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„Leute, was habt ihr geraucht?“

Der zweifache Weltmeister spricht über die Irrgänge der Rallye-WM, die Vorzüge der IRC, ein Treffen mit Jean Todt und die Abgehobenheit junger Geschäftsführer...

von Michael Noir Trawniczek
Fotos: Peter Meierhofer/Ennstal Classic & www.christiangeistdoerfer.de

1980 und 1982 wurde Co-Pilot Christian Geistdörfer mit Walter Röhrl Rallye-Weltmeister, viermal konnten die beiden die Rallye Monte Carlo gewinnen, 1984 war das deutsche Duo das erste von drei Audi Quattro-Teams auf dem Siegerpodest – Christian Geistdörfer ist seither dem Motorsport als Konsulent diverser Projekte treu geblieben, hat sich zugleich mit Fahrsicherheitstrainings und Eventmanagement einen Namen gemacht. An der Ennstal Classic wollte Geistdörfer am Steuer eines Ferrari Pininfarina aus dem Jahr 1959 teilnehmen, doch sein österreichischer Freund und Navigator Franz Doppler musste aus gesundheitlichen kurzfristig absagen. „Dann fahren wir halt nächstes Jahr wieder“ nahm es der Rallye-Weltmeister gelassen, es gab zudem auch noch ‚30 Jahre Audi Quattro’ zufeiern, am Eröffnungsabend der Ennstal Classic hat sich Geistdörfer im Interview Gedanken um die aktuelle Lage der Rallye-Weltmeisterschaft gemacht…

Wenn man die Rallye-WM beobachtet, als jemand, der früher einer ihrer Hauptdarsteller war – was denkt man dann?

Dass die Rallye-WM zum Rallycross verkommen ist. Ganz generell. Es ist dringend an der Zeit, ein paar Umstellungen vorzunehmen und ein paar Irrgänge der vergangenen Jahre zurückzunehmen. Und den ursprünglichen Charakter von Rallye wieder heraus zu arbeiten. Und den Rallyesport wieder zu dem zu machen, was er einmal war.

Was wäre da einer dieser Maßnahmen?

Dass man wegkommt von diesem extrem engen Kreisfahren, dass man wieder weitere Gebiete abfährt. Dass man den Zuschauern wieder mehr Möglichkeiten gibt, zuschauen zu können. Ich habe viele Rallyes gesehen, wo das Chaos, um an die Prüfungen zu gelangen, absolut inakzeptabel geworden ist und wo sich auf wenigen Punkten viel zu viele Leute drängen.

Das war früher nicht so?

Nein. Damals war es einfach so, dass du von ganz Europa aus nach Monte Carlo gefahren bist und dazwischen hattest du 17 Sonderprüfungen. Jeder konnte irgendwo hin fahren, wo er zuschauen konnte. Dadurch war auch dieses Problem mit diesen Zuschauermassen an konzentrierten Punkten nicht gegeben. Wir hatten immer ein Problem, wenn Rallyes in sehr engen Gebieten abgehalten wurden – Toskana zum Beispiel. Wo dann wahnsinnig viele Leute hinkommen. Generell muss eine Rallye in einem weitläufigeren Gebiet stattfinden.

Was meiner Meinung nach völlig kontraproduktiv ist, sind diese zentralen Serviceparks. Das hat auch mit der Sicherheit der Fahrer zu tun. Dass man drei Prüfungen mit einem Satz Reifen fahren muss, es regnet dazwischen, es passieren die wildesten Dinge und du bist einfach unfähig, zu reagieren – das ist meiner Meinung nach ein Fehler. Rallye war immer ein Langstreckensport und man hat Rallye zu einem Zwölfstundensport verkümmert. Das ist nicht gut. Oder dass nicht mehr in der Nacht gefahren wird – das sind alles so Dinge, die einfach Rallye ausgemacht haben. Und dazu muss man zurückkehren.

Ich habe sehr viel Hoffnung in den Jean Todt gesetzt. Jetzt sind seit seinem Amtsantritt als FIA-Präsident fast acht Monate vergangen und es ist leider nichts passiert. Wir werden sehen, ob sich da noch etwas tut.

Man hat nicht den Eindruck, dass sich noch etwas tun wird. Zu der leidigen Startreihenfolge auf Schotter und den damit einhergehenden Taktikspielchen hat er ja auch nur gesagt: ‚Es ist, wie es ist.’

Er ist leider - wie alle, die zu lange vom Sport weg sind – zu sehr Funktionär. Ich rechne ihm an, dass er einfach in zu vielen Themen zu viele Baustellen hat und er sich nicht mehr intensiv mit Rallye beschäftigt hat, er war die letzten 15 Jahre ein Formel 1-Mann – er ist extrem weit weg vom Sport. Er hat die Michele Mouton als Beraterin geholt, die noch weiter weg ist – und das kann nicht funktionieren. Und wenn ich mir also das Gremium ansehe, das da drin sitzt und die Entscheidungen trifft und wo dann so Dinge rauskommen, wie dass man den Einheitsreifen für das nächste Jahr wieder abschaffen will – da muss ich sagen: Leute, was habt ihr geraucht? Wie geht es euch?

