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Rallycross-WM: Interview

RX-Rookie Scheider: "Das ist das geilste..."

Timo Scheider im Interview: Über die Faszination Rallycross, was ihm das Lob eines zweimaligen Weltmeisters bedeutet und warum er mit der Startnummer 44 fährt.

Fotos: FIA World Rallycross

Ein Meister wird zum Lehrling: Nach insgesamt 16 Saisons und zwei Meistertiteln in der DTM beginnt für Timo Scheider an diesem Wochenende ein neues Kapitel in seiner Karriere. In Barcelona startet der 38-Jährige in seine erste volle Saison in der Rallycross-Weltmeisterschaft (WRX). Im Interview verrät Scheider, warum er zum Rallycross wechselt und mit welcher Erwartung er seine neue Aufgabe angeht.

Der frühere Audi-Werksfahrer, der in der WRX mit einem Ford Fiesta des österreichischen MJP-Teams an den Start gehen wird, beschriebt zudem anschaulich, wie er im vergangenen Jahr bei seinen Gaststarts für Münnich Motorsport "Blut geleckt" hat, weshalb er sich trotz erster Erfolge aber als völliger Anfänger sieht. Außerdem spricht Scheider über das bevorstehende Wiedersehen mit seinen alten DTM-Kollegen am Hockenheimring.

Frage:"Herr Scheider, nach insgesamt 16 Jahren in der DTM wechseln Sie jetzt in die Rallycross-WM. Wäre es übertrieben, wenn man vom Start einer zweiten Karriere spricht?"
Timo Scheider: "Es ist mit Sicherheit der Start eines neuen Karriereabschnitts. Ich bin dort Quer- und Neueinsteiger und völliger Rookie, auch wenn ich schon eine lange Motorsport-Vergangenheit habe. Bis zum vergangenen Jahr habe ich mit dem Rallycross-Sport noch gar nichts zu tun gehabt. Daher fühle ich mich auch wie ein Rookie, der sehr viel lernen muss, sich auf diese Aufgabe aber unglaublich freut. Denn die Gasteinsätze waren eine große Herausforderung und haben riesigen Spaß gemacht. So eine Fahrdynamik hatte ich als Fahrer noch nie erlebt."

Frage: "Weshalb haben Sie sich für einen Wechsel in die WRX entschieden?"
Scheider: "Es war genau dem geschuldet, dass ich bei meinen Gastauftritten so begeistert war von dieser Action, die da im Auto als Rennfahrer stattfindet. Selbst wenn man alleine auf der Strecke ist, hat man jede Menge positiven Stress und Arbeit. Das ist für mich pure Leidenschaft, und eine Herausforderung, die deutlich größer ist als alles andere, was ich bisher in meinem Leben gefahren habe."

"Solch ein Auto unter verschiedenen dynamischen Bedingungen im Grenzbereich zu bewegen, ob es auf Asphalt oder Schotter ist, ob es im Zweikampf ist oder alleine - jede Runde ist eine neue Herausforderung. Und die ist mit den Schalt- und Lenkvorgängen und der Handbremse deutlich größer und nicht vergleichbar mit dem, was ich bisher gemacht habe. Diese Aufgabe hat mich extrem beeindruckt und macht einen riesigen Spaß. Das war was die Fahrdynamik betrifft für mich das geilste, was ich in den vergangenen 28 Jahren machen durfte."

Wie der Kontakt zur Rallycross-Szene zustande kam

Frage: "Sie sind nicht der erste Fahrer aus der DTM-Szene, der sich im Rallycross versucht. Ihr früherer Markenkollege Mattias Ekström ist dort seit Jahren unterwegs, und das mit Erfolg. Welche Rolle hat er bei Ihrem Wechsel gespielt? Haben Sie sich im DTM-Fahrerlager über das Thema Rallycross unterhalten?"
Scheider: "Ja klar, natürlich. Er war der Erste, der mit dem Thema zu tun hatte und davon mit genau so großen Augen erzählt hat, wie ich es erlebt habe. Da hat schon ein Austausch stattgefunden."

"In zweiter Linie war das aber auch mein DTM-Renningenieur Laurent Fedacou, der bei Phoenix mein Renningenieur war, gleichzeitig aber in der Rallycross-WM Ingenieur von Johan Kristoffersson im Volkswagen-Schweden-Team war. Daher war ich immer up-to-date, was in der Szene passiert. Er war auch derjenige, der mich dann zu Rene Münnich vermittelt und mir so die erste Möglichkeit geschaffen hat. Nachdem die Rallycross dann bei der DTM im Rahmenprogramm war, konnte man sie live vor Ort erleben. Und ich muss sagen, ich bin wirklich der Dynamik dieser Serie verfallen."

