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Widersprüche um Hamiltons Undercut-Strategie Lewis Hamilton hatte im Rennen eigenen Angaben nach kaum Reifenverschleiß
Motorsport Images

Lewis Hamiltons Undercut-Strategie: Waren die Reifen wirklich am Ende?

Angeblich waren in Monaco Lewis Hamiltons Reifen am Ende, deshalb soll kein Overcut möglich gewesen sein, doch Hamilton selbst widerspricht dieser Darstellung

Lewis Hamilton ist beim Grand Prix von Monaco zwar die schnellste Rennrunde gefahren (1,740 Sekunden schneller als Sieger Max Verstappen), doch auf der Ziellinie musste er sich mit dem siebten Platz begnügen. Das war aus seiner Sicht besonders bitter, weil Mercedes durch eine mangelhafte Boxenstoppstrategie einen möglichen dritten oder vierten Platz verschenkt hat.

Obwohl Monaco seit Jahren als klassisches Overcut-Rennen gilt, bei dem der spätere den früheren Boxenstopp aussticht, war Hamilton in Runde 29 der erste Pilot im Feld, der zum Reifenwechsel kam. Der Undercut gegen Pierre Gasly funktionierte (hauchdünn) nicht, sondern stattdessen verlor er auch noch Positionen gegen Sebastian Vettel und Sergio Perez.

"Der Undercut", analysiert Teamchef Toto Wolff, "war die einzige Chance, die wir hatten. Wir haben gesehen, dass der Reifen runtergefahren war, genau wie bei Valtteri. Dann gab es Kommunikation zwischen Lewis und den Strategen, ob wir undercutten sollen, und wir kamen zu dem Schluss, dass der Undercut das viel größere Potenzial hatte, an Gasly vorbeizukommen."

Den eigentlich logischer erscheinenden Overcut, also einen möglichst lang rausgezögerten ersten Boxenstopp, habe man nicht gemacht, weil insbesondere der linke Vorderreifen schon komplett runtergefahren gewesen sei. "Wir haben die Reifen nach dem Stopp analysiert, und da war nichts mehr übrig", sagt Wolff.

Allison widerspricht: Reifen waren noch gut genug

Eine Wahrnehmung, die James Allison nicht teilt: "Lewis hatte noch Gummi für einige sehr gute Runden auf seinen Reifen", widerspricht der Technische Direktor seinem Teamchef. Aber: "Es war sehr wahrscheinlich, dass Gasly noch eine ganze Weile nicht reinkommen würde, und dann hätte er uns die ganze Zeit aufgehalten."

Das Timing für den Boxenstopp schien im ersten Moment ideal zu sein. Hamilton hatte vor sich weitgehend freie Fahrt, wäre nur irgendwann auf den Alfa Romeo von Antonio Giovinazzi aufgelaufen. Dass aber Gasly den Hamilton-Stopp gleich eine Runde später erfolgreich covern und vor ihm rauskommen würde, damit hätte man bei Mercedes womöglich nicht gerechnet.

"Es hat einfach nicht gereicht", seufzt Wolff. "Der Boxenstopp war gut, die Out-Lap war auch gut. Wir dachten, dass eineinhalb Sekunden in der Out-Lap aufzuholen sind, aber damit lagen wir falsch." Auch wenn es letztendlich ganz knapp war: Hamilton musste sogar lupfen, um Gasly bei der Boxenausfahrt nicht einen Klaps von hinten zu geben.

Bei Hamilton lagen in jener Phase des Rennens die Nerven blank: "Wie kann das sein, dass ich immer noch hinter ihm bin? Komm schon!", funkte er in Runde 30. Eine Runde später, als er auch Vettel vor sich rauskommen sah, meldete er sich noch einmal: "Was passiert da, Jungs? Ich habe zwei Plätze verloren!"

Klingt nach Stunk bei Mercedes? Wolff relativiert: "Die Stimmung ist gut. Zwischen uns passt kein Blatt dazwischen. Wir sind alle extrem frustriert." Und er behauptet: "Diese Entscheidung des Undercuts war die einzig logische, und das war auch etwas, wofür er plädiert hat am Funk."

In Runde 23 hatte Renningenieur Peter Bonnington Hamilton erstmals darüber informiert, dass sich im Feld langsam Lücken bilden und die ersten Boxenstoppfenster bald aufgehen könnten. Wenig später fragte Hamilton, ob er schneller fahren und Tempo machen soll, was von Bonnington verneint wurde.

Runde 25: Was war da mit dem Mercedes los?

In Runde 25 dann ein kleiner Schock für alle Hamilton-Fans: "Mir scheint, ich verliere auf den Geraden Leistung", meldete er da. Der Funkspruch blieb aber ohne Folgen, denn schon zwei Runden später erhielt er die Anweisung, die Lücke zu Gasly zu schließen. Das gelang ihm nur teilweise, von 1,5 auf 1,2 Sekunden.

Bei Mercedes wusste man in jener Phase ganz genau, dass die Reifen auch einen längeren ersten Stint hergeben würden. In Runde 29 hatte Bonnington Hamilton darüber informiert, dass man bei anderen Autos zwar Graining vorne links wahrgenommen habe, das Tempo bei denen aber ungeachtet dessen zurückgekommen sei.

In Runde 29, Hamilton fährt gerade durch die Rascasse, der entscheidende Befehl: "Box opposite Gasly!" Also: Mach genau das Gegenteil von dem, was Gasly macht! Weil der Alphatauri auf der Strecke bleibt, kommt Hamilton rein. Ein entscheidender strategischer Fehler, wie sich im Nachhinein herausstellen sollte.

