
Wie schnell ist Schrittgeschwindigkeit? | 11.03.2021
Wenn Fahrzeuge "gehen" sollen
In verkehrsberuhigten Bereichen, etwa in Spielstraßen, bei haltenden Bussen mit Warnblinklicht und an Haltestellen von Straßenbahnen ist für vorbeifahrende Fahrzeuge Schrittgeschwindigkeit vorgeschrieben. Doch wie schnell ist das eigentlich genau?
Johannes Posch
Das Problem: In der Straßenverkehrsordnung ist weder in Österreich, noch Deutschland oder der Schweiz explizit festgelegt, welches Tempo in km/h bei Schrittgeschwindigkeit eingehalten werden muss. Wohl aber gibt es Maßstäbe, an denen man sich theoretisch orientieren kann: Die Wissenschaft geht landläufig davon aus, dass zu Fuß gehende Menschen eine Geschwindigkeit von 1 Meter pro Sekunde erreichen. Das wären umgerechnet rund 3,6 km/h. In den Richtlinien für Lichtsignalanlagen (also Ampeln) wird wiederum für die Ermittlung der Mindestgrünzeit mit Ampelräumzeiten gearbeitet, derer natürlich ebenfalls Werte für die "Schrittgeschwindigkeit" zu Grunde liegen. In Deutschland wären das 1,2 m/s (4,3 km/h) mit einer Schwankungsbreite von 1,0 bis 1,5 m/s (3,6 km/h bis 5,4 km/h). In Österreich hingegen rechnet man mit dem zuvor angegebenen Wert von 1 m/s (3,6 km/h), in der Schweiz wiederum mit 1,2 m/s (4,3 km/h).
Man sieht also: Obgleich kein Wert fest definiert ist, zeichnet sich ein Muster ab: Über 5 km/h sollten es nicht sein. Im Falle eines Falles liegt es dann jedenfalls an den Gerichten zu entscheiden, ob es nun "Schrittgeschwindigkeit" war oder nicht. Und auch das passierte schon des Öfteren – mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen: Der Oberste Gerichtshof in Österreich etwa setzte „Schrittgeschwindigkeit“ für Fahrzeuge mit den auch von uns geschlussfolgerten 5 km/h an. Die deutschen Oberlandesgerichte in Brandenburg, Köln und Karlsruhe legten hingegen 7 km/h fest. Das in Hamm allerdings 10 km/h und das in Leipzig 15 km/h.
Darüber hinaus wurde während Verfahren und Diskussionen zu dem Thema natürlich öfter das Problem ins Feld geführt, dass auf einem klassischen Analog-Tacho ein so niedriger Geschwindigkeitsbereich gar nicht exakt auszumachen sei.
Am Ende läuft es also – aller Rechtssprechung zum Trotz – auf ein wenig gesunden Menschenverstand hinaus: In Momenten, in denen Schrittgeschwindigkeit vorgeschrieben ist, sollte man also seine Geschwindigkeit so wählen, dass man jederzeit und möglichst augenblicklich vor einem plötzlich auftretenden Hindernis stehen bleiben kann. In der Regel also vor einem vors Gefährt tretenden Menschen. Egal ob es nun ein aus dem Bus aussteigender Erwachsener oder ein auf der Straße spielendes Kind ist.
Als Faustformel für Autofahrer gilt: Den Wagen rollen lassen, und zwar im ersten Gang. Wer sich nicht an eine vorgegebene Schrittgeschwindigkeit hält, muss mit einem Bußgeld zwischen 30 Euro bis zu 80 Euro und im letzteren Falle mit einem Fahrverbot rechnen.
Übrigens: Der Begriff "Schrittgeschwindigkeit", dessen Vorschrift natürlich auch für Motorrad- und Fahrradfahrer gilt, stammt in seinen Grundzügen noch aus der Zeit der Pferdekutschen. Da wurde etwa festgelegt, dass ein Kutscher bei unbesetzter Kutsche „im Schritt fahren“ muss; „auch im Trabe fahren“ durfte man so hingegen nur außerhalb der Stadtzentren. Sobald Fahrgäste an Bord waren, durfte auch dort flotter gefahren werden, sofern nicht ein Schild mit den Worten „Stets Schritt fahren“ darauf wieder einbremste.