Frage: "Mir erging es ähnlich. Ich war in der vergangenen Woche bei einem Test des Teams von Petter Solberg am Estering und habe dort zum ersten Mal ein Rallycross-Auto live gesehen. Die Beschleunigung und das Tempo sind wirklich beeindruckend."
Scheider: "Das ist Wahnsinn und wirklich unglaublich, auch die Stimmung an der Rennstrecke. Ich war im vergangenen Jahr in Lettland. Dort hat es am Sonntag in Strömen geregnet, aber die Tribünen waren schon am Morgen voll besetzt. Es ist nicht nur keiner nach Hause gegangen, sondern es gab auch Laolawellen, Sprechchöre, sie haben gesungen und getanzt. Unfassbar!"

"Genau diese Fußballstadion-Atmosphäre wünscht man sich als Rennfahrer. Diese Atmosphäre hätte ich mir in den vergangenen Jahren auch an der Rundstrecke gewünscht, aber ich glaube, das ist eine ganz andere Klientel. Das sind nicht nur Autobegeisterte, sondern viel mehr Fans, die das wirklich richtig feiern. Ich glaube, da werden mir noch ein paar ganz tolle Wochenenden bevorstehen. Das hat ein riesiges Potenzial und hat mich dazu gebracht, auf Mallorca eine eigene Rallycross-Strecke zu bauen."



Frage: "Sie haben im vergangenen Jahr mit einigen Gaststarts in die WRX hinein geschnuppert und sind dabei in Argentinien ins Finale gefahren, wo Sie als Vierter nur knapp das Podium verpasst haben. Waren Sie überrascht darüber, dass sie dort so schnell so gut zurechtkommen?"
Scheider: "Es hat mich letztlich schon überrascht, positiv überrascht. Die Situation bei Rene Münnich mit dem SEAT war relativ entspannt, weil der SEAT bis dato in der WM noch kein erfolgreiches Auto war. Daher gab es keinen Druck oder eine Erwartungshaltung."

"Ich habe mir gesagt: Hier kann ich fahren, kann ich lernen. Wenn es gut geht, dann ist es gut, wenn es nicht geht, ist es auch kein Problem. Dass wir über die drei Gaststarts solche Fortschritte machen konnten und es dann in Argentinien tatsächlich ins Finale geschafft haben, war nicht zu erwarten. Dort mit nur zwei Hundertstelsekunden Rückstand die zweitschnellste Rennrunde zu fahren, hat mich extrem begeistert und sehr überrascht. Das hat dazu beigetragen, dass ich dem Thema so verfallen bin. Ich habe gesehen, dass ich mich gut anpassen kann und es meinem Fahrstil entgegenkommt."

Einstieg der Werke: Bitte keine Kostenexplosion!

Frage: "Das ist auch anderen aufgefallen. Ich habe mit Petter Solberg über Sie gesprochen. Er war sehr von Ihnen beeindruckt und meinte: 'Timo wird dieses Jahr einige überraschen.' Was empfinden Sie, wenn sich ein zweimaliger Rallycross-Weltmeister so lobend über Sie äußert?"
Scheider: "Das Petter als zweimaliger Weltmeister so etwas über mich sagt, macht mich extrem stolz. Das zeigt, das aufgefallen ist, was ich getan habe."

"Ich freue mich sehr darauf, gegen solch großen Namen aus der Rallyewelt zu fahren und mich irgendwann mit ihnen messen zu können. Davon bin ich noch weit entfernt von, aber ich hoffe, dass wir hier und da aufzeigen können. Und sollte Petter mit seiner Aussage recht behalten, wäre ich sehr happy."


Frage: "Lassen Sie uns auf die bevorstehende Saison blicken. Sie fahren im Team von Max Pucher, einem reinrassigen Privatteam. Und das in einer Phase, wo der Einfluss der Hersteller in der WRX größer wird. Volkswagen arbeitet mit Solberg zusammen, Audi mit Mattias Ekström, dazu Peugeot-Hansen. Glauben Sie, dass Privatteams weiterhin wie bisher Chancen auf Rennsiege und die Weltmeisterschaft haben?"
Scheider: "Es macht es nicht einfacher. Sobald die Werke Einzug halten in den Serien, wird es für Privatteams immer schwieriger. Ich hoffe, dass man in der WRX der Entwicklung und der damit verbundenen Kostenexplosion durch das Reglement einen Riegel vorschieben kann, sodass es für die gut betuchten Privatteams trotzdem noch möglich ist (zu gewinnen; Erg. d. Red.)."

"Wir sehen jetzt schon, dass die Teilnehmerzahlen in der EM steil nach oben gehen, weil in der WM ein größerer Kostenaufwand nötig. Ich hoffe, dass sich das nicht so extrem entwickelt, dass die Privatteams aussterben. Ich denke, dass wir als Privatteam noch gut aufgestellt sind. Das ist Max Pucher mit seinem MJP-Team auf jeden Fall, auch finanziell. Das muss man aber auch, weil man sonst die Entwicklungsschritte nicht mitgehen kann. Ich habe von anderen Teams gehört, dass sie 2016 über das gesamte Jahr 50 Entwicklungsstufen gemacht haben. Da bedarf es schon eines gewissen Budgets, um das Tempo mitzugehen. Wenn man das nicht kann, wird es hinter heraus irgendwann schwierig."

