AUTOWELT

  • Motorline auf Facebook
  • Motorline auf Twitter

Pulsbeschleuniger

Wehe, wenn er losgelassen: Der Lamborghini Huracan LP 610-4 Spyder katapultiert sich in 3,4 Sekunden auf Tempo 100 und bis auf 324 km/h.

Jrgen Zöllter/mid

Wer Autofahren als Transportaufgabe betrachtet, sollte nach diesem Satz nicht weiter lesen! Denn im Folgenden geht es um einen automobilen Pulsbeschleuniger, der das Tier im Menschen weckt, überwiegend in Männern mit Hang zum Exhibitionismus.

Nämlich um den neuen Lamborghini Huracan LP610-4 Spyder, einen offenen Zweisitzer mit Rasiermesserscharfen Konturen, der bereits parkend droht, die guten Sitten der automobilen Gesellschaft über Bord z werfen.

Weit aufgerissene Nüstern scheinen den Asphalt zu erschnüffeln. Darüber wachsen Fronthaube und Windschutzscheibe verwerfungsfrei zu einem flachen Keil. In dessen Windschatten liegt die knapp geschnittene Pilotenkanzel, dahinter ein riesiger Maschinenraum.

Kapitän und Copilot schlängeln ihre (vorzugsweise schlanken) Körper unter die nahezu horizontal liegende Windschutzscheibe in Sitzschalen. Die Schraubbewegung erfolgt abwärts, denn in diesem Kampfjet auf Rädern kauert man nur wenige Zentimeter über der Straße. Um nichts dem Zufall zu überlassen, liegt der Zentralschalter der Befeuerungsanlage hinter einem Schutzgitter verborgen. Man klappt es hoch, drückt den Auslöser - und nun gibt es kein Zurück!

Explosionsartig springt die Befeuerung an, infernalisch bellend aus dem Heck, und fällt missgelaunt in den Leerlauf zurück. Direkt hinter den Sitzen ist das 5,2-l-Zehnzylinder-Triebwerk erwacht, darf mit seinen fetten 610 PS aber nicht gleich losschlagen.

Zuvor muss der Pilot das Temperament des Kampfstieres vorwählen. Zur Auswahl stehen drei Modi, Charakterausprägungen des Lamborghini, wenn man so will. Doch Strada, Sport und Corsa sind eher Aggressionstreiber automobiler Gelüste, vergleichbar vielleicht mit den Temperamenten eines Fischers, Jägers und Scharfschützen. Mutig entscheiden wir uns gleich für Sport. Denn Cruisen im Strada-Programm ist der Prozessionsfahrt auf Einkaufsstraßen vorbehalten.

An riesigen Schaltflügeln hinterm Lenkrad wählen wir den ersten von sieben Gängen des Doppelkupplungsgetriebes, legen dessen Automatikmodus schlafen, und wagen den wilden Ritt.

Er beginnt mit einem Raketenstart auf 100 km/h in nur 3,4 Sekunden. Es geht geradeaus, der Allradantrieb sorgt für exzellente Traktion, die Lenkung bleibt feinfühlig, und die Wut der Zehnzylinder-Maschine in Mittellage intoniert das alles übertönende Spektakel.

Mit Zupfen am Schaltflügel rechts springen die nächst höheren Gänge ein. Unmittelbar, womit auch die Stimmlagen wechseln. Mit tiefem Grollen geht's los, ab 4.000 Touren wetteifert ein melodischer Gesang mit den Windgeräuschen, die ab 6.000 Touren schließlich kaum mehr wahrgenommen werden.

Denn nun sägt das Triebwerk alle Nebengeräusche nieder. Gaswechsel, das Kraftwerk fällt in den Schub und ballert brabbelnd eine Art Abgesang. Wir atmen erst einmal durch.

Kurven nimmt der Huracan Spyder wie sein Schwestermodell, das Coupé: Moderat und nicht zu spitz lenkt der Vorderwagen ein, spurt ausgezeichnet auf der Ideallinie und nimmt am Kurvenausgang explosiv Gas an. Letztere Eigenschaft haben inzwischen viele Konkurrenten verloren.

Anders als diese pflegt Lamborghini im Huracan noch die Spontaneität eines frei atmenden Motors. Er muss nicht erst auf den Aufbau des Ladedrucks durch Turbos warten, sondern legt sofort los. Was auch das Mitlenken des Hecks übers Gaspedalspiel erlaubt - soweit es die Elektronik zulässt.

Im Corsa-Modus natürlich mehr als im Sport. Zum Cruisen in Strada fragt niemand danach. Unvermeidbar teilt der Spyder ein Dilemma mit der Coupé-Version, wenn's rasant durch enge Kurven geht: Die Breite seiner Leichtbaukarosserie aus Aluminium und CFK-Verbundmaterial von stattlichen 192 Zentimetern im Verein mit der tiefen Sitzposition erschweren das Anpeilen des Kurveninneren und beeinträchtigen die Handlichkeit.

