MOTORSPORT

  • Motorline auf Facebook
  • Motorline auf Twitter

Jahrhundert-Krimi

Entscheidung in der letzten Stunde: Kampf Peugeot-Audi bis zum Schluss, Audi setzt sich mit superber Strategie durch. Klien auf Platz 3!

Johannes.Gauglica@motorline.cc

„Was bisher geschah“, lesen Sie hier: Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

Reifenlotterie: Der Regen ließ am späten Morgen nach, aber es blieb noch lange nass und vor allem DRECKIG. Zahlreiche kleinere Ausritte während der Nachtstunden und ölige Defekte haben auf dem Circuit de la Sarthe eine g’schmackige Mischung aus Öl, Erde, Kies, Kohlefaser etc. hinterlassen.

Das warf die Frage auf: welche Reifen? Kurz nach 10 Uhr begannen einige Teams mit Intermediates zu experimentieren, eine Stunde später probierten die Mutigsten dann Slicks. Es war vorderhand noch keine gute Wahl.

Audi probierte ein taktisches Spielchen: Die schnelle Nr. 2 blieb auf Intermediates, die beiden anderen Autos fassten Slicks aus. Sie bezahlten dafür mit Rutschern und Drehern.

Im Löwenrudel kristallisiert sich die Nr. 7 als Ober-Löwe heraus, wahrscheinlich wird das Team in den letzten Stunden dann alle Aufmerksamkeit diesem Auto zuwenden. Klien & Co. im Auto Nr. 9 findet sich mehr und mehr in der Rolle des Geleitschutzes wieder.

Der Vorarlberger hat sich mit fabelhaften Leistungen in der regnerischen Nacht für seinen Ausrutscher um Mitternacht rehabilitiert, und als exzellenter Renn-(und nicht nur Test-)Fahrer erwiesen. Wenn er nächstes Jahr wieder Zeit hat, ist er bei Peugeot zweifelsohne willkommen.

Jacques Villeneuves Nacht war ebenfalls stressig: „Während meines Stints war eine Menge los! Die ersten beiden Turns musste ich es langsam angehen, um die Temperatur niedrig zu halten. Das ist behoben worden, aber dann hat es viel stärker zu regnen angefangen, und es wurde viel schwieriger!"

"Eine trockene Linie hat sich zu bilden begonnen, ist dann aber wieder verschwunden… - das größte Problem im Regen ist, dass wir aus den Kurven heraus die Kraft nicht auf die Fahrbahn bringen. Wenn der Turbo einsetzt, will sich das Auto eindrehen…“

US-Verschwörung gegen Wurz?

Ärger für Peugeot Nr. 8 (schon wieder) und Audi Nr. 1. In beiden Lagern gibt es einen „Kriegsversehrten“. Bei Peugeot ist das leider das Auto von Alex Wurz & Co.

Die Strategie „no mercy“ lässt sich mit schwächelndem Material nicht so ganz umsetzen. Das Peugeot-Pech konzentrierte sich immer mehr auf die Nr. 8. Rache des George W. für Wurz’ Sager im Qualifying? Sabotage, Verschwörung, Men in Black? Man muss aufpassen, was man im Interview sagt…

Knapp vor Mittag rapportierte der Niederösterreicher: „Die Bedingungen waren für die meiste Zeit während meines Turns sehr schlecht, sehr rutschig, dann mit mehr und mehr trockenen Stellen. Jetzt sind Slicks auf jeden Fall besser. Auf Intermediates war es wichtig, beim Überholen der langsameren Autos die Linie vorsichtig zu wählen, um die Reifen nicht zu ruinieren.“

Um 12.50 noch ein Dreher der Startnummer 8 bei Arnage (Fahrer: Lamy; es hatte wieder leicht zu regnen begonnen), nochmals an die Leitschiene gelehnt, nochmals an die Box für eine Reparatur, nochmals Probleme beim Boxenstop… - Freude beim CIA!

Um halb 12 war es Zeit für Slicks, die gesamte GT1-Phalanx fasste die Trockenreifen aus. Aston Nr. 009 übernahm nach den Routine-Stops wieder die Führung. Gleichgewicht des Schreckens: drei Stunden vor Schluss war das Rennen noch immer offen!

