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FIA-Präsident träumt von Formel 1-Teams aus China & USA FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem öffnet die Tür für neue Formel-1-Teams
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Vor FIA-Entscheidung: Warum Sulayem für ein elftes Formel-1-Team kämpft

Exklusiv mit FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem: Warum er für ein neues Formel-1-Team ist und die Beschwerden der bestehenden Teams von ihm abprallen

Als der Automobil-Weltverband FIA am 2. Februar 2023 bekannt gegeben hat, ein Auswahlverfahren für mögliche neue Formel-1-Teams zu initiieren, war das Ziel, alle Bewerbungen bis 30. April 2023 einzusammeln und bis 30. Juni 2023 eine Entscheidung zu treffen. Zumindest kommuniziert wurde bisher aber noch keine Entscheidung.

Und das hat einen guten Grund: "Wir haben die Frist nach hinten verlegt, weil einige der Teams um mehr Zeit gebeten haben. Und wir wollen ja niemanden ausschließen", sagt FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem in einem Interview mit 'Motorsport-Total.com' am Rande des Grand Prix von Belgien in Spa-Francorchamps.

Wer die Bewerber sind, ist geheim. Sulayem spricht aber von "drei bis vier" Bewerbungen, die bei der FIA aufgrund ihrer Professionalität auf Interesse gestoßen sind. Einige haben sich seit Beginn der Ausschreibungsfrist öffentlich deklariert: Andretti-Cadillac zum Beispiel, Hitech GP mit dem kasachischen Milliardär Wladimir Kim, das Projekt LKY SUNZ und Rodin Carlin.

Insgesamt haben laut Informationen von 'Motorsport-Total.com' sieben Teams konkretes Interesse bei der FIA deponiert. Letztendlich blieben vier Bewerbungen übrig, die auch an der zweiten Stufe des Verfahrens teilnehmen wollten und die vollen 300.000 US-Dollar Bewerbungsgebühr an die FIA überwiesen haben.

Bekanntgabe der angenommenen Teams steht bevor

Man sei jetzt "nicht mehr weit weg" davon, die finalen Kandidaten, für die sich die FIA entschieden hat, preiszugeben, so Sulayem. Er betont: "Wir müssen das richtig machen. Wir reden hier von großen Investitionen, die getätigt werden." Und: "Ich möchte mich nicht hetzen lassen. Denn die Entscheidung muss klar und nachvollziehbar sein."

Für Sulayem endet mit der bevorstehenden Bekanntgabe der ausgewählten Bewerber eine herausfordernde Phase seiner FIA-Präsidentschaft. Denn während die meisten Fans neue Teams in der Formel 1 begrüßen würden, weht ihm im Formel-1-Paddock seitens der etablierten Teams ein eisiger Wind ins Gesicht.

Kein Wunder, bedeuten mehr Teams doch weniger Einnahmen für die "Platzhirsche" der Formel 1. Im Geschäftsjahr 2022 hat Rechteinhaber Liberty Media 1,157 Milliarden US-Dollar an die zehn bestehenden Teams ausgeschüttet. Also im Mittel 115,7 Millionen Dollar, wobei Teams wie etwa Ferrari dank Sonderboni deutlich mehr erhalten haben und andere weniger.

Wie viel verlieren die zehn Teams durch neue Teams wirklich?

Ein Rechenbeispiel: Geht man davon aus, dass die Ausschüttungen dank steigender Einnahmen der Formel 1 weiterhin wie zuletzt um acht Prozent pro Jahr steigen, dann würde jedes Teams auf einen Fünfjahreszeitraum gerechnet im Mittel 679 Millionen Dollar überwiesen bekommen. Mit zwölf Teams wären es um 113 Millionen weniger.

"Ich weiß", sagt Sulayem, "dass einige Teams nicht glücklich sind. Ich sehe die finanziellen Auswirkungen, die das für sie hat." Aber: Ihn als Chef des Verbands, der per EU-Vorgaben oberster Gesetzeshüter in der Formel 1 ist, sich aber aus allen kommerziellen Angelegenheiten raushalten muss, hat das vordergründig nicht zu tangieren.

Zumal das plakative Rechenbeispiel nur die halbe Wahrheit erzählt. Denn neue Teams zahlen auch in die Formel 1 ein. Mit Buchungen von Merchandisingständen und im Paddock-Club, oder auch mit ihren Reisebuchungen, die von der FOM abgewickelt werden. Dazu kommen Werbebuchungen von Sponsoren, die ihr Engagement bei einem Team oft mit Bandenwerbung an den Rennstrecken aktivieren.

Und: Die Gebühr wurde im Sommer 2020 für die Concorde-Periode von 2021 bis 2025 beschlossen. Wenn also 2025 ein neues Team einsteigen sollte, decken die 200 Millionen nur das letzte Concorde-Jahr ab - also 20 Millionen Kompensation für jedes der zehn Teams. Für 2026 und Folgejahre muss die Gebühr, die Neueinsteiger zu bezahlen haben, neu verhandelt werden.

