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WRC: Türkei-Rallye

Furioses WM-Comeback mit überlegenem „WRC2“-Sieg und Platz 6 gesamt

Ein WM-Comeback wie aus dem Bilderbuch. Henning Solberg und Ilka Minor kehrten bei jener Rallye zurück in die Welt-Elite, bei der Erfahrung und Umsicht der Schlüssel zum Erfolg wurden.

Fotos: minor.at

Finnland 2016, ebenfalls mit Henning Solberg, war der bislang letzte Auftritt von Ilka Minor in der Rallye-Weltmeisterschaft - am vergangenen Wochenende feierte die in Wien lebende Kärntnerin ein furioses Comeback. Und wieder war es der charismatische Norweger, der auf ihre mehr als 100 WM-Rallyes zählende Erfahrung setzte.

Furios gestaltete sich ihre insgesamt 256. Rallye aber schon bei der Anreise - zumindest jener des von Deutschland aus operierenden Einsatzteams Toksport WRT. Ilka Minor erzählt: „Eigentlich wollten wir ja mit einem Ford Fiesta R5 starten, doch Henning musste kurzfristig umdisponieren und wurde bei Toksport fündig, wo bereits ein Skoda Fabia R5 für den Briten Chris Ingram auf dem türkischen Einsatzplan stand. Das Team war jedoch schon auf dem Weg gen Süden. Kurzerhand wurde umgedreht und ein zweiter Fabia für uns aufgeladen.“ Der Fahrer des Toksport-Transportfahrzeugs wird also das WM-Comeback des norwegisch-österrechischen Duos nicht so schnell vergessen - und zwar nicht nur wegen des Umdrehens...

Doch der Reihe nach. Von den Erwartungen her wollten Henning Solberg, zuletzt bei der Rallye Schweden im WM-Einsatz, und unser bereits über 15 Jahre hinweg immer wieder zurückkehrender „WM-Export“ sich auf keine Platzierung festlegen. In einem WRC2-Feld, in dem sich viele, beispielsweise die Skoda-Werkspiloten inmitten einer laufenden Saison befinden, wäre eine Siegansage wohl etwas „großkotzig“ empfunden worden. Ilka nickt: „Wir wollten in der WRC2 vorn dabei sein - oder vielmehr in der Klasse RC2, da wir uns ja nicht für die gesamte WRC2-Meisterschaft eingetragen haben.“ Übrigens: Neben dem tschechischen Kapazunder Jan Kopecky war jener Pontus Tidemand für das Skoda-Werksteam unterwegs, der als Stiefsohn von Henning Solberg zur Familie gehört.

Prügelorgie

Familiär konnte Henning mit dem ihm bislang völlig unbekannten Skoda Fabia R5 am Montag vor der Rallye werden - rund 40 Testkilometer genügten dem routinierten Norweger, um sich wie es Ilka Minor formuliert „das Auto so herzurichten, wie er es braucht“.

Nach der Besichtigung der neuen Sonderprüfungen - auch die Türkei feierte ein WM-Comeback - war für Ilka Minor sonnenklar: „Mit Neuseeland haben diese Prfüungen rein gar nichts gemeinsam - außer vielleicht, dass man das Meer sieht. Ich würde diese Prüfungen eher als schlimme Variante der Akropolis bezeichnen. Eine echte ‚Prügelorgie‘ - eine dermaßen grobe Schotterrallye war zuletzt eigentlich nicht in der Weltmeisterschaft vertreten.“ Ein Faktor, der dem norwegisch-österreichischen Duo zugute kommen sollte. Doch der Reihe nach...

Kopflos

Zunächst nämlich begann die Rallye für Ilka mehr kurios als furios - zwar wollte Henning Solberg auf der City-Superstage nicht umkehren wie der Toksport-LKW auf deutschem Boden, doch ansatzweise ging es in diese, sprich in die falsche Richtung.