Bis zu 324 km/h soll das vielschichtige Spektakel aus wuchtigem Antritt, infernalischem Gesang und erfreulicher Fahrpräzision anhalten. Übrigens unabhängig davon, ob das dünne Zeltdach aufgespannt ist oder unter einem Deckel im Heck verstaut liegt.

Wir haben es nicht ausprobiert! Die Faszination dieses Huracan Spyder sehen wir weniger im hochdynamischen Grenzbereich, als mehr im Wechselspiel seiner unbändigen Kraft mit der Lenkung, dem Alu-Fahrwerk mit geregelten Dämpfern, den hervorragenden Keramik-Bremsen und natürlich den Reaktionen des gesellschaftlichen Umfelds.

Wer mit seinem Selbstwertgefühl hadert, sollte von diesem Kampfstier, den Lamborghini im Firmenwappen trägt, die Finger lassen. In den Augen von Passanten wird der Pilot gewissermaßen selbst zum Stier.

So faszinierend die Zwei- oder Dreisamkeit mit diesem Huracan LP610-4 Spyder ist, so schwer fällt es, unauffällig im fließenden Verkehr mitzuschwimmen. Selbst in Miami, wo erstaunlich viele Lamborghini an den Straßenrändern parken, scheint diesen Spyder niemand zu übersehen.

Wer sich daran stört, kann in nur 17 Sekunden das knapp geschnittene Zeltdach schliessen. Natürlich elektrisch. Dazu muss man nicht einmal anhalten: bis 50 km/h inszeniert der Spyder das Ereignis auch fahrend. Auf Floridas Straßen entzieht man sich den Blicken anderer Autofahrer dann nahezu völlig.

Weil der mit 112 Zentimetern niedrigste Roadster im Supersportwagen-Segment hier auf Augenhöhe mit den Stoßfängern der SUV-Gemeinde und auf Höhe der Radkappen von Peterbilt und Co. liegt. Den Cowboys an ihren Lenkrädern bleibt fortan nur der Blick auf schmale Sichtschlitze und das martialische Schuppengeflecht überm Mittelmotor.

Sollten Kritiker automobiler Spielzeuge, zu denen dieser Lambo Huracan Spyder uneingeschränkt zählt, tatsächlich bis hier weitergelesen haben, dürfen zur abschließenden Meinungsbildung Treibstoffverbrauch und Preis erwähnt sein.

Als Normverbrauch gibt Lamborghini 12,3 Liter je 100 km an, was 285 g/km CO2-Emissionen bedeutet. Klingt nach Verschwendung? Angesichts gleichermaßen minimaler Zulassungszahlen und Kilometerleistungen, sollte man Großmut bewahren.

Für den Huracan Spyder ruft Lamborghini in Deutschland mindestens 221.875 Euro auf. Der Österreich-Preis ist noch nicht bekannt, die in diesem Fall bösartig hohe Bolidensteuer NoVA sorgt aber ganz sicher für einen 3er in der ersten Preis-Stelle.

News aus anderen Motorline-Channels:

Weitere Artikel:

BMW i4 M50 & Co fürs Wochenende

Luxus-Elektroautos mieten

Premium E-Autos wie BMW i4 M50, Porsche Taycan oder Audi RS e-tron GT für ein Wochenende mieten. Fahrspaß trifft Nachhaltigkeit.

Super-Test-Sommer 2025 von AUTO BILD Österreich

Werden Sie Testfahrer für ein Sommer-Weekend!

Sechs Testautos stehen bei dieser Fahraktion für die Leser der bekannten Automobilzeitschrit bereit: Erleben Sie ein Wochenende lang eine der Autoneuheiten und berichten Sie darüber in Bild und Text!

Neues Segment, neues Glück

Vorstellung: Das ist der neue Dacia Bigster

Die fünfte Baureihe von Dacia geht in die nächsthöhere Klasse der beliebten Kompakt-SUV und richtet sich auch gezielt an Flottenkunden. Der Name ist beim Bigster Programm, nur die Preise bleiben erstaunlich klein.

Grobes Profil, grobe Ergebnisse

All-Terrain-Reifen im Test

Der ÖAMTC nahm acht Modelle genauer unter die Lupe – mit schockierenden Ergebnissen. So fallen die Bremswege auf Asphalt deutlich länger aus als mit Ganzjahresreifen.

Mit dem Tayron erhebt VW eine ehemalige Tiguan-Variante zum eigenständigen, betont hochwertigen und luxuriösen Modell. Inklusive sieben Sitzen, viel Technik und Komfort.