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Schlaflos an der Sarthe

Warum bekommen Langstreckenpiloten kein Auge zu? Wer fährt wann? Gibt es die geheime Abkürzung? Und: ist F1-Erfahrung ein Nachteil?

Die meiste Zeit verbringt der Fahrer nicht im Auto, sondern mit dem Versuch, sich für seine nächste Schicht (im Racing-Sprech der „Stint“) auszuruhen. Das fällt trotz der Anstrengung im Auto mitunter nicht leicht:

„Letztes Jahr habe ich nur eine Stunde geschlafen, am Sonntag Nachmittag, wo eigentlich für mich das Rennen schon vorbei war und die anderen Fahrer die letzten zwei Stints gefahren sind. Ansonsten konnte ich eigentlich überhaupt nicht schlafen. Man steigt aus dem Auto aus und hat vier, fünf Stunden Zeit; eine Stunde lang ist man noch voll mit Adrenalin. Dann hat man ein Debrief mit den Ingenieuren, isst was – bis du dann im Bett liegst, sind eh schon eineinhalb Stunden vorbei.“

Auch die Technik hält die Fahrer wach: „Und dann hast du dieses kleine Kangaroo TV vor dir, wo du die ganze Zeit dein Auto auf der Onboard-Kamera hast… - da verfolgt man natürlich sein eigenes Auto! Für mich war es eigentlich unmöglich, zu schlafen. Aber man legt sich natürlich hin, schließt die Augen und kann sich ein bisschen erholen.“

Aber die Gedanken rennen weiter, und das Rennen auch, in voller Lautstärke: „Wir sind hinter den Boxen untergebracht, achtzig Meter neben der Rennstrecke. Dort ist es auch sehr laut. Das Schlafen ist da auch nicht ganz so einfach..“

Es fahren also in der Früh viele unausgeschlafene Fahrer? – „Sowieso, aber nicht nur in der Früh! Der Sonntag ist ewig lang. Wenn so um 5, 6 Uhr die Sonne aufgeht, sind es immer noch neun Stunden, bis das Rennen vorbei ist! Und das zieht sich dann so ewig lang hin… - Sonntagmorgen, Sonntag Mittag ist eigentlich die härteste Zeit.“

Wer, wann, wo?

Die Piloten müssen während des Rennens natürlich wissen, wann sie für den Fahrerwechsel parat sein müssen bzw. sich zur Nachtruhe (oder: zum Fernschauen) zurückziehen können. Die Abfolge der Fahrer ist im Prinzip bereits festgelegt, unumstößlich ist sie aber nicht:

„Zum Beispiel war voriges Jahr angedacht, dass ich Sonntag Morgen zwei Stints fahre, dann waren aber die Verhältnisse so schwierig, dass ich gesagt habe, ich bleibe lieber im Auto, weil auf der einen Seite der Strecke war es halbtrocken, auf der anderen war’s nass. Wenn man da die Bedingungen kennt, ist es besser, man bleibt im Auto – auch weil ich zu der Zeit ca. 4 bis 8 Sekunden schneller war als der Rest auf der Strecke! Und ich bin dann schlussendlich 3 Stunden 20 im Auto gesessen. Es gibt also keine fixen Slots, man kann nicht sagen: ich fahr’ fix dann und dann. Es kann sich immer wieder verschieben.“

Außerdem kommt es auf den Zustand der Reifen an: „Im Normalfall fahren wir zwei Stints mit einem Reifensatz durch. Es kann sein, dass der Reifensatz noch relativ gut ist, und man versucht dann noch einen dritten Stint. Das kann nur der Fahrer im Auto selber entscheiden.“

Diesel-Dominanz?

„Direkt vom Speed her haben sie keine Chance“, ist Kliens Einschätzung der Siegchancen der Benzin-befeuerten Prototypen, „ich denke, dass sie sicher drei, vier, zum Teil fünf Sekunden pro Runde langsamer sind. Aber während des Rennens sind so viele Autos auf der Strecke, dass man das volle Potential des Autos gar nicht ausnützen kann. Letztes Jahr zum Beispiel sind wir im Qualifying 3:18 gefahren; im Rennen waren es im Schnitt 3:24. Dadurch kann man auch mit dem langsameren Auto, wenn man sehr gut überholt oder sehr am Limit fährt, immer noch ähnliche Zeiten gehen wie die Autos vorne. Und in den 24 Stunden kann natürlich so viel passieren, dass sie sicher die Möglichkeit haben, aufs Podium zu fahren. Wir schätzen die schon auch als Konkurrenten ein.