Oder diese Meldung des WM-Promotors ISC, dass man nicht mehr als vier Hersteller haben möchte – in einer Zeit, in der ohnehin nur noch zwei Hersteller der WM die Stange halten…

Ja, das ist völlig kontraproduktiv. Jeder Hersteller ist willkommen und je mehr Konkurrenz es gibt, umso besser ist das Business. Das sind alles Dinge, wo ich sage: Sehr irritierend!

Ich gehe heuer extra aus diesem Grund zur Deutschland-Rallye, weil Jean Todt auch hinkommt und weil wir vielleicht die Gelegenheit haben, gewisse Dinge zu diskutieren.

Kann man sich also erhoffen, dass du ihm da vielleicht zu so etwas wie einer Erleuchtung verhelfen wirst?

(lacht) Das weiß ich nicht. Ich habe den Jean 1975 in Marokko kennen gelernt, wir kennen uns seither und wir haben zum Teil auch sehr konträr gearbeitet. Er war als Ferrari-Chef natürlich auf einem ganz anderen Level unterwegs als ich es war.

Aber ich denke, dass ich mir gerade im Rallyesport schon noch die Füße im Geschäft gehalten habe und dass ich auch durch die Marketingorganisation der Rallye Deutschland, gerade in ihren Anfängen, schon die Basis gelegt habe, dass es auch funktioniert. Und so müssen wir halt einmal offen diskutieren und schauen, ob man etwas bewegen kann.

Und die IRC? Wie gefällt dir die IRC?

Ja, das ist eine Spielvariante. Die nämlich jene Dinge macht, über die wir zum Teil bereits gesprochen haben. Sie fahren in größeren Gebieten, sie fahren nachts. Im Prinzip machen die genau das, was wir uns alle wünschen.

Aber die FIA will damit nichts zu tun haben – denn Jean Todt hat ja gesagt, die IRC sei halt eine private Serie und habe nichts mit der WM zu tun. Auf gut deutsch: Interessiert ihn nicht.

Das ist wieder typisch Funktionär. Die IRC ist eine wirtschaftlich gut organisierte Serie, wo ein paar Leute mit Engagement, Willen und auch ein wenig finanziellem Risiko etwas auf die Beine gestellt haben, das super funktioniert. Und die natürlich mit der Rallye Monte Carlo einen super Flieger vorne dran haben, der auch zieht.

Und ich denke, dass eine Mischung aus WRC und IRC perfekt funktionieren würde. Aber jetzt kommen halt wieder die Egos und die persönlichen Dinge zum Tragen und da wird es wieder schwer, eine Zusammenführung zu finden.

Man weiß ja bei der WRC nicht einmal genau, wie das im nächsten Jahr aussehen wird – da gab es ja diese Horrormeldungen, wonach die zwei Hersteller zusammen nur acht von den neuen S2000-World Rally Cars mit Turbomotor auf die Räder stellen können…

Ja, es kommt wieder einmal alles mit der heißen Nadel und so ist es wieder einmal schwierig – weil die Umstellungsphasen immer so kurz sind. Weil man den Leuten nicht zugesteht, auch eine gewisse Planung auf die Beine zu stellen. Man muss doch auch ein Werk verstehen. Man muss verstehen, welche Prozesse in einem Werk von statten gehen. Die brauchen Budgets, die müssen ein Konzept vorlegen, da muss einer nachhaltig dafür unterschreiben und so weiter.

Ich habe vorhin mit dem Rauno Aaltonen gesprochen, der genau dieses Problem angesprochen hat: Dieses ständige Verändern ist einfach Gift für die Hersteller.

Ganz genau. Und witzigerweise macht man in der Formel 1 genau dasselbe. Aus einem Aktionismus heraus – es ist scheinbar überall so. Wenn ich dann sehe, dass irgendwo neue Geschäftsführer eintreten und ihr erster Schritt besteht darin, das Firmenlogo zu verändern, für zig Millionen - dann muss ich sagen: Leute, ihr habt es doch nicht mehr alle!

Wie so kleine, nervöse Hündchen, die immer gleich alles markieren müssen…

Ja, ja! Purer Aktionismus! Der nichts bringt, aber wirklich rein gar nichts – im Gegenteil! Da es die Leute nur verunsichert. Aber das ist scheinbar Fakt in der heutigen Gesellschaft: Man muss agieren. Ohne zu überlegen oder sonst irgendwas, man macht halt einfach.

Das beste Beispiel ist dafür der Mercedes-Stern. Das ist Schwachsinn pur. Man hat 20 Jahre dafür gebraucht, um den Mercedes-Stern dreidimensional zu machen, oder auf Neudeutsch in 3D zu gestalten. Und dann kommt so ein Knülch daher und sagt: ‚Ab morgen ist er wieder voll!’ Das hatten sie vor 40 Jahren schon. Das ist dann die moderne Lösung. Und als i-Punkt geht man noch weiter und trennt den Stern vom Schriftzug – der Stern ist jetzt oben und der Schriftzug ist unten. Ja super!

Einfach nur damit man zeigt…

…was für ein cooler Typ man ist. Fürchterlich.

Dann hoffe ich, dass du bei Jean Todt etwas bewirken kannst und bedanke mich für das Interview.

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