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ERC: Azoren-Rallye

Verrückte Lichtgestalt versus Rallyeschulmeister

Robert Kubica hat sein Auto aufs Dach gelegt. Schon wieder! Dieser Formel 1-Heini! Was erlaubt er sich? Die ERC-Elite zu schlagen! Aber Röhrl hatte Recht…

Michael Noir Trawniczek

Und schon kommen die resoluten Rallyeprofessoren mit ihrem virtuellen Forumsrohrstaberl und klopfen dem ungestümen Robert auf die Finger: „Eine Rallye muss man zu Ende fahren! Der heißt ab jetzt ‚Schrottnica‘!“ Und: „Röhrl hatte Recht, er bringt sich noch um!“ Und: „Jetzt sollte er aber wirklich endlich einmal drauf achten, dass er ins Ziel kommt. Es geht doch immerhin um Punkte!“

Ja natürlich, es geht um Punkte! Punkte! Punkte! Punkte! Ja, ja, ja – also liebe Leute, vielleicht sind Medienmenschen ja tatsächlich irgendwie seltsam, aber ich finde es unsagbar spannend, was der Quereinsteiger Robert Kubica hier auf der zweitgrößten Rallyebühne des Planeten inszeniert. Nein, Entschuldigung, er inszeniert gar nichts, er lebt es! Er tut es!

Ich erinnere mich: 2007 auf der Insel Korsika. Shakedown für einen WM-Lauf. Vielen Dank an Suzuki, für die Einladung. Die Weltpremiere des SX4 - okay, lassen wir dieses Thema. Da läuft ein seltsam aussehender Typ in einem froschgrünen T-Shirt umher, das ist doch der Robert Kubica, aus der Formel 1. Ich frage ihn, was er denn hier machen würde. Er antwortet, dass er sich sehr für den Rallyesport interessieren würde und dass er hier seinem Freund Jan Kopecky die Daumen drücken würde und so weiter und so fort. Nichts für ein offizielles Interview, einfach nur eine kurze Info.

Fünf Jahre später hat Robert Kubica 20 Monate Spitalsaufenthalt und ungefähr gleich viele Operationen hinter sich – weil er sich bei einer kleinen, lokalen italienischen Rallye eingebaut hat, weil ihm die eindringende Leidplanke (kein Fehler) die rechte Körperhälfte und vor allem die rechte Hand zerfetzt hat. So sehr, dass man zunächst überlegt hat, die rechte Hand zu amputieren! Und dieser Robert Kubica ist bei einem ERC-Lauf der Schnellste, schneller als Kopecky, schneller als Craig Breen, einer der zukünftigen Topstars…

Ja, stimmt schon, er hat sich wieder eingebaut. Aber ich stelle folgende Fragen in den Raum: Welche Art von Mensch ist man, wenn man nach einer derartigen Tortur, nach einer dermaßen schmerzhaften und leiderfüllten Erfahrung dermaßen schnell dieses Rallyeauto über die Prüfungen jagt? Als jemand, der seine zweite Schotterrallye fährt und noch nie bei Regen und Matsch auf Schotter gefahren ist? Und dann verbläst dieser seltsame Typ alle!

Der Inbegriff des Rennfahrers

Ist das nicht der Inbegriff des Rennfahrers? Im Sinne eines Stirling Moss, der sagt, er würde heute gar nicht mehr fahren wollen, wenn er jung wäre – weil ihn der drohende Tod reizte. Der Inbegriff des Rennfahrers: Vollkommen angstbefreit bis ans äußerste Limit zu gehen. Selbst wenn Schmerz und Tod drohen! Kubica kennt den Schmerz und dem Tode hat er schon ziemlich heftig ins Auge geblickt – allein der Mut dieses Menschen lässt einem die Gänsehaut wachsen. Diese knüppelharte Kompromisslosigkeit!

Ein solcher Mensch fällt heutzutage auf. In einem Zeitalter, in dem man sich im Cockpit an den Split-Zeiten der direkten Gegner orientiert, in dem die Industrie keine tage- und wochenlangen Testfahrten mehr finanziert, kommt da einer, der quer einsteigt und einfach Gas gibt. Und auf zweithöchster Ebene „Learning by doing“ betreibt, höchst kompromisslos und sauschnell, mit einem Bestzeitenfeuerwerk! Aber auch Abflügen. Und ich sage: Er wird auch heute abfliegen! Weil ich glaube, dass ihm fünfte Plätze nichts geben.

