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Rallye: EXKLUSIV

Riesenzoff um Regeländerungen: Spitzenfahrer „not amused“

Fahrervertreter Martin Kalteis zettelte umfassende Regeländerungen an - Problem dabei: Die Spitzenfahrer wussten davon nichts und sind „not amused“...

Michael Noir Trawniczek
Foto:Andreas Wiesbauer

Ausgerechnet am Ende einer ORM-Saison, die für viele die beste seit vielen Jahren darstellt, braut sich ein deftiges Unwetter über dem heimischen Rallyehimmel zusammen. Der Hintergrund: Geradezu überfallsartig wurden von der AMF-Rallyekommission ein neuer Punktemodus respektive auch geänderte Regeln eingeführt - motorline.cc hat berichtet...

Wesentliche Anker dieser Änderungen: Keine Streichresultate und keine Powerstage, Punkte für die Top 20 und für sämtliche Fahrzeuge, eine geringere Punktedifferenz zwischen dem Sieger und dem Zweiten. Die Punktevergabe für die Top 20: 25, 22, 20, 17, 16...1. Erstellt wurden diese Änderungen von einer Arbeitsgruppe, welche Fahrervertreter Martin Kalteis ins Leben rief. Im Detail sind die geplanten Änderungen hier einzusehen.

Unterdessen stellte sich heraus, dass diese Änderungen offenbar am Willen der heimischen Spitzenpiloten vorbei beschlossen wurden. Mehr noch: Laut Gerwald Grössing wurden sämtliche Spitzenfahrer der ORM nicht zu den Änderungen befragt: „Ich habe mit zehn Piloten gesprochen, die allesamt nicht gefragt wurden.“ Gegenüber motorline.cc haben bereits Hermann Neubauer, Andreas Aigner, Raimund Baumschlager, Kris Rosenberger, Christian Schuberth-Mrlik, Julian Wagner, Daniel Wollinger und auch Michael Kogler bestätigt, dass sie nicht befragt wurden.

„Kalteis eiskalt“

Die Krux dabei: Martin Kalteis soll in der Kommission behauptet haben, die Änderungen seien der Wunsch aller Fahrer. Grössing sagt dazu: „Es ist schändlich, wenn man dem Vorsitzenden der Kommission eiskalt ins Gesicht lügt und behauptet, man habe mit allen Fahrern gesprochen.“ Der Kommisssions-Vorsitzende Willi Singer wollte dazu keine Stellungnahme abgeben. Kalteis selbst meinte, er habe in einem motorline.cc-Interview dazu aufgefordert, ihm per Mail Änderungswünsche zukommen zu lassen, die erwähnten Spitzenpiloten hätten dies nicht getan.

Grössing dazu: „Man kann nicht davon ausgehen, dass alle Fahrer motorline.cc lesen. Und wenn keine Mails einlangen, dann ist das sehr wohl auch eine Antwort. Sie bedeutet: Wir wollen keine Regeländerungen! Genau das ist der Fall: Wir wollen sie nicht!“ Dass an einer umfassenden Änderung des Punktemodus gearbeitet wird, habe man nicht wissen können...

Streicher streichen - not amused

Ein wesentlicher Kritikpunkt ist die Weglassung der Streichresultate: „Seit einiger Zeit ist es Usus, dass in der ORM die sechs besten Läufe gewertet werden. Diese sechs Läufe waren bei der Erstellung eines Budgets eine verlässliche Größe. “ Aber auch die Weglassung der Powerstage und der Punktemodus an sich stehen in der Kritik: „Die Powerstage hat sich bewährt Der neue Punktemodus ist ein Schuss ins eigene Knie: Wenn du in der ersten Rallye ausfällst, kannst du nach dem geplanten Modus die Saison abhaken. Denn selbst wenn du alle folgenden Läufe gewinnst, kannst du die 25 Punkte nicht mehr gutmachen, wenn dein Gegner immer Zweiter wird.“

Genau das hat auch Hermann Neubauer gegenüber motorline.cc kritisiert. Der regierende Staatsmeister wollte vor dem großen Saisonfinale im Waldviertel keine Äußerungen zur aktuellen ORM-Politik tätigen, zeigte sich jedoch alles andere als „amused“. Auch Raimund Baumschlager wollte sich aus der Diskussion heraushalten. Kris Rosenberger sandte eine SMS: „Wurde nie gefragt, bin auch dagegen.“

Andreas Aigner hat auf Facebook auf der Seite von motorline.cc ironisch gepostet: „Wenn ich mir den Punktestand vor der letzten Rallye anschaue, ist es super wichtig, das Punktesystem zu ändern.“ Dazu ein Emoj, das einen Affen zeigt, der sich die Hände vor das Gesicht schlägt. Aigner fügte hinzu: „Beim aktuellen System kann man bei jeder Rallye acht Punkte aufholen, obwohl dein Konkurrent Zweiter wird, in Zukunft dann wahrscheinlich drei Punkte - heißt ergo: Nach einem Nuller kann die Saison beendet werden.“

Warum nicht in der ORM2WD?

