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Skandinavistik trifft Californication

Die ersten Kilometer im Fisker Ocean halten viele positive und auch überraschende Eindrücke bereit. Der US-Hersteller liefert ein alltagstaugliches und doch nicht alltägliches E-SUV mit Lifestyle- und Lifecycle-Faktor an die Kundschaft aus.

Bernhard Katzinger

Neuer Hersteller, neues Elektroauto, da erwartet man sich schon ein paar Patzer in den „klassischen“ Kapiteln: Fahrwerk, Ansprechverhalten, Geräuschkulisse, Haptik. Aber nix da: Das Werkl läuft ausgesprochen smooth und berechenbar, das konventionelle Fahrwerk (keine Luftfederung) bügelt sauber auch rauhere Oberflächen souverän weg, und selbst bei Autobahntempo sind die Innengeräusche sehr gedämpft. Auch bei ambitionierteren Testroutinen mit Hilfe der Kreisverkehre Niederösterreichs ist das Fahrwerk des 2,5-Tonnen-Bröckerls von SUV nicht aus der Ruhe zu bringen. Da kommt – Berufskrankheit – rasch die Versuchung auf, das Wort vom „Oberklasseniveau“ zu bemühen.

Es spielen: Earth, Fun And Hyper

Zur Anpassung des Kommunikationsflusses zwischen Stromfuß und E-Motor(en) stehen drei Fahrmodi zur Auswahl, im „Earth“ Modus – leider heißen die anderen beiden nicht „Wind“ und „Fire“, sondern „Fun“ und „Hyper“– läuft standardmäßig nur der Frontmotor, und der Heckmotor springt ausnahmsweise bei, wenn per Druck aufs Strompedal eine Extraportion Leistung angefordert wird. Diesen Sondereinsatz spürt man dann auch schön im Kreuz, hej!

Womit wir beim „California Mode“ wären: der öffnet auf Druck eines Knopfes in der Dachkonsole alle Fenster des Wagens bis auf die Windschutzscheibe – also auch die Heckscheibe und das Solarschiebedach sowie die „Dog Windows“ genannten Schießscharten in den C-Säulen. Ein schöner Wow-Effekt an der Kreuzung allemal, und am Sunset Boulevard vermutlich auch.

Überhaupt kommt man beim ersten Trip mit dem Ocean gar nicht nach mit dem Entdecken von witzigen, praktischen und/oder interessanten Details: die zweifach faltbaren Sonnenblenden, die so genannten „Easter Egg“-Designelemente an vielen Stellen im Auto, die ausfahr- bzw. klappbaren Jausenbretteln für Fahrer- und Beifahrer, welche fürs Aufstellen von Laptop o.ä. zweckentfremdet werden können, und natürlich die rotierbare, mit 17,1 Zoll sehr große Haupt-Anzeige in der Mitte. Beim Fahren muss der kolossale Screen übrigens in der hochformatigen Position bleiben, Cinemascope gibt’s wegen Kollisionsgefahr mit dem Lenkrad nur im Stand.

Nachhaltigkeit als Alleinstellungsmerkmal

Unverständlicherweise hat sich das eine oder andere „Billigheimer-Teil“ in das ansonsten mit Hochwertigkeit punktende E-Mobil eingeschlichen: Das Material der Türgriffe innen entpuppt sich ebenso als etwas dubios wirkender Kunststoff wie das der Bedienpanels am Lenkrad oder der Knopf-Leiste unter dem zentralen Display – alles übrigens „echte“ Knöpfe ohne Touch, danke dafür. Selbst der Schlüssel glänzt auffallend unschön in Hartplastik, allerdings ist angekündigt, sich das Auto bald per App (die gibt’s schon) aufsperren zu können.

Man könnte sich diese unerklärlichen punktuellen Stil-Unsicherheiten als Fiskers Konzession im Namen der angestrebten maximalen Nachhaltigkeit schönreden, Sie wissen schon, Recycling-Plastik statt Alu. In der Tat rechnet der Hersteller vor, nachweislich nicht nur den günstigsten und reichweitenstärksten E-SUV auf dem Markt vorgelegt zu haben, sondern auch den mit dem kleinsten CO2-Footprint. Dies weist Fisker in einer umfassenden Lifecycle-Studie nach, die dem Wagen sozusagen beiliegt. Wetten, dass sich Käufer in der Mehrheit eher wegen des Lifestyle- als des Lifecycle-Faktors für den Fisker interessieren werden?

Einige nicht unwichtige Features blieben beim ersten Beschnuppern noch außen vor: Sprachsteuerung und Verbrauchsdetails aus dem Bordcomputer waren noch nicht verfügbar, ebenso wenig eine Situationsgrafik auf dem Zentraldisplay, welche – man kennt Ähnliches von Tesla – die eigene Fahrsituation in Relation zu anderen Verkehrsteilnehmern grafisch darstellen wird. Solcherlei Verbesserungen, Updates etc. werden bei Fisker per Over-the-Air-Update nachgereicht.

Auch bei Effizienz oder Ladegeschwindigkeit müssen wir uns vorerst noch auf die Angaben des Herstellers verlassen. Gefühlsmäßig leert sich der über 110 kWh große Akku des Ocean One nicht rascher als andere, dass wir etwa 15 Prozent des Ladestands auf knapp 80 km leer fuhren, inklusive einiger „Beschleunigungsversuche“, sagt nicht viel aus.

Dass sich über 700 Kilometer WLTP-Reichweite mit einer Ladung nur unter optimalen Bedingungen ausgehen werden, wird auch keinen Käufer unvorbereitet treffen.

So viel steht jedoch schon fest: Der neue Player am E-Automarkt hat einen ausgesprochen gültigen Start hingelegt und liefert einen echten Hingucker, der sich dank hohem Nutzwert und Lifestyle-Faktor auch im Alltag nicht blamieren dürfte.

Fisker Ocean Extreme (getestet wurde die nicht mehr erhältliche Version One):

Leistung | Drehmoment 564 PS | 737 Nm
0–100 km/h | Vmax 3,9 s | 205 km/h
Getriebe | Antrieb 1-Gang aut. | Allrad
Reichweite (max.) | Batterie 707 km | 113 kWh (106,5 kWh nutzbar)
Ø-Verbrauch k.A.
Ladedauer AC | DC (10-80%) 12 h | 33 min.
Kofferraum | Zuladung 476l | k.A.
Basispreis 67.550 Euro

Das gefällt uns: Frische Ideen in einem astreinen Gesamtpaket
Das vermissen wir: durchgängigere Qualitätsanmutung
Alternativen: Tesla Model Y, Ford Mustang Mach-E, Škoda Enyaq Coupé

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