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MotoGP: Interview

KTM: So baut man ein neues MotoGP-Bike

KTM-Technikdirektor Sebastian Risse erklärt im Interview die Entwicklung des MotoGP-Projektes - Warum KTM an einem Stahlrohrrahmen festhält.

Fotos: KTM/Romero S., Platzer Philip

Mit der MotoGP hat KTM das größte Motorsportprojekt in der Firmengeschichte in Angriff genommen. Als Technikdirektor leitet Sebastian Risse die Entwicklung des neuen Prototypen. Risse ist seit 2008 beim österreichischen Hersteller und war Teil des Superbike-Motorrades RC8, das die IDM gewonnen hat. Als KTM 2012 in die Moto3-Klasse einstieg, übernahm Risse auch die Leitung dieses erfolgreichen Projektes. Nun ist er für die Entwicklung der RC16 verantwortlich.

Beim MotoGP-Prototyp setzt KTM auf einen V4-Motor ähnlich wie Honda und einen Stahlrohrgitterahmen. Damit geht man einen anderen Weg als die übrigen Hersteller, die Chassis aus Aluminium verwenden. Außerdem setzt KTM auf Dämpferelemente von WP, während der Rest des Feldes auf Öhlins vertraut. Im Interview spricht Risse über die Herausforderung des MotoGP-Projekts und erläutert die Hintergründe der technischen Entscheidungen.

Frage: "Sebastian, welche Rolle hast du bei KTM genau?"
Sebastian Risse: "Generell decke ich alle Straßenrennsport-Aktivitäten ab. Natürlich ist momentan die MotoGP das größte Projekt und für mich der Hauptfokus. Als wir mit dem MotoGP-Projekt begonnen haben, mussten wir zunächst das Moto3-Team verstärken, damit es eigenständig effizienter arbeitet, damit ich mich nicht jeden Tag darum kümmern muss. Wir haben auch viel Zeit damit verbracht, neue Leute einzustellen und die Infrastruktur für das MotoGP-Projekt aufzustellen. Man kann sehen, dass es läuft. Der erste Prototyp läuft schon seit einiger Zeit auf der Strecke. Derzeit machen wir Entwicklungsschleifen und Tuning. Damit bin ich hauptsächlich beschäftigt."

Frage: "Du hast am Superbike RC8 gearbeitet, dem Moto3-Projekt und jetzt MotoGP. Ist das KTMs größte technische Herausforderung?"
Risse: "Es ist eine andere Herausforderung. Und ja, es ist das größte Motorsportprojekt, das es bei KTM bisher gab. In vielen Aspekten ist es die größte Herausforderung. Die Technik hält mich in der Nacht wach! Bei jedem Projekt gibt es andere Anforderungen und unterschiedliche Schlüsselelemente, auf die man sich konzentrieren muss. Eine große Aufgabe ist es, die Mitarbeiter und Infrastruktur aufzubauen, weil man nicht alles selbst machen kann."

Erfahrung aus bisherigen Projekten gebündelt

Frage: "Wie baut man ein MotoGP-Bike neu auf?"
Risse: "Ein wichtiger Punkt war es, die Expertise von verschiedenen Projekten zusammenzuführen. Vom Prototypen-Racer Moto3, die Erfahrung mit größeren Bikes wie der RC8 R und den alten 990cc MotoGP-Motor. Man muss diese Erfahrung richtig in der aktuellen RC16 vereinen. Wenn man mit einem weißen Blatt Papier anfängt, muss man die richtigen Prioritäten bei den technischen Aspekten festlegen, lange bevor man auf der Strecke ist. Man muss viele Aspekte bedenken und sie richtig zusammenstellen."

"Normalerweise ist es die beste Methode herauszufinden, ob sich etwas verbessert hat, wenn man auf der Strecke testet. Über alles andere kann man stunden- oder tagelang sprechen. Aber im Endeffekt ist der Beweis auf der Strecke für mich der einzige Weg, um zu sehen, ob das Projekt in die richtige Richtung geht. In der ersten Phase der RC16 war das nicht möglich, weil wir kein Motorrad hatten. Man musste es also anders machen. Man muss verstehen, warum andere Hersteller dieses oder jenes gemacht haben, damit du die richtige Herangehensweise an ein Problem findest. Es geht nicht um Kopie, sonder um das Verständnis. Dann mussten wir unseren eigenen Weg finden, im KTM-Stil natürlich."

Frage: "Stahlgitterrahmen hat man in der MotoGP nicht mehr gesehen, seit Ducati diese Entwicklung Ende 2008 eingestellt hat. Alle anderen Hersteller verwenden Aluminium. Warum stellt sich KTM gegen diesen Trend? Ist es ein Marketinggrund?"
Risse: "Ja, wir sind für Stahlrohrrahmen bekannt, aber ich kann nur aus technischer Sicht sprechen und nicht aus Marketingsicht. Bei jedem Projekt, an dem ich bei KTM mitgearbeitet habe, waren es Stahlrahmen. Als Firma haben wir mit diesem Rahmen so viele Projekte gemacht und dadurch viel Erfahrungen gesammelt, wie man damit umgeht und es herstellt. Wir können das auch bei der Steifigkeit und von Streckendaten analysieren."