Frage: "Welche Ziele haben Sie sich für Ihre erste volle Saison im Rallycross gesetzt?"
Scheider: "Als Quereinsteiger ist das immer schwierig. Nachdem ich im vergangenen Jahr in Argentinien schon im Finale war, ist es klar, dass ich irgendwann gerne auf dem Podium stehen würde. Ob mir das gelingt, wird sich zeigen."

"Ich bin mein neues Auto bis jetzt noch keinen Meter gefahren, das wird in Barcelona das erste Mal rollen. Bisher habe ich nur einmal im Testauto gesessen, das ist meine ganze Erfahrung mit diesem Auto. Das ist sicherlich keine optimale Vorbereitung, aber aufgrund von Problemen mit Zulieferern sind einige Dinge in Verzug geraten. Daher gehe ich davon aus, dass wir am Anfang noch einiges kennenlernen müssen, am Auto und auch an mir. Gegen Saisonmitte sollten wir dann hoffentlich um das Finale und Podiumsplätze kämpfen können."

Kein Wehmut vor der Begegnung mit der DTM

Frage: "Haben Sie in dieser Saison einen klaren Favoriten auf den WM-Titel? Wer könnte im Titelkampf mitmischen?"
Scheider: "Es ist ein unglaublich starkes Feld, auch durch das Engagement der Werke. Petter hat Unterstützung von Volkswagen, und mit Kristoffersson sind dort zwei Toppiloten auf den Autos. Die Jungs von Peugeot werden sicherlich auch eine Menge Arbeit gemacht haben, weil sie nicht da waren, wo sie sein wollten. Mit Timmy Hansen und Sebastien Loeb gibt es auch da zwei Toppiloten."

"Der Mattias wird dank der Unterstützung durch Audi und mit drei Autos noch einmal stärker werden, wobei da für mich Mattias der Stärkste ist. Beim Hoonigan-Team von Ken Block sehe ich Andreas Bakkerud als gefährlichen Kandidaten auf den Titel an. Da jetzt einen herauszupicken, ist wirklich schwierig. Auch bei den Privaten kann ein Timur Timersjanow sauschnell sein. Wenn ich mit einen aussuchen müsste, sehe ich momentan die Volkswagen-Jungs Solberg und Kristoffersson vorne."



Frage: "Anfang Mai kommt es in Hockenheim zu einem Wiedersehen mit der DTM. Mit welchen Gefühlen blicken Sie darauf? Ist es Vorfreude, viele bekannte Gesichter wiederzusehen oder Wehmut, den alten Kollegen dann beim Fahren zuzusehen?"
Scheider: "Das Thema DTM und Audi ist abgeschlossen, da gibt es keinen Wehmut mehr. Ich habe in Hockenheim mit der Rallycross-WM eine eigene Aufgabe, darauf werde ich mich voll konzentrieren. Ich werde natürlich den ein oder anderen besuchen und Hallo sagen. Ich gehe voller Vorfreude dahin, werde meine BMW-Kollegen unterstützen (Anm. d. Red.: Scheider fährt im GT-Sport ab dieser Saison für BMW). Ich werde aber schauen, dass mein Rennwochenende so gut wie möglich läuft. Damit habe ich so viel zu tun, dass kaum Zeit für anderes bleibt."

Frage: "Sie haben sich für die Startnummer 44 entschieden. Hat das eine besondere Bewandtnis?"
Scheider: "Das war Zufall. Im vergangenen Jahr hat man mir diese Nummer zugeteilt. Bei der Einschreibung für dieses Jahr habe ich dann eine Liste mit den verfügbaren Startnummern bekommen. Und von allen offenen Nummer war das die einzige, die mich angesprochen hat, weil ich sie aus dem vergangenen Jahr in guter Erinnerung hatte."

"Danach habe ich erst festgestellt, wer im Laufe seiner Karriere schon mit der 44 gefahren ist, sei es Lewis Hamilton oder früher ein Hans-Joachim Stuck in der DTM. Das hatte ich gar nicht auf dem Schirm. Ich finde die Zahlenkombination cool. Sie sieht auch auf Shirts und Trikots gut aus. Letztlich hat die Optik der Zahl mehr entschieden als alles andere."

Frage: "Möchten Sie noch irgend etwas ergänzen?"
Scheider: "Ich würde mir wünschen, dass im deutschen Markt die TV-Übertragung der Serie möglich gemacht wird, damit die deutschen Motorsportfans sehen, was die Rallycross-WM zu bieten hat. Ich glaube vom Erlebnis und dem, was man geboten bekommt, gibt es auf dem Motorsport-Planeten nicht viel, was auf gleichem Niveau unterwegs ist. Dort bekommt man in komprimierter Form so viel auf der Strecke geboten, dass man als Motorsporten einfach gefesselt ist. Daher wünsche ich mir viele deutsche Fans, die hoffentlich auch mich unterstützen. Ich hoffe, dass ich mich als Neuling und Exot im Reich der Nordlichter behaupten kann."

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