Ins gleiche Horn stoßen Julian Wagner und Daniel Wollinger. Wagner sagt: „Keine Streichresultate mehr ist das Schlechteste, was man machen konnte. Wenn sich beispielsweise ein Fahrer die Jännerrallye nicht leisten kann, dann kann er mit diesem System die Meisterschaft vergessen.“ Insgesamt sei die Punktedifferenz zwischen dem Sieger und dem Zweiten zu groß - doch die Powerstage würde Wagner belassen. Sie wurde übrigens auch für die Fans eingeführt, um zu garantieren, dass auch bei großen Zeitabständen noch auf Attacke gefahren wird...

Auch Daniel Wollinger ist mit dem geplanten Weglassen des Streichresultats unzufrieden: „Wir machen uns damit nur das Leben schwer. Es ist ohnehin schon so schwer zu finanzieren. Wenn du bei der ersten Rallye ausfällst, kannst du die Meisterschaft abhaken.“

Ein anderer Einwand kommt von Gottfried Kogler. Er findet den neuen Punktemodus sinnvoll und begrüßt diesen. Was er jedoch nicht verstehen kann: Der neue Punktemodus gilt für die ORM insgesamt und auch für den Rallyepokal ORC - nicht jedoch für die ORM2WD. Kogler dazu: „Will man damit die ORM2WD abwerten? Was für die ‚Großen‘ gilt, soll für die 2WD nicht gelten? Da verstehe ich die Welt nicht mehr...“

Die Argumente von Martin Kalteis

Was sagt Martin Kalteis zu den Argumenten? Kalteis sagt: „Streichresultate sind unüblich - auch in der Weltmeisterschaft gibt es sie nicht. Mit dem neuen System sollen jene Fahrer belohnt werden, die dem alten Geist des Rallyesports entsprechend ins Ziel kommen.“ Julian Wagner wendet ein: „Meiner Meinung nach sollte belohnt werden, wer am schnellsten autofahren kann.“

Kalteis verweist darauf, dass man es bei Regeländerungen niemals allen Recht machen könne - außerdem würden in der AMF-Kommission noch viele weitere Personen sitzen, welche allesamt den Änderungen zugestimmt hätten, etwa die Vertreter derIndustrie oder der Fahrervertreter Historisch. Und: „Mit dem neuen System kann theoretisch jeder Staatsmeister werden!“ Der Hintergrund: Mit dem neuen Modus sind sämtliche Autos punktberechtigt - selbst die M1-Autos, nachdem sie ein „AMF-Reglement“ erhalten würden.

Im Gespräch mit motorline.cc hat Kalteis unterstrichen, dass bei Anwendung des neuen, des geplanten Modus in der aktuellen Meisterschaft kein WRC-Pilot, sondern Niki Mayr-Melnhof die ORM anführen würde. Das neue System fördere somit die „Chancengleichheit“.

Dass die Powerstage dafür eingeführt wurde, dass die Zuschauer an der Strecke auch bei hohen Zeitabständen die Garantie haben, dass auf dieser einen Prüfung noch einmal Vollgas gegeben wird, wischt Kalteis vom Tisch: „Das erkennt doch niemand mit freiem Auge.“

Außerdem würde er auch nicht verstehen, warum sich Spitzen- bzw. WRC-Piloten gegen längere SP-Distanzen wie bei der Jännerrallye verwehren würden: „Erst sagt man, die World Rally Cars seien ohnehin nicht viel teurer als ein R5 und dann erdreistet man sich, lange Rallyes boykottieren zu wollen?“

“Rookiefehler“ - noch korrigierbar?

Wie soll es nun weitergehen? Mit einem Punktemodus, den zumindest die Spitzenfahrer der ORM und der ORM2WD nahezu durch die Bank als Ganzes oder zumindest in Teilen ablehnen? Und der noch dazu inkonsequent nur in ORM und ORC zur Anwendung kommt?

Gerwald Grössing legt Wert auf folgende Feststellung: „Die AMF trifft keine Schuld - das sind offenbar die einzigen, die kundenorientiert arbeiten. Ich gestehe Martin Kalteis zu, dass er hier übermotiviert war und er einfach übers Ziel hinaus geschossen hat. Ein Rookiefehler! Wir sollten nur aufpassen, dass wir nicht jene Menschen verprellen, die sich wirklich um den heimischen Motorsport bemühen und da gehört die AMF dazu.“

Arbeitsgruppen wie jene, die Kalteis gründete, würden ihm ohnehin im Magen liegen, gesteht Grössing: „Ich erinnere mich mit Schaudern an jene Arbeitsgruppe, die im Vorjahr den WRC 150 Kilogramm Zusatzgewicht auferlegen wollte. Warum möchte man jetzt ein bewährtes System ändern? Warum hat man uns nicht gefragt? Es besteht keine Notwenigkeit, Änderungen vorzunehmen. Die Saison - obwohl sie für mich sportlich gesehen meine schlechteste war - war doch großartig. Wir haben beim Finale drei Titelkandidaten!“

So hoffen Grössing und die hier zitierten Spitzenfahrer, dass man die Änderungen noch korrigieren wird. Möglich wären solche Anpassungen: Bei der Kommissionssitzung am 15. November müssen die beschlossenen Regeln von AMF-Präsident Univ. Prof. Dr. Harald Hertz abgesegnet werden, die Kommission kann hier noch einen Beschluss zu möglichen Änderungen treffen...

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