Aston-Mann David Brabham war trotzdem happy: „Es ist ein höllischer Kampf mit den Corvettes. Wir haben gewusst, dass es schwierig wird – und das ist es! Ich find’ es toll, dabei zu sein!“

Von der richtigen Reifenwahl

Der Aston Nr. 009 arbeitete langsam, aber sicher einen Vorsprung von knapp zwei Runden heraus und kreiste auf Gesamtplatz 13 um den Kurs. Für Wendlinger & Co. im Auto Nr. 007 wurden die Aussichten auf einen Podestplatz immer schlechter, die Corvette Nr. 64 arbeitete sich auf Platz 3 zurück.

Erstaunlich: Die Rundenzeiten in allen Klassen waren bei trockener Strecke bald wieder fast auf dem Niveau des superschnellen Samstages, also für einige Teams fast auf dem Niveau des Qualifyings. Das mit Autos und Fahrern, die einundzwanzig Stunden lang keine Pause bekommen haben!

Dieses trockene Zwischenspiel war um 13 Uhr zu Ende, der Regen setzte wieder ein und machte die Strecke noch rutschiger, als sie es ohnehin schon war.

GT2: Vorentscheidung

Um 12:30 kam der zweitplatzierte GT2-Ferrari an die Box, und blieb dort: Motorschaden! Fassungslosigkeit bei Virgo Motorsport, Ausfall zweieinhalb Stunden vor Schluss. Die tolle Leistung im Rennen ist ein schwacher Trost. Damit sieht Risi Competizione schon fast wie der sichere Sieger der GT2 aus.

Risi-Pilot Gianmaria Bruni hat sich als der überragende GT2-Fahrer profiliert. Er gibt nach einem langen Nachtflug einen Einblick in das Fahren bei Dunkelheit: „Es war okay; genauer gesagt war es sogar sehr okay! Wenn man in der Nacht im Auto ist, kann man seinen Rhythmus finden und es ist nicht so schwer, fast drei Stunden abzuspulen.“

„Ich habe keinerlei Probleme gehabt, und es hat gerade zu regnen angefangen, als ich schon auf meinem Weg an die Box war. Jaime (Melo) war weniger glücklich – er musste im Regen fahren!“

Audi-Drama knapp vor Schluss

Audi-Sportchef Dr. Wolfgang Ullrich setzt alles auf ein Pferd, und das hat die Nummer 2. Die Fahrer haben sich das Rennen in Riesenstücke von drei Stunden Fahrdauer eingeteilt; das schaffen nur die erfahrensten Profis.

Tom Kristensen, der erfolgreichste Le-Mans-Sieger aller Zeiten, und seine nicht weniger routinierten Kollegen Rinaldo Capello und Allan McNish setzen auf gleichmäßig hohes Tempo und nicht zuletzt kurze Standzeiten an der Box: Je weniger Fahrerwechsel, desto kürzer der Stop.

Der R10 TDI ist eindeutig servicefreundlicher als der 908 HDi, und etliche kleine Problemchen blieben dem deutschen Team erspart.

Kurz vor 13.00 dann die Schrecksekunde: Die führende Nr. 2 geriet mit einem kreiselnden LMP2-Auto aneinander. Audi-Fahrer Tom Kristensen optierte dafür, ohne Sicherheits-Boxenstop gleich weiterzufahren. Er hatte nur mehr zweieinhalb Minuten Vorsprung auf Peugeot Nr. 7.

„Knapp vor Schluss“: Mehr als eine Grand-Prix-Distanz war noch zu fahren, aber in einem 24-Stunden-Rennen ist das praktisch der Sprint zur Ziellinie.

Grand Prix

In der silbernen Ecke: Tom Kristensen, Dänemark. In der blauen Ecke: Nicolas Minassian, Frankreich. Zwei Schwergewichte im Langstreckensport! Inmitten aller Formel-1-Stars übernahmen zwei Fahrer ohne F1-Erfahrung die Verantwortung dieses finalen „Grand Prix von Le Mans“.

