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Rallye: Kommentar

„Breite“ versus „Spitze“: Welche Gefahren drohen...

Das neue ORM-Reglement scheint Teil eines Richtungsstreits zwischen „Breite" und „Spitze“ zu sein. Hintergrund ist ein drohendes „Rallyesterben“....

Kommentar* von Michael Noir Trawniczek

Meinungsbildung - oft gar nicht einfach, und meistens „stückerlweise“, ein langwieriger Prozess. Das rundum erneuerte Reglement der Österreichischen Rallye Staatsmeisterschaft (ORM) sickerte bei mir sehr langsam. Anfangs dachte ich an reine Reformierungswut - wie bei einem Body Modification Freak, der sich jedes Jahr mit neuen Teufelshörnern und sonstigen Auswüchsen schmückt, nur um sie wieder gegen andere auszutauschen, um dann immer mit dem gleichen Satz abzuschließen: „Jetzt ändere ich nichts mehr, weil Stabilität ist total wichtig!“

Viele Telefonate. Und jeder sagt einem: „Als Journalist wirst du beeinflusst. Weil dich jeder auf seine Seite ziehen will.“ Und natürlich hat jeder die einzig richtige Meinung, die er einem „einimpfen“ möchte - und natürlich fällt keinem auf, dass er einem damit die Fähigkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden ganz einfach in einem Nebensatz abspricht. Deshalb sitzt man dann auch meistens allein im Gasthaus, wenn Rallye ist - und das ist absolut okay und richtig so.

WRC - Heilsbringer oder Sargnagel?

Gespräch mit Martin Kalteis. Er preist den neuen Punktemodus an und fragt: „Was glaubst du, wer heuer die Meisterschaft anführen würde mit dem neuen System?“ Wir wissen es nicht. „Niki Mayr-Melnhof“ sagt er freudig bis triumphierend - Mayr-Melnhof wird - noch- zu den R5-Piloten gezählt, hat jedoch längst ein WRC organisiert, wollte damit bekanntlich schon in Liezen antreten, hätte er es nicht im Test ein wenig kaltverformt. Etwas später sagt Kalteis einen Schlüsselsatz: „Derzeit kannst du nur mit einem World Rally Car gewinnen!“ Hier muss man, nicht böse gemeint, antworten mit: „No na!“ Wenn ich mich, wie es die AMF getan hat, dafür entschließe, für drei Jahre WRCs zu erlauben, dann muss ich damit rechnen, dass nur WRCs gewinnen. Schon im Vorjahr hat eine Arbeitsgruppe mit dem Gedanken gespielt, den WRCs ein Zusatzgewicht aufzuerlegen, um die „Chancengleichheit“ zu wahren.

Hier liegt die Krux begraben: Einerseits lässt man Autos zu und reiht sie in die gleiche Klasse wie R5, während diese beispielsweise in der WM aus gutem Grund in verschiedenen Klassen antreten, um dann Jahr für Jahr darüber nachzudenken, wie man die WRCs schwächen könnte. Mit Verlaub und bei allem Respekt: Das geht in Richtung Schildbürgerstreich. Als würde die FIA eine WM für F1 und GP2-Fahrzeuge ausschreiben um dann jedes Jahr die Formel 1 einbremsen zu wollen....

Schlaraffenland

Und wenn wir schon bei den unbequemen Wahrheiten sind, die man als Journalist manchmal von sich geben muss (während man, des schizoiden Denkens mächtig, als Pressebetreuer freilich loyal zu sein hat) wäre noch zu sagen: Eigentlich hätte man sich von der Rallyekommission zuallererst folgende Botschaft erwarten können: „Es tut uns leid, dass wir erst jetzt mit dem neuen Reglement kommen - denn eigentlich hätte es schon im Sommer auf dem Tisch liegen müssen, denn wir wissen, dass ihr langfristig plant. Es tut uns leid, dass die Jännerrallye, der Saisonauftakt in zwei Monaten, noch ein wenig braucht mit der Ausschreibung, dem Reifenreglement und so weiter, wir werden das bald nachholen, damit ihr alle Facts beieinander habt und wir werden das im nächsten Jahr deutlich früher machen...“