"Ich verstehe das nicht, Jungs. Wir schonen die Reifen, um länger fahren zu können. Und trotzdem kommen wir dann vor allen anderen rein", ärgert sich Hamilton noch während des Rennens am Boxenfunk und widerspricht damit Wolffs späterer Darstellung, dass seine Reifen schon am Ende gewesen seien.

Dass ein versuchter Overcut zwangsläufig erfolgreich gewesen wäre, ist allerdings nicht gesagt. Es war Hamiltons ungewöhnlich früher Stopp, der eine Kettenreaktion weiterer Boxenstopps auslöste, die sonst wahrscheinlich erst später passiert wären. Erst dadurch ging das Fenster für Leute wie Perez oder Lance Stroll auf, die von ihrem Overcut profitierten.

Hamilton im TV: "Habe nicht wirklich eine Reaktion"

Hamilton versuchte nach dem Rennen, seinen Ärger runterzuschlucken: "Ich habe nicht wirklich eine Reaktion", sagte er im ersten TV-Interview, als er auf die Boxenstoppstrategie angesprochen wurde. "Aber wenn wir länger draußen geblieben wären, dann wäre Gasly vielleicht auch nicht an die Box gefahren. Wer weiß? Daher ist mir das ehrlich gesagt ziemlich egal."

Aber Hamilton stellt klar: "Wir müssen das jetzt verstehen. Ich hatte heute eigentlich überhaupt keinen Reifenverschleiß. Ich steckte einfach hinter allen anderen fest. Genauer gesagt hinter Pierre. Selbst im zweiten Stint, als ich wieder hinter ihm lag, konnte ich nicht überholen. Und dann ist es auch sinnlos, dicht an ihm dranzubleiben."

Allison bedauert, dass der Undercut nicht funktioniert hat: "Leider haben wir in der einen Runde nicht genug Zeit gutgemacht, um vor Gasly zu kommen. Der machte seinen Stopp, um uns abzudecken, und nach dem Stopp war er so langsam, dass Vettel auch noch vor uns kam. Und dadurch, dass wir den Undercut nicht hinbekommen haben, ging auch noch Perez vorbei."

Trotz des angespannten Boxenfunks und der widersprüchlichen Darstellung in Bezug auf die abgefahrenen Reifen betont Wolff, dass zwischen Hamilton und Mercedes "alles in Ordnung" sei. Man sei zwar "zuerst verärgert, dann frustriert" gewesen, "aber dann kickt die Mentalität ein, dass wir die Probleme lösen müssen. Es ist sowieso passiert, was passiert ist."

Hamilton wegen seines rausgelassenen Ärgers einen Vorwurf zu machen, hält er für fehl am Platz: "Man muss diese Gefühlsschwankungen zur Kenntnis nehmen. Die haben wir alle. Als Fahrer wirst du natürlich von Millionen Menschen gehört, wenn du deinen Frust von dir lässt. Ich war genauso frustriert, und alle von uns waren verärgert."

Hamilton: Team schon am Samstag kritisiert

Erste Risse waren freilich schon am Samstag aufgetreten, als Hamilton nach dem Qualifying kritisierte, dass sein Team nicht alles versucht habe, worauf man sich im Vorhinein eigentlich geeinigt hatte. Damit waren konkret Maßnahmen gemeint, um mehr Temperatur in die Vorderreifen zu bekommen, die Hamilton am Donnerstag gefehlt hatte.

"Wir haben am Samstag einfach keine Temperatur und keinen Grip in den Reifen bekommen", sagt Wolff. "Deswegen haben wir mehr geheizt, als wir normalerweise tun. Das mehr Heizen hat einfach dazu geführt, dass wir als Allererste begonnen haben mit dem Reifenabbau."

Das habe man schon früh im Rennen festgestellt: "Als Valtteri ein bisschen gepusht hat, Runde 18/19, war von der Reifenperformance nichts mehr da. Wir haben beide Reifen angeschaut, und beide linken Vorderreifen hatten keinen Gummi mehr. Das kommt vom Heizen."

Hätte man alles umgesetzt, was Hamilton am Samstag umgesetzt haben wollte, "wären wir im Qualifying besser gewesen, aber dann hätten wir auch im Rennen mehr gelitten", ist Wolff überzeugt. "Wir dachten daran, die Reifen stärker aufzuwärmen, was wir für das Qualifying auch taten. Aber offenbar nicht genug."

Dafür gibt es unterschiedliche Methoden. Erstens werden die Reifen mit Heizdecken vorgewärmt. Aber auch seitens des Autos gibt es Tricks, um etwa über die Felgen Temperatur aus den Bremsen in den Kern des Reifens abzuleiten. Oder man kann auch mit Set-up-Faktoren wie dem Radsturz arbeiten, um die Reifen einer höheren Energie auszusetzen.

Wolff möchte Monaco jetzt einfach abhaken: "Es ist einfach frustrierend, wenn du hinter einem Auto festsitzt, das fast zwei Sekunden langsamer ist. Ich denke, unsere Performance war gut genug für ein Podium. Das Tempo steckte im Auto, wie wir bei der schnellsten Runde gesehen haben. Aber Monaco ist einfach eine Prozession, wenn die Positionen einmal bezogen sind."

Motorsport-Total.com

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