Ilka lacht: „Henning wollte gleich einmal falsch abbiegen, er war an diesem Abend irgendwie kopflos. Das Ganze hat uns aber glücklicherweise nur rund sechs Sekunden gekostet.“ Auf dem Stadt-Parcour mussten die WM-Proagonisten ihre „Gymkhana“-Qualitäten unter Beweis stellen: Insgesamt fünf 360 Grad-„Ringerl“ mussten gezogen werden...

Ungläubig

Ganz anders die erste echte Sonderprüfung, mit der am Freitag die „türkischen Spiele“ eröffnet wurden. Satte 38 Kilometer waren da in einem Stück zu absolvieren. Ilka Minor erzählt: „Wir sind ganz gut dahin gefahren - es kam uns weder besonders schnell noch besonders langsam vor. Henning fuhr einfach seinen Speed und er fuhr ihn von Anfang bis zum Ende, was bei einer so langen Prüfung angesichts der körperlichen Belastung auch nicht selbstverständlich ist, da ich Henning jetzt nicht unbedingt als den top durchtrainierten Superathleten bezeichnen würde.“

Groß war dann die Überraschung, als Ilka im Ziel dieser Prüfung erfuhr, dass man in der WRC2/RC2 absolute Bestzeit fuhr - satte 28 Sekunden schneller als Jan Kopecky im Werks-Skoda. Dies wiederum führte zu einer bemerkenswerten Doppelconference im Toksport-Cockpit. Ilka erzählt: „Ich habe Henning mitgeteilt, dass wir mit 28 Sekunden Vorsprung Bestzeit fuhren - er sagte nur: ‚Das glaub ich nicht!‘ Insgesamt fünfmal musste ich es wiederholen...“

Auf den folgenden Prüfungen wollten Solberg/Minor das Tempo etwas erhöhen, was auch die beiden Skoda-Werksfahrer in Erwägung zogen, sodass die beiden Privatiers zwar keine weitere Bestzeit mehr einfahren, aber mit Kopecky und Tidemand mithalten konnten, was in Summe die Rallyeführung mit immerhin noch 2,9 Sekunden Vorsprung ergab.

Joker

Am Nachmittag bot sich für Henning Solberg und Ilka Minor eine Chance, die eigentlich aus einem nennungstechnischen Nachteil heraus entstand. Ilka erläuert: „Da wir nicht in der WRC2 eingeschrieben waren, hatten wir eine an sich nachteilige Startposition. Doch an diesem Nachmittag wurde der späte Startslot unser großerJoker. Denn wir haben noch rechtzeitig mitbekommen, dass sich die Spitzenpiloten allesamt Reifenschäden einfuhren. Wir haben daher versucht, es clever anzugehen und so bestand unser Fokus darin, den großen Steinen auszuweichen.“ Ein Fokus, dessen Umsetzung einer gewissen Erfahrung bedarf - und daran mangelt es Solberg/Minor ganz sicher nicht. Souverän passte der Norweger seinen Speed den Umständen an - und so wurden an diesem Nachmittag nicht nur drei WRC2/RC2-Bestzeiten eingefahren, sondern zeitmäßig kräftig abgestaubt. Zu Bette gingen Henning und Ilka mit unglaublichen 3:33 Minuten Vorsprung auf Skoda-Ass Kopecky sowie 3:49 Minuten auf Teamkollege Ingram.

Am Samstag wurde der clevere Schachzug des Freitagnachmittags erst so richtig offensichtlich. Denn jetzt wurden die Prüfungen von den RC2-Rallyeleadern Solberg/Minor eröffnet. Ilka erklärt: „Jetzt konnte Jan Kopecky natürlich anhand unserer Linie erkennen, dass wir sämtlichen Steinen ausgewichen sind. Denn wir haben diese Taktik natürlich auch am Samstag weiterverfolgt. Bestzeiten waren uns jetzt natürlich herzlich egal - unser Ziel bestand darin, uns keinen Reifenschaden zu holen.“ Dass dieses unter diesen Umständen zum Sieg führende Motto selbst dann nicht bei allen Teilnehmern gegolten hat, zeigt der Umstand, dass sich der Vorsprung von Solberg/Minor auf über fünf Minuten vergrößern konnte.