Gut, wir sind nicht im Schlaraffenland - obwohl das viele denken! Obwohl die ORM, und das ist das „Perverse“ an dieser Geschichte, in ganz Europa neidisch als eine der geilsten nationalen Meisterschaften betrachtet wird. Wegen der WRCs! Als Raimund Baumschlager den VW Polo R WRC zündete, hat man die Twitter-Meldungen der Wechselland-Rallye sogar in England geteilt. Ich persönlich habe in diesem Jahr bei Rallyes oder Rallye-Präsentationen etliche Kollegen getroffen, die man schon lange nicht mehr bei einer ORM-Rallye sah. Wir hatten vor der Wechselland-Rallye ein Dreigestirn an der Tabellenspitze mit Andi Aigner einen Punkt vor den punktgleichen Hermann Neubauer und Raimund Baumschlager! Wir haben vor dem Finale Grande im Waldviertel drei völlig unterschiedliche und interessante Titelkandidaten, und zwar nicht nur in der ORM, sondern auch in der ORM2WD! Wann gab es das zuletzt?

Rallyesterben

Dass man nach einer dermaßen glorreichen Saison so viele Änderungen einführt, kann nicht an reiner Reformierungswut liegen, es muss noch einen anderen Grund haben. Und - wie eingangs erwähnt ist Meinungsbildung ein langsamer Vorgang, es gibt ihn tatsächlich: Man handelt aus einer Not heraus. Denn obwohl wir die beste Saison seit langem erleben, gibt es einen schweren Notstand an Rallyes. Fraglich sind Wechselland-Rallye (auch abhängig von der Frage, wie Opel nach der Peugeot-Übernahme weitermachen kann, bislang großer und vorbildlicher Förderer der Rallye und über die Cups auch des gesamten Sports) und die Liezen-Rallye (dazu im nächsten Absatz), nicht angemeldet wurde auch die Waldviertel-Rallye. Es droht derzeit ein Finale im August (Rallye Weiz) oder man muss sich an ausländische Rallyes anhängen. Die ORM-Veranstalter erleben oder beklagen - ganz im Gegensatz zu den Veranstaltern der dem Breitensport zugerechneten Austrian Rallye Challenge - einen gewissen Starterrückgang bei gleichzeitigem Sponsorenabgang.

Einer davon scheint besonders traurig zu sein und man kann nur hoffen, dass man sich bei Skoda Österreich noch einmal besinnt. Der Hintergrund: Weil auch im dritten Jahr des WRC-Dreijahresplans WRCs zugelassen sind, soll Skoda aussteigen, und zwar nicht nur als Sponsor der Rallye Liezen. Denn Skoda hat jeden, der sich einen Skoda Fabia R5 über BRR angemietet hat, auch finanziell unterstützt. Vorbildlich! Und lobenswert. Das positive Image dieser Automarke würde nun wegfallen, was wirklich schade wäre. Doch man kann nicht erwarten, dass die AMF einen Dreijahresplan einfach im zweiten oder dritten Jahr vorzeitig beendet oder eben die WRCs massiv schwächt, das wäre in höchstem Maße unfair. Ein klassisches Dilemma also...

Warum keine Teams?

Hier kommt eine weitere Schwachstelle hinzu: In der Rallyekommission sind zwei wichtige Elemente überhaupt nicht vertreten. Nahezu in jeder Rennserie sind jene vertreten, die das Ganze betreiben müssen: die Teams! Natürlich: Österreich ist ein kleines Land und ab Startnummer 10 sind, salopp gesagt, Teams und Fahrer ident. Da heißt es immer: „Wir haben ohnehin Fahrervertreter!“

Nur eben: Deshalb die wenigen professionellen Teams ignorieren wird das Geschäft niemals beleben. Teams wie Zellhofer oder BRR oder Stohl oder Wurmbrand oder Race Rent Austria kaufen Autos, um sie zu vermieten. Was hätte wohl Zellhofer gesagt, hätte man im Vorjahr den WRCs ein Zusatzgewicht auferlegt und Neubauer hätte sich dann lieber für R5 entschieden? Dann hätte man dort ein WRC als Zierelement in der Garage stehen gehabt. Was spricht dagegen, den Teams in der Kommission ein Sprachrohr zu geben? Nicht, um Interessen einzelner Teams zu forcieren, sondern um die Praktikabilität von Regeländerungen gleich einmal auf Alltagstauglichkeit auch an der Spitze abklopfen zu können?

