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Ein Schlagabtausch der Generationen

Ilka Minor hat abfällige Bemerkungen eines Walter Röhrl über die aktuellen WM-Piloten satt, fordert Respekt ein. Helmut Deimel gießt noch ein wenig Öl ins Feuer…

Michael Noir Trawniczek
Fotos: www.billigstautos.com, ISFPD, Photo4

Ilka Minor hat genug. Und zwar nicht erst seit heute oder vorgestern. Schon vor zwei Wochen hat sie in einem Interview mit der deutschen Zeitschrift Rallye-Magazin erklärt, sie habe es satt, dass sich Altstars wie ein Walter Röhrl ständig abfällig über die aktuelle Rallye-WM und vor allem über deren Piloten äußern.

Ilka wird in dem Artikel zitiert mit den Worten: „Die sprechen gerne von der guten alten Zeit und wie sie mit Gruppe-B-Raketen tagelang unterwegs waren. Was soll das? Die heutigen Buben, wie Röhrl die WM-Piloten gerne bezeichnet, machen einen Job, den kann der sich kaum vorstellen. Die sollten sich mal zum Loeb ins Auto setzen und anschauen, was es heißt, heute Rallyes zu fahren. Da ist nix mit 20mal die Strecke anschauen und so. Auch der Kurvenspeed mit einem WRC ist ein ganz anderer. Es sind einfach andere Zeiten und das sollte man respektieren und nicht einfach so daherreden.“

Zwei Wochen später bleibt Ilka Minor bei ihrer Meinung – zumal es in dieser Zeit bereits wieder neue Statements von Walter Röhrl gab: Das Fahrer-Niveau falle heutzutage insgesamt ab, bei Volkswagen sei Latvala ein „Fehlgriff“, Kubica fahre „unvernünftig“ und man müsse befürchten, dass „er sich umbringt“, erklärte Röhrl. „Latvala ein Fehlgriff – wie kommt er dazu, so etwas zu sagen? Der ist gerade einmal zwei Rallyes mit dem VW gefahren…“, ärgert sich Ilka Minor.

„Spielzeuge“ oder Hightech-Raketen?

Die Bemerkungen über das angeblich gesunkene Niveau der Fahrer lässt bei Ilka Minor das Blut kochen – das kommt Helmut Deimel, der legendäre Filmemacher der „alten Tage“, ein sehr guter Freund von Walter Röhrl gerade recht, wenn er zwar einerseits zugibt, dass „Walter schon immer gerne provoziert“ habe, er zugleich aber davon spricht, dass die aktuellen World Rally Cars „Spielzeuge“ seien, mit welchen „jeder fahren kann“.

Ilka: „Wissen diese Leute eigentlich, welche Kurvengeschwindigkeiten wir fahren? Wissen sie, dass die heutigen Fahrer so spät bremsen, wie es sich die alten Herren in ihren kühnsten Träumen nicht hätten vorstellen können? Wissen sie, welche physische und psychische Belastung es ist, auf einer 30 Kilometer langen Sonderprüfung vom ersten Meter an voll attackieren zu müssen?“

Deimel prangert die so genannten „Sprint-Rallyes“ der heutigen Zeit einerseits an, er klagt darüber, dass man die Akropolis-Rallye zu einem „lächerlichen Schatten ihrer selbst“ verkommen habe lassen – zugleich aber betont Deimel: „Es gab auch damals schon Sprintrallyes. Eine 1000 Seen- respektive Finnland-Rallye oder eine Schweden-Rallye sind im Vergleich zu früher nahezu unverändert, das sind zu einem großen Teil die gleichen Prüfungen. Damals musste Walter auf einem unfahrbaren Haufen Blech mit 220 km/h über die Kuppen springen…“ Und als Nachsatz: „Um 2 Uhr in der Nacht musst du schnell fahren, liebe Ilka Minor – nicht ausgeschlafen in der Früh….“ Und überhaupt: „Damals gab es noch den Berufsstand des Rennfahrers, das waren allesamt Angestellte der Werke, das waren keine Paydriver!“

Ilka kontert: „Damals wurde der Sport auch von der Industrie finanziert, es gab unzählige Tests, Röhrl konnte sogar ausprobieren, wie es ist, mit beschlagener Brille zu fahren – unsereiner hat zwei Tage Besichtigung, wenn du Pech hast und der Schnee schmilzt, hast du einen Schneeschrieb bei Trockenheit…“

Deimel erzählt von einem Test, den der Auto, Motor und Sport-Redakteur Claus Mühlberger mit einem WRC absolviert habe, dabei sei der Journalist bis auf zwei Sekunden an die Zeit des Stammpiloten Marcus Grönholm herangekommen. In einem Audi S1 hätte er wohl fünf Minuten auf Röhrl verloren, schätzt Deimel. Ilka Minor schüttelt den Kopf: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie es zu dieser Zeit des Journalisten kam – wahrscheinlich fuhr Grönholm nur einmal zum Spaß und der Journalist nachher zehnmal über die Prüfung.“ Im Internet gab es keine Suchergebnisse zu diesem Test – doch im Grunde geht es auch gar nicht um diesen Test, sondern um die Aussage, die dahinter steckt: Die heutigen Autos seien so einfach zu fahren, dass sogar Journalisten mithalten können, während die früheren „Rallyegötter“ quasi unantastbar gewesen seien...