Beide Teams bereiteten sich auf einen Sprint vor. Nic Minassian musste auf’s Gas steigen, um den Rückstand aufzuholen. Kristensen wusste, dass über die fliegende Runde der R10 einen Nachteil hatte. Dazu das launische Wetter mit immer stärkerem Regen… - ein Klassiker?

Für Minassian ein Heimspiel, aber auch Kristensen war nicht allein. Die 40.000 dänischen Fans vor Ort (!!!) standen hinter ihrem Nationalhelden. Denn in der LMP2-Kategorie gab es für das dänische Team Essex mittlerweile einen sicheren zweiten Platz ohne Aussichten auf den Sieg.

Letzter Boxenstop für Audi: Kristensen wurde auf geschnittenen Slicks hinausgeschickt. Letzter Boxenstop bei Peugeot – und wieder Schwierigkeiten! Ein anderes Auto blockierte die Ausfahrt, der 908 musste mittels Wagenheber herumgeschoben werden. Und: Minassian blieb auf vollen Slicks! Die richtige Wahl?

Am Peugeot Nr. 8 wählten die Ingenieure dafür Regenreifen. Bizarre Reifenstrategie bei Peugeot! Dramatik auch um den letzten Podiumsplatz: Bei Audi marschierte der viertplatzierte Audi Nr. 3 direkt in die Garage, detto bei Peugeot die drittplatzierte Nr. 9!

Trockene Strecke draußen am Circuit de la Sarthe, tropfnasse Strecke im Start-/Zielbereich, im ganzen hatte Kristensen zunächst einen Vorteil und holte ein paar Sekunden Vorsprung heraus. Trockenheit, oder mehr Regen?

Va banque

Dann ein Ausrutscher für Minassian: Vor Tertre Rouge verlor der Franzose die Gewalt über das Auto. Er konnte nach einigen schnellen Drehern das Auto abfangen. Keine Zeit für einen Reifenwechsel! Kristensen im Audi wurde dafür von einem langsameren GT1-Auto attackiert.

Vierzig Minuten vor Schluss betrug der Abstand 2 Minuten und 40 Sekunden. 258.000 Zuschauer, so die offizielle Zahl, blieben auf ihren Plätzen, niemand dachte an die Abreise.

An den Boxen der Kampf der Strategen bei Audi und Peugeot. Audi-Chef Dr. Ullrich: „Wir glauben, da kommt noch ein Regenschauer…“ – und bei Peugeot wurden Regenreifen vorbereitet. Jacques Villeneuve war bereits pessimistisch: „Wir werden nicht gewinnen.“

Denn der Regen wurde wieder stärker. Minassian war eindeutig auf den falschen Reifen unterwegs. Resignation im Peugeot-Lager beim allerletzten Boxenstop des Peugeot Nr. 7, und jetzt endlich – aber zu spät – Regenreifen. Ende der Heldentaten. Oder?

Peugeot-Desaster

15 Minuten vor Schluss die große Ohrfeige für Peugeot – Minassian musste einen unkontrollierbaren Peugeot um den Kurs zwingen, verlor etliche Male beinahe die Kontrolle! Reifenschaden, Aufhängungsschaden?

Letzter Stop für den Leader: Regenreifen. Der Vorsprung des Audi Nr. 8 betrug jetzt mehr als eine Runde. Rinaldo Capello ist zumindestens äußerlich ruhig: „Wir glauben’s, wenn wir im Ziel sind…“ – Aber ein Lächeln am Gesicht von Wolfgang Ullrich.

Letzter Stop für den Zweitplatzierten: Ebenfalls ein neuer Reifensatz, keine Reparaturen. Ein Reifenschaden als allerletzter Sargnagel, fast eine Beleidigung für dieses Team.

Das Drama ist vorbei, Audi hat gewonnen!

LMP2: Winning for Holland

Die Debütanten von Van Merksteijn Motorsport mit dem Porsche RS Spyder hatten die Klasse unter Kontrolle, zur Freude ihrer Landsleute. Die Oranje-Fraktion zeigt unter dem nom de guerre „Drinking for Holland“ schon seit Jahren deutlich Flagge.

