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Ein Sieg der Lust

Alex Zanardi ist mit dem Motorsportvirus infiziert. Der Italiener wird in der kommenden Saison in der ETCC als Profi-Rennfahrer zurückkehren...

Dieser Mann ist der absolute Wahnsinn! Wie schon im letzten Jahr erfreut Alex Zanardi kurz vor Weihnachten wieder die Gemüter. Der lebenslustige Italiener bestätigte, dass er im kommenden Jahr die gesamte Saison in der ETCC-Tourenwagen-Europameisterschaft bestreiten wird, für das Ravaglia-Team: „Ich bin glücklich, im nächsten Jahr mit einem Auto des BMW-Teams Italien/Spanien an der ETCC teilnehmen zu können und ich möchte BMW Italien für das Vertrauen in dieses Projekt danken.“

Rückblende: Als der Italiener im September 2001 bei seinem schrecklichen CART-Unfall dem Tode von der Schippe sprang und ihm beide Beine amputiert werden mussten, schien dies das tragische Ende seiner Rennfahrerkarriere zu sein. Zanardi musste zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen – doch auch damals schon war der Italiener immer voller Optimismus. An ein Comeback als Rennfahrer war zunächst nicht wirklich zu denken, das Ziel hieß: Mit neuester Prothesentechnik wieder laufen können. Ende 2001, also nur wenige Monate nach der Katastrophe sagte Zanardi: „Ich weiß, dass es mir nicht möglich sein wird, genau das gleiche zu tun, was ich vor dem Unfall gemacht habe, aber ich will soviel erreichen, wie ich nur irgend kann. Es würde mich sehr glücklich machen, wieder Rennen fahren zu können...“

Zanardi kämpfte Schritt für Schritt – in einem umgebauten Privatauto fuhr er bald eigenhändig zu seinen Rehabilitations-Terminen, im Dezember 2002 nahm er an einem Kartrennen teil, in einem auf Handbedienung umgebauten Gefährt lag er dabei kurzzeitig in Führung, belegte Platz 4. An ein Fulltime-Comeback dachte Zanardi damals noch nicht: „Rennfahren ist jetzt für mich um vieles schwieriger geworden und so ziehe ich es vor, meine Zeit hauptsächlich damit zu verbringen, die Qualität meines Lebens zu verbessern. Ich ziehe es vor, die Zeit mit meinem Sohn zu verbringen, mit meiner Familie. Das ist mir lieber als ein Fulltime-Job im Rennsport. Ich werde nicht mehr in der Lage sein, auf dem Level Rennen zu fahren wie ich das die Jahre zuvor getan habe. Nicht weil ich keine Beine mehr habe. Es liegt einfach daran, dass ich nicht mehr in dem Ausmaß motiviert bin. Auch nicht wegen des Unfalls – sondern einfach weil ich älter geworden bin.“

Die Frage hieß: Comeback oder Nicht-Comeback?

Man könnte sagen, Alex Zanardi wollte zunächst „nur“ sich selbst und vielleicht auch der Welt beweisen, dass es immer weiter gehen kann, wenn man nur den Blick nach vorne richtet und nicht rückgängig zu machende Schicksalsschläge akzeptiert und dabei den Mut nicht verliert. Im Mai 2003 fuhr Zanardi dann in einem umgebauten CART-Boliden auf dem Lausitzring die letzten 13 Runden jenes Rennens zuende, in welchem er in Führung liegend den schmerzhaftesten Moment seiner Karriere erleben musste. Vor seiner Fahrt sagte Zanardi: „Ich gebe Vollgas. Ich werde dieses Rennen, das mich fast das Leben gekostet hätte, mit Anstand beenden. Es ist großartig so viele bekannte Gesichter zu sehen. Es ist, als hätte ich einen Boxenstopp von anderthalb Jahren gemacht. Danach wird der Rennsport aber für mich vorbei sein, obwohl ich ihn noch immer liebe. Ich möchte nicht meine Familie verlieren. Ich mache dies als Dank für meine Fans. Ich habe keine Angst, doch meine Karriere wird anschließend vorbei sein.“

Zanardi gab Vollgas, mit seiner Rundenzeit hätte er sich auf Startplatz 5 für das CART-Rennen qualifiziert. Die „Abschiedsrunden“ rührten seine zahlreichen Fans – ein Comeback schloss Zanardi aber immer noch aus, er werde „nie mehr als Profi“ an Rennen teilnehmen. Doch einmal vom Rennvirus infiziert, kommt man nicht so schnell davon los. Mit seiner Familie dürfte sich der Italiener geeinigt haben. Nur zwei Monate nach seinem „Abschied vom Motorsport“ absolvierte er seinen ersten Test mit einem umgebauten ETCC-Boliden, im Oktober nahm er am Finale der Serie, in Monza, teil, belegte Platz 7. Immer noch war sich Zanardi nicht sicher, ob das der Beginn einer neuen Rennfahrerlaufbahn sein würde: „Falls jemand fragt, ob ich in den Rennsport zurückkehren werde – da habe ich zurzeit noch keine Antwort parat.“

Jetzt lieferte Alex Zanardi sich und den vielen Fans die Antwort: „Das Rennen in Monza zu fahren, war großartig und ich hatte wieder dieses sensationelle Gefühl und eine Menge Spaß am Fahren. Der Wagen war sehr konkurrenzfähig, vor allem von der motorischen Seite her und das ist eine starke Motivation, das Auto weiterzuentwickeln. Die kommende Saison wird eine große Herausforderung sein und man wird uns ganz sicher nichts schenken. Wir gehen die Saison mit dem Ziel an, vom ersten Rennen an konkurrenzfähig zu sein.“ Ravaglia wird 2004 mit drei Autos an den Start gehen, neben Zanardi fahren Antonio Garcia und höchstwahrscheinlich wird auch Fabrizio Giovanardi seinen Vertrag verlängern.

Zwei Jahre lang hat Alex Zanardi gekämpft wie ein Löwe: Die Operationen, die Rehabilitation, die mühevolle Arbeit mit den Prothesen, die ersten Fahrten im Privatauto, die ersten Rennen und letztlich der sicher alles andere als leichte innere Kampf – Comeback oder nicht Comeback? Dass es möglich ist, dass ein Rennfahrer ohne Beine wieder Rennen fahren kann, hat der ehemalige Formel 1-Pilot in diesem Jahr mehr als eindrucksvoll „bewiesen“ und damit hat Alex Zanardi vielen Menschen, ob behindert oder nicht behindert, eine Riesenportion Mut schenken können...

Dass er jetzt wieder als Fulltime-Rennfahrer in die Welt des Motorsports zurückkehrt, dass seine Freude an diesem Sport derart unbändig ist, dass er wohl auch den Segen seiner besorgten Familie einholen konnte – das zeigt irgendwie auch, dass die Lust am Leben die stärkste „Waffe“ gegen Schicksalsschläge sein kann. Übrigens: Seine gesamte Gage für das Engagement 2004 wird Alex Zanardi an ein italienisches Kinderspital überweisen: „Für die kranken Kinder im Spital ist es wichtig, dass sie jeden Tag ihre Eltern an der Seite haben. Mit dem Geld können wir es Eltern ermöglichen, ohne Geldeinbußen bei ihren Kindern zu bleiben.“

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