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„Diese Zeit kommt nie wieder!“

Vor seinem Besuch beim zehnjährigen Jubiläum der quattrolegende (9. bis 11. Juli) erklärt Walter Röhrl, warum die Ära des Audi quatttro eine so große Faszination bei ihm ausgelöst hat. Zudem sucht der zweifache Rallye-Weltmeister eine Antwort auf die Frage, warum historische Events immer mehr aufblühen…

Michael Noir Trawniczek/quattrolegende
Fotos: quattrolegende

„Ich wurde eigentlich ins Rallyeauto geschubst“, sagt Walter Röhrl im vorliegenden Interview – denn eigentlich wollte er ja Schifahrer werden. In seiner einzigartigen offenen Art bewegt sich Röhrl im folgenden Gespräch zwischen den Polen seiner eigenen Zerrissenheit – zwischen Stagnation und kraftvollem Optimismus. Zwischen der Freude über den Zuspruch der Fans und der Scham, wenn sie vor dem „Rallyegott“ auf die Knie gehen. Die gute alte Zeit kommt nie wieder – doch mit ein paar Regeländerungen dann vielleicht doch? Und die eigenen Träume? Wird es ruhiger um Walter Röhrl? Oder soll es gar nicht wirklich ruhiger werden?

Du wirst beim zehnjährigen Jubiläum der quattrolegende zu Gast sein – wie ist dein Bezug zur quattrolegende?

Mein Bezug besteht in erster Linie über die Personen, die Veranstalter der quattrolegende. Den Peter Reischl kenne ich schon eine schöne Zeit lang, auch den Ralf Nagel, der ja auch mithilft. Und ich habe ja zehn wunderbare Jahre mit Audi quattro verbracht, die kann man ja nicht aus dem Gedächtnis löschen – und da es auch von der Firma kein Problem darstellt, weil ja Porsche, Audi und VW zusammengehören, ist die quattrolegende eine willkommene Gelegenheit, diese tolle Zeit zu würdigen. Ich habe ja die Entwicklung des Audi quattro aus nächster Nähe miterlebt – und es gibt immer noch viele, die meinen, ich sei der quattro-Fahrer schlechthin.

Würdest du die Zeit mit dem Audi quattro als deine schönste Karrierephase bezeichnen?

Es war die revolutionärste Phase. Ich habe meine ganzes Leben immer nur eines getan: Ich habe nach Traktion gesucht, das war krankhaft! Und plötzlich gibt es da ein Auto, wo das kein Thema mehr ist. Ein Auto, das immer, in jeder Situation, Traktion hat – das ist das Faszinierende gewesen. Mit dem Zweiradantrieb war man am Ende angelangt – mehr Kraft hätte beim Heckantrieb keinen Sinn gemacht, erst durch den Quattro war es möglich, dass man mehr Kraft umsetzen kann.

Ich habe einmal Michael Schumacher gefragt, ob seine zweite Karrierephase die größere Herausforderung gewesen sei und er hat bejaht. Mit dem Audi quattro hast du gerade einmal zwei Siege eingefahren - es muss also nicht immer die großen Erfolge geben, um einen Rennfahrer zu erfreuen?

Genau, das muss es nicht unbedingt sein. Beim Audi quattro war es halt einfach ein tolles Gefühl, wenn du selbst auf losem Untergrund diese Kraft in Fortbewegung umsetzen kannst, dieses Gefühl dabei ist unglaublich. Sicherlich: Die hohe Kunst des Autofahrens ist nur Zweiradantrieb – als ich den Lancia fuhr, vor dem Audi quattro, der hatte 330 PS und Hinterradantrieb – da macht es keinen Sinn, dass du einfach drauf trittst, die Räder drehen durch, du stehst quer und das hat ja keinen Sinn. Beim Audi quattro – wenn du da mal die Richtung hast, wo du hin musst, gibt’s nur eines: Bodenblech! Zack!

Selbst der größte Fortschritt hat auch seine Schattenseiten – der Audi quattro brachte den Allradantrieb und heute sagen Kritiker, die Autos würden wie auf Schienen fahren.

