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Stuck: „Die Heiß-Kalt-Dusche schlechthin“

30 Jahre nach seinem Le-Mans-Sieg: Hans-Joachim Stuck beschreibt, wie er damals den Tod seines Freundes Jo Gartner erlebt hat und wieso er der Katastrophe auch den Sieg verdankt.

Hans-Joachim Stuck steht auf dem Siegerbalkon, blickt in die tobenden Menschenmassen. Es ist der Moment, in dem für den 35-Jährigen ein Jugendtraum in Erfüllung geht. Doch nach der ganz großen Party ist dem frischgebackenen Le-Mans-Sieger nicht zumute. Vor rund zwölf Stunden verbrannte sein Freund Jo Gartner bei einem Horrorunfall auf der Hunaudieres-Geraden im Kremer-Porsche. Der Schock sitzt ihm in den Gliedern.

"Das war die Heiß-Kalt-Dusche schlechthin", erinnert sich der Bayer im Gespräch mit Motorsport-Total.com "Triumph und Tragödie waren damals millimeterscharf nebeneinander." Und trotz des Unglücks wird Stuck bewusst, als er in das Meer aus Menschen blickt: "Scheiße, jetzt habe ich es geschafft. Ich stehe auf diesem Balkon. Ich habe diesen Le-Mans-Sieg, den ich mir mit 18 Jahren gewünscht habe, erreicht." Noch heute sieht er den Triumph "neben dem DTM-Titel 1990 und der Krönung zum Langstrecken-Weltmeister 1987 als wichtigsten Erfolg meiner Karriere".

Angefangen hat alles mit der Pole-Position: Stuck, der gemeinsam mit dem Briten Derek Bell und dem US-Amerikaner Al Hobert für das Werksteam antritt, prügelte den Porsche 962 auf dem Circuit de la Sarthe auf eine Rundenzeit von 3:15.990 Minuten. Das war um 1,190 Sekunden langsamer als seine bis heute unerreichte Rekordrunde aus dem Jahr 1985, als er auf einen Schnitt von 251,815 km/h gekommen war. Doch im Rennen musste er sich damals Landsmann Klaus Ludwig im Joest-Porsche geschlagen geben - Stuck wurde mit Teampartner Bell Dritter.

"Strietzel" Stuck gegen Klaus Ludwig - die Revanche

Umso größer war der Hunger, 1986 ganz oben zu stehen. "Le Mans gehört für mich neben Monaco und dem Indy 500 zu den wichtigsten drei Rennen der Welt", beschreibt er seinen Antrieb. "Jeder erfolgreiche Rennfahrer sollte zumindest eines der drei Rennen gewonnen haben - am besten gleich alle drei." Doch erneut erwies sich Klaus Ludwig als harte Nuss. Der Deutsche, der erneut für das Joest-Porsche-Team antritt, setzte sich beim Start an die Spitze, Stuck war zunächst nur Vierter.

Die Anfangsphase wurde vom Duell der beiden Werks-Porsche mit den beiden Joest-Porsche geprägt - teilweise lagen nur wenige Meter zwischen den Boliden. In der Nacht verabschiedete sich der erste aus dem hochkarätigen Quartett: Jochen Mass rutschte auf einer Ölspur aus und musste aufgeben. Somit war nur noch Stucks Werks-Porsche im Rennen.

Das Drama um Jo Gartner

Dann das Drama um 3:12 Uhr: Stuck saß gerade am Steuer, als er sah, wie Wrackteile von den Bäumen an der Hunaudieres-Geraden herabhängen - ein gespenstischer Anblick. Vom Wrack des Unglücksboliden war nicht mehr viel übrig. "Man sah nachts fast nichts, aber da war nur noch ein Trümmerhaufen", schildert er die schockierenden Augenblicke. "Es gab dann eine ewig lange Safety-Car-Phase, und ich habe über Funk Teamchef Peter Falk gefragt, wer es ist. Die Antwort war: 'Wir wissen es nicht'."

Nach endlos anmutenden Runden hinter dem Schrittmacher-Fahrzeug steuerte Stuck zum Fahrerwechsel die Box an. "Als ich ausgestiegen war, hat der Peter gesagt: 'Komm' mit, ich muss dir noch etwas sagen: Leider ist der Jo Gartner verunglückt'". Worte, die sich in das Gedächtnis des baumlangen Ex-Formel-1-Piloten eingebrannt haben. "Ich habe daraufhin gesagt, dass ich nicht weiterfahre."

Zu frisch waren die Erinnerungen an seinen Freund, mit dem er erst vor zwei Monaten die legendären zwölf Stunden von Sebring für Porsche gewonnen hatte. "Wir hatten dort einen Riesenspaß miteinander, und die Chemie hat einfach gestimmt", erzählt Stuck, der gemeinsam mit Gartner auch einen seiner berühmten Streiche zum besten gab. "Wir räumten dem Sohn von Bob Akin, der unser Teambesitzer war und auch mitfuhr, das Hotelzimmer aus und drehten den Thermostat auf 95 Grad auf. Als er zurückkam, war es in seinem Zimmer heiß und feucht wie in der Sauna."

