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Erinnerungen eines Sportreporters: Nagano 1998 – wer schert sich um die Dritte...
Fotos: Peter Klein privat, ÖPC/Franz Baldauf, Klaus Salzmann privat

Nagano 1998 – wer schert sich um die Dritte...

Peter Klein erklärt in seiner neuen Kolumne, warum man Drittplatzierte nicht unterschätzen sollte und warum Klaus Salzmann für Peter Klein über Hermann Maier steht.

Peter Klein für den Motorline Paddock Corner

Natürlich war ich auch bei den olympischen Spielen 1998 in Nagano – ich sollte die Geschichten abseits von den Liveberichten gestalten, „Seitenblicke“ sozusagen. Es ist bei diesen Großveranstaltungen ja üblich, dass jedes Land sein eigenes Haus präsentiert, meist bezahlt von diversen Wirtschafts- und/oder Handelskammern und mit Zuschüssen vom Staat, also vom Steuerzahler. Im 3.000 Meter Eisschnelllauf der Damen gab es einen dreifachen deutschen Erfolg durch Gunda Niemann, Claudia Pechstein und Anni Friesinger, für mich DAS Ereignis des Tages, also mit Kamerateam auf ins „Deutsche Haus“.

Und wieder einmal wurde mir die Oberflächlichkeit und Gefühlskälte mancher Journalisten deutlich gemacht. Erst ein Foto mit allen drei Damen, dann in erster Linie Interviews mit Gunda Niemann, die für weitere Fotos zumindest 12 Mal in ihre Goldmedaille beißen musste, Interviews mit Claudia Pechstein die Gleiches mit Silber tat und als Sieganwärterin für die 5.000 Meter Distanz galt. Während die Drittplatzierte Anni Friesinger von Journalisten und Fotografen schon unbeachtet in einer Ecke saß. Anni, gerade mal 21 Jahre jung, blond, blauäugig und blitzgescheit – aus Bad Reichenhall, also quasi eine halbe Österreicherin.

Ich stellte mich artig vor und bat um ein Interview: „Du moanst sicha die Gunda, die hat gwonnan und hot a blonde Hoa“, kam es bayrisch zurück. „Ich weiß“, antwortete ich, „aber ich will ja den Österreichern die kommende Olympiasiegerin vorstellen“, und ich wusste, jetzt habe ich einen Stein im Brett. In den nächsten Jahren wurde Anni drei Mal Olympiasiegerin, über diverse Einzelstrecken 19fache Weltmeisterin und erzielte 14 Weltrekorde.

Drei Jahre später ging sie in Innsbruck an den Start, sah mich, winkte mir zu und nach ihrem logischen Sieg bekam ich als Erster mein Interview. „Woast, mia hot des domois taugt in Nagano, dosd zu mia kumman bist und wosd gsogd host!“ Und dann kramte sie in ihrer Tasche und zog ein Foto aus dem Seitenfach: „I hob di jo scho gestan gsegn aun da Barriere und haum ma dengt, des schenk i da heit. Von domois, wia i no nix woa.“ Ich dachte mir, auch diese Geschichte hat eine Heldin und Annis Bild mit Unterschrift steht heute noch in meinem Wohnzimmer.

Mein Hermann heißt Klaus!

Wohl jeder Österreicher weiß, dass Hermann Maier Olympiasieger ist, aber auch, dass er in Nagano vor seinen Triumpfen einen unglaublichen Abflug tat – und das bei der Herren-Abfahrt. Dieser Flug über die Piste, die Saltos durch die Schutzzäune machte ihn weltberühmt, noch ehe man ihm die erste Goldmedaille überreichte. Im Österreich-Haus wurde dann gefeiert, Sekt und Kaviar wurde genossen, jeder wollte dem Hermann auf die Schulter klopfen, mit ihm „im Bild“ sein.

17 Tage später, bei den Paralympischen Spielen wurde erstmals eine Abfahrt auf der Originalpiste ausgetragen und man war seitens der Organisatoren nicht sicher, ob dies ein guter Plan wäre… Und es gab ein Dejavu der besonderen Art, allerdings in zwei, statt in drei Akten. Ich hatte Klaus Salzmann ein Jahr zuvor, bei einem Weltcuprennen kennen gelernt. Querschnittgelähmt nach einem Motorradunfall zählte er mit fast 34 Jahren zwar zu den älteren Teilnehmern im Kader, aber auch zu den wilden Draufgängern. Mir gefiel dieses markante, maskuline Gesicht voll Stolz und Willenskraft und wir kamen ins Gespräch.

„Im Sommer spiele ich auch Tennis – Rollstuhltennis natürlich – aber nur, wenn ich Zeit habe.“ Ich wollte wissen, was er denn sonst mit seiner Zeit anfange. „Ich habe eine Werkstatt, bin Karrosseriebauer mit Meisterprüfung.“ Und er lächelte in mein ungläubig staunendes Gesicht und meinte, „ich habe Gruben und Bühnen in meiner Werkstatt, an die Autos komme ich immer ran“. Und mit dem manchmal sarkastischen Humor körperbehinderter Menschen sagte er noch: „ja, ja, ich steh mit beiden Beinen im Leben…“ Danach bestritt er die Weltcupabfahrt in Abtenau und gewann mit fast zwei Sekunden Vorsprung.

