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Rennwagen eben ...

Der KTM X-Bow GT-XR ist ein in vieler Hinsicht einzigartiges und bemerkenswertes Auto. Sein Anblick im Rückspiegel erinnert daran, dass einst öfter über „Überholprestige“ geredet wurde, Kinder und Junggebliebene haben beim Vorbeifahren das Wort „Batmobil“ auf den Lippen und spätestens wenn man ein und aussteigt, klappen die Kinnladen aller Passanten runter. Als Fahrer wiederum kommt einem, spätestens wenn man das abnehmbare Lenkrad angesteckt und die Vierpunktgurte festgezogen hat, zwangsläufig der Gedanke: Wie zum Teufel hat DAS eine Straßenzulassung bekommen?!

Johannes Posch

Es gibt da draußen viele Autos, die mit „Motorsport-Genen“ werben. Das ist schon an und für sich bei manchen Herstellern glaubwürdiger als bei anderen. Dennoch verschiebt der GT-XR nachhaltig und gravierend den Maßstab dafür, was diesbezüglich noch als legitim durchgeht und was als an den Haaren herbeigezogen wirkt. Geräuschdämmung? Pah! Infotainment? Ballast. Airbags? Pfff. Türen? Lieb. Das braucht der Über-Straßen-KTM alles nicht. Stattdessen gibt es Karbon einfach überall, eine Quad-Lock-Halterung fürs eigene Smartphone, direkt ins Monocoque eingearbeitete Sitzschalen, eine Feuer spuckende Abgasanlage und die wohl zweifellos spektakulärste Art ein Auto zu öffnen und zu schließen, die wir jemals gesehen haben. Und doch wirft der Wagen auch kritische Fragen auf …

Tankstellengespräche


Nicht auf den KTM X-Bow GT-XR angesprochen zu werden, ist im Alltag quasi unmöglich. Vor allem an der Tankstelle. Das liegt aber auch daran, dass man schon ohne Plaudern eine ganze Weile dort verbringt, will man von „Reserve“ auf „Voll“ auffüllen. Bis jedwede Luft aus dem 96 Liter fassenden Tank durch Hochoktaniges ersetzt ist, dauert's halt ein bisserl. Also steht man brav Rede und Antwort zum Auto. Die Fragen sind aber sowieso immer recht ähnlich. Erst die Eröffnung: „Was bitte ist DAS denn für ein Auto?“. Naheliegend, wobei so manch Kenner zum Einstand freilich auch mit Fragen in die Richtung von "Ist das der neue X-Bow?" die Partie eröffnet. Passierte beides circa gleich oft. Weniger häufig kam vor, dass wir nach der wahrheitsgemäßen Antwort "Ein KTM X-Bow GT-XR." gefragt wurden, ob der denn elektrisch sei; wobei das zugegeben nicht im erwähnten Tankstellensetting passierte. Wie auch immer. In der Regel folgt sodann der Fragenkatalog aus der Auto-Quartett-Ecke: „Und was hat das so für a Leistung?“. Also widmet man sich mehr oder minder ausgiebig dem Antriebsstrang. Erklärt, dass hier ein aktueller Fünfzylinder-Turbomotor von Audi verbaut ist, der auf stolze 500 PS und 581 Newtonmeter Drehmoment aufgeblasen wurde (wortwörtlich) und gemeinsam mit dem 7-Gang-DSG und Hinterradantrieb für eine 0-100 Zeit von 3,4 Sekunden und einen Top-Speed von 280 km/h gut ist. Die Mundwinkel wandern bei gleichzeitigem Kopfnicken anerkennend nach unten, die große Begeisterung bleibt aber meist aus. E-Autos, vor allem die von Tesla und zuletzt Rimac, haben einem als Benzin-Verfechter irgendwie den Spaß an Beschleunigungszahlen verdorben.