Sulayem: FIA setzt nur bestehende Rechtslage durch

Für Sulayem stehen die Interessen des Sports im Vordergrund, behauptet er. Und er betont: "Wir haben einen Vertrag [mit der Formel 1], der besagt, dass wir bis zu zwölf Teams haben können. Wir brechen keine Regeln, sondern wir halten uns im Gegenteil genau an die Regeln. Die FIA als Regelhüter muss alle Bewerbungen beurteilen. Und genau das ist es, was wir getan haben."

Streng genommen bietet das Sportliche Reglement der Formel 1 sogar Platz für bis zu 26 Autos. Dass Sulayem trotzdem explizit nur von bis zu zwölf Teams spricht, hat damit zu tun, dass in den bis Ende 2025 laufenden Concorde-Verträgen das Schema für die Einnahmenverteilung nur bis zu zwölf Teams berücksichtigt.

Vision: Je ein Herstellerteam aus den USA und China

Was Sulayem sehr wohl darf, ist träumen. Und er träumt groß ("aber auch erreichbar"), von einem "Herstellerteam aus den USA und einem Herstellerteam aus China. Es gibt 1,4 Milliarden Menschen in China. Über 50 Prozent der Elektroautos auf den Straßen kommen aus China. Das ist Tatsache. China ist ein großer Markt."

"Wenn es um Elektromobilität und Hybrid geht, machen die Chinesen ernst. Und ich bin der Meinung: Die neuen Powerunits für 2026 waren die richtige Entscheidung. Wenn wir das nicht gemacht hätten, wäre Audi dann auch gekommen? Das ist erst passiert, als wir die neuen Powerunit-Regeln verabschiedet haben und sie von allen Teams abgesegnet wurden."

"Wir haben das im besten Interesse des Sports getan", unterstreicht der FIA-Präsident. "Und es hat die Tür aufgemacht: Honda kam daraufhin, Ford kam, Porsche entscheidet noch. Mein Gefühl ist, dass das Thema Porsche und die Formel 1 immer noch warm ist. Und all das ist aus einem guten Grund passiert."

Genauso seien auch mehr als zehn Teams im besten Interesse des Sports, sagt Sulayem - auch auf die Gefahr kurzfristiger Einnahmenverluste einiger beteiligter Player hin. Für ihn als Präsident der FIA stelle sich die Frage ohnehin nicht. Er könne Interessenten gar nicht abweisen, argumentiert er - selbst wenn er das wollte.

Warum das Auswahlverfahren für die FIA alternativlos ist

"Die FIA muss fair und transparent sein. Können wir zu einem Team nein sagen, das das Potenzial nachweisen kann? Nein! Wir agieren unter EU-Gesetzen", sagt Sulayem. "Was, wenn uns ein Team, das sich bewerben möchte, vor Gericht zerrt? Das können sie, wenn wir sie ablehnen. Ich bin nicht der, der das entscheidet. Ich setze nur die bestehenden Regeln in die Tat um."

Wer die neuen Bewerberteams sind, die die FIA schon bald kommunizieren möchte, kann Sulayem nicht verraten. Nicht nur die Bewerber sind an eine Verschwiegenheitserklärung gebunden, sondern auch die FIA. Es verdichten sich allerdings Signale, dass in diesem Auswahldurchgang vorerst nur auf elf Teams (und nicht gleich auf zwölf) aufgestockt werden könnte.

Ein oft zitiertes Argument der Gegner neuer Formel-1-Teams: In den Paddocks dieser Welt sei nicht genug Platz für die Boxen und Hospitalitys von mehr als zehn Rennställen. Ein Argument, das Sulayem nicht gelten lässt: "Wir haben ja schon ein elftes Team, aus Hollywood." Zumal die Rennstrecken, wenn sie die Grade-1-Lizenz der FIA besitzen, auf bis zu 13 Teams ausbaufähig sein müssen.

"Anti-Dilution": Sulayem besteht auf 200 Millionen

Dabei wären Toto Wolff & Co. der Idee neuer Teams gegenüber wahrscheinlich aufgeschlossener, sollte die sogenannte "Anti-Dilution-Fee" von derzeit 200 Millionen Dollar angehoben werden. Diese Gebühr wird von neuen Teams, so sie ins Starterfeld der Formel 1 aufgenommen werden sollten, einkassiert und an die bestehenden Teams verteilt.

Nur: Die Teams argumentieren, angesichts ihres Einnahmenentgangs seien die 200 Millionen ein Tropfen auf dem heißen Stein. Trotzdem will Sulayem die Gebühr nicht erhöhen. Er beruft sich auf "rechtsgültige Verträge": "Ich bin nicht in der Position, die Regeln zu ändern. Die Teams, die FOM und die FIA haben die Regeln so akzeptiert, wie sie jetzt sind."

