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Formel 1: Analyse

Dauerkrise: Ruf nach "starkem Mann"?

Das Debakel ums Qualifying zeigt: Die Entscheidungsträger blockieren einander; erste Forderungen nach klarer Führung statt Gremien.

Die Formel-1-WM hat in der bisherigen Saison 2016 weniger durch sportliche Highlights als vielmehr ihre verworrene Regelpolitik auf sich aufmerksam gemacht. Die Posse um das neue, rasch wieder abgeschaffte Qualifying war und ist ein beinahe alles beherrschende Thema. Zuletzt erneuerten auch die mehrfachen Weltmeister Lewis Hamilton und Sebastian Vettel ihre Kritik am aktuellen Zustand der "Königsklasse des Motorsport".

Teams, Fahrer, Journalisten und Fans waren über das neue Format und vor allem das Gezerre um dessen Abschaffung gleichermaßen entsetzt. Der Streit hat die komplette Rennserie ebenso wie Formel-1-Geschäftsführer Bernie Ecclestone und FIA-Präsident Jean Todt in Misskredit gebracht. Während der eine mit dem neuen Modus mehr Spannung erzeugen wollte und dies den Rennveranstaltern sogar vertraglich zusicherte, was bekanntlich nach hinten losging, blockierte der andere bis zuletzt die Rückkehr zum alten Qualifying, das von den meisten Fahrern, Teams und Fans favorisiert wurde.

Dabei hatte das neue Qualifying weder die erhoffte Spannung an den Samstagen gebracht noch, anders als geplant, irgendetwas an der Vergabe der vorderen Startplätze verändert. "Sie haben behauptet, die Rennen spannender und für die Fans ansprechender machen zu wollen. Dabei haben sie gar nicht auf die Fans gehört", hält Le-Mans-Legende Allan McNish gegenüber der BBC fest. "Sie haben also etwas für ihren Kunden getan, dabei aber nicht berücksichtigt, was sie überhaupt wollen – aus wirtschaftlicher Sicht ist das völlig verrückt."

Nicht nur darum sei die Idee hinter dem neuen Qualifying völlig irreführend gewesen, so McNish. Er erinnert daran, dass die FIA erst vor zwei Jahren eine Trophäe für den Fahrer mit den meisten Pole Positions auf den Weg gebracht hat, um den schnellsten Mann der Formel-1-Samstage zu würdigen. "Die Startaufstellung künstlich durcheinanderbringen zu wollen, widerspricht dem doch", meint der ehemalige Rennfahrer. Deshalb sei es richtig, zum bisherigen System zurückzukehren. Doch das Grundproblem der Formel-1-WM bleibe bestehen.

"Der derzeitige Entscheidungsprozess geht öfter vor und zurück, als manche Leute ihre Unterwäsche wechseln. Mich als Fan frustriert das", gibt McNish unverhohlen zu. Die Formel-1-WM brauche eine konsistente und starke Stimme. Das weiß auch Ex-Formel-1-Pilot Gerhard Berger und warnt bei Sky: "Zu glauben, dass man in diesem Geschäft demokratisch vorgehen und die Meinung eines jeden abfragen und berücksichtigen kann, das funktioniert nicht, weil die Interessen einfach zu unterschiedlich sind."

In den 80er Jahren habe Ecclestone alle unter Kontrolle gehabt, sagt sein Ex-Teamkollege Marc Surer. "Ich kann mich an ein Meeting erinnern, da hatte er alle einberufen, dann kam er als Letzter rein, hat hinter sich die Tür abgeschlossen und gesagt: 'Es geht keiner raus, bevor wir eine Lösung haben.' Nach zwei Stunden hatten sie eine." Nur so funktioniere das Geschäft, glaubt auch Berger. "Das Problem ist, dass über die Jahre gewisse Rechte verteilt, verkauft und anderen zugestanden worden sind, doch zu viele Köche verderben nun mal den Brei."

Zwar seien die Strukturen schon immer sehr komplex gewesen, aber im Grunde gebe es mit Todt und Ecclestone zwei verantwortliche Personen. "Wenn die sich einig sind, wie es mit Max Mosley und Bernie Ecclestone über viele Jahre der Fall war, dann schalten die alle anderen Gremien mehr oder weniger aus und ziehen auch Entscheidungen durch", blickt Berger zurück. Wenn sie wie jetzt jedoch statt nebeneinander in unterschiedliche Richtungen laufen, bekämen andere eine Bühne. "Dann fährt das Ding gegen die Wand", so der Tiroler.

Braucht die Formel 1 also einen "Diktator"? Todt machte am Rande des Grand Prix von Bahrain jedenfalls deutlich, dass er keiner soll wolle, räumte aber auch ein: "Die FIA sollte die volle Kontrolle haben, als Regulierer und Gesetzgeber der Formel 1." Historisch gesehen sei dies jedoch nie so gewesen, deshalb könne er niemandem etwas auferlegen. "Wenn ich ein Diktator wäre, hätte ich auf das Q1 und Q2 im neuen Modus bestanden, mit einer veränderten Zeitspanne, und das Q3 von 2015 wieder eingeführt", so der FIA-Boss.

Einzig in Sachen Sicherheit könne die FIA bis heute eigenmächtig, d.h. ohne Konsultationen oder Vereinbarungen, entscheiden. Dies sei in der Führungsstruktur mit Strategiegruppe, Formel-1-Kommission und Motorsportweltrat jedoch die Ausnahme. "Wir haben diese Führung, und ich respektiere sie. Solange ich mit der Präsidentschaft der FIA betraut bin, werde ich sie auch befolgen", versichert Todt. Wird sich die Formel folglich weiter selbst blockieren statt sich weiterzuentwickeln?

Zuletzt hatte die Fahrergewerktschaft GPDA die Entscheidungsfindung in einem offenen Brief als überholt und fehlkonstruiert bezeichnet. Todt gesteht solche Probleme ein: "Die Struktur ist nicht gut, aber sie ist bereits seit Jahrzehnten so." Daran werde sich bis zur Erneuerung des Concorde Agreements im Jahr 2020 nichts ändern, es sei denn, die Teams, der Rechteinhaber FOM und die FIA sprächen sich gemeinsam für eine frühere Änderung aus. "Dann können wir es schon morgen tun", so Todt.

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