Marussia die Möglichkeit geben, 2016 die Mercedes-Motoren des Vorjahres einzusetzen, sollte Lotus ohne Verkauf an Renault zahlreiche Insolvenz-Verhandlungen überstehen und im Zeichen des Stern 2016 weitermachen.

Wie immer in der Formel 1 geht es um einen Kuhhandel: Unseren Quellen zufolge würde die FIA so ein Konzept nur billigen, wenn der Hersteller einwilligt, die Kosten für die Antriebseinheiten zu senken, die sonst ohnehin auf dem Schrottplatz landen würden.

Vorjahres-Motoren wären Etappenerfolg für Formel 1

Die Zahlen, die in Monza kursierten, deuten auf sechs Millionen Pfund für einen Basismotor/ERS-Einheit und zehn Millionen Pfund für das Gesamtprodukt hin. Dann könnte sich FIA-Präsident Jean Todt auf die Fahnen heften, dass er sein Versprechen eingelöst und die Motoren leistbarer gemacht hat. Es gäbe zwar ein Leistungsdefizit, aber die Vorjahresmotoren würden die Diskussion, dass die Motorenkosten die Formel 1 beschädigen, zum verstummen bringen.

Dennoch muss die Formel 1 ernsthaft in sich gehen, um herauszufinden, warum sich die großen Motorenhersteller von der Weltmeisterschaft abwenden, obwohl ihre Budgets dafür groß genug wären. Irgendetwas muss komplett schiefgelaufen sein, wenn der Königsklasse des Motorsports die Motoren ausgehen.

*2016 Anhang 4, Paragraph 4: Other than any parts agreed by the FIA at their absolute discretion to be solely associated with power unit installation with different teams, each manufacturer may supply only one specification of homologated power unit during any given calendar year, subject to any changes permitted by the FIA in accordance with the procedure set out in 5) below.

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