Was wäre denn, wenn er bei dieser Rallye keine Bestzeiten gefahren, sondern immer auf den Plätzen fünf bis sieben gelegen wäre? Die Kubica-Basher hätten höhnisch gesagt: „Na, siehst du! Wenn er normal fährt, ist er ja gar nicht so schnell, alles nur ein übertriebener Medienhype rund um einen mittelmäßigen Fahrer….“

Dass sich ein Walter Röhrl Sorgen um Kubica macht, ist rührend – doch diese muffige, altkluge Pikiertheit, die von manch anderer Seite herüberduftet, zeigt eigentlich auf erschreckende Art und Weise, dass der Rallyesport, zumindest hierzulande, zu einem Altherrensport zu verkommen droht. Die jungen Leute sind es, die für eine Million Klicks auf dem Beppo Harrach-200 km/h-Video sorgen, die Jungen regen sich ganz sicher nicht über einen waghalsigen Robert Kubica auf.

Und warum sollten die Medien es tun? Robert Kubica ist eine Lichtgestalt – bei seiner erst zweiten Schotterrallye, zum ersten Mal auf Matsch unterwegs, unter diesen schwierigsten Bedingungen Bestzeiten zu fahren, einen Kopecky, einen Breen zu bügeln, die ihr ganzes Leben lang Rallyefahrer waren, das ist einfach nur sensationell.

Vielleicht können es manche nicht verkraften, dass es ein ehemaliger Formel 1-Pilot ist, der da den Alteingestandenen dermaßen einschenkt? Dass es „auch in der Formel 1“ gute Fahrer gibt? Dass manche Rallyefans nicht über den eigenen Tellerrand hinausblicken können/wollen beziehungsweise es manchen schwer fällt, auch andere Motorsportdisziplinen gebührend zu respektieren, ist nichts Neues, leider…

Für Citroen ist es sicher keine schlechte Werbung, wenn einer bei jeder Rallye Bestzeiten fährt, selbst wenn er dann irgendwann von der Strecke fliegt. Und selbst wenn Kubica die nächsten Jahre immer wieder nach einem Bestzeitenfeuerwerk abfliegen würde und selbst wenn er dabei sterben würde – ein Platz im Geschichtebuch des Motorsports wäre ihm sicher. Übrigens auch seinem Beifahrer, der Vertrauen in Kubica hat und der sicher ein mutiger Mann zu sein scheint, nein, zu sein hat.

Keine Angst

Nicht unähnlich ist auch die Herangehensweise von Evgeny Novikov. Er will keine fünften Plätze, er will Top 3-Zeiten, er will auf das Podium. Nach dem Motto: Bevor wir Fünfte oder Sechste werden, fahren wir lieber schnell – selbst wenn dabei ein Abflug droht. Ilka Minor war der erste Copilot an der Seite des jungen Russen, der bzw. die keine Angst ausströmte. Deshalb hat sie Novikov zu seiner Stammbeifahrerin gemacht.

Diese Angstlosigkeit, dieser grenzenlose Mut, dieser unbändige und absolut kompromisslose Wille, die physikalischen Grenzen bis ans Äußerste zu verschieben – all das wird auch einem Colin McRae zugeschrieben und mitunter wird der Schotte von jenen Leuten bewundert, die heute einem Kubica oder Novikov schulmeisterhaft mit dem „Rohrstaberl“ auf die Finger klopfen.

Es ist absurd: Da spricht ein Walter Röhrl einerseits von „Müsli-Buben“ in der Weltmeisterschaft, zugleich aber tadelt er Robert Kubica wegen seiner draufgängerischen Art. Dabei war auch Röhrl angstbefreit…

Einem Kimi Räikkönen hat man nach nicht einmal zwei Jahren Rallyesport vorgeworfen, er sei zu langsam. Zugleich wissen alle, dass der Rallyesport mit den verschiedenen Belägen und Witterungsbedingungen nicht von heute auf morgen zu erlernen ist. Nicht vergessen: Kubica war 2007 noch ein interessierter Rallyefan…

Als ich Robert Kubica im Vorjahr in Sanremo begegnete, lustiger Weise sicher sieben zufällige Begegnungen, sogar in der City spazierte er zweimal an „unserem“ Restaurant vorbei – da hat dieser Mensch einfach gestrahlt. Man hat es spüren können, wie sehr dieser Mann für diesen Rallyesport lebt. Er lebt, um an die Grenze zu gehen – dieses Recht hat er. In meinen Augen ist Robert Kubica im positivsten aller Sinne ein Verrückter – verrückt im Sinne von verrücken, die Grenzen verrücken und zugleich nicht in der Norm. Abnormal, genial, grenzwertig. Und: Ich liebe solche Menschen. Schön, dass es sie gibt!

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