Doch weiter im Konversationsprotokoll. Die nächste Frage ist in Hinblick auf Österreichs tief verwurzelte Finanzfixierung auch aufgelegt: „Und was kost‘ der?“. Also ruft man sich das Datenblatt in Erinnerung und rezitiert: „Naja, Netto sind’s EUR 368.199,07,-. Dann kommen bei uns noch 20 % MwST und 22 % NoVA dazu. Also nochmal EUR 73.639,81,- und 81.003,79,-. Macht – so wie er da steht, mit der transparenten Matt-Lackierung für den Karbon-Overkill-Look (25.750,-), Keramik-Bremsanlage (17.980,-) und noch ein bisserl was – insgesamt 522.842,68 Euro.“ Die Reaktion darauf ist in der Regel deutlich ausgeprägter als die auf die Leistungsdaten. Die sich einem selbst schon die ganze Zeit aufdrängende Frage, ob er das wirklich wert ist, kommt dann auch ab und an auf, ist dann aber schon schwieriger zu beantworten …

Alles ist relativ


Stammleser wissen, dass wir erst unlängst einen McLaren Artura in unserem Testfuhrpark begrüßen durften. Also ein Auto, das schneller, stärker, deutlich besser ausgestattet und optisch auch nicht gerade fad ist, dabei in der Basis aber nur die Hälfte (!) unseres X-Bow GT-XRs kostet. Da können einem schon Zweifel an der Preisgestaltung aus Mattighofen kommen. Doch denken wir mal weiter. Was ist etwas wert? Wie definiert sich ein „Wert“ für uns? Die Antwort darauf ist individuell. Eine sechsstellige Summe teure IMAX-Kamera wird für den ambitionierten Handy-Filmer kein guter Deal sein. James Cameron hingegen dürfte sie das „wert“ sein. Und warum ist die hinter Panzerglas im Louvre hängende Zeichnung einer verschmitzt grinsenden Italienerin so viel mehr wert, als der expressionistische Wachsstift-Exzess eines Dreijährigen? Natürlich sind beide Analogien für Autos nicht perfekt passend, sie verdeutlichen aber dennoch, worauf wir hinauswollen. KTM selbst tituliert den X-Bow GT-XR als Statement-Car. Klar: Man könnte sich um dasselbe Geld auch zweifellos ähnlich schnelle Geräte aus dem Hause Porsche, Ferrari, Lamborghini und Co. holen, doch keines davon ist auch nur ansatzweise so eine Erfahrung wie der KTM.

Verdammt, für Verrückte wie uns ist schon allein das elektrisch auf- und zuschwingende Jetfighter-Canopy, das auch die Bildschirme für die „Rückspiegel“ beheimatet, locker 100.000 Euro wert. Mindestens. Dann schwingt man sich mehr oder minder elegant über all das nackte Karbon ins Cockpit, schnappt sich das abnehmbare Lenkrad (erstklassiger Diebstahlschutz übrigens: einfach das Lenkrad mitnehmen), spürt beim Aufstecken förmlich, wie der Testosteronspiegel steigt, zurrt die Vierpunktgurte fest und realisiert, dass man in nichts Geringerem als einem verdammten Rennwagen sitzt. Das macht sich durch die extrem tiefe und dank verstellbarer Pedalerie und dem nahe am Oberkörper sitzendem Lenkrad fantastische Sitzposition ebenso bemerkbar, wie durch die Sicht: Über die Schulter ist diese de facto Null, nach vorne top, aber durch den vertikal stehenden Scheibenwischer zweigeteilt. Rennwagen eben. Und auch bei der Bedienung verströmt das Auto Rennsport-Feeling wie sonst nichts, auf das man Taferl montieren und damit Semmeln holen kann. Das meiste erledigt man direkt übers Lenkrad. Entweder über mit den Daumen jederzeit perfekt erreichbare Knöpfe (Blinker, Licht- und Standardhupe und Moduseinstellung zum Beispiel) oder über Drehschalter (Scheibenwischerregelung). Es gibt aber auch ein kleines LCD-Panel in der Mittelkonsole, über das die Temperatur- und Lautstärke reguliert gesteuert werden kann (PS: ja, es gibt eine Klima-Anlage). Dieses kleine Paneel ist aber nicht kapazitiv, wie etwa bei aktuellen Smartphones und auch Autos, sondern resistiv; reagiert also wie klassische Knöpfe nur, wenn es einen bestimmten Weg hineingedrückt wird. Nur so kann garantiert werden, dass man sie nicht nur bei Rennstrecken-Tempo, sondern vor allem auch mit Rennhandschuhen bedienen kann. Auf die Gefahr hin, uns zu wiederholen: Rennwagen eben.