Herrenabfahrt Paralympics Nagano, 1. Akt

Bei den olympischen Spielen waren mehr als 50 ORF-Mitarbeiter vor Ort, bei den Paralympics war ich alleine. Das Kamerateam wurde in Tokio angemietet und von der schreibenden Zunft war kein einziger Journalist anwesend. Keiner österreichischen Zeitung war dieses Ereignis mit über 560 Teilnehmer/innen aus 31 Ländern eine Berichterstattung wert.

Ich fuhr mit meinem Kameramann zu einem Drehpunkt etwa 400 Meter nach dem Start und dachte noch, hier ungefähr ist die Stelle, wo Hermann Maier diesen unglaublichen Sturz hatte. Und dann kamen sie, festgezurrt in ihrem Monoski, zum ersten Mal eine Abfahrt, zum ersten Mal auf einer Olympiastrecke. Nach sechs Teilnehmern der erste Österreicher und das war Klaus. Er flog über eine kleine Welle, sichtlich der Schnellste, plötzlich verkantete der Ski, Salzmann hob ab, überschlug sich ein Mal, ein zweites Mal, rutschte den Hang weiter und der Schnee färbte sich rot.

Die etwa 8.000 Zuschauer im Zielgelände wurden nach einem Aufschrei unheimlich still. Salzmann, noch immer die Skistöcke in den Fäusten rappelte sich auf – mit blutüberströmten Gesicht – und fuhr wie im Slalom zu Tal. Später erzählte man mir, dass der Kinnschutz so heftig gegen das Gesicht geprallt war, dass sein Kinn aufgeplatzt und Klaus mit der linken Hand dagegen gedrückt hatte. Noch im Zielraum wurde die klaffende Wunde mit acht Stichen vernäht und als ich zum Interview kam, war sein Gesicht verschwollen und sein Unterkiefer ein einziges Pflaster.

Herrenriesentorlauf Paralympics Nagano, 2. Akt.

Drei Tage später fand ich Klaus Salzmann erneut auf der Startliste, Riesentorlauf der Männer und ich dachte mir, warum tut er sich das an? „Wie geht es Dir, hast Du noch Schmerzen von den Prellungen“, wollte ich wissen. Er nickte nur kurz, das Kinn noch immer bepflastert aber Kampfeslust in den Augen kam ein fast schon verbissenes „heute hol ich mir die Goldene!“ Der Riesentorlauf zählte nicht unbedingt zu seinen Spezialdisziplinen, eher Abfahrt und Super G, aber der Kerl wirkte wild entschlossen.

Ich stand diesmal mit meinem Kameramann im Ziel und wir erlebten einen Ausfall nach dem anderen. Die Topfavoriten Zardini aus Italien, der Schweizer Eberle, Österreichs große Hoffnungen Eder und Egle kamen nicht ins Ziel und dann fegte Klaus Salzmann über die Piste und fixierte tatsächlich Bestzeit vor Kanadas Nummer 1 Stacy Kohut und dem Deutschen Lotz. Mehr als die Hälfte aller Teilnehmer schieden aus, Salzmann siegte mit Können und unbeugsamer Willenskraft. Beim Interview zeigte Klaus dann erstmals freudige Gefühle und auch ein wenig Stolz. Überschwänglich meinte ich noch, „das müssen wir aber heute feiern“ und der Paralympicsieger konterte trocken: „Wo? Für uns gibt´s kein Österreich-Haus...“

Siegesfeier Paralympics, 3. Akt

Ich sprach mit dem Delegationsleiter und konnte es nicht glauben, nein, kein Österreich-Haus in Nagano... Nach den olympischen Spielen, nach den Feiern rund um Hermann Maier wurde alles einfach abgebaut. „Wir feiern halt bei einem kleinen Japaner mit Sushi, Sashimi und Asahi Bier“, sagte Klaus. Aber ich war zornig und ideenreich. „Klaus, das muss sich ändern, wir fahren jetzt alle mit Kameramann zum Österreich-Haus, ich zeige aus dem Archiv die Feiern rund um Hermann Maier und blende dann durch, wie wir alle vor dem finsteren Österreich-Haus stehen.“

Gesagt, getan, Klaus mit Goldmedaille um den Hals voran, dahinter weitere Rollstuhlfahrer, Amputierte, Blinde und Sehbehinderte standen enttäuscht vor dem Haus wo zwei Wochen zuvor noch Sekt, Wein und Schnaps geflossen war. Danach gab es wie vereinbart japanische Kost für alle in einem kleinen, aber feinen Restaurant.

Die Sondersendung von den Paralympics 1998 in ORF 1 hatte knapp 500.000 Zuseher und sie erfreuten sich an 7 Gold-, 11 Silber- und 13 Bronzemedaillen. Und viele ärgerten sich an den Fernsehgeräten über die Missachtung gegenüber den so erfolgreichen, österreichischen Teilnehmern. Aber es war bald Besserung in Sicht und seit Sidney 2000 gibt es auch bei den Paralympics einen Platz der Begegnung für Österreichs körperbehinderte Sportler für Medaillenfeiern im Österreich-Haus. Und auch ER hat Anteil daran, Klaus Salzmann, der Goldmedaillengewinner von Nagano und mein ganz persönlicher Hermann Maier...

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