Jos Verstappen hat bekanntermaßen eine ähnlich unerschütterliche, freundlich-militante Fangemeinde. Diese beiden Bewegungen fanden sich in Le Mans zu einer mächtigen Demonstration von Sportsgeist und Partylaune zusammen.

Der Boss hat es seinen Anhängern nicht immer leicht gemacht, aber jetzt gab es dafür umso mehr Grund zum Jubeln und Feiern!

Die Sieger:

LMP1: Tom Kristensen/Rinaldo Capello/Allan McNish, Audi R10 TDI
LMP2: Jos Verstappen/Jeroen Bleekemolen/Peter van Merksteijn, Porsche RS Spyder
GT1: Darren Turner/David Brabham/Antonio Garcia, Aston Martin DBR9
GT2: Jaime Melo/Mika Salo/Gianmaria Bruni, Ferrari F430 GT

Die inoffizielle Klasse der Benziner geht an Henri Pescarolo, sein Team mit dem Eigenbau-Auto und den Fahrern Benoit Treluyer/Christophe Tinseau/Harold Primat schafft Platz 7 gesamt.
Die schnellste Lady im Feld ist Vanina Ickx auf Platz 11.
Die besten Rookies sind Christian Klien und Ricardo Zonta im drittplatzierten Peugeot.

Und Frankie Cheng ist nicht nur der erste Chinese in Le Mans, sondern auch gleich der erste Chinese am Podium: Platz 3 in der LMP2, Platz 18 insgesamt. Bravo!

Unsere Burschen!

Die österreichische Sicht der Dinge: Na schön, wir haben nicht gewonnen. „Cordoba ’08“ ist ausgeblieben. Als Entschädigung gab es ein Rennen, das an Spannung und Qualität nur schwer zu überbieten ist.

Fassen wir's zusammen: Christian Klien darf bei seinem Debüt in Le Mans den Champagner am Podium kosten; leider gibt es keine edle Rolex für den Sieg.

Pole Position, aber dann nichts als Ärger für Alex Wurz im Peugeot Nr. 8; es bleibt Platz 5 mit 13 Runden Rückstand.

Karl Wendlinger bleibt auf dem unbedankten Rang 4 in der GT1-Klasse, insgesamt Rang 16. Man durfte sich heuer in dieser Kategorie nicht ein einziges Problem erlauben, und leider hatte die Nummer 007 ein Problem zuviel.

Rang 24 gesamt für Horst Felbermayr sen., er durfte lange Zeit auf eine Sensation hoffen, verpasst aber um 3 Runden einen Podestplatz. Die Porsche mussten sich letztlich den Ferrari beugen.

Richard Lietz ist der einzige Ausfall aus rot-weiß-roter Sicht, schon in Stunde 2 kam das Ende nach einem Unfall.

Und feiern dürfen wir trotzdem, denn immerhin hat Audi einen österreichischen Sportchef. Ohne uns geht's ja doch nicht!

Morgen früh beginnt die Vorbereitung für den 77. Grand Prix d'Endurance, die 24 Stunden von Le Mans 2009.

News aus anderen Motorline-Channels:

24h Le Mans 2008

Weitere Artikel:

GP von Japan: Fr. Training

Regen in Suzuka: Oscar Piastri Schnellster

Oscar Piastri sicherte sich die Bestzeit im zweiten Freien Training zum Grand Prix von Japan und verdrängte damit Yuki Tsunoda noch von der Spitze

Gewinne Tickets für die komplette Rennwoche am Nürburgring

Kartenverlosung: 24h Nürburgring

Mit Motorline mittendrin in der Startaufstellung auf der Start-/Ziel-Geraden vor dem Rennen: Wir verlosen Top-Tickets samt Fahrerlager-Zugang für die gesamte Rennwoche des Vollgas-Spektakels Ende Mai, Anfang Juni

Starterliste 24h Le Mans 2024

23 Hypercars mit Habsburg und Bortolotti

Teilnehmerliste für die 24 Stunden von Le Mans 2024: 23 Hypercars - mit dabei auch Ferdinand Habsburg und Mirko Bortolotti, 16 LMP2 mit Rene Binder und 23 LMGT3 mit Richard Lietz und Klaus Bachler