Und dann drückt man endlich auf den, übrigens wie auch der Schlüssel 1:1 von Audi übernommenen Startknopf und erweckt den so charakteristisch wie eh und je klingenden Fünfzylinder zum Leben. Alles vibriert, der Lautstärkenpegel ist schon im Stand immens hoch. Ihr wisst schon: Rennwagen eben. Die rechte Hand wandert auf den aus Aluminium gefrästen Wahlhebel fürs Getriebe, die Finger entriegeln, mit viel mechanischem Karacho knallt man ihn nach hinten, in „D“ ... und zieht dann nochmal kurz. Damit schickt man den GT-XR nämlich in den Sport-Modus. Jetzt öffnet sich die Klappe der Abgasanlage und die Geschichte wird noch ein bisserl lauter. Experten schalten den Wagen übrigens schon vor Fahrtantritt mittels Doppeldruck der Race-Taste am Lenkrad mit eingeschalteter Zündung in den Performance-Mode – dann ist die Klappe schon beim Anfeuern offen. Freut zwar die Nachbarn vielleicht nicht unbedingt, ist aber extrem gut für den eigenen Endorphinlevel.

Kurios dabei: Während man mehr oder minder künstliches Auspuffbrabbeln- und Knallen bei so manchen Autos mit „Rennsport-DNA“ schon über Lautsprecher ins Interieur gespielt bekommt, kracht und rotzt der GT-XR ganz authentisch. Nur hört man es nicht, wenn man selbst am Steuer sitzt. Was man dafür hört, und zwar überdeutlich, ist jeder kleiner Kieselstein in den nackten Radkästen, jeden Wechsel des Straßenbelages und vor allem den Turbo, der gefühlt direkt neben dem rechten Ohr zunehmend Luft holt und zwitschert wie in den besten Fast & Furios-Zeiten, sobald man abrupt vom Gas hupft. Herrlich.

Ebenso wie das Fahrverhalten. Latscht man fest aufs Gas ist die Beschleunigung „adäquat“, das Getriebe flott, aber glücklicherweise nicht so brutal wie das sequentielle 6-Gang Motorsportgetriebe von Holinger, das im GT2-Rennwagen zum Einsatz kommt. Zudem reagiert es jederzeit schnell auf Befehle, die ihm die ebenfalls immens lauten und am Lenkrad montierten Schaltpaddels weitergegeben werden. Doch es ist nicht die Gerade, auf der der GT-XR zeigen kann, was er drauf hat. Es sind die Kurven. Schon beim ersten Anbremsen wird klar, dass die Keramik-Bremserei mit acht Kolben vorn und vier hinten mehr aus üppig dimensioniert ist, um die 1130 Kilo Trockengewicht des Autos bestens im Griff zu haben. Dann: Einlenken. Die Nase sticht gierig in die Kurve, das durch die Lenkung in die eigenen Handflächen weitergegebene Feedback ist hoch, der mechanische Grip extrem, das Chassis kommunikativ. Mittelmotor-typisch bleibt der GT-XR lang neutral, drängt mit dem Heck aber auch nicht zu überraschend abrupt nach außen. Dabei sei gesagt: Das ESP blieb bei uns immer aktiv. Einerseits, weil KTM darum bat. Andererseits, weil selbst so die Elektronik keine übertriebene Spaßbremse ist. Leichtes „schwanzeln“ ist also jederzeit drin, während man eine Serpentine nach der anderen attackiert. Unser Testwagen war noch mit einem eigens für den Wagen zusammengestellten, härteren Prototypen-Fahrwerk unterwegs, die Charakteristik und vor allem Härte der Sachs-Konstruktion soll aber dem Serienstand sehr nahekommen. Zweifellos schafft sie augenblicklich eine Menge Vertrauen, zeigt aber auch deutlich auf, wo der lokale Straßenerhalter noch was zu tun hätte. Aber gut: Rennwagen eben.