Das ist richtig. Aber wenn man sich anschaut, wie viel Verkehrsaufkommen in den letzten 20 Jahren hinzukam und wie viele Tote es früher gab – da tragen diese elektronischen Helferleins und auch der Allradantrieb einen großen Anteil daran, die Auto stabiler zu machen und es dem normalen Autofahrer leichter zu machen, das Auto zu fahren, solange er keinen Wettbewerbsgedanken hat. Weil da wird es dann schon problematischer mit dem Allrad.

Im Rallyesport ist das Faszinierende immer noch die Zeit, die man schneller fahren kann. Da sind diese ganzen neuen Errungenschaften nicht mehr wegzudenken. Im Rundstreckensport war es doch einmal so, dass Audi in sieben europäischen Ländern die Rennsportmeisterschaft gewonnen hat, da hat man den Allradantrieb verboten. Aber jetzt, mit den Hybrid-Triebwerken, hat sich der quattro-Antrieb quasi wieder heimlich eingeschlichen. Das Rad der Zeit lässt sich nicht mehr zurückdrehen – weil jeder sieht, dass es einfach besser ist. Besser, schneller und einfacher.

Stichwort Zeit. Während die Veranstalter der aktuellen Rallyes allesamt an einem Teilnehmer- und auch Zuschauerschwund leiden, gibt es bei historischen Veranstaltungen wie der quattrolegende einen regen Zuspruch. Woran liegt das in deinen Augen?

Das liegt daran, dass bei solchen Veranstaltungen die alten Autos fahren, die noch nicht so sehr mit Elektronik vollgestopft sind. Die Leute wollen den Sound hören – da ist jedes Auto am Sound erkennbar. Heute tut man sich schwer, zu erkennen, ob da ein DS3, ein Fiesta oder ein Polo daherkommt. Die heutigen Autos fahren noch perfekter als es jemals der Fall war. Und was die Piloten anbelangt: Dem Privatier ist es heute einfach zu teuer. Der sagt: ‚Schnelle Rennen brauche ich nicht mehr zu fahren weil da brauche ich ein Top-Material – wenn ich aber so eine Gleichmäßigkeitsrallye fahre, da kann ich mitfahren, da habe ich meinen Spaß!‘ Das sind, so glaube ich, die Gründe, warum sich das so verlagert hat – man sieht es ja auch bei den WM-Läufen, wo sie zum Teil mit 36 Startern fahren, zu meiner Zeit waren es 300.

Und du meinst, diese Zeit oder diesen Spirit dieser Zeit kann man nicht mehr zurückholen?

Man könnte schon, vielleicht. Das hängt vom Reglement ab. Wenn der sagt: ‚Okay, wir wollen die Staatsmeisterschaft nur noch für zweiradangetriebene Autos ausschreiben!‘ – dann ist das schon eine Möglichkeit. Und da ist nicht nur die Frage, ob Allrad oder Zweiradantrieb entscheidend, sondern auch das übrige Umfeld, was alles eingesetzt werden darf. Ich würde generell darauf achten, dass ich das Ganze ein bisschen billiger gestalte und nicht so viel Hightech zum Einsatz kommt. Die elektronischen Differenziale – das muss ja nicht sein. Dem Zuschauer ist es ja wurscht, ob der mit einem elektronischen Differenzial fährt – und ein mechanisches Diff muss ja wohl reichen. Aber klar: Sie gehen halt immer weiter, höher, schneller. Wenn man das nicht einbremst, kommst du in einen Bereich, in dem sich das ein normaler Fahrer gar nicht mehr leisten kann.

Da sind wir bereits angelangt…

Ja, da befinden wir uns gerade. Bei euch in Österreich fahren der Raimund Baumschlager und der Gerwald Grössing und noch so ein Junger – aber dann ist es schon wieder vorbei.

Wir sind aber auch in einer Zeit angelangt, in der du dir auch auf einem normalen Parkplatz schwer tust, die Autos auf den ersten Blick voneinander zu unterscheiden.

Genauso ist es. Ich kenne mich auch nicht mehr aus – als ich heute mit dem Rad fuhr, ist ein Auto an mir vorbeigefahren. Ich habe gemeint, dass es ein BMW gewesen ist – doch es war ein Hyundai.