WRC-Punkteregen

Am Sonntag standen nur noch vier relativ kurze Prüfungen auf dem Programm - und nichts, rein gar nichts sprach dagegen, die erfolgreiche Steinvermeidungstaktik fortzusetzen. Das Motto hieß also abermals: Verwalten und vermeiden! So wurde der Vorsprung auf endgültige 4:44 Minuten „zusammengestutzt“. Denn auch auf der abschließenden Powerstage ließ man sich zu keinen Mätzchen verleiten - wozu auch, schließlich ist weder Solberg noch Minor in der WRC2 eingetragen. Der WRC2-Sieger hieß also Kopecky. Dass man sich dennoch ins Geschichtebuch der Rallye-WM eintragen konnte, lag am Gesamtstand. Denn auch bei den „Großen“ forderte die „Prügelorgie“ ihre Opfer. Und so landeten Solberg/Minor dort auf Platz sechs - sie erhalten selbstverständlich die Punkte für die große Spielklasse WRC.

Kurzkrimi im Ziel

All das stand jedoch für eine gewisse Zeit in Frage - und zwar unmittelbar nach der letzten Prüfung. Für die auf Steinvermeidung „dahincruisenden“ Solberg/Minor wurde es nämlich bei einem TV-Interview brenzlig. Ilka erzählt: „Direkt im Anschluss an die Powerstage gab Henning ein TV-Interview, doch dabei starb der Motor ab. Und er sprang nicht mehr an. Henning hat alles probiert. Er hat den Fabia dann auch komplett runtergefahren und einen totalen Neustart erwirkt. Doch es blieb still und wir mussten schieben.“ 300 Meter ist nicht viel - im Schiebemodus jedoch können sich Dimensionen schnell ändern. Und so war Ilka Minor nicht unglücklich darüber, dass nach etwa 150 Metern der Fabia Erbarmen mit dem Duo hatte, schließlich wurde er dank diesem zum Klassensieger und WRC-Sechstem.

Plauderzonen

Das WM-Comeback von Henning Solberg und Ilka Minor konnte also kaum übersehen werden und wird allein schon wegen des sechsten Gesamtrangs trotz fehlender WRC2-Nennung für immer und ewig in die Statistiken eingebrannt. Zwei Jahre lang fehlte die WM-Vierte des Jahres 2006 in den „Plauderzonen“ der WRC. Offiziell heißen diese Zonen natürlich anders, nämlich „Holding Zonen“, eine solche gab es am Donnnerstag vor der Superstage. In einem Restaurant verbrachten die Piloten diese Zeit - für Ilka war es, als wäre sie niemals weg gewesen: „Es hat sich angefühlt, als wäre Finnland 2016 erst gestern gewesen. Als wir in diesem Restaurant waren, kamen die WRC-Piloten von einer Autogramm-Session zurück. Sebastien Ogier erblickte uns, begrüßte uns freudig und setzte sich auch gleich zu uns an den Tisch, um zu plaudern.“

Ob sich Ogier erkundigt hat, wie ein Johannes Keferböck, der zuletzt ein Jahrzehnt lang ausschließlich seine geliebte Jännerrallye fuhr, in der laufenden Saison eine steile Lernkurve hinlegen konnte, die ihn zeitweise nur Sekunden hinter Serienstaatsmeistern oder Jungstarpiloten performen ließen? Das am Restauranttisch Gesprochene bleibt natürlich privat - doch schon in rund zehn Tagen wird Ilka Minor alles geben, um jenen Mann, der von ihr zwecks Optimierung an Bord geholt wurde, bestmöglich im Kampf um den österreichischen Vizemeistertitel zu unterstützen.

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