Auf der Autobahn wiederum bewies der Top-KTM einerseits trotzdem durchaus Langstrecken-Potenzial, zeigte aber vor allem ganz neue Stärken. Erst hier merkt man nämlich, wie ernsthaft betriebene Aerodynamik sich auf das Fahrverhalten eines Autos auswirken kann. Wirkt der GT-XR bei niedrigerem Tempo noch durchaus unruhig, drückt er sich ab ca. 150 km/h fest und satt in den Asphalt; vermittelt immense Stabilität. Auch bei Regen übrigens, mit dem uns Österreichs Wetter während dem Testzeitraum ausgiebig bedachte. Nicht unbedingt was wir uns erhofft hatten, immerhin aber eine Möglichkeit für den KTM zu zeigen, wie cool eine aerodynamisch geformte Gischt-Fontäne hinterm eigenen Auto aussehen kann. Vor allem, wenn sie dann durch die blauen Flammen aus dem Auspuff verziert wird … Rennwagen eben.

FAZIT

Es ist schwer zu glauben, dass der KTM X-Bow GT-XR, so wie er hier steht, tatsächlich eine Straßenzulassung bekommen hat. Doch er ist nicht nur deswegen schlichtweg großartig. Ja, es gibt da draußen Autos, sie sind um teilweise deutlich weniger Geld stärker und alltagstauglicher zugleich. Doch spätestens, wenn man ihn mit Semi-Slicks ausstaffiert, kann keines davon dem KTM GT-XR in seinem eigenen Spiel das Wasser reichen. Er ist der definitive Endgegner jedes Track-Days, der es auch mit Autos aufnehmen könnte, die nicht legal auf eigener Achse anreisen dürfen. Natürlich ist das nichts für jedermann. Doch abgesehen davon, dass die Welt als Autonarr einfach ein besserer Ort ist, seit es den KTM X-Bow GT-XR gibt, dürfte das Konzept auch wirtschaftlich aufgehen. Die Produktion bei KTM ist bereits bis 2025 ausgelastet, die Wertentwicklung der ersten ausgelieferten Autos auch für deren Besitzer mehr als positiv, was man so hört. Gut so. Damit wäre nämlich soweit alles gerichtet, dass sich KTM nach der GT2-Version, auf der dieses Auto basiert, an eine GT3-Version machen kann, also eine für die nächst-höhere Klasse. Vermeintlich wird das in Mattighofen gerade überlegt. Und stellt euch nur vor, die machen davon dann auch eine Straßenversion ... Der Autogott steh uns bei.

 

Technische Daten:
KTM X-Bow GT-XR
Hubraum | Zylinder
2.480 cm3 | 5
Leistung 500 PS (368 kW) bei 6.350/min
Drehmoment 581 Nm bei 5.550/min
0–100 km/h | Vmax 3,4 s | 280 km/h
Getriebe | Antrieb 7-Gang aut. | Hinterrad
Ø-Verbrauch | CO2 9,1 l S | 214 g/km (EU6d)
Kofferraum 160 l
Basispreis | NoVA 368.199 € (inkl.) | 22 %

Das gefällt uns: es ist ein GT2-Rennwagen mit Straßenzulassung, was sollen wir noch sagen?!
Das vermissen wir: ab und an tatsächlich etwas mehr Leistung ...
Die Alternativen: keine - höchstens der Radical RCX, aber eigentlich auch nicht wirklich

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