Das heißt: Selbst wenn man in der Rallye-WM das Reglement komplett öffnen würde, müsste man befürchten, dass sie alle gleich aussehen?

Das wird heute alles vom Windkanal gestylt. Das sieht man auch bei den Rennautos. In Le Mans, wenn du da keine unterschiedlichen Lackierungen hättest, würdest du nicht mehr wissen, welches Auto das ist.

Das heißt: Diese Phase, die man bei Veranstaltungen wie der quattrolegende wieder hochleben lässt, werden wir tatsächlich nie wieder erleben?

Genau! Und darum gehen die Leute auch hin. Da sehe ich am ersten Blick: Das ist ein Urquattro, das ist ein Sportquattro – das sind so Dinge, die faszinieren die Leute. Wenn dann auch noch ein paar S1 dabei sind, die noch den richtigen Sound haben, mit dem Bypass-Ventil, das berühmte (imitiert den Sound des Turbo-Wastegates) – das ist es, was die Leute sehen und hören wollen und was die Leute begeistert. Zugleich muss man sagen: Die ganz jungen Leute – die sind nicht mehr so autoverrückt wie wir das immer waren. Irgendwie hat sich das mehr auf Elektronik verlagert. Früher hat doch jeder ewig gespart, damit er sich so eine Kiste leisten kann – das ist heute nicht mehr so ausgeprägt.

Jetzt haben wir nur über Autos gesprochen. Wenn man aber mitverfolgt, wie sich Trauben – aus alten wie auch jungen Leuten - um dich bilden, wenn du zu Veranstaltungen kommst und bei den aktuellen Stars steht niemand, dann muss es wohl auch an den Menschen selbst liegen?

Ja. Also ich habe da keine Antwort parat. Ich habe mich da ja total verändert. Als ich jung war, war ich sehr ‚leut-scheu‘. Heute ist es so: Wenn ich wo hingehe, weiß ich, dass die Leute von mir etwas wollen und ich stehe den Leuten zur Verfügung. Wenn ich nicht will, bleib ich lieber daheim – aber wenn ich einmal dort bin, dann schlage ich keinem einen Wunsch ab. Das hat sich, so glaube ich, ein wenig herumgesprochen. Die Leute sagen: ‚Der Röhrl ist der einzige Normale – der schubst dich nicht weg oder lässt dich stehen, sondern der schreibt Autogramme, bis ihm die Finger krachen – wenn du dein Auto irgendwo da hinten geparkt hast, und da liegen die Fotos drin, die du signiert haben willst, dann läuft er mit dir zu diesem Auto!‘ Und das, so glaube ich, macht es aus. Und das wiederum macht mein Leben nicht ganz einfach, weil du da schon auch gehörig unter Druck bist. Aber mir ist es ein Bedürfnis. Wenn ich dort hin gehe, dann soll ich den Leuten zur Verfügung stehen – und wenn ich nicht will, dann bleibe ich eben daheim.

Nur hinknien sollten sich die Leute nicht oder?

(lacht) Nein, bitte nicht. Das ist mir scheißzuwider. Und es passiert immer wieder. Im September bin ich in Italien eine Rallye gefahren, da bin ich zur Sonderprüfung gefahren und da haben sich die Leute hingekniet und haben eine Verbeugung gemacht – da schäme ich mich zu Tode, wenn ich so etwas sehe.

Warum schämst du dich da? Weil du sagst, das ist nicht gerechtfertigt?

Weil ich einfach ein ganz normaler Mensch bin, das ist ganz einfach. Ich freue mich doch schon, wenn sie, wenn ich vorbeikomme, dann ‚Sempre sono uno!‘ schreien. Das ist doch schon ein schönes Gefühl, wo du es gar nicht glauben möchtest und wo du sagst: ‚Jetzt war ich 27 Jahre nicht mehr aktiv!‘ Aber das kommt natürlich auch von den modernen Medien. Heute schaut sich jeder auf Youtube Videos an, heute hat jeder die Videos aus dieser Zeit gesehen.

Ist das eher eine Gabe oder etwas, das du dir erarbeitet hast?

Also dieses Gefühl, dass ich anderen Menschen gegenüber höflich sein muss – das ist einfach eine Sache der Erziehung. Das hatte ich schon immer. Wenn wir zwei durch eine Türe gehen, lasse ich dich zuerst durchgehen .

