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Austrian Rallye Legends 2015

Histo-Boom im Rallyesport: Zukunft oder Schwanengesang?

Historische Rallye-Events boomen nicht nur in Österreich – doch sind sie die Zukunft des aktuellen Rallyesports? Brauchen wir keine Zeitnahme mehr?

Kommentar von Michael Noir Trawniczek
Foto: Austrian Rallye Legends

Allein in Österreich sind sie in letzter Zeit wie die Schwammerl aus der Erde geschossen: die historischen Rallye-Events. Kurt Gutternigg hat das deutsche Eifel Rallye Festival gut studiert und es ins Österreichische „übersetzt“, sprich mit Gemütlichkeit und kulinarischen Schmankerl gewürzt. Die Gruppe B Rallyelegenden und die quattrolegende haben einander, obwohl am gleichen Wochenende stattfindend, kein Publikum weggenommen, aus ganz Europa kamen Fans, um beide Festivals anzusehen, schließlich lagen nur rund 200 Kilometer dazwischen. Jetzt hat auch der Veranstalter der Waldviertel-Rallye reagiert – seine Rallyeshow vor dem Sankt Pöltner VAZ bildet quasi den Auftakt der Waldviertel-Rallye und soll sogar live im Fernsehen übertragen werden. Während die Veranstalter der heimischen Rallye-Staatsmeisterschaft unter einem Starter- und Zuschauerschwund leiden, werden die Histo-Events sowohl von den Aktiven als auch von den Fans heiß geliebt, als würde es kein Morgen und auch bald schon kein Heute mehr geben…

Alles war gut

Hätte man eine Vorliebe für das Maliziöse, würde man sagen: Die Rallyegemeinde ist kollektiv dem Fluch der Verklärung erlegen, die Schönheit der alten Boliden hat sie allesamt verzaubert – womit man jedoch nicht ganz richtig liegen würde. Denn eines ist sicher: In den goldenen Tagen des Rallyesports war tatsächlich noch alles oder zumindest vieles gut. Die Automobilhersteller, ja sogar die heimischen Importeure erkannten den Sport als Plattform, um die Qualitäten ihrer Autos in die Auslage zu stellen. Neue Errungenschaften wie der Allradantrieb konnten mit dem Rallyesport bestens transportiert werden. Das Reglement war noch offen, kleine Rallyeschmieden konnten quasi „drauflosbauen“ – womit eine Artenvielfalt entstand, die heute ihresgleichen sucht – ein wahrer Trumpf der heutigen Histo-Events!

Schließlich war auch das Marketing noch nicht so vorangeschritten, in den Chefetagen saßen Leute, die sich ihren Schreibtisch hart erarbeitet haben und keine 20-jährigen Quereinsteiger von der Marketinguniversität. In den Autos saßen noch die furchtlosen Originale, die genau wussten, dass sie mit 200 km/h durch den Wald rasen, damit ihr Leben riskieren und sich daher nicht den Mund verbieten ließen. Dass ein Walter Röhrl, obwohl schon seit Jahrzehnten nicht mehr wirklich aktiv, immer noch als „der Rallyepilot“ gilt, der einfach ausspricht, was er denkt, sagt vieles über den Ist-Zustand des Rallyesports aus. Wie auch der gesamte Histo-Boom vieles über die Probleme der Gegenwart ans Tageslicht bringt. All das oder zumindest vieles, was damals den Charme des Rallyesports ausgemacht hat, fehlt heute. Aus welchen Gründen auch immer.