Richtungskampf

Ja, auch an der Spitze. Denn eine Erkenntnis wäre auch, dass dieser gegenwärtige Zwist ein Richtungskampf zwischen „Breite“ und „Spitze“ ist. Kurzfristig wird es wahrscheinlich etwas bringen, die ORM ähnlich der ARC auf den Breitensport auszurichten, weil dann mehr Starter ins Haus kommen. Langfristig jedoch besteht die große Gefahr, dass man die Spitze aushungert. Hier habe ich zuletzt oft das Argument gehört: „Egal, dann kommen andere nach! Das war schon immer so!“ Diese Undankbarkeit gegenüber jener Minderheit, die zurzeit für das erhöhte Medieninteresse sorgt, könnte sich ganz bitter rächen. Natürlich kann man die ORM dort hin bringen, wo die ARC jetzt steht. Dann wird man irgendwann einmal dem ORF freiwillig und bettelnd auch 10.000 Euro pro Bericht anbieten können und er wird freundlich ablehnen: „Sorry, da sind keine Stars, das ist unverkaufbar!“ Wie viele ARC-Läufe werden denn im TV gezeigt? Wie viele Autoslaloms? Und glaubt ernsthaft jemand, das würde nur an der „Bösartigkeit“ irgendwelcher Redakteure liegen? So wie jener Teamchef, der mich gerne fragt, warum die Krone nicht einfach fix und täglich zwei Seiten Motorsport oder gleich Rallye bringt? Das wäre doch so einfach! Schon einmal den Kampf erlebt, den Zeitungsredakteure kämpfen müssen, um - wenn sie beispielsweise zu einem internationalen Event eingeladen werden - sebst diesen platzieren zu können? Es ist ein absurder Kampf gegen Sportarten wie Tischtennis oder Curling wohlgemerkt, übrigens allesamt in der Bundesportorganisation BSO - gut, lassen wir dieses heikle Thema diesmal weg....

Meine Meinung zum Richtungskampf: Während es bei der ARC völlig richtig ist, sie auf den Breitensport auszurichten, sprich leistbare Rallyes zu ermöglichen und alles im Sinne der „kleinen Geldbörse“ zu gestalten, wäre es unklug bis hin zu tödlich (ernst gemeint), die Spitze der ORM zu beschneiden. Viemehr muss man sie in die Auslage stellen -die Spitze sorgt dafür, dass ein Scheinwerfer auf diese Bühne gerichtet wird und daher haben dann auch Breitensportler etwas davon. Ganz abgesehen davon, dass wir derzeit unsere Jungpiloten nicht fördern können, was traurig genug ist. Eines ist klar: In völliger Dunkelheit ist schwer glänzen....

Anhang F(an) & S(inger)

Das wäre jetzt ein gutes Schlusswort, doch ich bin noch eines schuldig: Wer noch fehlt in der Rallyekommission? Wer könnte das sein? Vielleicht derjenige, der das Alles erst ermöglicht? Der Fan! Der mit seinem Interesse die Grundlage stellt, dass überhaupt Sponsoren aufsteigen bzw. Veranstaltungen abgehalten werden können. Dem man unterstellt, er könne nicht mit freiem Auge erkennen, ob auf einer Prüfung nochmal Vollgas gegeben wird - und so die Streichung der Powerstage mit begründet...

Man muss auch dazu sagen, dass die AMF und im Speziellen der Kommissionsvorsitzende Willi Singer wirklich bereit sind, ein Reglement einzurichten, mit dem alle glücklich sind. Wenn dann aber verschiedene Mitglieder diesen „Goodwill“ ausnützen, in bestimmte Richtungen zerren und man eine Minderheit wie die Spitzenfahrer einfach ausblendet, wird das nicht gelingen. Derzeit gibt es sowohl ORM- als auch ORM2WD-Spitzenfahrer, die zumindest verwundert bis sauer sind - manche sagen, dass sie nach einem „Nuller“ die Saison beenden würden. Somit wäre beispielsweise die Weglassung von Streichresultaten der klassische „Schuss ins Knie“. Man möge sich zusammensetzen und womöglich genügen leichte Kurskorrekturen ,um ein Regelwerk zu erhalten, mit dem alle oder zumindest viele zufrieden sind. Niemand würde das Gesicht verlieren...

*Ein Kommentar bringt die persönliche Meinung des Redakteurs zum Ausdruck.

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