Ich habe eigentlich das schnelle Autofahren gemeint – ist das eine Gabe oder etwas, das du dir erarbeiten musstest?

Das ist ganz sicher eine Gabe. Ich habe ja nie davon geträumt, dass ich Autofahrer werde – ich habe immer davon geträumt, dass ich Schifahrer werde. Es war damals so, dass es Leute gab, die gesagt haben: ‚So wie du Auto fährst, musst du unbedingt Rennfahrer werden!‘ Ein Freund (Herbert Marecek, Anmerkg.) hat mich da halt gepuscht und in drei Jahren bin ich halt fünf Rallyes gefahren mit Autos, die er besorgt hat. Und dann habe ich einen Vertrag bekommen – aber ohne ihn hätte ich das nie gemacht.

Du hast also immer so ein Gefühl, dass du das ja eigentlich gar nie wolltest?

Ja, ich wurde eigentlich ins Rallyeauto geschubst. Ich habe immer gesagt: ‚Das kostet doch einen Haufen Geld, das ist doch ein Schmarren!‘ Und er hat aber gesagt: ‚Nix!‘ Und nach jeder Rallye hat er geschrieben: ‚Der beste Autofahrer der Welt – es ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass er ein Auto bekommt!‘ Das hat er in einer Fachzeitschrift geschrieben (lacht). Und dann war auf einmal alles klar – ich fuhr zu Ford zur Vertragsunterschrift.

Welche Träume hat der Walter Röhrl noch?

Ach. Welche Träume habe ich denn noch? Ja – die alten Autos und mit ihnen spazieren fahren. Ich habe zum Beispiel in Graz durch meine Autotesterei für die Kleine Zeitung ein paar Freunde in Graz – und da ruft einer an und sagt: ‚Komm doch zu uns, wir machen im Garten ein Grillfest!‘ Und das sind die Träume, die ich derzeit habe: Dass ich mich in einen meiner Oldtimer setze und mit meiner Frau in die Steiermark fahre, den Helmut besuche und mit ihm ein schönes Grillfestl mache. Das sind momentan meine Träume – ob ich damit glücklich werde, weiß ich nicht, verstehst du?

Ja.

40 Jahre war ich jetzt unterwegs. Und ich bin nach wie vor da – es wird sogar immer schlimmer, was da alles los ist mit mir. Dort eine Classic-Veranstaltung, dann wieder auf dem Lausitzring, am nächsten Tag nach Kassel zum Porsche-Treffen. Da sitzt du schon für tausende Kilometer im Auto – da fragst du dich schon, ob du noch normal bist.

Aber okay – jetzt soll es nach dem Ende des Jahres ein bisschen ruhiger werden und dann werde ich hoffentlich die Zeit haben, um diese Dinge zu tun, wo man immer sagt: ‚Die mache ich später‘. In Wirklichkeit machst du gar nichts später. Und ich merke es, dass ich nicht mehr so gut beieinander bin, wie ich schon mal war. Früher hatte ich so Tage, wo ich am Morgen gesagt habe: ‚Heute reiße ich einen Baum aus!‘ Solche Tage habe ich nicht mehr. Ich quäle mich aus dem Bett heraus – es wird dann zwar nach einer halben Stunde besser, wenn ich mich bewege. Aber ich merke halt, dass die Zeit halt auch an mir nicht vorbeigeht.

Lieber Walter, du bist heute am Vormittag schnell mal 80 Kilometer mit dem Rad gefahren, davon zehn Kilometer steil bergauf, hast du vorhin erzählt – so schlecht schaut das nicht aus, würd ich sagen…

(lacht) Da hast du schon Recht – ich habe einen Freund, der ist 48, dem fahre ich regelmäßig davon. Trotzdem habe ich subjektiv das Gefühl, dass ich schlecht beieinander bin – weil ich einfach die Erinnerung habe, dass es früher besser gegangen ist. Kommst du auch zur quattrolegende? Da sehen wir uns dann ja…

Ja, klar, freue mich darauf und danke für das nette Gespräch.

Gern geschehen, wir sehen uns in St. Gilgen.

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