"Vielleicht hätten wir wie alle in der MotoGP Aluminium verwenden können, aber man muss verstehen, warum sie dieses Design verwenden und es dann an seine eigenen Bedürfnisse anpassen. Wir kennen das Verhalten von Stahl, aber noch nicht ganz in dieser Situation - mit dieser Motorleistung, den Gripverhältnissen und so weiter. Mit Aluminium hätten wir komplett bei Null anfangen müssen."

Wissen des MotoGP-Motors von 2005 nützlich

Frage: "Der Stahlrohrahmen und der V4-Motor. Du bist für diese Entscheidungen verantwortlich?"
Risse: "Ja. Ich leite die Abteilung und es ist meine Entscheidung. Aber ich habe die Abteilung mit starken Gruppen hinter mir. Das ist keine One-Man Show. Alle Argumente lagen auf dem Tisch, als wir Entscheidungen treffen mussten. Ich musste es aus verschiedenen Blickwinkeln verstehen."

Frage: "Konnte irgendetwas vom 990cc MotoGP-Motor aus dem Jahr 2005 übernommen werden?"
Risse: "Sicherlich. Ein Beispiel ist der pneumatische Ventiltrieb. Dieses System haben wir in keiner anderen Klasse. Da wir das schon vor zehn Jahren entwickelt haben und es gut funktioniert hat, konnten wir aufgrund dieser Erfahrung einige Zweifel ausschließen. Wir wussten auch, welche Probleme wir damals hatten. Dadurch wollten wir es besser machen und die gleichen Fehler vermeiden. Da sich der Rennsport und die Technologie in den vergangenen zehn Jahren weiterentwickelt haben, erhältst du Ideen, wie wir diesen Motor besser entwickeln hätten können. Der 1.000 Kubikmotor ist komplett neu und von Null weg aufgebaut. Wir verwenden die Erfahrung und nicht die Teile."

Frage: "Das Motorrad hat es in kürzester Zeit vom Papier auf die Strecke geschafft. Du musst stolz sein?"
Risse: "Natürlich! Jeder war im November 2015 beim Rollout auf dem Red-Bull-Ring überwältigt. Es ging nicht so sehr um die Tatsache, dass wir den Zeitplan eingehalten haben, sondern dass die RC16 zuverlässig gelaufen ist."

Frage: "Wie verliefen die Testfahrten seit damals?"
Risse: "Es hat gut begonnen. Die mechanische Zuverlässigkeit war ein positiver Punkt. Wir konnten viele Runden fahren und Daten sammeln. Bei den ersten Tests in diesem Jahr war das Wetter schlecht, wodurch wir etwas Zeit verloren haben. Die Arbeitsliste wurde immer länger. Dadurch wurden die Gesichter im Team auch immer länger und länger. Wir hatten nicht die richtigen Bedingungen für Tests. Das kann passieren und liegt nicht in unserer Kontrolle."

"Wir hatten also einen guten Beginn und dann etwas Pech mit dem Wetter. Jetzt bauen wir wieder unser Selbstvertrauen auf sowie das Verständnis für die Crew und das Bike. Aus Fahrersicht fühlen die Testfahrer, wie sich das Motorrad bei unterschiedlichen Bedingungen verhält. Jeder Entwicklungsschritt ist wichtig."

Frage: "Welche Vorteile haben die Kunden von KTM vom MotoGP-Projekt?"
Risse: "Ich denke, das liegt am Ende an den individuellen Fällen. Wenn man es aus einer bestimmten Distanz betrachtet, dann ist es das Vertrauen, das Kunden zu KTM haben. Obwohl wir noch nie richtig in der Königsklasse engagiert waren, verfügen wir über viel Wissen, Fähigkeiten und Erfahrungen im Straßenrennsport - mehr als die meisten Leute vielleicht glauben. Moto3, Rookies-Cup, und früher die 125er- und 250er-Klasse. Aber um der Öffentlichkeit unsere technischen Fähigkeiten zu zeigen, muss man in der Königsklasse sein. Für unsere Kunden haben wir verschiedene Projekte im Austausch mit der Forschungsabteilung bezüglich Chassissteifigkeit und Elektronikstrategien. Mit so einer hohen Performance ist auch Benzineffizienz gefragt."

"Wann kommt das beim Kunden an? Wir werden es sehen. Wir bauen jetzt das Wissen auf, lernen und bringen es zurück in die Fabrik - nicht nur für den Rennsport. Die anderen Abteilungen können darauf zurückgreifen. Sollte es beim Serienmodell ein Problem geben, das wir im Rennsport gelöst haben, dann ist dieses Wissen verfügbar. Unsere Rennsporttechniker nutzen auch Equipment und Wissen der Forschungsabteilung. Sie wissen woran wir arbeiten und bringen ihr Wissen auch ein. Deshalb funktioniert es sehr gut, dass wir Forschung, Produktion, Design und Rennsport sehr nahe beisammen haben."

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