Verankert sind diese in den Concorde-Verträgen, die bis Ende 2025 Gültigkeit besitzen. Für 2026 muss das Concorde-Agreement neu verhandelt werden. Seit 2020 haben sich die Rahmenbedingungen geändert, und die Einnahmen der Formel 1 boomen. Gut möglich, dass die "Anti-Dilution-Fee" ab 2026 auf 600 Millionen Dollar angehoben wird.

Wofür die FIA die finanziellen Mittel braucht

Zumal ein elftes Team auch für die FIA "mehr Arbeit" bedeuten würde, wie Sulayem betont: "Mehr Mitarbeiter für die technische Abnahme, mehr Kosten. Ich habe aber keinen Zweifel daran, dass Liberty Media und die FOM verstehen, dass sie eine starke FIA brauchen, und dass wir manche unserer Abteilungen stärken müssen."

Als Beispiele nennt er "die Rennkommissare, die Rennleitung. Wir brauchen ein Ausbildungsprogramm für Rennkommissare und Rennleiter. Wir haben das ROC, unser Remote-Kontrollzentrum für die Rennen, wir haben die Tracklimits, die wir überwachen müssen. Alle brauchen eine starke FIA, um sicherzustellen, dass die Königsklasse des Motorsports stark aufgestellt ist."

Einen Teilerfolg hat Sulayem bei seiner Kampagne schon gefeiert. Obwohl Formel-1-CEO Stefano Domenicali in der Vergangenheit öffentlich erklärt (und sich damit positioniert) hat, zehn Teams seien "mehr als genug", scheint es inzwischen auch bei Liberty Media Stimmen zu geben, die das Thema anders bewerten.

Was Liberty-CEO Greg Maffei gesagt hat

Zum Beispiel Domenicalis Chef Greg Maffei: "Ich denke, unter den richtigen Umständen würden wir uns um ein elftes Team bemühen. Jemand, der aufgrund seiner Position in der Technologie, seiner Position als OEM, seiner Position im Marketing - einer Kombination aus all dem - einen großen Wert für den Sport und für die Fans darstellt, mit dem könnte man sich vorstellen, eine Vereinbarung zu treffen."

Eine Aussage, die im Formel-1-Paddock für hochgezogene Augenbrauen gesorgt und die Sulayem mit großem Interesse gelesen hat. Er sagt gegenüber 'Motorsport-Total.com': "Ich freue mich sehr über die Erklärung von Liberty Media, dass sie einem zusätzlichen Team ihren Segen geben. Unsere Aufgabe ist es, die Finanzprüfung und alle anderen Prüfungen im Vorfeld durchzuführen."

Wobei Maffeis Bekenntnis zu einem zusätzlichen Team nicht bedingungslos daherkommt. Es gebe "vier oder fünf" Strecken, die ein elftes Team nicht so einfach im Paddock unterbringen können, vermutet der Amerikaner: "Vielleicht lässt sich das mit Zeit und Geld lösen, aber das ist nicht mit einem Fingerschnippen erledigt."

"Das andere Problem ist, dass die zehn Teams die Gewinne untereinander aufteilen, und wenn man sie durch elf teilt, sind sie nicht besonders begeistert. Mit dem neuen Concorde-Agreement haben wir einen Mechanismus eingeführt, der eine Franchisegebühr vorsieht, die jeder neue Teilnehmer zahlen muss", spielt er auf die erwähnte "Anti-Dilution-Fee" an.

Maffei: "Teams waren keine Franchisenehmer"

"In der Tat waren die Teams davor keine Franchisenehmer. Die Formel 1 hatte das Recht - mit dem Einverständnis der FIA -, so viele neue Teams aufzunehmen, wie wir wollten. Aber wir wollten einen echten Wert in diesen Franchises schaffen. Wir wollten, dass die Teams Geld wert sind, damit die Leute investieren, und so hoffentlich Parität auf der Strecke schaffen."

"Jetzt sehen sich die Teams um und sagen: 'Moment mal, wir wollen nicht durch elf teilen, wir sind sehr glücklich!' Und was auch immer als Franchisegebühr vorgeschlagen wird, entschädigt sie nicht genug für die Verwässerung, die sie für das elfte Team in Kauf nehmen müssten", sagt Maffei.

Übrigens: Unabhängig davon, wen die FIA im Zuge des Auswahlverfahrens als neues Bewerberteam akzeptieren wird, steht damit noch nicht fest, dass dieses Team dann auch ab 2025 oder 2026 Formel 1 fahren wird. Der Rechteinhaber muss dem auch zustimmen. Aber: "Ich habe keinen Zweifel, dass die FOM die richtige Entscheidung treffen wird", sagt Sulayem.

Motorsport-Total.com

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