Wo ist der Respekt?

Eine Aussage, die vor allem eines vermissen lässt: den Respekt vor der heutigen Fahrergeneration. So sieht es Ilka Minor. So empfinden es aber auch viele andere – Fans, Journalisten, Industrielle. Ein Juha Kankkunen oder ein Stiq Blomqvist würden die Leistungen der aktuellen Piloten anerkennen und respektieren, sagt Ilka. Und fügt hinzu: „Ich habe noch nie gesagt, dass ich vor den Leistungen der alten Fahrer keinen Respekt haben würde – denn ich habe großen Respekt davor, was sie geleistet haben. Ich würde mir halt wünschen, dass gewisse Leute auch die Leistungen der heutigen Fahrer respektieren könnten. Die ‚Müsli-Buben‘, wie sie Walter Röhrl gerne bezeichnet, haben ebenso Respekt verdient, sie stellen die Weltspitze dar.“

Was hier aufeinander prallt, sind nicht nur verschiedene Generationen – es sind auch völlig unterschiedliche Epochen des Rallyesports, die man im Grunde nicht wirklich miteinander vergleichen kann….

WRC oder „Einkaufswagen“?

Helmut Deimel beispielsweise hält wenig von der Optik und der Akustik der heutigen Rallyeautos. Früher habe man kilometerweit anhand des Motorensounds gehört, welches Fahrzeug auf der Strecke sei, heute würden alle gleich klingen.

Das VW Polo R World Rally Car nennt Deimel wenig respektvoll einen „uninteressanten Einkaufswagen“ und fügt hinzu, mit diesem Auto könne „die Großmutter ihren Einkauf besorgen“, sicher sei jedenfalls: „Solche Autos erregen mich nicht!“. Früher habe es imposante Boliden wie einen Renault Alpine gegeben, aber auch einen Saab 96 V4, einen Rallye-Käfer und so weiter…

Was man dabei leicht vergisst: Auch auf der Straße – und an der orientiert sich der Rallyesport beziehungsweise glaubt er, sich orientieren zu müssen – gab es in den Siebzigerjahren weitaus interessantere Autos zu sehen, sie waren unterschiedlich, einzigartig und so weiter. Heute hat man die optimale Stromlinienform gefunden, heute unterscheiden sich die verschiedenen Fabrikate nur noch im Detail…

Dafür jedoch kann man nicht die heutige Fahrergeneration verantwortlich machen – man kann dafür nur einen verantwortlich machen: Den Wandel der Zeit.

Einigkeit nur in einem Punkt

Bezeichnend ist auch, dass sich Ilka Minor und Helmut Deimel nur in einem Punkt wirklich einig sind: Die Rallye-Weltmeisterschaft sei in den letzten Jahren oder Jahrzehnten zerstört worden. Rallyes wurden dermaßen kastriert, dass die Veranstalter der altehrwürdigen Rallye Monte Carlo es zwei Jahre lang bevorzugten, nicht die WM zu eröffnen, weil das Konzept der damaligen IRC mehr Freiheiten zuließ. Dazu kommen zahlreiche Werks-Ausstiege und ein Seriensieger, der noch jeder Rennserie geschadet hat…

Die Rallye-WM liegt am Boden, der neue Promotor Red Bull soll die WRC wieder in bessere Zeiten führen, doch das geht nicht von heute auf morgen. Umso weniger kann Ilka Minor die abfälligen Kommentare eines Teils des älteren Generation verstehen: „Die negative Kritik hilft doch niemandem weiter – wenn es konstruktive Kritik ist, dann ist das etwas völlig anderes. Jede Idee ist willkommen – aber nur schlechtreden kann doch nicht im Sinne des Rallyesports sein. Und der sollte doch auch einem Walter Röhrl am Herzen liegen. Merkt er denn nicht, dass alles wegbricht? Er will einen deutschen Starpiloten – was wird die deutsche Industrie dazu sagen, wenn sie seine ständigen abfälligen Kommentare liest?“

Gipfeltreffen

Eines muss noch gesagt bzw. geschrieben werden: Ein Walter Röhrl gehörte zur Weltspitze seiner Zeit, Fahrer wie Ogier, Latvala oder Novikov gehören zur Weltspitze der Gegenwart. Jede dieser Generationen musste etwas leisten, um überhaupt in die WM zu gelangen – all diese Fahrer verdienen unseren Respekt und unsere Anerkennung….

Freilich schadet eine Diskussion rund um die Rallye-Weltmeisterschaft nicht. Schön wäre es, wenn dabei auch Konstruktives vonstattengehen, neue Ideen entstehen würden – in diesem Sinne hat motorline.cc bei Helmut Deimel angefragt, ob eine Art „Runder Tisch“ mit Ilka Minor und Walter Röhrl möglich sei. Deimel kann sich vorstellen, dass sein langjähriger Freund diese Herausforderung gerne annimmt, und auch Ilka Minor sagt: „Warum nicht? Ich bin bereit!“

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