Stuck wollte nach Gartner-Tod aufgeben

Nach Sebring schlug Stuck den sympathischen Österreicher bei Porsche sogar als Werksfahrer für 1987 vor. "Ich habe ihn empfohlen, weil er in Sebring, als er das erste Mal mit mir im Porsche gefahren ist, eine super Arbeit geleistet hat. Außerdem hat er sicher zu den Teamkollegen gehört, zu denen ich ein engeres Verhältnis hatte."

Doch zu einer weiteren Zusammenarbeit kam es nicht. Sein letztes Aufeinandertreffen mit Gartner? "Bei der Fahrerparade vor dem Rennen haben wir kurz geschwätzt. Wir haben uns in Le Mans wenig gesehen, weil wir für unterschiedliche Teams fuhren. Das Werksteam war schon damals ziemlich abgeschottet."

All die Momente gingen Stuck nach der tragischen Todesnachricht durch den Kopf. Das Rennen war zu diesem Zeitpunkt nach zweieinhalb Stunden hinter dem Safety-Car wieder freigegeben. Und Porsche-Teamchef Peter Falk redete auf Stuck ein, wollte nicht akzeptieren, dass der Starpilot aufgibt.

Gartner-Katastrophe sorgt für Ludwig-Ausfall

"Du weißt, wo du liegst, du weißt, worum es geht. Ich muss dich höflich bitten, dass du doch das Rennen zu Ende fährst", hat Stuck die Worte seines Chefs noch heute im Kopf. "Es war wirklich scheiße für mich. Ich habe mich dann irgendwie gezwungen, das Rennen fertig zu fahren, denn ich hatte ja auch eine Verantwortung dem Team gegenüber." Wie ihm das gelang? "Ich war immer ein Meister der Verdrängung, sobald ich hinterm Lenkrad saß."

Was er aber zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Ausgerechnet durch die Safety-Car-Phase, die der tödliche Unfall seines Freundes ausgelöst hatte, hatte sein größter Rivale Ludwig aufgeben müssen. Da es in jener Nacht relativ kühl war, fiel bei beim Joest-Porsche die Temperatur des Kühlsystems immer weiter ab. Als das Rennen freigegeben wurde und Ludwig aufs Gas stieg, brach durch den rasanten Temperaturanstieg ein Wasserrohr - die Titelverteidigung war damit gescheitert.

Ungefährdeter Sieg für Stuck

Und so hatten Stuck und seine Teamkollegen frei Fahrt und sicherten sich mit acht Runden Vorsprung auf den Brun-Porsche von Oscar Larrauri (ARG), Jesus Pareja-Mayo (ESP) und Joel Gouhier (FRA) den Sieg. "Der war dann ungefährdet", blickt Stuck zurück. "Man muss zwar auch erst durchfahren, darf nichts kaputt machen, aber von der Position her konnte ich den Sieg dann relativ easy nach Hause fahren."

Auf eine ausgelassene Siegesfeier verzichtete man bei Porsche: "Wir haben einander die Hände geschüttelt, und dann sind wir weggefahren", bestätigt Stuck, der nach dem Rennen mit dem Zitat, "Le Mans ist nicht mehr zu verantworten", für Aufsehen sorgt. Der ACO reagiert, und die Hunaudieres-Gerade wird mit zwei Schikanen versehen.

Für Stuck war das schon damals die richtige Entscheidung. "Man fuhr auf dieser Geraden 50 Sekunden Vollgas - das war natürlich schon eine heiße Nummer", erzählt er. "Ich hatte daher gegen die Schikanen nichts einzuwenden, weil es auch die Strecke ein bisschen interessanter gemacht hat."

Porsche 962 für Stuck das beste Auto seiner Karriere

Auch der Porsche 962, der ihm zwar zwei Le-Mans-Siege - Stuck siegte auch 1987 - bescherte, trug laut Stuck seinen Teil zum Unglück bei. "In diesem Auto war man zwar eigentlich - für diese Zeit - absolut sicher, aber es handelte sich trotzdem um ein Aluminium-Chassis, denn damals gab es nichts anderes. Wenn du damit einen Unfall hattest, dann sah es in diesem Auto natürlich nicht gut aus." Das wurde auch zwei seiner Landsleute zum Verhängnis: Stefan Bellof und Manfred Winkelhock, die wie Gartner in einem Porsche 962 ums Leben kamen.

Dennoch kommt Stuck, wenn er an seinen Siegerboliden denkt, nach wie vor ins Schwärmen: "Der 962 war mit Sicherheit das spektakulärste und auch das coolste Rennauto, das ich je gefahren bin. Das Verhältnis aus Abtrieb und Motorleistung war selbst in der Le-Mans-Konfiguration einfach genial, und der 962 war für Le Mans perfekt geeignet. Es gab eine eigene Aerodynamik. Wir hatten vorne sogar eine andere Lenkungsgeometrie, damit man besser geradeaus fahren kann."

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