Die 2008er-Traumrunde von Stephane Sarrazin mit 3:18 hat dem ACO soviel Kummer bereitet, dass man die Aerodynamik aller LMP-Fahrzeuge beschnitten und den Dieseln zusätzliche 30 Kilo Ballast aufgebrummt hat. Das hat zwei bis drei Sekunden pro Runde gekostet, „außer wir finden eine Abkürzung!“

Voriges Jahr ging Zeit an der Box verloren, zum Beispiel beim Reinigen der Kühler. Ob dieses Problem für heuer gelöst ist, kann Klien nicht mit Sicherheit sagen: „Es kommt drauf an, wie viel Laub auf der Strecke liegt. Das ist das Problem, und das können wir auch nicht simulieren. Auf der Teststrecke in Paul Ricard liegt kein Laub, in Le Mans kann das vorkommen. Aber wenn wir den Kühler reinigen müssen, dann sind wir jetzt schneller.

Gentlemen und Profis

Gefragt nach seiner wichtigsten Erfahrung aus seiner Premiere 2008, sagt der Vorarlberger: „Alles! Ich bin letztes Jahr ins kalte Wasser geworfen worden, bin vorher noch nie ein Langstreckenrennen gefahren. Deshalb es für mich selber eigentlich eine Überraschung, auf dem Podium zu stehen.“

Heuer teilt sich Klien die Woche bereits besser ein: „Ich weiß, was auf mich zukommt. Ab Mittwoch freies Training, Qualifying, viele Pressetermine, Sponsorsachen, man kann sich das ganze Wochenende im Vorfeld schon besser einteilen und ist mental besser bereit.“

In die Rubrik der wichtigen Erfahrungen des Rookies fiel auch eine kleine Kollision mit einem langsameren Fahrzeug. Das war die Bekanntschaft mit dem unbekannten Wesen namens Gentleman Driver:

„In der Formel 1 oder Formel 3 sind es im Normalfall alles sehr professionelle Fahrer, man weiß ungefähr, wie die reagieren. In Le Mans können in den langsameren Kategorien teilweise auch Amateurfahrer dabei sein, die so überfordert sind, dass du für sie mitdenken musst. Das war mir letztes Jahr nicht klar. Nach diesem Crash dann schon! Wenn man etwas vorsichtiger und überlegt an die Sache herangeht, hilft das sehr viel.“

Wie groß sind die Geschwindigkeitsunterschiede zwischen LMP1 und GT2?: „Auf die Runde sind es bis zu vierzig Sekunden, beim Topspeed 70, 80 km/h auf den Geraden. Wenn es regnet, hast du noch die Gischt vor dir, da siehst du natürlich fast nix. Das ist dann schon extrem heiß…“

Überholt wird also viel, und die blauen Flaggen kommen während der 24 Stunden Renndauer kaum zur Ruhe. Auch nicht während der Nacht: „Die Flaggen sind alle beleuchtet und werden quasi im Licht geschwenkt. Das sieht man sehr gut. Es hat auch Ampeln, wie es sie in der Formel 1 auch gibt, die gelbe und blaue Lichter anzeigen.“

F1-Fahrer ungeeignet?

Provokante Frage aus dem Publikum zum Schluss: im Werksteam von Peugeot (ein vierter 908 fährt ja unter dem Banner von Pescarolo) sind lauter Formel-1-erfahrene Piloten am Steuer, bei Audi hat nur Allan McNish Grand-Prix-Luft geschnuppert.

Dennoch hat Audi Peugeot zweimal geschlagen. Sind Formel-1-Fahrer für Le Mans womöglich ungeeignet?

Sind sie nicht, sagt Christian Klien logischerweise, „aber es ist halt eine andere Art des Rennfahrens. Ein schneller Formel-1-Fahrer wird sicher auch in Le Mans schnell sein. Er braucht ein bissl Zeit, bis er diesen Rennrhythmus gewöhnt ist; das Überholen und so weiter. Aber wir gewinnen’s dieses Jahr!“

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