„Wer braucht schon eine Zeitnahme?“

Einzig und allein auf den „Histo-Zug“ aufzuspringen, wäre jedoch zu wenig – die heutigen Veranstalter und Drahtzieher sollten vielmehr die Chance nützen und aus dem Boom ihre Schlüsse ziehen. Schließlich zeigen die eingangs genannten Events, dass man sogar ohne Zeitnahme mehr Fans und Aktive anlocken kann als ein heutiger Staatsmeisterschaftslauf. Apropos: „Wer braucht schon eine Zeitnahme?“, fragt Georg Gschwandner in einer Aussendung, die als Leibeserklärung an die Austrian Rallye Legends zu verstehen ist. Eine – mitunter – brandgefährliche Frage. Schließlich dürfen historische Gruppe B- und andere Boliden nur aus diesem Grund starten – weil es keine Zeitnahme gibt. Schließlich sitzen in diesen „verbotenen Raketen“ oftmals nur Fahrzeugbesitzer, die nicht auf das Können oder die Erfahrung eines Walter Röhrl zurückgreifen können. Fragen Sie einen Franz Wittmann oder auch einen Walter Röhrl, welche Gefahren er in den zurzeit boomenden Events sieht – freilich: Man will kein Spielverderber sein und auch nicht den Teufel an die Wand malen. Doch wer bereits mehrfach als „Totengräber des Rallyesports“ tituliert wurde, darf, will und muss der Wahrheit treu bleiben und hat die echten Fragen und Sorgen an die Wand zu malen…

Eines muss man dabei klar erkennen: Auch der Histo-Boom hat seine Schattenseiten. Wer bei einem der Events an der Strecke stand, der weiß: Dort fahren rund 70 Prozent Fahrzeugbesitzer und nur der Rest sind echte Rallyepiloten. Im Weglassen der Zeitnahme, im Betonen des gemütlichen Beisammenseins die Zukunft des gesamten Rallyesports zu sehen, kann mitunter heftig ins Auge gehen. Der Autor hat schon erste Besucher vernommen, junge Leute, die am Streckenrand standen und mitunter richtig erkannten: „So schnell fahre ich auch!“ Die Menschen an der Strecke sind nicht dumm - sie können zwischen einem Profi und einem Amateur sehr wohl unterscheiden. Und stets findet jener Sport ein böses Ende, der von den Fans nicht mehr ernstgenommen wird…

Es lebe der Sport

Es wäre also töricht, die Zukunft des Rallyesports mit dem derzeit florierenden Historik-Boom in Verbindung zu bringen – reines Schaulaufen kann und darf nicht die Zukunft dieses Sports darstellen, weder gedanklich und schon gar nicht in der Wirklichkeit. Dann nämlich wären die historischen Veranstaltungen nichts anderes als der Schwanengesang des aktuellen Rallyesports. Ein letztes „Schaut‘s her, so schön war das mal – so schön wird‘s nie wieder!“ Nein, nein, nein und nochmals nein! So schön kann es – vielleicht auf andere Art – durchaus wieder werden! Man muss den Zuspruch, den wunderbaren Histo-Boom als Wink der Hoffnung erkennen, ihn genau durchleuchten und aus ihm, letztendlich also aus einem nicht verklärten Blick auf die Vergangenheit lernen. Der Histo-Boom bringt uns die alten Tage in die Gegenwart zurück – nicht jedoch, um nur noch Histo-Events zu veranstalten oder gar die Stoppuhren in den Keller zu verbannen, sondern um aus ihm zu lernen.

Die Erkenntnisse müssen dahingehend überprüft werden, ob und wie sie im aktuellen Rallyesport angewandt werden können. Öffnung der Regelwerke, weniger straffe Strukturen – jene Richtung also, in welche die Macher der ORM ohnehin bereits ziehen. Nicht alles, was damals den Sport groß gemacht hat, ist heute noch anwendbar – doch vieles, was damals den Charme ausgemacht hat, kann auch heute noch realisiert werden. Dass beispielsweise ein Importeur wie Skoda Austria eine Rallye sponsert, kann gar nicht oft genug gefeiert werden. Denn dort beginnt theoretisch das, was irgendwann einmal aufgehört hat. Die Hoffnung stirbt immer zuletzt, sogar im Piranha-Becken namens Rallyesport. Nur, um auf die Frage von Georg Gschwandner zurückzukommen: „Wer braucht schon eine Zeitnahme?“ Jede/r, die/der im Rallyesport nicht nur ein Schaulaufen von wirklich hübsch anzusehenden Fahrzeugen, sondern auch den adrenalingetränkten Kampf gegen die Uhr und damit auch gegen die Konkurrenten sieht. Oder kurz gesagt: Jeder, der im Rallyesport auch heute noch den Sport suchen und finden möchte.

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